Donnerstag, 11. August 2016

Slow fat triathlete - Handlungsempfehlung für den Umgang mit Idioten

In den letzten Tagen machte ein Bericht einer Triathletin im Netz die Runde, der mich zuerst sprachlos und dann wütend gemacht hat. Nicht nur mich, sondern hunderte, die auf allen Kanälen munter kommentierten. Wer's nicht mitgekriegt hat, bitte einmal hier entlang und Christinas etwas anderen Rennbericht lesen. Kurz: Sie wurde während eines Wettkampfs von Zuschauern behindert und als "fette Sau" beschimpft. Dass das gar nicht geht, da sind wir uns wohl alle einig. Nun, nicht alle: Ein Kommentator war der Meinung, das Problem läge ja eindeutig bei ihr selbst - achja, klar. Manche fassen sich eben auch an den Kopf und greifen ins Leere. So. Im Prinzip wäre dazu jetzt alles gesagt. Einige Blogger-Kollegen wie der Trailrunner's Dog fordern mehr Respekt, Triathlove macht die Geschichte richtig sauer. Mich auch. Mich macht vor allem sauer, dass wir über das Thema überhaupt sprechen müssen.


Und weil ich ja nun mal optisch auch nicht gerade dem Idealbild einer Triathletin entspreche, betrifft mich das Ganze auch. Ich habs nur noch nie thematisiert. Ich will schon lange einen Artikel schreiben, der bisher noch nie so richtig raus wollte, aber jetzt ist verdammt nochmal der richtige Zeitpunkt dafür. Wilde Aneinanderreihung von Gedanken und Erlebtem:

2014. Kurz vor meinem ersten Triathlon. Mir dämmert, dass ich in einem hautengen Anzug nicht nur schwimmen und radfahren, sondern auch noch laufen muss. Ich möchte den Anblick eigentlich keinem antun und ich möchte vor allem nicht diejenige sein, die ihre schwabbeligen Beine, Po und Bauch im Einteiler durch ihre Heimatstadt schiebt. Ein Telefonat mit Georg, Triathlon-Urgestein aus dem Ort und Organisator des Ratingen-Triathlons, stimmt mich um: "Ach mach dir doch keinen Kopf wegen 5 kg zu viel. Die Leute gucken vielleicht erst mal, aber am Ende sind die beeindruckt von dem, was du leistest." 5 kg?! Haha, danke für die Blumen. Wir reden eher so über 15-20 zu viel. Ich glaube ihm trotzdem, gehe an den Start und den Rest der Geschichte kennt ihr.


Mitte 2015. Ungefragt bekomme ich mitgeteilt, es sei ja komisch, dass ich gar nicht abgenommen hätte, wo ich doch jetzt so viel Sport mache. Diese Feststellung erreicht mich nicht etwa im passenden Kontext von einer vertrauten Person, die echtes Interesse an der Analyse der Situation hat, sondern von einem Freund meiner Eltern während einer Party vor versammelter Mannschaft. Ich fühle mich bloßgestellt und möchte ausrasten. Stattdessen sage ich nur irgendwas blödes und gehe früh.

Herbst 2015. Meine erste Kurzdistanz. Es sind 4 (ziemlich profilierte) Radrunden zu fahren, dementsprechend oft komme ich an den etwas spärlich gesäten Zuschauern vorbei. Ein älterer Herr ruft: "Weiter so, hast bestimmt schon ein Kilo verloren jetzt!" Und findet sich dabei ziemlich witzig. Ich möchte hoffen, dass das der gleiche Idiot wie aus Christinas Geschichte war, aber ich fürchte, es gibt noch mehr davon. Glücklicherweise hat mich das im Rennen nur geärgert und nicht ernsthaft irritiert, es war mir nicht mal eine Erwähnung im Artikel wert und ich hatte die Sache vergessen. Bis gestern.

Ich habe kein dickes Fell. Manchmal wirkt das vielleicht so, aber ich habe es nicht. Das erste Jahr meiner Lauf-Karriere hat mich ein Gedanke immer begleitet: Das ist nicht meins. Ich kann das versuchen, so lange ich will, aber es ist offensichtlich, dass ich dafür nicht gemacht bin. Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin das dicke Mädchen mit dem witzigen Blog, das jetzt mal auf Läuferin und Triathletin macht.


