Freitag, 2. September 2016

Raceday No. 20 - Bayer Triathlon Krefeld 2016

Eigentlich wollte ich diese Saison ja entspannt angehen. Ein paar Sprints melden, mir keinen Stress mit den Distanzen machen und nur die Zeiten verbessern. Ohne Druck. Dann hab ich den Neo gewonnen und bin auf die glorreiche Idee gekommen, es sei ja ziemliche Verschwendung, das tolle Teil nur für 500 m mit ins Wasser zu nehmen. Eine Olympische Distanz muss her! Die Wahl ist auf Krefeld gefallen. 1500 m schwimmen, 40 km radeln, 10 km laufen. So weit so gut. Ende August, stehendes Gewässer, eine Woche lang vorher Temperaturen um die 30° - das Neoverbot ist absehbar. Toll gelaufen!


Toll gelaufen ist auch meine Vorbereitung. Nicht. Die Laufkilometer im Juli und August kann ich fast an einer Hand abzählen. Im See war ich seit Hamburg genau drei Mal: zwei Mal zum Schwimmen, ein Mal eher zum Planschen. Zwei Mal mit Badeanzug weil wegen heiß, nur ein Mal mit Neo. Nachdem ich diese Freiwasser-Panik-Geschichte für mich analysiert habe, steht meine Entscheidung für Krefeld fest: Ohne Neo. Egal ob erlaubt oder nicht, ich schwimme ohne Neo und ohne Druck.

Ganz eventuell sind wir ein klitzekleines bisschen zu früh da.
Und so sitze ich Sonntagmorgen um halb 8, eineinhalb Stunden vor dem Start, am noch menschenleeren Elfrather See auf einem Steg und lasse die Beine ins Wasser baumeln. Der See liegt friedlich da. Das Wasser ist weich und in der Luft liegt diese angenehme Kühle vor heißen Tagen. Ich habe Lust zu schwimmen. Moment. Ich?? Schwimmen? Im See? Ja. Ich bin erstaunlich ruhig. Versöhnt mit dem See und dem lauschigen Morgen. Ich könnte noch ewig hier am Steg sitzen und die Beine baumen lassen, aber wenn die Begleitung eine nervöse Blase hat, gehen wir eben. Und nochmal. Und nochmal. Das einzige, was mich nervös macht, sind die Mücken. Ich bin so schnell so dermaßen zerstochen, dass ich beim noch anreisenden Support-Team kurzerhand irgendwas gegen Viehzeug ordere.



Frisch eingesprüht mit Anti-Mücken-Zeugs hüpfe ich ins Wasser und hoffe, dass es irgendwie hilft. Einschwimmen klappt super, keinerlei Probleme. Die üblicherweise oft zu Beginn schweren Kraul-Arme melden sich nicht. Kann losgehen. Es gibt einen Wasserstart von einer imaginären Linie aus. "Wenn es knallt, gehts los!" Es knallt. Ich bin relativ mittig einsortiert, aber habe sofort freie Bahn - keine Prügelei, gar nichts. Ich kraule, als wäre es das Normalste der Welt. Bis die Arme sich melden. Schwer werden. Weh tun. Prima. Ich will noch nicht kämpfen, noch nicht jetzt. Der Tag wird lang genug. Also schwimme ich Brust.


Was mich bei den letzten beiden Starts immer in eine mittelschwere Krise gestürzt hat, ist auf einmal vollkommen okay. Ich fühle mich wohl hier im Wasser, bin gut drin, habe noch Kraulschwimmer neben mir. Ok, langsame Kraulschwimmer. Ich spare mir deren Zick-Zack und schwimme schön gerade auf die Bojen zu. Fast möchte ich den einen oder anderen antippen, wenn jemand zu weit vom Kurs abkommt. "Entschuldigung! Da gehts lang!" Warum orientieren die sich eigentlich nicht einfach an mir? Ist doch ne total sichere Nummer, so ein Brustsschwimmer. Tritt halt manchmal aus, aber weiß immer, wo es lang geht.


