Donnerstag, 24. März 2016

Raceday No. 11 - Winterlaufserie Duisburg Halbmarathon

Eigentlich kann ichs kurz machen: Ich bin einer von den scheiß Strebern, die "Ich hab überhaupt nicht gelernt!" sagen und dann ne Eins schreiben. Ich hab gesagt, ich sei auf den Halbmarathon nicht optimal vorbereitet. Und dann bin ich ihn durchgelaufen und habe meine Zeit vom November um 15 1/2 Minuten verbessert. Fünfzehneinhalb!

Für alle, die es genauer wissen wollen - das Ganze geht so:

Nachdem ich mir in der Nacht von Donnerstag auf Freitag von der Seele geschrieben hatte, was mich verunsichert, war ich auf einmal ziemlich gelassen. Gute Taktik! Vielleicht ein bisschen zu gelassen, denn so komme ich Freitagmorgen auf die Idee, bei 3° ohne passende Ausrüstung eine kleine Runde mit Bruno zu drehen - die erste des Jahres. Es ist zwar unglaublich schön, endlich wieder auf dem Rad zu sitzen, aber auch einfach unglaublich kalt. Mit tauben Zehen und halb erfrorenen Fingern bin ich mir sicher, dass mich am nächsten Tag eine Erkältung dahinraffen wird. Das passiert nicht. Weil die Waden nach den ersten Radkilometern erfahrungsgemäß immer ein bisschen protestieren, verbringe ich einfach mal die Nacht in Kompressionssocken. Diese Idee war immerhin gut.


Dann: Samstag. 15 Uhr ist die weltbeschissenste Startzeit. Wenn das Rennen direkt morgens ist, weiß ich inzwischen, was ich wann frühstücke, aber 15 Uhr? Schließlich bringe ich es fertig, den Vormittag so blöd zu vertrödeln, dass keine Zeit für ein zweites Frühstück bleibt. Ich habe also zwei Scheiben Vollkorntoast im Bauch, eine mit Marmelade (Pre-Race-Standard-Frühstück) und eine mit Schokostreuseln (oh ja). Ich versuche gegen Mittag, als wir gerade los wollen, verzweifelt eine Banane aufzutreiben, aber finde keine und habe keine Zeit mehr zum Einkaufen - super. Ich sammele meinen Vater und Steffi ein, die mich mit Traubenzucker versorgt - auch gut. Verpflegung ist heute sowieso so ein Thema: Beim ersten Halbmarathon im November hatte ich mir dazu keine Gedanken gemacht und geglaubt, ich würde mit Wasser schon auskommen. Kam ich nicht. Deshalb hatte ich jetzt im Training gestestet, wie ich mit Gels klar komme und eins gefunden, das ich vertrage. Blöd nur, dass davon nur eins in die Hosentasche passt und ich am Wettkampftag auch noch ne ganze andere Hose aus dem Schrank ziehe. Kurze Planänderung: Ab in den Sport-BH damit. Passen sogar zwei rein, stört kein bisschen und ist direkt auf Körpertemperatur. Warum bin ich da noch nicht früher drauf gekommen?

Zur Abwechslung sind wir mal super früh vor Ort in Duisburg, finden tatsächlich einen Parkplatz und sehen sogar noch den Start des 10-km-Laufs der kleinen Serie. Beim Zieleinlauf-Gucken vertrödeln wir zu viel Zeit, so dass es dann doch nochmal stressig wird: Lange Sachen ausziehen, Kleiderbeutel auf die Tribüne legen, aufs Klo gehen, Vorher-Foto machen. Schön: Zwischendrin in dieser Hektik finden mich immer wieder bekannte Gesichter, die noch schnell viel Erfolg wünschen. Danke dafür!

