Mittwoch, 19. Oktober 2016

Raceday No. 25 - Rhein City Run 2016

Rhein City Run - bescheuerter Name für eine tolle Idee: ein Halbmarathon von Düsseldorf nach Duisburg. Ich mag den Gedanken, zuhause loszulaufen und in einer anderen Stadt ins Ziel zu kommen. Irgendwie charmant. Immer am Rhein entlang: Eine Strecke, die ich im Sommer mindestens 1x pro Woche mit dem Rad fahre. Jetzt muss ich laufen.


Die Halbmarathon-Distanz und ich, das ist so eine Sache. Den ersten bin ich vor gut einem Jahr "gelaufen", eigentlich mehr spaziert, 2:28 Stunden hat die Tortur gedauert und war ziemlich schrecklich. Der zweite war im März diesen Jahres bei der Duisburger Winterlaufserie und lief richtig gut: Ich konnte in 2:13 durchlaufen und war der stolzeste Mensch der Welt. Der dritte Halbmarathon war eine sehr spontane Kiste im Juni, ebenfalls in Duisburg und zwar beim Rhein Ruhr Marathon (welcher normale Mensch soll eigentlich Rhein City und Rhein Ruhr auseinander halten?). Ohne großartige Vorbereitung bin ich bei übertriebener Hitze 2:08 gelaufen - Bestzeit zwar, aber viel zu schnell angegangen und ab km 18 gefühlt nur noch gewandert.


Hab ich draus gelernt? Nö. Offensichtlich nicht. Dass ich den Halbmarathon von Düsseldorf nach Duisburg laufe, weiß ich schon seit einer ganzen Weile - eine spontane Schnapsidee ist dieses Mal keine Entschuldigung. Sonderlich viel trainiert habe ich allerdings trotzdem nicht: Eventuell kam das eine oder andere Radrennen dazwischen (macht ja auch viel mehr Spaß!). Genau zwei lange Läufe gabs im Vorfeld, davon einen zufällig genau 21 km lang, sehr langsam und sehr locker, und einen über 19 km, der ab km 14 schrecklich anstrengend geworden ist.

Damit das Ganze nicht zu langweilig wird, habe ich vorher eine Ansage gemacht: Ich will unter 2 Stunden laufen. Teuflischer Plan: Möglichst vielen Menschen davon erzählen, so etwas Druck aufbauen und dem Schweinehund in den Arsch treten, wenn er wieder mal wandern möchte.

5:40 min/km durchlaufen klingt simpel. Aber woher weiß ich, ob ich nach 17 km noch rechnen kann? Eben. Also lieber auf Nummer sicher gehen.
Wir sind zu dritt und der Plan geht exakt drei Kilometer lang auf. Auf den ersten beiden ist es zu voll, so dass wir ständig überholen und trotzdem viel zu langsam sind. Auf dem dritten holen wir den kompletten Rückstand kurzerhand wieder raus und sind bei der 3-km-Marke wieder exakt in meinem Zeitplan. Blöd nur, dass wir jetzt gerade viel zu schnell rennen und niemand daran denkt, das Tempo wieder raus zu nehmen. Die Absprache lautet: Bis zur Hälfte mit 5:40 min/km konstant bleiben, danach gucken die Jungs, was noch geht und ich laufe einfach mit der gleichen Geschwindigkeit weiter. Wäre ja auch zu schön. Jetzt rennen wir halt schon bei km 4 und gucken, was geht. Also, was bei mir halt rennen bedeutet.

Merke: Wer nur schnell genug läuft, hat auch schön viel Platz auf der Strecke.
Lieblingsdialog. Ferdi: "Ich will ja nicht ständig mahnen, aber wir sind echt zu schnell." Daniel: "Wie viel zu schnell?" - "Selbstmord." Das trifft es ganz gut. Leider. Ich weiß nicht, was in diesem draufgängerischen Hirn schief läuft, während ich bei jeder neuen Markierung ansage, wie weit wir über dem Plan liegen. 30 Sekunden zu schnell. 40. Bei km 5 genau 50 Sekunden - macht 10 pro Kilometer, also eine Pace von 5:30 und nicht 5:40 - kleiner, aber feiner Unterschied. Berücksichtigt man die ersten beiden Bummelkilometer mit nah an der 6er Pace noch, ist die aktuelle Geschwindigkeit wohl tatsächlich selbstmörderisch. Jedenfalls für mich.


