Dienstag, 21. April 2015

Vom längsten Lauf. Ganz ohne Hass.

Mit der Motivation und mir ist es ja so eine Sache. Meistens ist sie nur kurz zu Besuch, meistens will sie etwas ganz anderes als im Trainingsplan steht und manchmal auch lieber gar nichts. Ja, ich gehe regelmäßig laufen, zurzeit 2-3x pro Woche und letzte Woche sogar 4x (und davon gleich 3 Tage in Folge). Selten bis nie mache ich das, weil ich so sehr Lust dazu habe, sondern weil ich mir nun mal ausgesucht habe, dass ich muss. Ich könnte ja auch nur Radeln und Schwimmen (was auch nicht jedes Mal unheimlich viel Spaß macht), aber dann würde ich die Sache mit dem Laufen immer noch nicht können. Ich will es aber können. Und wie bei so vielen anderen Sachen auch: ich will nicht üben. Gitarre spielen zum Beispiel finde ich super - leider müsste ich dafür viel üben und das ist utopisch, also werde ich es nie lernen. Beim Laufen ist der Leidensdruck etwas höher: ich dachte letztes Jahr, es kann doch einfach nicht sein, dass ich das nicht kann. Kann ja nicht angehen. Also üb das, verdammt nochmal! In deiner eigenen Geschwindigkeit, mit so viel Elan und Zeit, wie du bereit bist, hineinzustecken. Wenn du im Sommer lieber am Rhein sitzen und Bierchen trinken möchtest, ist das kein Weltuntergang - es dauert dann eben nur länger.
Ich bin mittlerweile froh, dass ich mich letztes Jahr durch die wirklich ätzenden und anstrengenden ersten Läufe gequält habe. Diese drei Kilometer um den Block, die mir so lächerlich vorkamen und gleichzeitig so schwer zu bewältigen waren. Laufen, gehen, laufen, gehen. Irgendwann waren fünf Kilometer drin, nach einer Ewigkeit auf einmal zehn. Ich habe mich trotzdem nie als Läuferin betrachtet, es war mir immer irgendwie fremd, unnatürlich. Gehen wäre mir jederzeit angenehmer. Und ich fühle mich noch immer wie die ewige Anfängerin.
Und dann ist auf einmal Montag. Der Tag in der Woche, an dem ich abends meist nicht viel mehr unternehme als von der Couch ins Bett zu wandern. An diesem Montag habe ich schon morgens Lust, später zu laufen. Das kommt hin und wieder vor, aber nach einem langen Tag im Büro verwerfe ich den Plan dann meist noch vor Feierabend oder spätestens im Auto auf dem Weg nach Hause. Dieses Mal will ich. Zum Glück habe ich Laufsachen dabei, so dass ich mich im Büro umziehen und nicht erst nach Hause, sondern direkt zum See fahren kann. Als ich letztens samstags zwar Zeit, aber mal so gar keine Lust hatte, habe ich mich mit einer neuen Strecke überlistet. Ist ja immer schön, mal was anderes zu sehen und so läuft man dann eben 5,7 km um den See. Zu genau dem gleichen See zieht es mich also an diesem Montagabend, aber eine Runde ist mir zu wenig. Ich habe vorab recherchiert, wie weit es wäre, um den benachbarten See gleich mit zu laufen. 13,5 km. Was zur Hölle. Das schaffe ich nicht, das ich eine Distanz, die ich mir nicht vorstellen kann und warm ist es auch. Aber mal gucken, was geht.
Die ersten Schritte sind fürchterlich, ich laufe wie auf Eiern. Die Wade tut weh, das Schienbein zwickt, da stimmt was mit der Schulter nicht, die andere Wade auch, hoffentlich sieht mich so keiner. Ich muss mal. Nach 2 Kilometern finde ich heraus, dass es an diesem See tatsächlich eine öffentliche Toilette gibt (und nein, das ist nicht der See selbst). Die ist auch gar nicht so eklig, wie es sich anhört, also lege ich eine kurze Pinkelpause ein und dann kanns weiter gehen. Die Abzweigung zum zweiten See kommt. Ich nehme sie. Mal sehen, wie weit ich komme. Ich kann ja immer noch umdrehen und den kürzesten Weg zurück nehmen. Oder spazieren gehen, das Wetter ist schön.
Ich laufe. Und laufe. Und laufe. Als wäre es das Normalste der Welt. Ich lasse mir Zeit, ich habe keinen Stress, es ist so schön draußen und ich will so viel Sonne wie möglich abkriegen. Ich halte kurz an, wenn der Ausblick schön ist und mache ein Foto. Ansonsten laufe ich. Klar ist es anstrengend, aber es ist auszuhalten. Ich habe nicht ein einziges Mal den sonst so hartnäckigen Gedanken: "Kann nicht mehr! Will nicht mehr! Hör endlich auf mit dem Scheiß!" Ich laufe und laufe, der zweite See ist sehr viel ruhiger als der erste, mir kommen auf 2 Kilometern geradeaus nur eine Radfahrerin mit Hund und ein joggendes Pärchen entgegen. Das wars. Ich laufe, schaue mich um, staune wie groß der See ist, wundere mich über die Beschilderung ("Lagern verboten." Was heißt eigentlich genau lagern?), laufe weiter, ganz um den See rum. Also zurück zu See Nummer 1, die restliche Runde noch zu Ende. Das sieht noch ganz schön weit aus, aber ich denke nicht wie üblich: "Boooooah, viel zu weit, guck mal wie weit das andere Ufer da hinten weg ist, und dann noch um die ganze Kurve da, das schaff ich ja nie!" sondern "Aha, ganz schön weit weg, da werde ich noch lang laufen." Als hätte ein anderer Mensch meinen Körper und meine Gedanken übernommen.
Ich laufe 13,25 km. Auf dem letzten Kilometer ist noch genug Energie übrig, um das Tempo um 30 sek/km anzuziehen. Insgesamt brauche ich 1:38:16, macht eine Pace von 07:24 min/km. Stimmt nicht ganz, denn bei Kilometer 6 ging das Handy aus, was ich erst einige Minuten später gemerkt habe. Beim wieder Einschalten wusste Runtastic netterweise noch, dass ich gerade eine Aktivität am Start hatte und addierte die fehlende Zeit drauf. Die Strecke leider nicht. Und so reißt km 6 mit 13 min/km den Schnitt nach unten, schönen Dank auch. Aber was solls, ich weiß, dass ich den Rest der Zeit knapp unter 7 min/km war, was gemütlich, aber in Ordnung ist. Und: ich muss die Strecke wohl nochmal laufen, um rauszukriegen, wie weit sie wirklich ist.
Übrigens haben wir im Büro eine neue Kollegin. Letztens saßen wir mit mehreren in der Pause zusammen und es ging um den anstehenden Firmenlauf (an dem ich nicht teilnehme, weil die Organisatorin in die Mail etwas von Kostümen schrieb und weil ich außerdem im Urlaub bin). Jedenfalls wurde die neue gefragt, ob sie nicht mitlaufen wolle. Ihre Antwort aus vollem Herzen: "Nä! Ich hasse laufen!" Miriam, wir verstehen uns!
Hass zählt trotzdem nicht als Grund, nicht damit anzufangen.
Unten rechts im Gegenlicht nur ein bisschen zu erkennen: ein Aussichtsturm. Oben rechts: Blick vom Turm.