Freitag, 6. Januar 2017

Raceday No. 27 - Neusser Silvesterlauf 2016

Menschen laufen Silvesterläufe. Menschen laufen Neujahrsläufe. Weil ich am 1. Januar üblicherweise mit Schlafen und fröhlichem Auskatern beschäftigt bin, laufe ich lieber an Silvester (und freue mich über einen Neujahrslauf am 8. Januar). Irgendwie finde ich es auch ganz charmant, das Jahr laufend ausklingen zu lassen. Mit der Gang zusammen geht es also nach Neuss, das ist dieses kleine feine Städtchen direkt neben Düsseldorf. Ich kenne die Gegend vom Radeln: Bei so vielen Ausfahrten habe ich die Autobahnbrücke über den Rhein schon herbeigesehnt. Heute laufe ich unten durch. Lieben Dank an das Runningteam Grafenberg, das mich erfolgreich eingeschleust hat! Irgendwann trau ich mich auch mal mit euch in den Wald ...


Ich habe für den Lauf keinen Plan, außer mich nicht komplett aus dem Leben zu schießen, damit ich abends noch halbwegs fit bin (haha!). Ansonsten habe ich nichts vor. Keine perfiden Pläne. Die sub50, die wir uns beim letzten 10er Anfang November vorgenommen haben, will ich heute nicht angreifen. Verträgt sich nicht allzu gut mit dem Plan, noch was vom Abend haben zu wollen und außerdem: Welcher normale Mensch ist bitte an Silvester in Bestform? Ich definitiv nicht. So beeindruckt es mich auch wenig, dass ich immer noch nicht die Batterie meiner Pulsuhr gewechselt habe und deshalb im Blindflug unterwegs sein muss. Was solls.


Der Start ist wuselig und eng auf der schmalen Strecke. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich es mal schaffe, mich vernünftig einzusortieren ohne die ersten paar hundert Meter Slalom laufen zu müssen. Wir starten zu viert: Maria wieselt wie erwartet sofort davon, Kati will es ruhig angehen und lässt sich zurückfallen. Ich vermute Naomi bei ihr und laufe das Tempo, was mir gerade einfällt. Fühlt sich gut an. Die Temperaturen sind irgendwo im Keller, aber die Strecke ist wunderbar: Vom Start auf dem Deich geht es runter über die Wirtschaftswege zwischen den Feldern, durch eine dörfliche Wohnsiedlung, quer über einen Pferdehof und wieder durch die Felder. Die Sonne scheint, die Wiesen sind aus irgendeinem verrückten Grund ganz schön grün und ich laufe als einer von vielen bunten Punkten aufgereiht wie an einer langen Schnur quer durch die absolut traumhafte Kulisse. Es ist still, so unheimlich leise. Nur Schritte und atmen. Über allem die Sonne, die nicht wärmt, aber trotzdem alles schöner macht. Ich versuche, den Moment vollständig aufzusaugen. Die letzten Sonnenstrahlen des Jahres.

Silvester ist ja durchaus so ein Zeitpunkt, an dem man schon mal ein bisschen emotional werden kann. Zurückschauen auf das, was war. Den Dingen entgegenblicken, die da kommen. Im Moment kommen hier nur Kilometermarkierungen, und zwar eine nach der anderen. Huch, irgendwie geht das flott! Ich höre in mich hinein: Es geht mir gut. Ich trödele nicht, aber ich renne auch nicht wie verrückt. Ein anstrengendes Mittelding, das ich mir noch ein paar weitere Kilometer zutraue. Um mich trotzdem bei Laune zu halten, fahre ich die ultimative Jahresendzeit-Ablenkungstaktik: Ich versuche mir ins Gedächtnis zu rufen, bei welchen Veranstaltungen ich 2016 gestartet bin und wie die jeweils gelaufen sind. Ich weiß aus dem Jahresrückblick, dass es insgesamt 18 waren - was für eine lächerliche Aufgabe, die jetzt alle aufzuzählen, schließlich war ich ja dabei. Aber gut, ich laufe allein, habe nichts besseres zu tun, los gehts.


Der Anfang ist einfach. Duisburger Winterlauferie Teil 1, 2 und 3. Ich erinnere mich an den wunderbaren 10er im Januar, der mit 1:01:41 eine neue Bestzeit bedeutet hat - ein Witz im Vergleich zu aktuellen Zeiten. Ich erinnere mich aber noch sehr genau an das Gefühl, nach dem Ärger mit dem Knie wieder schmerzfrei laufen zu können. An die pure Dankbarkeit. Der 15er im Februar ist mir kaum in Erinnerung geblieben. Dafür allerdings der Halbmarathon im März. Ich bin danach noch zwei schnellere gelaufen, aber dieser war der schönste. Weil der Plan komplett aufgegangen ist, weil ich durchlaufen konnte, weil es keinen Einbruch gab. Ich hoffe, dass mir die Winterlaufserie 2017 in genauso guter Erinnerung bleibt.