Die Sonne scheint, das Wasser ist mit kuscheligen 24° ziemlich angenehm und es ist wunderbar ruhig hier draußen. Keine ätzende Musik, keine dröhnenden Lautsprecher, nicht mal schreiende Zuschauer, gar nichts. Die Sicht ist in Ordnung, die zwei, drei Algen, in die ich greife, irritieren mich nicht weiter und vom angeblichen Entenproblem kriege ich nichts mit - keine einzige Ente in Sicht. Ich ahne, dass das Schwimmen heute sehr wahrscheinlich der angenehmste Teil wird, also verbringe ich möglichst viel Zeit im Wasser. Ganz toller Plan. Nach 40 Minuten zieht mich eine helfende Hand aus dem See. 40 Minuten sind nicht nur langsam, sondern unterirdisch lahmarschig. Passt allerdings genau in meinen ansonsten leicht ambitionierten Zeitplan: 40 min schwimmen, 1:20 Stunden radeln inklusive wechseln, unter 60 Minuten laufen - voilà, fertig ist die Olympische Distanz unter 3 Stunden.



Dass es so einfach nicht wird, dämmert mir spätestens auf dem Rad. Die Radstrecke führt über eine Bundesstraße, die ich der Einfachheit halber und weil es cooler klingt ab jetzt Autobahn nenne. Darauf habe ich mich gefreut, weil ich guten Asphalt und lange Geraden vermute und somit viele Gelegenheiten, gut Druck zu machen. Und all die schnellen Schwimmerinnen wieder einzusammeln. Mittlerweile weiß ich, dass ich offenbar eine ganz passable Radfahrerin bin - wer so langsam schwimmt, muss dann ja wenigstens auf dem Rad ein bisschen was reißen. Ich habe die Rechnung allerdings ohne die pralle Sonne (wo sind die Bäume über der Autobahn, wenn man sie mal braucht?), den Wind (irgendwie klar, dass sone verdammte Autobahn ziemlich windanfällig ist, oder?) und ohne die Hügel gemacht. Scheiß die Wand an!


Die ersten 2 km komme ich überhaupt nicht rein und strampele nah an der Verzweiflung so vor mich hin. Die Beine wollen nicht und der Puls schlägt Saltos in astronomischen Höhen. So ganz genau möchte ich es lieber nicht wissen und schaue daher nicht auf die Uhr, sondern mustere die mir entgegenkommenden Radfahrer. Christian treffe ich kurz vor jedem Wendepunkt und er bringt es fertig, mir aus der Aeroposition abwechselnd zu winken und irgendwelche Handzeichen aufzuführen, die ich mal frei als "Ballern!" interpretiere. Ja. Ich würd ja. Nach der ersten Runde sind die Beine endlich auf dem Rad angekommen. Die Hitze, die Hügel und der Wind sabotieren mein Tempo immer noch, aber wenigstens hab ich jetzt wieder ein paar Körner, um mich hier irgendwie durch zu beißen.


Zwei mal pro Runde komme ich an meinem fantastischen Fanblock vorbei: Meine Eltern, Denise, Kati und Steffi sorgen am Streckenrand für Stimmung und Fotos. Danke dafür! Ich bin der schlechteste Mensch, den man anfeuern kann, denn ich übersehe tatsächlich die Kreide-Botschaften auf der Straße, für die die Mädels sich die Finger wund geschrieben haben. Es tut mir leid! Ich bin sicher, der eingebaute Insider hätte mir irgendwas zwischen peinlichem Grinsen und hysterischem Gackern entlockt. Wie konnte ich das nur übersehen? Schieben wir es auf den Tunnel, denn anders als im Tunnel ist diese Radstrecke aus der Hölle auch nicht auszuhalten: Sonne, Hügel, Wind - hatte ich bereits erwähnt, dass es verdammt nochmal windig ist? Wie kann denn auf einer beschissenen Wendepunktstrecke permanent Gegenwind pusten? Was ist das für 1 Radfahren, wenn man ernsthaft mit 35 km/h bergab (!) fährt, kurbelt wie eine Irre und sich fragt, wieso alles so anstrengend ist? Scheiße, ey.


