Mittwoch, 21. Dezember 2016

Rapha Braver Than The Elements Düsseldorf

Mir scheint, mit dem Gruppen-Radeln verhält es sich so wie mit dem Feiern: Geht immer, man muss nur irgendeinen Grund erfinden. Dieses Mal liefert uns Rapha den Anlass: Braver Than The Elements. Klingt cool, ist es auch. Simple Idee dahinter: Radfahrer, besonders Frauen, dazu motivieren, sich im Dezember für eine gemeinsame Ausfahrt zu treffen. Egal, wie das Wetter ist. Braver Than The Elements eben. Nun denn.

Ich muss zugeben, dass ich so brave gar nicht bin. Wenn der Winter der Radsaison im November anfängt, habe ich diesen Winter bisher exakt viermal auf dem Rad gesessen. Okay, plus Bahn, plus Spinning, aber eben nur vier Mal draußen. Was schlechtes Wetter und Kälte betrifft, bin ich echt ein Mädchen: kalte Füße, taube Zehen, Nässe, mimimi! Ja, richtige Kleidung, blabla, stimmt alles, hab ich aber nicht im Schrank. Und außerdem hab ich auch extrem wenig Bock, wieder zuhause angekommen erst mal das Rad zu schrubben noch bevor meine Füße wieder aufgetaut sind. Daher waren das Winterradeln und ich bisher keine allzu großen Freunde. Aber wenn Rapha schon einlädt und der Düsseldorfer Rapha-Minister vom Dienst Steffen höchstpersönlich eine Tour plant, dann kann man ja gar nicht anders. Das Radfahrerherz hüpft, der vernachlässigte Bruno scharrt ungeduldig mit den Hufen und von daher: Keine Frage, Klick auf Zusage.


In den darauffolgenden Tagen sagt beinahe die gesamte Düsseldorfer Radsportprominenz der Veranstaltung zu und mir rutscht so langsam trotz der Ansage "moderater 28er Schnitt" (moderat! chchch!) dezent das Herz in die Hose. Ich kenne die meisten nicht persönlich, aber fast alle von Facebook, Instagram, Strava. Die fahren alle viel Rad. Sehr viel. Und sehr schnell. Schon bevor es losgeht, bin ich sicher, dass ich das Tempo nicht werde halten können, dass ich in der Gruppe irgendwas Dummes machen werde (Schlenker fahren! Plötzlich bremsen!) und dass ich am Berg sowieso die allerletzte sein werde. Wo wir gerade dabei sind: der Berg. Angekündigt ist als Highlight der Runde die angeblich einzige nennenswerte Erhebung auf der linken Rheinseite, die Vollrather Höhe. Unter den Radfahrern der Region bekannt als "die Halde". Vermutlich bin ich die einzige, die die berühmt berüchtigte Halde noch nicht gesehen hat.

Was meinen Anflug von Panik vor der großen, fremden, schnellen Gruppe ein bisschen bremst, ist Steffens Ansage: "Keine Einkehr unterwegs - bei einem Hungerast habe ich ein paar gebrannte Mandeln in der Trikottasche." Wie traumhaft ist das denn?! Ich will diese Notfallration nicht brauchen müssen, also frühstücke ich lieber, packe zwei Flaschen ans Rad und rolle zum Treffpunkt. Düsseldorf versucht zurzeit mal mehr und mal weniger krampfhaft, Tour-de-France-Flair zu verströmen, daher treffen sich einige am neu eröffneten und anscheinend noch etwas fragwürdigen Café Vélo, bevor es dann mit dem gesamten Peloton am Burgplatz auf die Strecke geht.


#Menschen
Sieben Mädels und 21 Jungs wollen heute also Mut beweisen. Die Elemente sind zu Beginn allerdings ziemlich gutmütig zu uns: Um die 6° und Sonnenschein. Könnte schlimmer sein! Trotz gerader Anzahl kriegen wir irgendwie nicht so tolle Zweierreihen hin - auf jeden Fall fahre ich die ersten Kilometer allein und von hinten schließt keiner auf. Find ich ja tendenziell immer eher doof. Irgendwann bekomme ich dann doch noch Gesellschaft, indem Daniela die Lücke neben mir schließt. Wir kommen ins Plaudern und sie erkundigt sich nach meinen Kniebeschwerden von vor einem Jahr. Ich gehe davon aus, dass sie den Blog liest und komme nicht auf die Idee, dass wir schon mal zusammen geradelt sein könnten - sind wir aber. Und zwar bei Braver Than The Elements 2015. Liebe Menschen, ich meine das nicht böse, aber ich kann mir wirklich, wirklich keine Gesichter merken, manchmal noch nicht mal, ob ich eines schon einmal gesehen habe oder nicht. Und so rate ich dann drauf los und sortiere alle irgendwo falsch ein. Tut mir leid!