So Freunde, und was unternimmt man, wenn man zu schnell ist und das ganz genau weiß? Richtig, die klugen Läufer nehmen das Tempo raus und halten ihren Plan ein. Die dummen Läufer denken sich: "Ach, wird schon so schlimm nicht sein! Die 10/30/60/90 Sekunden!" und rennen weiter. Die ganz dummen erinnern sich an den letzten Halbmarathon, bei dem das zu schnell anlaufen auch schon in die Hose ging - und rennen trotzdem weiter. Ist ja auch irgendwie schön so zu dritt. Unterhaltsam. So lange ich noch reden kann, kanns so schlimm ja gar nicht sein. Denkste. Ich merke kurz an, dass ich heute eigentlich keine neue Bestzeit auf 10 km aufstellen wollte. Kommentar: "Da kommste jetzt wohl nicht mehr drum herum!" Zum Glück doch. Der Kö-Lauf hat die Latte ziemlich hoch gehängt - minimal beruhigend.


Die ersten 12 km vergehen wie im Flug - was nicht nur daran liegt, dass wir schneller unterwegs sind als gedacht. Kaiserswerth entpuppt sich als echtes Stimmungsnest: unheimlich viele Zuschauer, darunter einige bekannte Gesichter am Streckenrand und eine Sambatruppe. Direkt am Rhein. Im verschlafenen Kaiserswerth - ich kanns kaum fassen! Richtig gut! Ich habe grandiose Lust, das Ding jetzt einfach weiter zu rennen, aber ein einziges Mal treffe ich heute eine vernünftige Entscheidung und gehe die angekündigte Tempoverschärfung der Jungs nicht mit.


Alleine ist dummerweise die Luft raus. Genau 2 km kann ich das Tempo noch halten, dann sehne ich die zweite Verpflegungsstation herbei. Sehr. Das erste Gel hatte ich vorsichtshalber bei km 7, das zweite will ich jetzt bei 14 nehmen. Ich reiße es so geschickt auf, dass ich es überall verteile: auf der linken Hand, auf der rechten Hand, auf der Uhr, auf dem T-Shirt, auf dem Arm - nur nicht im Mund. Jedenfalls kaum. Prima! Der Getränkestand will und will nicht kommen. Stattdessen hält die ach so schöne und flache Strecke (denkste!) einen Hügel bereit. Nicht im Ernst jetzt! Dinge, die ich jetzt gerade am liebsten möchte: Wasser zum Trinken. Wasser zum Hände Waschen. Aufhören zu laufen. Ich wandere nach oben.


Die klebrige Pampe ist so gut es geht abgewaschen, der Puls normalisiert sich so langsam wieder. Wo kommt eigentlich diese elendige Hitze auf einmal her? Nochmal so ein bisschen Spätsommer ist ja schön und gut, aber warum zur Hölle müssen es ausgerechnet dann 18° sein, wenn ich nen blöden Halbmarathon laufe? Traumhaftes Radwetter wäre das heute. Einer von einer Million Gründen, weshalb Radfahren auch besser ist: Im Sitzen merkt man nicht so stark, wenn man aufs Klo muss. Kilometer 15. Ich muss. Pinkeln. Und zwar jetzt. Kein Dixi weit und breit, nur Felder rechts und links. Na schön. Wenn ich gehe, muss ich dringender. Also weiterlaufen. So lange, bis es nicht mehr geht. Es geht ziemlich schnell nicht mehr, denn von dem bisschen Gel oder aus irgendeinem anderen gottverdammten Grund ist mir auf einmal schlecht. Nicht so ein leichtes flaues Gefühl im Magen, sondern kotzübel. Aus den Feldern um mich herum wird ein Wäldchen, wieder geht es minimal bergauf. Ich wandere und suche die Umgebung nach geeigneten Bäumen ab. Ich kann mich hier unmöglich irgendwo hin hocken. Schon allein deshalb nicht, weil die Beine bestimmt gar keine Hocke mitmachen würden und ich umkippen würde. Dann säße ich da bei km 16 mit nacktem Arsch im Wald und wüsste wohl nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. So weiß ichs allerdings auch nicht so recht.


Den bescheuerten Vorsprung, den mir die Rennerei auf den ersten 12 km eingebracht hat, habe ich schon längst aufgebraucht. Wenn ich unter zwei Stunden ins Ziel laufen möchte, muss ich meine 5:40 jetzt bis zum Ende laufen. Blöd nur, dass ich gerade gar nicht laufe. Ich wandere immer noch, halte mir den Bauch fest und kann mich nicht entscheiden, ob die Übelkeit oder das Pinkelnmüssen schlimmer sind. Ich zähle rückwärts. Noch 5 km. Noch 4. Traben, fluchen, gehen, traben, gehen. Fluchen. Dass die 2 Stunden dahin sind, ist mir herzlich egal. Dass ich es nicht auf die Reihe kriege, mich zusammen zu reißen, nervt mich umso mehr.