Ich lenke mich weiterhin damit ab, den Gegenverkehr unter die Lupe zu nehmen und freue mich über bekannte Gesichter und abenteuerliche Räder. An den drei 180°-Kurven pro Runde verfluche ich das Wieder-Antreten, vor allem bergauf. Vielleicht hab ich ich die Radbeine doch in Hamburg vergessen. Trotzdem, radfahren: geschafft. Und 11 Plätze gut gemacht. Geht doch! Tiersichtungen: Eine Ratte bei km 5, 15, 25, 35. Immer die gleiche. Platt.



Gefühlt dauert das Wechseln eine halbe Ewigkeit, der Fanclub bescheinigt mir später allerdings rasend schnelle Wechsel. Naja, zumindest läuft die ganze Sache so gut, dass ich nach genau 2 Stunden und ein paar Sekunden auf die Laufstrecke gehe. Theoretisch ist die sub 3 jetzt absolut drin. Praktisch weiß ich nach den ersten Metern, dass sie es nicht ist. Nicht heute, nicht in der Mittagshitze bei - was weiß ich? - 35°? Und nicht mit einem Kopf, der schon zu Beginn der ersten Runde das volle "was-soll-die-Scheiße-hier-eigentlich?"-Programm abspult. Ich verabschiede mich von der Vorstellung, unter einer Stunde zu laufen und die Wanderung beginnt. Der innere Kampf auch.


Wenn du in dich gehst, dann geh nicht unbewaffnet. Ich bin ausgerüstet: Ich habe einen Schwamm und ein Gel dabei und gedenke, beides zu benutzen. Irgendwer überholt mich und brüllt "Attacke, Maren!". Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer das gewesen sein kann, bin maximal verwirrt und sowieso leicht neben der Spur, daher kann ich nichts weiter als ein heiseres Lachen entgegnen. Laufen, wandern, laufen, wandern. Die alte Geschichte. Ich kann nicht, ich will nicht. 10 km. Warum?? Die Rettung: der Getränkestand. Ich drücke mir das zweite Gel rein (das erste gabs auf dem Rad), schütte einen Becher Wasser hinterher und einen über den Kopf. Scheiße, ist das heiß. Kurz nach dem Wendepunkt kommt mir Christian entgegen - na großartig, dann ist der jetzt also hinter mir. Ich kann unmöglich gehen. Ich will nicht, dass mich hier irgendjemand wandern sieht, nicht jemand, den ich kenne und schon gar nicht jemand, mit dem ich einen Kleinkrieg um diverse Strava-Segmente am Laufen habe. Aber das hier ist kein Radfahren, sondern ein verdammter Lauf.


Er lässt sich mit dem Überholen Zeit bis zur nächsten Runde und leider muss ich ihn jetzt hassen, weil das seine letzte ist und mir noch drei bevorstehen. Ich decke mich am ersten Getränkestand mit Wasser ein: eins zum Trinken, eins über den Kopf, eins über den Schwamm, Schwamm in den Nacken. Weiter geht die wilde Fahrt. Ein Schulfreund kommt mir entgegen gerannt, sein erster Mannschaftssprint, meine erste richtige Olympische Distanz - komische Umstände, um sich nach Jahren mal wieder zu treffen. Ich kämpfe immer noch mit dem übermächtigen Wunsch, spazieren zu gehen, wahlweise auch irgendwo zu liegen. Der Griff in die mentale Trickkiste bringt exakt genau gar nichts, ich kriege den Fokus nicht von mir abgelenkt, sehe nicht die Umgebung, die anderen, das große Ganze, sondern lande immer wieder bei mir selbst und bei "was soll das hier eigentlich?".