Danach wirds schwer. Ich grübele, was ich im April und Mai gemacht habe, weiß es nicht mehr und springe vorerst zu Juni. T3! Triathlon zuhause! Aber da war doch vorher noch was? Oh ja, der Velothon, klitzekleines Radrennen quer durch Berlin. Nach Düsseldorf kam der Triathlon in Hamburg, die Cyclassics, das Rad Race Battle, der Triathlon in Krefeld, der in Ratingen und schon bin ich im September. Ok, Rhein City Run noch im Oktober, Martinslauf im November, Ende. 12. Hä? Wie kann ich denn sechs Events vergessen? Ich nehme die Finger zur Hilfe, fange nochmal von vorne an und zähle nach. Mittlerweile bin ich bei Kilometer 6 und das erste Brett fällt vom Kopf: Race am Rhein! Münsterland Giro! Offenbar denke ich beim Laufen gar nicht so sehr ans Radeln.


Macht 14, fehlen immer noch vier. Kilometer 7. Nochmal von vorn, kann doch nicht wahr sein! Wenn mich irgendwer dabei beobachtet, wie ich hier lang renne und mit den Fingern zähle ... Was war denn nun im April? Ach scheiße, ja, der Brückenlauf! 5 km, die ich nur aus dem Grund bis zum Schluss gelaufen und nicht gewandert bin, weil ich wusste, dass Christian irgendwo gegen Ende mit der Kamera steht. Oh! Und da war ja noch die Breitscheider Nacht, der erste 10er unter 60 Minuten. Fehlen immer noch zwei, aber ich habe keine Lust mehr. Außerdem gehts bergauf über eine Autobahnbrücke. Ich kann nicht mehr nachdenken, muss überleben.

Ich habe mir vorgenommen, auf den letzten drei Kilometern das Tempo zu erhöhen. Bei Kilometer 7 verschiebe ich den Plan auf die letzten beiden. Beim Schild mit der 8 finde ich, dass das aktuelle Tempo eigentlich auch nicht so schlecht ist und dass ab 9 ja auch noch genug Zeit zum Rennen ist. Gefühlt krieche ich die Brücke rauf und freue mich gleichzeitig, dass ich mir auf den letzten Kilometern so erfolgreich die Zeit vertrieben habe. Oben nutze ich die Gelegenheit und schaue mich um. Naomi ist unten zu sehen, nicht allzu weit hinter mir. Dann wird sie bestimmt gleich nach der Brücke den Warp-Antrieb aktivieren und an mir vorbei düsen. Ich lege mir schon mal zurecht, was ich ihr Schönes hinterher rufen könnte ("Schau dich nicht um! Bring das ohne mich zu Ende! Lass mich hier einfach sterben!"), aber sie kommt nicht.

Ich laufe zurück durchs Wohngebiet, freue mich über jeden, der meinen Namen ruft und bin vollkommen fasziniert, was die Neusser hier für eine Stimmung machen. Wenn die Silvesterpartys hier auch so hoch her gehen, dann Prost Mahlzeit! Ein letztes Mal geht es von der Straße auf den schmalen Weg, zurück auf den Deich, die letzten Meter. Raus aus der Stille im Grünen durch eine bunte Gasse, rechts und links Menschen, Klatschen, Rufe, Musik, noch eine letzte Kurve, es geht bergab, ich wollte den Rheinblick genießen, aber ich sehe nur den Zielbogen, laufe, laufe, laufe. Und bin da.


Tatsächlich sehen wir uns alle erst hier im Ziel wieder. Maria die Rakete ist schon länger da und hat Wasser organisiert - kann ich ziemlich gut gebrauchen! Als Medaillen gibt es Neujährchen, die man sich um den Hals hängen und später aufessen kann. Wie wunderbar!

Ich stelle fest, dass das olle Telefon sich aufgehängt hat, stoppe Strava zu spät und habe somit keine Ahnung, wie schnell oder langsam das Ganze war. Ich weiß nur, dass ich zufrieden bin, dass nicht deutlich mehr drin gewesen wäre, aber dass ich mir auch nichts vorwerfen kann. Es ging teilweise leicht, aber nicht zu einfach, wie die knallrote Birne beweist. 53:19 Minuten ist schließlich die offizielle Zeit. Bäm. Nur eine halbe Minute über Bestzeit und nur wenige Sekunden schneller als beim katastrophalen Martinslauf, der gefühlt nur aus Rennen und Wandern bestand. So unterschiedlich kann sich also die gleiche Zeit anfühlen!


Danke Silvesterlauf, danke 2016! Ich bin versöhnt mit diesem Laufjahr und freue mich aufs nächste!

P.S. Vergessen habe ich übrigens den spontanen Rhein Ruhr Halbmarathon im Juni in Duisburg und den Kö-Lauf in Düsseldorf - die aktuelle Bestzeit auf 10 km. Kann einem im Eifer des Gefechts offenbar schon mal entfallen! ;-)


Fotos: Christian Siedler. Danke!