Ist es nicht wunderschön? Schrecklich schön.
Kurz vor km 19. Aktuell trabe ich wieder. Christian taucht mit dem Fahrrad neben mir auf. Na prima, das hat mir ja gerade noch gefehlt. "Wie gehts dir?" - "Beschissen." Schweigen. "Das war jetzt nicht das, was ich hören wollte." Herrje! Ist auch gerade meine allergrößte Sorge, dass ich dir nicht das erzählen kann, was du hören willst! "Kann ich auch nicht ändern", kommt pampiger raus, als es gemeint ist. Nee, kann ich nicht. Aber ich merke, dass ich immer noch reden kann - na guck an. "Sieht gar nicht so beschissen aus!" Lüge. Ist egal, wirkt. Ich beiße. Und laufe weiter. km 20. Es geht durch irgendeinen Park. Muss ja gleich endlich mal geschafft sein. Ich kann nicht mehr. Will nicht mehr. Will aber auch nicht mehr aufgeben und gehen. Auf keinen Fall. Ich entdecke Naomi und ihre Mutter am Streckenrand. So schön, dass sie da stehen! Weiterlaufen. Weiter, weiter, weiter, einen Fuß vor den anderen, gleich ist es geschafft. Hinter der nächsten Kurve, es müsste schon bald km 21 sein, entdecke ich Martinique und ihre Mutter, ihr Vater müsste auch irgendwo sein, mein kleiner, unglaublicher Duisburger Fanclub bestehend aus drei Menschen und einem winzigen Hund - danke, dass ihr da seid, danke, dass ihr macht, dass ich weiterlaufe! Ich schaffe es zu winken, aber das wars, alle Energie brauche ich für diese Sache mit den Füßen: einen vor den anderen.

km 19. Augen zu und durch. Und lieber lachen als weinen.
Endlich, endlich ist das Ziel in Sicht. Ich weiß nicht, was ich lieber will: aufhören zu laufen oder endlich aufs Klo. Beides ist gleich wichtig. Ich frage mich zu den Toiletten durch und wenn ich noch könnte, würde ich hin rennen, aber so boxe ich mich durch die Menge und schaffe es gerade noch rechtzeitig. Kann einem ganz schön die Laune verderben, wenn man sechs Kilometer lang noch einen zusätzlichen Muskel mit aller Kraft kontrollieren muss. Nicht schön!

Als das Wichtigste erledigt ist, kann ich endlich ankommen. Wasser trinken (immer rein damit! Jetzt ist ja wieder Platz!), alkoholfreies Weizen trinken, Medaille holen, Leute treffen, noch mehr Leute treffen, Leute suchen, koordinieren, wer wo ist, eigentlich möchte ich nur sitzen. Darf ich dann auch. Im Auto. Auf dem Weg zum Kuchen. Und Burger. Und Sonne. Zum Sitzen und Beine ausstrecken ist sie dann ja doch ganz schön.


Harte Fakten: Die offizielle Zeit lautet 2:02:06. Dumm gelaufen, weil ich ziemlich sicher bin, dass die zwei Minuten drin gewesen wären, wenn ich die erste Hälfte langsamer angegangen wäre und auf der zweiten Hälfte nicht so einen Aufstand geprobt hätte. Hätte, hätte. Ist aber genau so gelaufen und hat bis zur Hälfte unheimlichen Spaß gemacht. Danke Ferdi, danke Daniel! Mit euch lauf ich sehr gerne wieder, aber dann auch richtig Harakiri: schneller 10er ist das Stichwort! Kati, Daumen hoch fürs Durchhalten und Renate: Glückwunsch zum ersten Halbmarathon!

Neben allem Mimimi und Ziel verpasst: Mit der Zeit selbst bin ich absolut zufrieden. Bestzeit ist Bestzeit! Ich hätte sie nur gern "schöner" erreicht oder von mir aus auch heldenhafter erkämpft. So nehme ich auf jeden Fall eine weitere Lektion in Sachen nicht zu schnell loslaufen mit. Wirklich! Vielleicht lerne ich es irgendwann in diesem Leben noch, dass ein Halbmarathon kein 10er ist, auch keine 15 km, sondern beschissene 21 und dass sich da auch 10 oder 15 Sekunden in der Pace zu viel früher oder später rächen. Vielleicht lerne ich das. Vielleicht lauf ich aber auch weiter einfach so, wie es mir gefällt.