Weil wir hin und wieder dann doch lustig die Plätze wechseln, habe ich als nächstes Ellen neben mir, die sich erst mal freut, dass ich ein Mädchen bin, da sie wohl diverse radfahrende Singlemänner zu verkuppeln gedenkt. Als nächstes erzählt sie mir eine Gruselgeschichte über ein suizidales Eichhörnchen, das ihr kürzlich in die Speichen gesprungen ist und hinterlässt mich maximal verstört. Den freien Platz neben mir füllt ein recht stiller Vertreter auf, dessen Namen ich nicht weiß. Wenn ich spreche, antwortet er, ansonsten schweigen wir, während vor und hinter uns munter geplappert wird. Das von Ellen angepriesene Speeddating in den Zweierreihen klappt ja heute blendend. Nicht. Dafür klappt was anderes, und zwar das, weshalb wir eigentlich hier sind: Radeln.


Die Gruppe funktioniert prima, und obwohl ich in letzter Zeit so unregelmäßig auf dem Rad saß, ist das Tempo kein ernstes Problem. Ich lasse mich einfach mitziehen, die Beine arbeiten von alleine. Die Sonne scheint und wir düsen über die Landstraßen, das Wetter meint es so verdammt gut mit uns. Nach einer kleinen Hügelkuppe reicht die Aussicht bis ins Unendliche: links und rechts Felder, in der Mitte schlängelt sich eine schmale Straße, über die 28 Rennräder fliegen. Ich kann die Sonnenstrahlen sehen. Immerhin bin ich mir mit meinem ansonsten stummen Nebenmann einig, dass das hier verdammt schön aussieht.

Während wir so über die Straßen fliegen, hopst Steffen mit der Kamera auf dem Rad mal zur Seite, nach vorne oder hinten und nimmt anschließend wieder so mühelos einen Platz irgendwo vorne im Wind ein, als wäre er nie woanders gewesen. Dem Mann hat echt einer das Rad unter den Arsch und die Kamera in die Hand getackert. Maximal beeindruckt von so viel Lässigkeit rolle ich irgendwo in der drölften Reihe hinterher und male mir aus, wie schlimm die Halde wohl sein mag. Absolut jeder, den ich bisher darauf angesprochen habe, hat mir versichert, die sei halb so wild. Schließlich können wir sie aus der Ferne erahnen. Das bewegt sogar meinen wortkargen Nebenmann dazu, mich darauf hinzuweisen, dass das da hinten am Horizont nun die Halde sei. Wir nähern uns unaufhaltsam.



Passend dazu zieht es sich langsam zu. Tschüss blauer Himmel, tschüss Sonnenschein. Die Wolken sind bedrohlich, vor allem durch meine dunkle Sonnenbrille (ich habe keine Ahnung wo die andere ist!). Insgeheim wünsche ich mir Sturm, Hagel oder wenigstens Starkregen, damit wir hinterher prahlen können, braver than the elements gewesen zu sein. Ist ja Kindergeburtstag bisher!

#Berge
Die Party hört auf, als wir die Halde erreichen. Eine scharfe Kurve und der Berg beginnt schneller als ich gucken kann. Und vor allem schneller, als ich vorne aufs kleine Blatt schalten kann. Ich höre die beiden hinter mir unken, dass da wohl jemand den Berg hochballern wolle, hahaha. Nein. Ich bin nur zu blöd zum Schalten. Es geht 2 km lang rauf. Mit 5 % Steigung. Da wird jeder Radfahrer nur müde drüber lächeln können, aber ich fahre doch nie Berge! Und überhaupt, es ist Winter, ich bin kein Stück im Training und was zur Hölle, wieso sind die alle so schnell?