Der Start ist ein absolutes Déjà-vu: Zum dritten Mal innerhalb von drei Monaten traben wir hier jetzt vor dem MSV-Stadion los, ums halbe Stadion rum und zur Regattabahn. Vorbei an Industrieruinen, durch ein Wohngebiet, zur Sechs-Seen-Platte. Bis km 12,5 verläuft die Strecke genauso wie beim 15-km-Lauf vor vier Wochen. Ich kenn das hier also alles schon. Und lauf dann mal los. Wenn ich mir was vorgenommen habe, dann: langsam angehen. Ich will vorsichtig sein, weil sich beim Martinslauf auch die ersten 11 km fantastisch anfühlten und der Einbruch danach umso härter kam. Ich will also langsam laufen. Mach ich aber nicht. Ich bin viel zu schnell und weiß das auch. Trotzdem ändere ich nichts. Läuft ja.


Ich hänge mich an eine Frau mit schwarzer Weste und schwarzer Mütze, die ein konstantes Tempo läuft. Ein paar Meter vor uns läuft ein riesiger, schlaksiger Kerl, bestimmt 2 Meter groß und höchstens 50 Kilo leicht. Er füllt die neongelbe Jacke eines Triathlonvereins mal so gar nicht aus und schwebt mit seinen ellenlangen Beinen über die Strecke. Er läuft einen spitzen Vorfuß und das sieht wirklich elegant aus. Die Frau mit der Mütze und ich trampeln hinterher.

Erst als bei km 7 der kleine Hügel kommt, nehme ich das Tempo raus. Ich finde eine neue Gruppe, die ein klitzekleines bisschen langsamer ist und beschließe, da jetzt mal für eine Weile dran zu bleiben. Erstens bin ich dann nicht alleine unterwegs und zweitens haben wir gerade mal ein Drittel der Strecke hinter uns! Also gut, gehen wir den Teil durch den Wald und um den See jetzt mal wirklich langsamer an. Die Frau mit der Mütze und den tänzelnden Triathleten verliere ich aus den Augen. Bei km 8,5 kommt dafür die erste Verpflegungsstation: Ich drücke mir kurz vorher das erste Gel rein, nehme einen Becher und schütte noch ein bisschen Wasser drauf. Kann ja nicht schaden. Meinen Müll kann ich hier auch entsorgen - das ist auf jeden Fall besser, als die klebrige Packung wieder irgendwo am Körper unterzubringen.

Nach 11 km haben wir wieder Asphalt unter den Füßen. Von den vier Läufern vor mir fallen drei auf einmal zurück, während einer das Tempo anzieht. Hä, der gehörte auf jeden Fall zu denen, ich hab keine Absprache oder irgendwas mitbekommen, aber ich bleibe mal dran. Ich mache mich darauf gefasst, dass jetzt der schwierigste Teil kommt. Erst mal: 3,5 km geradeaus. Dann umdrehen und 2 km in die entgegengesetzte Richtung. Immer geraderaus, Regattabahn rauf, runter, rauf, runter. Ich war sicher, ab hier würde es mental hart, aber ich habe Spaß daran, das Tempo zu erhöhen und geradeaus zu rennen. Ich will jetzt wissen, was das hier heute gibt. Gegenüber kommen mir die Läufer auf der anderen Seite der Regattabahn entgegen, noch weiter hinten laufen wieder andere in die gleiche Richtung wie ich - allerdings schon am Parallelkanal und somit kurz vor dem Ziel. Ich schaue mir die Karawane von hüpfenden bunten Punkten an und freue mich, auch so einer zu sein.


Kurz vor km 15 kommt die nächste Verpflegungsstation, wieder gibts für mich ein Gel und einen halben Becher Wasser, alles gut. Ich schiele auf die Uhr und stelle fest, dass ich fast genauso schnell bin wie beim 15-km-Lauf vor vier Wochen - 1:34:xx und das ist eigentlich gar nicht gut. 6 km kommen noch. So war das nicht geplant. Kurz mal durchrechnen - wenn du so weiter läufst, wird das was unter 2:20, vielleicht sogar unter 2:15. Naja, mal nicht übertreiben. Mittlerweile laufe ich in die andere Richtung, links die Regattabahn, rechts der Parallelkanal, wieder weg vom Ziel, aber das stört mich nicht. Ich rechne mit dem schlimmsten auf meinem berüchtigten km 16, aber nichts passiert. Der Energieschub aus dem Gel kommt genau richtig, die Beine tragen mich weiter.

