Mittwoch, 19. Oktober 2016

Raceday No. 25 - Rhein City Run 2016

Rhein City Run - bescheuerter Name für eine tolle Idee: ein Halbmarathon von Düsseldorf nach Duisburg. Ich mag den Gedanken, zuhause loszulaufen und in einer anderen Stadt ins Ziel zu kommen. Irgendwie charmant. Immer am Rhein entlang: Eine Strecke, die ich im Sommer mindestens 1x pro Woche mit dem Rad fahre. Jetzt muss ich laufen.


Die Halbmarathon-Distanz und ich, das ist so eine Sache. Den ersten bin ich vor gut einem Jahr "gelaufen", eigentlich mehr spaziert, 2:28 Stunden hat die Tortur gedauert und war ziemlich schrecklich. Der zweite war im März diesen Jahres bei der Duisburger Winterlaufserie und lief richtig gut: Ich konnte in 2:13 durchlaufen und war der stolzeste Mensch der Welt. Der dritte Halbmarathon war eine sehr spontane Kiste im Juni, ebenfalls in Duisburg und zwar beim Rhein Ruhr Marathon (welcher normale Mensch soll eigentlich Rhein City und Rhein Ruhr auseinander halten?). Ohne großartige Vorbereitung bin ich bei übertriebener Hitze 2:08 gelaufen - Bestzeit zwar, aber viel zu schnell angegangen und ab km 18 gefühlt nur noch gewandert.


Hab ich draus gelernt? Nö. Offensichtlich nicht. Dass ich den Halbmarathon von Düsseldorf nach Duisburg laufe, weiß ich schon seit einer ganzen Weile - eine spontane Schnapsidee ist dieses Mal keine Entschuldigung. Sonderlich viel trainiert habe ich allerdings trotzdem nicht: Eventuell kam das eine oder andere Radrennen dazwischen (macht ja auch viel mehr Spaß!). Genau zwei lange Läufe gabs im Vorfeld, davon einen zufällig genau 21 km lang, sehr langsam und sehr locker, und einen über 19 km, der ab km 14 schrecklich anstrengend geworden ist.

Damit das Ganze nicht zu langweilig wird, habe ich vorher eine Ansage gemacht: Ich will unter 2 Stunden laufen. Teuflischer Plan: Möglichst vielen Menschen davon erzählen, so etwas Druck aufbauen und dem Schweinehund in den Arsch treten, wenn er wieder mal wandern möchte.

5:40 min/km durchlaufen klingt simpel. Aber woher weiß ich, ob ich nach 17 km noch rechnen kann? Eben. Also lieber auf Nummer sicher gehen.
Wir sind zu dritt und der Plan geht exakt drei Kilometer lang auf. Auf den ersten beiden ist es zu voll, so dass wir ständig überholen und trotzdem viel zu langsam sind. Auf dem dritten holen wir den kompletten Rückstand kurzerhand wieder raus und sind bei der 3-km-Marke wieder exakt in meinem Zeitplan. Blöd nur, dass wir jetzt gerade viel zu schnell rennen und niemand daran denkt, das Tempo wieder raus zu nehmen. Die Absprache lautet: Bis zur Hälfte mit 5:40 min/km konstant bleiben, danach gucken die Jungs, was noch geht und ich laufe einfach mit der gleichen Geschwindigkeit weiter. Wäre ja auch zu schön. Jetzt rennen wir halt schon bei km 4 und gucken, was geht. Also, was bei mir halt rennen bedeutet.

Merke: Wer nur schnell genug läuft, hat auch schön viel Platz auf der Strecke.
Lieblingsdialog. Ferdi: "Ich will ja nicht ständig mahnen, aber wir sind echt zu schnell." Daniel: "Wie viel zu schnell?" - "Selbstmord." Das trifft es ganz gut. Leider. Ich weiß nicht, was in diesem draufgängerischen Hirn schief läuft, während ich bei jeder neuen Markierung ansage, wie weit wir über dem Plan liegen. 30 Sekunden zu schnell. 40. Bei km 5 genau 50 Sekunden - macht 10 pro Kilometer, also eine Pace von 5:30 und nicht 5:40 - kleiner, aber feiner Unterschied. Berücksichtigt man die ersten beiden Bummelkilometer mit nah an der 6er Pace noch, ist die aktuelle Geschwindigkeit wohl tatsächlich selbstmörderisch. Jedenfalls für mich.