Ich gehe das Ganze ein klitzekleines bisschen zu schnell an und möchte schon auf den ersten Metern sterben. Oder zumindest irgendwo liegen. Okay, einfach nur absteigen und gehen wäre auch fein. Kommt leider nicht in Frage. Irgendwo hinter mir sind noch Teile der Gruppe und unter gar keinen Umständen möchte ich beim Wandern überholt werden oder schiebend ankommen, während oben alle warten. Aber irgendwie bin ich noch nicht so recht drin, arbeite gegen den Berg, will, dass er aufhört und bin gefrustet, weil alle so irrsinnig locker flockig hier hoch düsen, als wäre das hier keine Bergwertung, sondern ein lustiges Picknick. Schließlich geht es dann doch: Ich höre auf zu kämpfen, mit mir selbst zu diskutieren, finde mich damit ab, dass ich hier nicht locker hochtanzen werde, sondern mich mühsam im kleinsten Gang nach oben kurbele. Und sobald die Erkenntnis einmal reift, dass genau das super funktionieren wird und gar nicht so schlimm ist, macht die ganze Sache auch noch Spaß. Anstrengend, aber geil. Das soll mir mal einer erklären!


Freut mich #1: Oben angekommen ist auch für mich noch Zeit für eine Trinkpause.
Freut mich #2: Später eine Nachricht von Daniela: "Wie war die Halde für dich? Ich glaube, ich habe dich oben lächeln gesehen."
Freut mich #3: Die Abfahrt.

Scheiße, die Abfahrt! Ich bin so ein Schisser. Eigentlich. Aber diese Abfahrt hier ist prima, die Kurven sind nicht fies, ich kann wunderbar die Kontrolle behalten und habe sogar noch Zeit, mich über die Experten zu amüsieren, die versuchen, im Chris-Froome-Style noch ein paar Sekunden rauszuholen. Mein Lieblingssegment der Runde ist definitiv "Downhill nach Allrath", 2,3 km, -4 %, gute 3 Minuten und ein angenehmer Schnitt von 45,8 km/h. So macht mir das Spaß. Und ja, ich habe zwischendurch gebremst. Ich möchte da demnächst nochmal runter düsen!


#Hungerast
Nachdem die Halde hinter uns liegt, fürchte ich nichts mehr. Von mir aus kann jetzt kommen, was will. Was ich nicht bedacht habe ist, dass mein Frühstück für drei Stunden radeln vielleicht doch etwas mickrig war und dass nur Wasser in den Trinkflaschen auf Dauer auch eher suboptimal ist. Auf einmal finde ich mich mit Eichhörnchen-Ellen ganz am Ende der Gruppe wieder und stelle fest, dass das der denkbar schlechteste Ort ist, wenn man eh schon etwas hinüber ist. Ständig ziehen sich die Reihen auseinander und wir müssen ganz schön reintreten, um nicht den Anschluss zu verlieren. Beim nächsten Stopp an einer Kreuzung nutzen wir die Gelegenheit und mischen uns wieder mitten unters Volk. Puh. Durchatmen.



Bei Kilometer 78 (auf meinem Tacho, mit Anfahrt) löst Steffen sein Versprechen ein und verteilt gebrannte Mandeln. Nichts könnte mich in diesem Moment glücklicher machen als auf dem Rad beschissene gebrannte Mandeln zu mampfen - in dem Wissen, es gleich geschafft zu haben, alles überstanden zu haben, mitgehalten zu haben und nicht den Berg hochgewandert zu sein. Die zweite Belohnung gibts zurück auf dem Weihnachtsmarkt am Burgplatz: Glühwein. Kinderpunsch. Egal, wärmt von innen, lässt taube Zehen, verschwitzte Baselayer und strapazierte Hintern vergessen und ist der allerbeste Abschluss für ein großartiges Braver Than The Elements.


Danke an die Jungs, die aus einer mit nur sieben Mädels eher mickrigen Runde eine große prima Ausfahrt gemacht haben. Ohne euch hätten wir den Autofahrern nicht so sehr auf den Sack gehen können. Und bei eurer Pipipause hatten wir dann ja doch noch unsere Frauenrunde ;-) Danke für fabelhafte winterliche 80 Kilometer, für wunderbare Mitfahrer, Windschattenspender, Fotomacher und Mandelverteiler. Persönliches Highlight: Platz drei auf dem Segment "durch die Todeskurve". Ich werde die Strecke definitiv nochmal abfahren müssen, um rauszukriegen wo zur Hölle die gewesen sein soll.

Tiersichtungen:
Ein Dutzend Pferde, davon eines angesichts 28 Rennradfahrer maximal verschreckt.
Zum Glück keine Eichhörnchen.


Noch mehr Bilder gibt's hier von Daniel Ziegert und hier. Danke an Steffen Weigold für alles (Mandeln!) und besonders für das Okay, die Fotos hier zu verwenden.