Freitag, 1. Mai 2015

Raceday No. 4 - Breitscheider Nacht

Mehr oder weniger spontan habe ich mich für einen Lauf im Nachbardorf angemeldet: die Breitscheider Nacht. Statt Tanz in den Mai eben Lauf in den Mai, spricht ja erst mal nichts dagegen. Dann, ein Tag vorher: Halsschmerzen. Am Renntag kommt noch eine Schnupfnase dazu. Ich bin schon fast sicher, dass ich entweder gar nicht laufen werde oder versuchen will, von 10 auf 5 Kilometer umzumelden, aber eine kurze Rücksprache mit meiner Lauftreffkollegin Nadine stimmt mich um ("Ist der Rotz grün? Nein? Dann lauf!"). Ich bin echt kein Tocotronic-Fan, aber als ich dann mit Grippostad und Nasenspray intus schniefend an der Startline stehe, möchte ich ziemlich laut "Pure Vernunft darf niemals siegen!" brüllen.
Schon ganz schön weit von hier bis zum Ziel!
Auf meiner Startnummer steht mein Name, hatte ich auch noch nie. Wie nett!
Wenn man im Nachbardorf startet, kennt man ungefähr jeden zweiten. Und so steht meine Fitnessstudio-Kollegin Sandra auf einmal neben mir und fragt wenige Sekunden vor dem Start: "Oh, ist jetzt noch Zeit für ein Selfie?" - na klar...
Dann gehts los. 10 Kilometer. 2 Runden. Ich kenne die Strecke nicht, aber habe nur zwei Sachen gehört: Schön grün solls sein, schön durch die Natur. Und verdammt hügelig. So hügelig, dass man das nicht unterschätzen sollte. Ich unterschätze hier gar nichts, ich mache mir ernsthafte Sorgen um Anstiege, die ich womöglich gehend bewältigen muss. Wer weiß, was es hier im Hinterland für ungeahnte Berge gibt?! Und so rechne ich mit dem Schlimmsten. Hinter jeder Kurve könnte er kommen, der gefürchtete Anstieg. 

Er kommt nicht. Nie. Es geht sanft bergauf, sanft bergab, auf und ab, durch die Felder, immer asphaliert. Um Kurven, hinter denen keine Monster-Berge warten. Nur kleine Hügel, die okay sind. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass es mehr bergab als bergauf geht. Der einzige etwas knackige Anstieg ist kurz vor dem Ziel - gemein, aber da wir hier ja zwei Mal vorbei müssen, schaue ich mir in der ersten Runde alles an und stelle mich drauf ein. 

Überhaupt bin ich in der ersten Runde nur mit durch die Gegend gucken beschäftigt - am Himmel sind dunkle Wolken, die Sonne scheint aber noch und lässt die Rapsfelder knallgelb leuchten. Dazu Kirschbäume, diese bunten Hügel und irgendwie ist alles leuchtend blau, grün oder gelb. Ich versuche alles aufzusaugen, weil ich sicher bin, dass die Sonne in der zweiten Runde nicht mehr alles so zum Leuchten bringen wird. Es ist eine sonnige Nacht - wenn mir langweilig wird, kann ich wenigstens künftig sämtlichen Läufen Songtitel verpassen. 
Am liebsten würde ich an jeder Ecke anhalten und fotografieren, aber es reicht nur für dieses Bild während der Fahrt. 
Ich habe mir für diesen Lauf keine Zielzeit vorgenommen. Zum einen hatte ich den halben Tag überlegt, ob ich überhaupt starten soll und zum anderen dachte ich ja, die Strecke sei unfassbar hügelig - was besseres als die 1:04:21 beim Frühjahrslauf in Düsseldorf vor 4 Wochen würde also definitiv nicht drin sein.

Mein einziger Plan heißt also: einigermaßen gut durchkommen. Zuerst laufe ich den beiden Mädels auf dem oberen Bild hinterher, weil das Tempo ganz gut passt. Leider halten sie das nicht wirklich und werden bald schneller. Das ist nicht mein Plan, also lasse ich mich zurückfallen und laufe so weiter, wie es für mich angenehm ist. Also, so angenehm wie möglich. Nicht abschütteln lässt sich der Typ in der blau-weißen Jacke, den ich die erste Runde hinter mir her ziehe. Ok, so bin ich wenigstens nicht ganz alleine unterwegs. In der zweiten Runde laufen wir schweigend (und ich schnaufend) nebeneinander her, als gäbe es eine stumme Absprache, das gleiche Tempo zu halten.
Ungefähr nach der Hälfte der zweiten Runde höre ich von hinten ein Fahrrad. Was zur Hölle? Eben waren da noch Läufer hinter uns! Sind wir jetzt die letzten? Also so die allerletzten? Die Radfahrerin lacht mich aus und meint, nö sie sei nicht die letzte, sie würde nur mal hier so hin und her fahren und schauen, ob es allen gut geht. Puh.

Meine Beine werden schwerer und die Atmung flacher. Ich merke, dass sich da Seitenstiche anbahnen und muss langsamer machen. Wir tauschen die Rollen und ich lasse mich mitziehen. Der Abstand vergrößert sich, aber ich will auf keinen Fall ganz abreißen lassen. Ich beiße die Zähne zusammen und sehne die 9km-Marke herbei. Jetzt noch ein Kilometer, davon ziemlich viel bergab und nur das letzte Stück bergauf. Ich habe keine Ahnung, woher die Kräfte auf einmal kommen, aber ein paar Hundert Meter vor der Ziellinie beschließe ich, dass ich nicht darüber traben werde. Ich ziehe das Tempo ein letztes Mal an und mein blau-weiß-bejackter Begleiter ist so nett, mir den Spaß zu lassen und überholt nicht mehr. Hinterher dankt er mir fürs Mitziehen - selber!

Ich bin im Ziel! Meine Uhr zeigt irgendwas mit 1:04 und rundherum werden schon die Absperrungen abgebaut. Die Netto-Zielzeit ist 1:03:42 - das ist ein kleines bisschen schneller als in Düsseldorf. Scheiß auf Hügel, scheiß auf Schnupfnasen. Pure Vernunft...
Papa konnte sich nicht entscheiden, ob er sein Tempo laufen oder auf mich warten will und kam so nur zwei Minuten vor mir ins Ziel. 
Ich würde sagen: keinen Meter zu viel gelaufen.