Jeder macht sein eigenes Rennen und kämpft seinen eigenen Kampf. Hut ab vor dem Mut und dem Durchhaltevermögen, die 21 km über Asphalt, Waldwege und Schotter (!) auf diese Art und Weise zu bewältigen.
Rhein City Run, du warst irgendwie doch schön! Großes Debüt und tolle Strecke. Wäre es zu Beginn nicht so eng gewesen, hätte es noch mehr Spaß gemacht. Ich wünsche mir fürs nächste Mal Startblöcke mit Sortierung nach Zielzeiten und freu mich auch drauf, wenn der Lauf von Duisburg nach Düsseldorf führt! Vielleicht ist nach Hause laufen ja sogar noch schöner.

Alle großartigen Fotos sind von Christian Siedler. Dankeschön fürs Dokumentieren, Dasein und Anlügen.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Alternatives Wintertraining: Radfahren auf der Bahn

Ich war zum ersten mal auf der Bahn. Mit nem Bahnrad. Und bin im Kreis gefahren. Wieso das überhaupt gar kein bisschen langweilig ist, versuche ich mal in Worte zu fassen. Als Maria fragt, ob ich nicht mal mit auf die Bahn kommen möchte, muss ich nicht lange überlegen: Es hat mit Radfahren zu tun, ich bin dabei!

Sieht im Fernsehen viel flacher aus, so ne Bahn.
Dann stehe ich vor dem Sportforum Büttgen. "Olympiastützpunkt Rheinland" verkündet ein Schild. Na prima. Kann ich hier einfach so rein marschieren? Ich stecke erst mal vorsichtig den Kopf durch die Tür. Der Hallenmeister sitzt in einem Raum direkt daneben. Ich traue mich nicht vorbei und horche erst mal bei Maria nach, ob sie schon da ist. Ist sie. Also vorbei am Hallenmeistermenschen, Treppe runter, Treppe rauf und schon stehste mitten in der Halle. Cool! Auf einem Feld wird Rollhockey gespielt, außen rum düsen die Radfahrer. Die Atmosphäre ist irgendwie speziell. Wie steil ist die Bahn denn bitte?! Da oben soll ich radeln?


Ich brauche erst mal ein Rad. Mit dem Rennrad fahren ist hier nicht, ich muss ein Bahnrad leihen. Das heißt, es hat keine Schaltung, keine Bremse und einen starren Gang. Was das genau bedeutet, werde ich gleich noch lernen, aber erst mal schaue ich in einem kleinen Raum voller Fahrräder vorbei. "Ich würde gerne ein Rad ausleihen!" Ein älterer, etwas kauziger Herr mustert mich von oben bis unten und sagt gar nichts. "Äh, brauchen Sie irgendetwas von mir? Schrittlänge wüsste ich zufällig?" Keine Reaktion. Okay! Dann warten wir halt ab. Er zieht ein froschgrünes Rad aus einer Ecke, ich soll mich mal draufsetzen. Irgendwas gefällt ihm nicht, ich soll wieder runter, er stellt den Sattel etwas tiefer, fertig. "Und das passt jetzt so?" - "Jo." Na dann.


In der Halle finde ich Maria wieder und kündige schon mal vorsichtshalber an, dass ich mich voraussichtlich direkt auf die Nase legen werde. Schon beim Aufsteigen. Ohne Witz, allein das Aufsteigen ist schon eine Herausforderung. Wo pack ich an? Da sind ja keine Bremsgriffe. Am Unterlenker? Nö, einfach oben am Lenker. Wo eigentlich gar kein Platz ist. Ich soll langsam im Kreis fahren. Aber ich bin immer noch nicht mal auf dem Rad! Plötzlich sitze ich irgendwie oben, kriege den zweiten Fuß tatsächlich auch eingeklickt und bin noch nicht gefallen. Check.



Erste Lektion: Hör niemals auf zu treten! Wenn man aufhört zu treten, stirbt man. Das ist eventuell geringfügig übertrieben, aber mir schon erfolgreich ins Gedächtnis eingebrannt. Sollte ich es doch mal vergessen, erinnert mich der starre Gang auf jeden Fall ziemlich schnell daran - für alle Nicht-Radfahrer: Das bedeutet, es gibt keinen Freilauf, man kann nicht einfach rollen lassen, weil die Pedale sich immer mit drehen, sobald sich das Fahrrad bewegt. Find ich prinzipiell etwas beängstigend. Was ist denn, wenn ich nicht mehr treten KANN?