Anfang der dritten Runde treffe ich am Getränkestand (Wasser! Schwamm!) eine Leidensgenossin. Wir wandern ein paar Meter zusammen und verlieren uns in Tagträumereien: Wie schön wäre es, wenn wir den Lauf durch Schwimmen ersetzen könnten? Nur ausnahmsweise, weil es so warm ist. Ich wecke uns etwas unsanft aus der glückseligen perfekten Welt, indem ich frage, ob wir noch ein paar Meter laufen wollen. Wollen wir nicht, machen wir aber trotzdem. Und auf einmal läuft es. Ich weiß nicht, was das in den ersten beiden Runden für ein beschissener Kampf war, aber ich weiß in diesem Moment, dass ich ihn gewonnen habe. Es läuft. Bei meiner Mitstreiterin leider nicht so, sie möchte doch noch eine Gehpause einlegen und ich verliere sie.


Es gibt auf der Laufrunde drei Highlights: Die beiden Getränkestände (einer zu Beginn, einer in der Mitte am Wendepunkt) und die Feuerwehr, die Seewasser mit Schläuchen wie eine gigantische Dusche durch die Gegend spritzt. Auf der Vorfreude-Skala von 1-10 liegen die Wasserstände ungefähr bei 7 (Trinken! Schwamm!), aber die Feuerwehrdusche ist mindestens eine 20. Ich liebe das verdammte Ding und bin sicher, es gibt NICHTS Schöneres auf der Welt als diese riesige, kalte, tolle Dusche. Ich sehne sie spätestens ab der Hälfte der Runde herbei und gehe jedes Mal gemütlich und überglücklich durch den kalten Regen. In Runde 3 ist die Dusche nicht da. Einfach aus. Die Stimmung droht zu kippen, bis zu Beginn von Runde 4 am ersten Getränkestand gleich zwei wundersame Dinge passieren: Ich entdecke eine kleine Gartendusche, an der ich offenbar schon drei Mal blind vorbei gelaufen bin und ich rekrutiere eine neue Begleitung für ein paar gemeinsame Meter auf der Strecke. Hervorragend. Ein ungewohnt munteres Plappern in meinem Ohr bringt mich ziemlich gut durch die letzte Runde.

Freudiges hurra-ich-bin-gleich-im-Ziel-Grinsen

Schließlich verpasse ich die sub 3 um sechseinhalb Minuten - aber ich brauche ja auch noch Ziele fürs nächste Jahr. 3:06:24 steht am Ende auf der Uhr. Auf die einzelnen Disziplinen verteilt sieht das Ganze dann so aus:

1500 m schwimmen - 40:14 min (oje oje)
40 km radeln - 1:20:06 (dafür, dass hier beide Wechsel mit drin sind, ganz in Ordnung)
10 km laufen - 1:06:03 (das kann ich 10 Minuten schneller, nur äh nicht heute)


Unglaublich, aber wahr: Selbst mit diesen Zeiten kann man etwas gewinnen! Und zwar die AK 25. Und nicht nur das, sondern auch noch eine Urkunde, eine Trinkflasche, ein Gutscheinbuch für Krefeld und oben drauf noch ein Buch über Autobahnen. Tatsache.

Ein historischer Moment: Ich stehe auf einem Treppchen. Und habe niemanden bestochen, dass ich mich für ein Foto mal eben dazu stellen darf. Wirklich!
Netterweise werden alle AK-Platzierten gleichzeitig geehrt. So fällt nicht auf, dass die AK 25 nur Platz 1 und 2 vorzuweisen hat. 
Der allerallerschönste Moment des Tages: die Dusche nach dem Ziel. Noch schöner als die Feuerwehrdusche auf der Laufstreccke.

Fotos: Hagen Schink und Stefanie Schölgens (@exilrheinlaenderin). Ich danke euch!