Kilometer 17,5 und Überraschung: Von weitem sah es so aus, als würden die Läufer am Ende des Parallelkanals einfach umdrehen und auf der anderen Seite davon in Richtung Ziel laufen. Das ist nicht der Fall. Stattdessen führt die Strecke noch 2,5 km im Kreis durch den Wald, aber das weiß ich gerade nicht so genau und finde das blöd. 18 km. Jetzt bewegen wir uns schon wieder vom Ziel weg! Was ist das für ein beschissenes Hin und Her? Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr! Obwohl es heute der erste komplett trockene Lauf der Serie ist, wird mir kalt. Gänsehaut - erst nur an den Armen, dann auch am Kopf. Dieses Mal ist noch Energie da, das ist nicht wie beim Martinslauf, wo ich ziemlich neben der Spur war - mir ist einfach nur kalt. Ich will gehen, aber davon wirds nicht wärmer, davon bist du auch nicht schneller im Ziel, so dauert das alles nur noch länger. Beiß die verdammten Zähne zusammen und lauf weiter.


Ich stelle schnell die einzige Regel auf und sie lautet: nicht gehen. Um keinen Preis. Wenn du nicht mehr kannst, lauf halt langsamer. Langsamer geht immer. Aber versuchs gar nicht erst. Nicht gehen! Nach 19 km schleppe ich mich aus dem Wald raus und bin jetzt an der Stelle am Kanal, wo ich gerne eben schon gewesen wäre. Jetzt nur noch geradeaus (das klappt ja heute gut) und ab ins Ziel. Noch 2 km, die dauern im schlechtesten Fall im aktuellen Zustand 14 Minuten, also hau rein!

Bei km 20 würde ich gerne aufhören. Reiß dich verdammt nochmal zusammen, einen beschissenen Kilometer kriegst du auch noch laufend hin! Ist nicht mehr weit bis zum Stadion. Endlich die letzte Kurve, endlich der Eingang ins Stadion, endlich die Tartanbahn. Und plötzlich mischt sich in die Freude, dass es gleich geschafft ist, ein bisschen Wehmut: Drei Mal bin ich jetzt schon auf diese Zielgerade eingebogen, eine schöne Regelmäßigkeit im Kalender alle 3-4 Wochen. Schon mit dem euphorischen ersten Lauf der Serie habe ich Duisburg und diese elendige Strecke irgendwie ins Herz geschlossen. Drei Mal war ich erstaunt, was geht, weil die Vorzeichen mit dem Knie Anfang des Jahres eigentlich gar nicht auf Laufen standen. Wenn du jetzt über die Ziellinie läufst, ist das Projekt Winterlaufserie vorbei.


Es ist vorbei und ich hätte die Serie nicht besser beenden können: 2:13:32 stehen auf der Uhr - was für ein meilenweiter Unterschied zum November! Noch viel wichtiger als die Zeit ist mir allerdings: Ich bin gut durchgekommen. Ja, die letzten drei Kilometer waren hart, aber ich habe das gemeistert. Und das, obwohl ich mir sicher bin, dass die Vorbereitung nicht perfekt war, wirklich nicht. Was aber auf jeden Fall auf den Punkt funktioniert hat, war der Kopf. Da ist eine neue Gelassenheit, da sind weniger Zweifel und da ist ein neues Vertrauen in mich selbst. Und darauf bin ich ziemlich stolz. Weisheit des Tages:

Power is not about going forward, it's about not letting anything hold you back.


Ich freue mich, dass das Kapitel Winterlaufserie mit allen drei Läufen so ein gutes Ende genommen hat. Mit der Halbmarathon-Distanz bin ich sowas von versöhnt! Die 10-km-Zeit werde ich dieses Jahr definitiv auch  nochmal angreifen. Aber jetzt freue ich mich total aufs Radeln, das in letzter Zeit wegen der ganzen Lauferei und dem Wetter echt zu kurz kam. Drückt die Daumen für schöne Osterfeiertage, denn ich will endlich das Training für Velothon & Cyclassics ins Rollen bringen!