Thei Sprint. Schon irgendwie eine klassische Schönheit, mein grüner Freund für den Abend.
Wir starten nicht direkt auf der Bahn, sondern erst mal auf flachem Boden in der Mitte. Im Kreis fahren kriege ich schon mal hin. Langsamer werden geht auch - einfach langsamer treten. Ha. Dann bremsen. Ohne Bremse. Auch das ist gar nicht so sehr Raketenwissenschaft, wie es sich anhört: Kontern statt bremsen ist angesagt, also einfach der Drehrichtung der Pedale entgegen halten. Ein bisschen so, als wollte man rückwärts fahren. Ich schaffe es tatsächlich, damit zum Stehen zu kommen - natürlich ist das keine Vollbremsung, aber immerhin kommt es mir jetzt so vor, als hätte ich die Kontrolle über die Geschwindigkeit. Allerdings gurken wir immer noch unten in der Mitte um die Spielfelder rum. Ist auch ganz prima so, denn ich will auf gar keinen Fall mit den anderen Radfahrern in Berührung kommen, keinem im Weg sein und im besten Fall auch keinen umfahren.


Wir hängen noch ein paar Runden dran: schneller, langsamer, immer im Wechsel. Ich fahre Maria hinterher und glücklicherweise nicht hinten rein. Dann gehts auf die Bahn, schwupps - schneller als ich gucken kann, fahren wir auf dem unteren blauen Teil. Huiuiuiuiui! Auch der schmale blaue Streifen hat schon eine leichte Schräglage. Ich finds witzig. Und bin auch erst mal vollkommen bedient, von mir aus können wir den ganzen Abend auf dem blauen Rand fahren. Dankeschön, das wars. Maria fährt immer noch vor und ruft mir zu, ich soll mich näher hinten dran hängen. Ist die bekloppt? Ich kann doch nicht bremsen, wenn irgendwas ist! Also, nicht schnell genug.


Es dauert noch eine Weile, bis ich begreife, dass bremsen auf der Bahn eigentlich nicht nötig ist. Langsamer werden geht immer, indem man einfach ein Stückchen weiter nach oben rollt. Äh, fährt. Rollen is ja nich.

Zweite Lektion: Fahr schnell. Physik zum Anfassen: Wer zu langsam ist, fällt runter. Prima. 27-30 km/h soll ich halten, damit ich durch die Kurven komme. 20 Runden darf ich in dem Tempo jetzt erst mal alleine fahren. Was zur Hölle. 20 Runden?! Wie langweilig ist das denn?


Ich drehe also ganz alleine meine Runden auf dem blauen Teil der Bahn, aber aus irgendeinem verrückten Grund macht das Ganze trotzdem Spaß. Oben überholen mich andere und rauschen jedes Mal wie ein Zug vorbei. ÜBER MIR! Ich werde niemals irgendwen überholen und schon gar nicht weiter oben fahren als irgendjemand anderes.


Vor lauter Aufregung darüber, dass andere mich oben überholen, habe ich vergessen, meine Runden mitzuzählen. Schaff ich mit den Bahnen beim Schwimmen ja auch schon nicht, von daher: nichts Neues. Ich lege eine Trinkpause ein und beschließe, dass ich mit der Aufgabe fertig bin. Maria will wissen, ob ich bereit bin, weiter oben zu fahren. Nein. Ja. Ich fahre ihr wieder hinterher. Auf einmal sind wir oben. Und wieder unten. Wieder oben. Unten. Oben. Unten. Okay, krieg ich hin. Das Holz der Bahn knarzt. Ist das wirklich dafür gemacht, um darauf Rad zu fahren? Irgendwie witzig. Wann radelt man schon mal auf nem Holzboden? Im Wohnzimmer?


Ich klammere mich immer noch am Oberlenker fest, aber darf jetzt alleine fahren. Auf der roten Linie. Über der roten Linie. Ich überhole Menschen, die sich unten auf blau einfahren und es ist gar nicht schlimm. Die Gruppen überholen mich jetzt noch weiter oben. Ich hänge mich an jemanden dran. Muss man sich hier abwechseln mit dem Windschatten-Spenden oder wie läuft das? Die gut organisierten schnellen Gruppen lassen immer den ersten nach oben ausscheren, das macht mein Vordermann aber nicht. Also bleib ich mal da, wo ich bin.

Zu schnell fürs Foto.
Mit Windschatten macht das Ganze noch mehr Spaß - komisch, wer hätte das gedacht! Ich drehe alleine noch einige Runden, aber irgendwann sind die Beine durch. Ich bin durch. Wahnsinn, wie anstrengend das ist und gleichzeitig wie wenig langweilig - trotz Runden! Ich hasse Runden. Normalerweise. Ob es wohl schädlich ist, wenn man immer nur links rum fährt? Aus meiner Reitsportvergangenheit weiß ich noch, wie wichtig es ist, beide Hände gleichermaßen zu trainieren (Mit Hand kann übrigens sowohl die Seite (rechts/links) als auch die Pferdebeine (vorne/hinten) gemeint sein. Reiter sind komisch).