So Freunde, und was unternimmt man, wenn man zu schnell ist und das ganz genau weiß? Richtig, die klugen Läufer nehmen das Tempo raus und halten ihren Plan ein. Die dummen Läufer denken sich: "Ach, wird schon so schlimm nicht sein! Die 10/30/60/90 Sekunden!" und rennen weiter. Die ganz dummen erinnern sich an den letzten Halbmarathon, bei dem das zu schnell anlaufen auch schon in die Hose ging - und rennen trotzdem weiter. Ist ja auch irgendwie schön so zu dritt. Unterhaltsam. So lange ich noch reden kann, kanns so schlimm ja gar nicht sein. Denkste. Ich merke kurz an, dass ich heute eigentlich keine neue Bestzeit auf 10 km aufstellen wollte. Kommentar: "Da kommste jetzt wohl nicht mehr drum herum!" Zum Glück doch. Der Kö-Lauf hat die Latte ziemlich hoch gehängt - minimal beruhigend.


Die ersten 12 km vergehen wie im Flug - was nicht nur daran liegt, dass wir schneller unterwegs sind als gedacht. Kaiserswerth entpuppt sich als echtes Stimmungsnest: unheimlich viele Zuschauer, darunter einige bekannte Gesichter am Streckenrand und eine Sambatruppe. Direkt am Rhein. Im verschlafenen Kaiserswerth - ich kanns kaum fassen! Richtig gut! Ich habe grandiose Lust, das Ding jetzt einfach weiter zu rennen, aber ein einziges Mal treffe ich heute eine vernünftige Entscheidung und gehe die angekündigte Tempoverschärfung der Jungs nicht mit.


Alleine ist dummerweise die Luft raus. Genau 2 km kann ich das Tempo noch halten, dann sehne ich die zweite Verpflegungsstation herbei. Sehr. Das erste Gel hatte ich vorsichtshalber bei km 7, das zweite will ich jetzt bei 14 nehmen. Ich reiße es so geschickt auf, dass ich es überall verteile: auf der linken Hand, auf der rechten Hand, auf der Uhr, auf dem T-Shirt, auf dem Arm - nur nicht im Mund. Jedenfalls kaum. Prima! Der Getränkestand will und will nicht kommen. Stattdessen hält die ach so schöne und flache Strecke (denkste!) einen Hügel bereit. Nicht im Ernst jetzt! Dinge, die ich jetzt gerade am liebsten möchte: Wasser zum Trinken. Wasser zum Hände Waschen. Aufhören zu laufen. Ich wandere nach oben.


Die klebrige Pampe ist so gut es geht abgewaschen, der Puls normalisiert sich so langsam wieder. Wo kommt eigentlich diese elendige Hitze auf einmal her? Nochmal so ein bisschen Spätsommer ist ja schön und gut, aber warum zur Hölle müssen es ausgerechnet dann 18° sein, wenn ich nen blöden Halbmarathon laufe? Traumhaftes Radwetter wäre das heute. Einer von einer Million Gründen, weshalb Radfahren auch besser ist: Im Sitzen merkt man nicht so stark, wenn man aufs Klo muss. Kilometer 15. Ich muss. Pinkeln. Und zwar jetzt. Kein Dixi weit und breit, nur Felder rechts und links. Na schön. Wenn ich gehe, muss ich dringender. Also weiterlaufen. So lange, bis es nicht mehr geht. Es geht ziemlich schnell nicht mehr, denn von dem bisschen Gel oder aus irgendeinem anderen gottverdammten Grund ist mir auf einmal schlecht. Nicht so ein leichtes flaues Gefühl im Magen, sondern kotzübel. Aus den Feldern um mich herum wird ein Wäldchen, wieder geht es minimal bergauf. Ich wandere und suche die Umgebung nach geeigneten Bäumen ab. Ich kann mich hier unmöglich irgendwo hin hocken. Schon allein deshalb nicht, weil die Beine bestimmt gar keine Hocke mitmachen würden und ich umkippen würde. Dann säße ich da bei km 16 mit nacktem Arsch im Wald und wüsste wohl nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. So weiß ichs allerdings auch nicht so recht.


Den bescheuerten Vorsprung, den mir die Rennerei auf den ersten 12 km eingebracht hat, habe ich schon längst aufgebraucht. Wenn ich unter zwei Stunden ins Ziel laufen möchte, muss ich meine 5:40 jetzt bis zum Ende laufen. Blöd nur, dass ich gerade gar nicht laufe. Ich wandere immer noch, halte mir den Bauch fest und kann mich nicht entscheiden, ob die Übelkeit oder das Pinkelnmüssen schlimmer sind. Ich zähle rückwärts. Noch 5 km. Noch 4. Traben, fluchen, gehen, traben, gehen. Fluchen. Dass die 2 Stunden dahin sind, ist mir herzlich egal. Dass ich es nicht auf die Reihe kriege, mich zusammen zu reißen, nervt mich umso mehr.