Ende 2015. Ich bin zum Schwimmen verabredet. Es ist nicht so ganz klar, was für eine Art von Verabredung das ist, wahrscheinlich geht es nicht einfach nur ums Training, aber so ein richtiges Date ist das auch nicht, irgendwas dazwischen. Eine Verabredung im Schwimmbad ist normalerweise undenkbar. Aber so was von! Klar, ich bin jede Woche im Schwimmbad, dort sehen mich ständig Leute, die Wasserballjungs kennen mich besser im Badeanzug als angezogen - aber das ist was anderes. Vor jemandem, mit dem ich noch nie zusammen schwimmen war, auf einmal halbnackt herumlaufen? Alptraum. Eigentlich. Und dann finde ich mich auf einmal zuhause im Badeanzug vor dem Spiegel wieder und überlege nur noch, ob ich die graue oder die rote Badekappe nehme. Was ich sehe, ist bei weitem nicht perfekt, aber ich bin stolz. Stolz auf einen Körper, der zu diesem Zeitpunkt zwei Volkstriathlons und eine Kurzdistanz geschafft hat, der einen Halbmarathon gelaufen ist und dem man das nicht ansieht. Ich muss es aber nicht sehen. Ich weiß es. Bei diesem Treffen im Schwimmbad ist nichts peinlich - und übrigens war es doch ein rein sportliches Date ;-)

2016. Ich habe keine negativen Gedanken mehr beim Laufen. Ich kann mir zwar immer noch Schöneres vorstellen, als im Trisuit wie auf dem Präsentierteller zu laufen. Aber ich kann den Kopf ausschalten, mich auf was anderes fokussieren, es keine Rolle mehr spielen lassen. Ich denke auch nicht mehr oft darüber nach, wer auf dem Rad beim Windschattenfahren jetzt eigentlich gerade dazu gezwungen ist, auf meinen voluminösen Hintern zu starren. Im Gegenteil: Ich freue mich, dass diese Beine mit den austrainierten Oberschenkeln und strammen Waden der Vordermänner mithalten können.


Noch immer ist das ein sensibles Thema. Ja, ich habe in den letzten Wochen ein paar Kilo abgenommen. Gar nicht mal so irre viele und gar nicht mal so bewusst. Ich schiebe das auf die hohe Intensität beim Radeln zurzeit und mache mir ein klein wenig Sorgen, wie ich das über den Winter retten soll, wo man nicht mal eben den halben Samstag im Sattel verbringen kann (nein, 6 Stunden auf der Rolle sind keine Option). Meistens ist es mir unangenehm, darauf angesprochen zu werden, früher schlimmer als heute. Typischer Dialog: "Hast du abgenommen?" - "Öh, ja nö, bisschen vielleicht." Immer rede ich das klein, sage, dass ja noch viel Luft noch oben sei, das noch was ginge, das ich nicht fertig bin. Ich rede nicht gern darüber. Schluss damit jetzt! Ich thematisiere das genau jetzt.

Wir müssen nicht immer stark sein
Mich betrifft Christinas Erfahrung. Sie macht mich traurig und wütend und ich möchte Menschen, die einen Athleten als "fette Sau" beschimpfen, am liebsten rechts und links eine verpassen. Und denen, die glauben, es sei das Problem von jedem selbst, wenn man so etwas an sich heran lässt, denen erst recht. Es gehört eine verdammte Portion Mut dazu, sich bei einem Thema, das man sowieso nicht gerne bespricht, hinzustellen und zu sagen: "Wenn ihr Witze auf meine Kosten macht und mich respektlos behandelt, verletzt mich das." Wir müssen nicht immer stark sein, nur weil andere Arschlöcher sind. Judith Riemer hat dazu heute ganz wunderbar passend geschrieben: Wenn dein Herz übergewichtig ist, dann ist es völlig egal, wie viel du abnimmst.

Ich möchte auch gar keine küchenpsychologische Analyse beginnen, welche eigenen Komplexe jemanden dazu bringen, sich so zu verhalten, wie die Zuschauer bei Christinas Triathlon. Aber ich möchte - da es ja anscheinend 2016 wirklich noch nötig ist - darauf aufmerksam machen, dass das nicht ok ist. Beschreiben, wie es innen drin so aussehen kann, auch wenn man nach außen stark ist. Solltet ihr mal bei einer Veranstaltung am Rand daneben stehen und so etwas miterleben, sei es eine so direkte Beleidigung oder auch nur Gerede: Unternehmt was. Unternehmt irgendwas! Fragt denjenigen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, ob er sein Verhalten eigentlich sportlich findet, fragt nach seiner Marathon-Bestzeit* oder ob er eigentlich schon so dumm geboren wurde. Lasst diese Idioten nur nicht glauben, sie seien witzig.


*Ich bin natürlich nicht der Meinung, dass schnellere Sportler auf langsamere herabschauen dürfen - ganz im Gegenteil. Kommen die ach so witzigen Sprüche allerdings von denjenigen, die sich selbst höchstens vom Sofa zum Kühlschrank bewegen, kann man ihnen die eigene Unsportlichkeit im Vergleich durchaus gerne mal aufzeigen. Unter Sportlern ist das Ganze noch tragischer, habe ich aber zum Glück noch nie erlebt. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass gerade wir Läufer und Triathleten ganz genau wissen, was die anderen leisten. Trotzdem kann es nicht schaden, sich hin und wieder bewusst zu machen, dass schwächere und stärkere Sportler jeweils genauso über sich selbst hinauswachsen - nur eben auf anderen Ebenen. Dass sie kämpfen. Grenzen verschieben. Unermüdlich trainieren. Vielleicht mal straucheln. Sich verbessern. Wo kommen wir hin, wenn wir uns dabei nicht mehr gegenseitig bestärken?