Wir bleiben bis zum bitteren Ende. Die Rollhockeyspieler, die immer lautstark in die Bande gekracht sind, sind schon lange weg. Die anderen Radfahrer haben sich auch schon verkrümelt und ich habe die Bahn für mich alleine. Vielleicht möchte ich doch keine Rolle für den Winter. Vielleicht brauche ich ein Fixie.*

Pro Tipps fürs erste Mal Radfahren auf der Bahn:

Unbedingt jemanden mitnehmen, der sich auskennt, den Umgang mit dem Rad und ein paar Regeln erklären kann. Wenn es so jemanden nicht gibt, keine Scheu haben, die Leute vor Ort anzusprechen. Danke Maria, du bist eine klasse Lehrerin! :)

Handschuhe und Brille mitnehmen. Das Lenkerband kann rutschig sein, wenn man ins Schwitzen kommt und tränende Augen vom Fahrtwind sind auch blöd.

Genug zu trinken mitnehmen. Ich hab Trinkpausen gebraucht. Mehrere.

Nicht aufhören zu treten. Niemals!

* Zwei Tage später ist eines bei mir eingezogen. Es heißt Blaues Pony Kurt.

Samstag, 8. Oktober 2016

Raceday No. 24 - Münsterland Giro 2016

Hallo, mein Name ist Maren und ich bin süchtig. Meinen Rausch finde ich auf dem Rennrad. Ich brauche den Wind in den Ohren, den surrenden Freilauf, dieses leichte wohlige Brennen in den Oberschenkeln, das unermüdliche Kurbeln, den Sog im Windschatten in der Gruppe, die Geschwindigkeit. Ich kann nicht ohne und ich möchte absolut nichts daran ändern.

Der Giro ist mein letztes Rennen der Saison, ich müsste eigentlich im Halbmarathontraining sein und Laufkilometer abreißen, nachdem ich gefühlt die letzten Wochen nur auf dem Rad saß. Aber das Herz macht einen kleinen Hüpfer, als fest steht, dass aus der vagen Schnapsidee Realität wird: Wir fahren nach Münster. Wir fahren den Giro. Mittlerweile weiß ich, dass ich dieses unbeschreibliche und fantastische Radrenngefühl nirgendswo anders bekomme als im Radrennen - nicht im Training und auch nicht im Triathlon, und da ich das Race am Rhein dank fetter Erkältung ja nicht allzu sehr genießen konnte, ist die Vorfreude auf Münster einfach mal echt groß.


Zumindest bis zum Vortag, als ich mit Thermohose, langem Trikot und banküberfalltauglich bis weit über die Nase gezogenem Buff auf der kurzen Einrollrunde gegen Wind und Kälte kämpfe. Wieso habe ich eigentlich keine Überschuhe eingepackt und wieso nur die kurzen Handschuhe? Ich mag den Herbst, wirklich. Er ist die beste Jahreszeit, ich liebe den Wind, der den Kopf manchmal so wunderbar frei pustet, die bunten Blätter, die Kastanien, die Kürbisse - Gegenwind formt ja auch den Charakter, bla bla, aber ich möchte mich gerade wirklich am liebsten auf der Couch unter eine Wolldecke kuscheln, Tee trinken und lesen.

Münster, Montagmorgen, 3. Oktober. Feiertag. Die Nacht war kurz und verregnet. Als wir los müssen, ist es noch dunkel. Ich will zurück ins Bett. Bloß nicht aufs Rad. 10° und Wolken. Hallo Herbst! Ich gebe die Jacke und die lange Hose im Kleiderbeutel ab, behalte kurze Hose, kurzes Trikot und Armlinge an und hoffe auf irgendein Wunder, damit mir heute nochmal warm wird. Kurz vor dem Start kommt dann tatsächlich die Sonne raus. In letzter Sekunde beschließe ich, die ziemlich üppig gefütterten Armlinge noch auszuziehen, sie in die Trikotaschen zu stopfen und doch in kurz/kurz zu fahren. Frieren ist besser als schwitzen. Fährste halt schneller, wirds wärmer.