Ist es nicht wunderschön? Schrecklich schön.
Kurz vor km 19. Aktuell trabe ich wieder. Christian taucht mit dem Fahrrad neben mir auf. Na prima, das hat mir ja gerade noch gefehlt. "Wie gehts dir?" - "Beschissen." Schweigen. "Das war jetzt nicht das, was ich hören wollte." Herrje! Ist auch gerade meine allergrößte Sorge, dass ich dir nicht das erzählen kann, was du hören willst! "Kann ich auch nicht ändern", kommt pampiger raus, als es gemeint ist. Nee, kann ich nicht. Aber ich merke, dass ich immer noch reden kann - na guck an. "Sieht gar nicht so beschissen aus!" Lüge. Ist egal, wirkt. Ich beiße. Und laufe weiter. km 20. Es geht durch irgendeinen Park. Muss ja gleich endlich mal geschafft sein. Ich kann nicht mehr. Will nicht mehr. Will aber auch nicht mehr aufgeben und gehen. Auf keinen Fall. Ich entdecke Naomi und ihre Mutter am Streckenrand. So schön, dass sie da stehen! Weiterlaufen. Weiter, weiter, weiter, einen Fuß vor den anderen, gleich ist es geschafft. Hinter der nächsten Kurve, es müsste schon bald km 21 sein, entdecke ich Martinique und ihre Mutter, ihr Vater müsste auch irgendwo sein, mein kleiner, unglaublicher Duisburger Fanclub bestehend aus drei Menschen und einem winzigen Hund - danke, dass ihr da seid, danke, dass ihr macht, dass ich weiterlaufe! Ich schaffe es zu winken, aber das wars, alle Energie brauche ich für diese Sache mit den Füßen: einen vor den anderen.

km 19. Augen zu und durch. Und lieber lachen als weinen.
Endlich, endlich ist das Ziel in Sicht. Ich weiß nicht, was ich lieber will: aufhören zu laufen oder endlich aufs Klo. Beides ist gleich wichtig. Ich frage mich zu den Toiletten durch und wenn ich noch könnte, würde ich hin rennen, aber so boxe ich mich durch die Menge und schaffe es gerade noch rechtzeitig. Kann einem ganz schön die Laune verderben, wenn man sechs Kilometer lang noch einen zusätzlichen Muskel mit aller Kraft kontrollieren muss. Nicht schön!

Als das Wichtigste erledigt ist, kann ich endlich ankommen. Wasser trinken (immer rein damit! Jetzt ist ja wieder Platz!), alkoholfreies Weizen trinken, Medaille holen, Leute treffen, noch mehr Leute treffen, Leute suchen, koordinieren, wer wo ist, eigentlich möchte ich nur sitzen. Darf ich dann auch. Im Auto. Auf dem Weg zum Kuchen. Und Burger. Und Sonne. Zum Sitzen und Beine ausstrecken ist sie dann ja doch ganz schön.


Harte Fakten: Die offizielle Zeit lautet 2:02:06. Dumm gelaufen, weil ich ziemlich sicher bin, dass die zwei Minuten drin gewesen wären, wenn ich die erste Hälfte langsamer angegangen wäre und auf der zweiten Hälfte nicht so einen Aufstand geprobt hätte. Hätte, hätte. Ist aber genau so gelaufen und hat bis zur Hälfte unheimlichen Spaß gemacht. Danke Ferdi, danke Daniel! Mit euch lauf ich sehr gerne wieder, aber dann auch richtig Harakiri: schneller 10er ist das Stichwort! Kati, Daumen hoch fürs Durchhalten und Renate: Glückwunsch zum ersten Halbmarathon!

Neben allem Mimimi und Ziel verpasst: Mit der Zeit selbst bin ich absolut zufrieden. Bestzeit ist Bestzeit! Ich hätte sie nur gern "schöner" erreicht oder von mir aus auch heldenhafter erkämpft. So nehme ich auf jeden Fall eine weitere Lektion in Sachen nicht zu schnell loslaufen mit. Wirklich! Vielleicht lerne ich es irgendwann in diesem Leben noch, dass ein Halbmarathon kein 10er ist, auch keine 15 km, sondern beschissene 21 und dass sich da auch 10 oder 15 Sekunden in der Pace zu viel früher oder später rächen. Vielleicht lerne ich das. Vielleicht lauf ich aber auch weiter einfach so, wie es mir gefällt.

Jeder macht sein eigenes Rennen und kämpft seinen eigenen Kampf. Hut ab vor dem Mut und dem Durchhaltevermögen, die 21 km über Asphalt, Waldwege und Schotter (!) auf diese Art und Weise zu bewältigen.
Rhein City Run, du warst irgendwie doch schön! Großes Debüt und tolle Strecke. Wäre es zu Beginn nicht so eng gewesen, hätte es noch mehr Spaß gemacht. Ich wünsche mir fürs nächste Mal Startblöcke mit Sortierung nach Zielzeiten und freu mich auch drauf, wenn der Lauf von Duisburg nach Düsseldorf führt! Vielleicht ist nach Hause laufen ja sogar noch schöner.

Alle großartigen Fotos sind von Christian Siedler. Dankeschön fürs Dokumentieren, Dasein und Anlügen.