À propos. Die Strecke ist 70 km lang und ich habe nicht vor, länger als zwei Stunden dafür zu brauchen. In Düsseldorf habe ich trotz Hügel und Krankheit einen 35er Schnitt geschafft, der sollte auf der längeren Strecke mit etwas mehr Höhenmetern eigentlich auch drin sein - schließlich bin ich theoretisch fit. Nur so unheimlich müde. Tee und Sofa sind immer noch verlockend. Aber gut, du hast dir den Scheiß nun mal selbst ausgesucht, jetzt stehste im Startblock auf der nassen Straße, frierst dir den Arsch ab und musst halt nehmen, was kommt. Mit dem Startschuss beschließe ich, dass mir alles egal ist: Es ist das letzte Rennen (wirklich!), die letzte Chance für dieses Jahr, die letzte Gelegenheit, nochmal Rennluft zu schnuppern und im Geschwindigkeitsrausch zu schwelgen. Also: nichts anbrennen lassen.


Ich starte relativ weit vorne aus Block D und mache sofort zwei Kandidaten aus, die mir fahrtechnisch (und auch optisch) zusagen: Ein Mädel im Racing-Aloha-Trikot und ein offenbar dazugehöriger Kerl im bunten dhb-Trikot. Sie machen einen vernünftigen Eindruck, fahren sicher und legen ein ordentliches Tempo vor - schon nach nur einem Kilometer deutlich über 40 km/h. Läuft. Ich hänge mich dran, andere machen es mir nach. Das Streckenprofil hatte ich mir angeschaut, weiß aber nicht mehr ganz genau, wann der erste richtige Anstieg kommt. Etwas angsteinflößend sah der im Profil aus, aber bisher ist davon nichts zu erahnen. Die Straßen sind halbwegs flach, es geht sofort raus aus der Stadt, ins menschenleere Umland. Schön hier. Nur ganz schön frisch.


Nach 12 km kommt der erste kleine Hügel. Wir fliegen ihn hoch. Ich bin gespannt auf den richtigen Berg: 90 Höhenmeter am Stück nach oben warten bei km 17. Ich komme nicht gut in die Kurve und verliere die Gruppe - schöne Scheiße. Baumberg, Longinus - ich kenne die ganzen Namen hier aus "Dicker Mann auf dünnen Reifen", weiß aber immer noch nicht, wo wir jetzt tatsächlich sind und ob das hier jetzt endlich mal der gefürchtete Berg ist. Er ist es. Aber wie so oft sah das Profil schlimmer aus als die Realität: Der erste Kilometer aufwärts ist mit 4-5 % Steigung noch gut machbar, dann wirds nach einer leichten Kurve deutlich knackiger. Gruppen gibt es keine mehr, am Berg kämpft jeder für sich. Das Gute: Ich friere nicht mehr. Die Straße wird schmaler, einige schieben, ein paar ganz Schlaue meinen, sie müssten nebeneinander gehen. Toll. Auf einmal habe ich nur noch 10 km/h auf dem Tacho stehen und meine größte Sorge ist es, umzufallen oder einem der Mittelspurschieber hinten rein zu fahren. Beides bleibt aus. Ich bin langsam, aber der Berg nervt mich nicht zu sehr. Wenn das der schlimmste Anstieg ist, kann der Rest von mir aus kommen!

Erst mal kommt der Gipfel. Und mit ihm eine Handvoll Menschen am Straßenrand, die das schönste Schild des Tages hoch halten: "Hier ist oben!" Wie wunderbar! Aussicht genießen ist allerdings nicht, denn alles versinkt im Nebel. Ist mir während des Aufstiegs gar nicht aufgefallen, dass es auf einmal so diesig geworden ist. Jetzt ist die Sicht gleich Null, was zugleich magisch und ein bisschen beängstigend ist. Die Hinterräder vor mir kann ich schon noch erkennen, aber die nächste Gruppe verschwindet irgendwo im Nichts. Es ist totenstill um uns herum - nur der Wind rauscht in den Ohren und bei der Abfahrt runter nach Billerbeck surrt der Freilauf. Würde ein kopfloser Reiter mal eben die Straße kreuzen - es würd mich nicht wundern. Kurven während der Abfahrt finde ich auf nasser Straße etwas bescheiden, aber als es dann nur noch geradeaus runter geht, scheiße ich auf das schöne Freilaufgeräusch und trete lieber voll rein. So macht das Spaß!


Es geht noch einen Hügel hoch, wieder runter, einen anderen hoch und noch immer habe ich keine neue Gruppe gefunden. Eine war zu langsam, zu ungleichmäßig, zu doof. Viele fahren alleine, ich auch. Meine Füße sind eingefroren, ich spüre sie schon ewig nicht mehr. Die Hände sind nicht mehr kalt, immerhin. km 40, ich schiele auf den Tacho und denke zum ersten Mal, dass 70 km irgendwie doch kein Klacks sind. Nicht in dem Tempo. Nicht, wenn man sich nur vom einen zum anderen Hinterrad hangelt und ansonsten alleine auf weiter Flur ist. Ab km 45 sieht die Welt dann plötzlich wieder anders aus: Ich komme an drei Fahrer ran, die mir schon von vorhin vom ersten Hügel bekannt vorkommen. Das Tempo pendelt irgendwo zwischen 38 und 43. Passt. Endlich. Ich hänge mich in den Windschatten, bin deutlich schneller als vorher unterwegs und kann trotzdem endlich mal durchschnaufen. Genau deshalb macht der Scheiß so viel Spaß!

Die drei Jungs kreiseln munter durch und lassen mich dabei aus. Als der erste das Tempo nicht mehr halten kann, packt mich der Übermut. Ich gebe meine komfortable zweite Position auf, ziehe vorbei und bin im Wind. Wie geil ist das bitte? Die drei bleiben dran und ich bin gespannt, wie lange ich das Tempo halten kann, das ich zuhause höchstens mal ein paar Meter als Sprint auf dem Deich fahre. Ich muss nicht lange, weil uns eine riesige Gruppe überholt und uns einfach einsaugt. km 57, eine Kurve und dann nur noch geradeaus. Landstraße, unheimlich breit, ganz leicht wellig, der Sonne entgegen. Ich wünschte, ich könnte den Anblick fotografieren, aber kann ja schlecht anhalten, also brenne ich mir diesen Moment ins Gedächtnis - wo er mit Sicherheit besser aufgehoben ist als auf irgendeiner Festplatte.


Wir düsen die wunderbare Straße in einem Affenzahn runter. Die Gruppe funktioniert wunderbar, ich bin mittendrin, sehe zu, dass ich vertrauenswürdige Hinterräder vor mir habe und freue mich, wie gut das läuft. Ist ja mega einfach im Windschatten. Radfahren im Triathlon ist viel ehrlicher, weil jeder auf sich selbst gestellt ist. Wie oft musste ich das in letzter Zeit diskutieren? Ja, natürlich ist es das. Aber in der Gruppe ist es nicht weniger anspruchsvoll - du musst das Tempo erst mal fahren und dann bei 44 oder 46 km/h jede Millisekunde lang aufmerksam bleiben. Was mich so fasziniert: Das Ganze funktioniert nur als Kollektiv. Nur, wenn die Führung regelmäßig wechselt, wenn mehrere bereit sind, sich in die Windkante zu stellen und nicht eine Einerreihe aus 30 Fahrern bilden wollen. Alle sind am schnellsten, wenn alle was dafür tun. Unser Zug funktioniert. Bestens.

Zum ersten Mal nach dem Velothon und den Cyclassics kann ich die letzten Kilometer wirklich genießen, bin nicht traurig, dass es gleich vorbei ist, aber auch nicht froh - es ist einfach verdammt genau richtig. Es ist hart, es macht Spaß, es muss genau so sein. Und kein bisschen anders.


Es sind 72 statt 70 km und ich brauche fucking 2:00:32 Stunden. Schnitt: 35,8 km/h. Die angekündigten 520 hm hat Strava nicht so gesehen, sondern hat bei den meisten irgendwas zwischen 300 und 400 getrackt. Kommt hin. Geil: Platz 25 von 220 bei den Frauen. Geiler: Platz 4 von 41 in der Altersklasse. Platz 4! Abstand auf die dritte: 1:20 min. Verdammt ey! Als ich das bei einem unheimlich großartigen Teller Pasta feststelle, ärgere ich mich genau so lange, bis ich rauskriege, wer Platz 3 in der AK belegt: Die Dame im Racing-Aloha-Trikot, die mich die ersten Kilometer gezogen hat. Okay, verdient! Es gibt beim Giro übrigens keine Medaille (schade!), aber dafür Nudeln (geil!). Hatte ich schon erwähnt, dass die Nudeln fantastisch sind?


Liebe Radrennsaison, ich werde dich vermissen! Ich kann nur schmunzeln, wenn ich dran denke, wie ich mir vor dem ersten Rennen beinahe in die Hose gemacht hätte. Was alles passieren kann. Klar, kann es immer. Ich hatte bisher Glück, war aufmerksam, hatte aufmerksame und vernünftige Mitfahrer. Ich wünsche mir, dass das 2017 so bleibt, und ich wünsche mir, dass sich bei 1400 Fahrern mal mehr als 200 Frauen auf die Strecke trauen. Aber bitte nicht zu schnelle, dann wird das mit dem Treppchen bei nächsten Mal vielleicht noch was ;-) Jetzt gehts erst mal dahin, wo ich wirklich keine Blumentöpfe gewinnen kann: ins Halbmarathontraining. Ich träume dabei vom surrenden Freilauf und vom Wind in den Ohren. Genau so muss es sein.