Donnerstag, 27. April 2017

Training mit den Profis - Tour de France Streckentest

"Warum ist es so wichtig, die Strecke einmal abzufahren?" - "Weil wir heute auch Kuchen essen wollen, und da ist es natürlich gut, ein paar Kalorien zu verbrennen." 


Achso. Acht deutsche Radprofis aus sechs verschiedenen Teams treffen sich in Düsseldorf, um gemeinsam die zweite Etappe der Tour de France bei einer Trainingsfahrt zu besichtigen - und machen daraus anstatt einer bierernsten Trainingseinheit einfach mal einen Ausflug mit Klassenfahrtscharakter. Die Stimmung ist ausgelassen, das Hauptgesprächsthema ist Kuchen. Radgefahren wird natürlich auch. Klingt so märchenhaft, das kannste dir gar nicht ausdenken.

Laut Pressemeldung darf man die Tour bei eigener Organisation begleiten, wenn man die 165 km von Düsseldorf bis Lüttich mit einem Schnitt zwischen 30 und 35 km/h fahren möchte. Möchte ich nicht. Kann ich nicht. Einen Schnitt über 35 bin ich zuletzt im Oktober in Münster gefahren, auf nur 70 km und vor allem auf gesperrten Straßen. Unter keinen Umständen fahre ich bis Lüttich. Aber einen Teil der Strecke, so ein klitzekleines Stück...? Ein paar Mails und ein Telefonat später weiß ich mehr. Ich soll mir keine Sorgen um das Tempo machen, bei dem angesagten Gegenwind wirds nichts so schnell. Ach ja prima! Aber der Wind ist dann harmlos, oder was?


Am Abend vorher bin ich so aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten. Morgens wirds nicht besser. Freundinnen bezeichnen die Aktion hinterher als furchtlos, ich weiß noch nicht, wie ich das alles einsortiere, eher irgendwo zwischen aufregend, bescheuert und Harakiri. Am Treffpunkt sind eine Handvoll Neugierige und einige Medienvertreter zu sehen, aber erst mal keine Radprofis. Der Oberbürgermeister steht schon zum Fototermin bereit, als die Meute geschlossen angerollt kommt - ziemlich lässiger Auftritt! Mit dabei sind André Greipel, Marcel Sieberg (beide Lotto Soudal), John Degenkolb (Trek-Segafredo), Christian Knees (Sky), Robert Wagner (Lotto NL-Jumbo), Jasha Sütterlin (Movistar), Nikias Arndt und Phil Bauhaus (beide Sunweb). Plus Hanka Kupfernagel - schön, dass sich Jungs und Mädels zusammen auf den Weg nach Lüttich machen.


Weil ich ja weiß, dass ich nicht in Lüttich ankommen werde und zwischendurch nicht mit einer Kuchenpause rechne, muss ich peinliche Fangirl-Fotos vorher erledigen. Außerdem weiß ich ja noch nicht mal, ob ich überhaupt irgendwo ankomme, vielleicht halte ich grade mal einen Kilometer mit, vielleicht 20, vielleicht ist auch nach ein paar Metern schon Schluss. Schwupps, alle weg. Oder so. Es geht los. Erst mal locker durch die Stadt, noch einen Stopp am Countdown zum Tour-Start auf dem Burgplatz, eine Schleife über die Kö und dann rüber über den Rhein und raus auf die Strecke. Außer mir haben sich noch eine Handvoll andere der illustren Runde angeschlossen. Wir halten lieber mal einen Sicherheitsabstand. Meine größte Sorge: Irgendwem hinten rein fahren und für den Rest der Saison außer Gefecht setzen. Schlagzeile: "Profi dank Hobby-Fahrerin im Krankenhaus" Nicht auszudenken.


Wir lassen die Schleife übers Neandertal glücklicherweise aus; ich kenne sie ja schon vom Race am Rhein. Es geht raus nach Meerbusch, nochmal einen Schlenker durchs linksrheinische Düsseldorf, dann nach Neuss, durch die Radsporthochburg Büttgen, Korschenbroich, Mönchengladbach. Die Strecke hält ungefähr 523 rote Ampeln für uns bereit, so dass sich das Tempo tatsächlich in Grenzen hält. Zwischendurch frage ich mich, ob ich gerade träume oder wirklich im Windschatten von Hanka Kupfernagel und John Degenkolb über die Landstraßen rolle. Offensichtlich ist letzteres der Fall.



Während die einen quengeln, dass das kein richtiges Training sei, planen die anderen schon die Kuchenpause. Aber zuerst: Pinkelpause. Nach nur 13 km - Jungs, das müsst ihr mir echt mal erklären! Wir Mädels fahren 70 km ohne eine Pipipause und ihr müsst nach einer knappen halben Stunde zum ersten Mal anhalten? Das Kuchenthema gewinnt wieder die Oberhand, als es in Mönchengladbach anfängt zu regnen. Ich dachte, wer eine Milljausend Kilometer im Jahr abreißt, der ist sämtliche ekligen Wetterbedingungen gewöhnt, aber auf einmal eiern wir neben der Straße umher, suchen den möglichst trockensten Weg und ich höre wieder nur noch Kuchen. Den gibts tatsächlich. André Greipel schaut sich nicht nur den Ort der Sprintwertung genau an, sondern hat auch für alle Kuchen mitgebracht. Ganz schön nett! Die Begleitfahrzeuge und der Mönchengladbacher Bürgermeister warten schon an der Kaiser-Friedrich-Halle. Journalisten mit sinnvollen Fragen stehen auch bereit: "Ist es nicht komisch, hier ständig an roten Ampeln anhalten zu müssen?" - "Ääääh... das sind wir eigentlich aus dem Training so gewohnt." Wer hätte das gedacht! Weil es immer noch regnet, fällt die Pause recht kurz aus.


Ich bin immer noch erstaunt, dass ich überhaupt bis hier her mitgefahren bin und muss mir so langsam über den Rückweg Gedanken machen. In Mönchengladbach in den Zug steigen? Umdrehen und vom Rückenwind zurückpusten lassen? Coffee & Chainrings Kollege Daniel hat Mittagessen angeboten, falls ich es bis Erkelenz schaffen sollte. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich da hin komme, nur die grobe Ahnung, dass ich nach Mönchengladbach irgendwo rechts abbiegen muss. Aber erst mal gehts raus aus der Stadt. Über einen winzigen Hügel. Ach was, eine kleine Welle. Eigentlich kaum erwähnenswert. Meine Beine sehen das anders. Ich will nicht schon an der allerersten mikroskopisch kleinen Erhebung abgehängt werden, also trete ich in die Pedale. Hätte ich eben mal lieber Kuchen gegessen. Die Oberschenkel wollen nicht mehr, ich will aber noch. Mit 32 Sachen bergauf. Keine Ahnung wie, aber ich bleibe dran. Gleichzeitig ahne ich, dass bald für mich Ende ist, wenn es so weiter geht. Weniger Ampeln bedeuten eine höhere Geschwindigkeit - mit leichten Wellen keine gute Kombination für meine Beine.




Vorsichtshalber verabschiede ich mich bei der nächsten Gelegenheit und kündige meinen Ausstieg Richtung Erkelenz an. Gute Idee, denn die nächste Ampel trennt André Greipel, Steffen und mich vom Peloton. Dass die zwei wieder an die Gruppe ran fahren, bezweifle ich nicht (der eine übrigens im Windschatten des anderen), aber ich gucke mir das Spektakel lieber aus sicherer Entfernung an. Nach etwa 50 Kilometern bin ich also raus, schlage mich quer über die Felder alleine durch den Wind und stelle fest, dass das nicht weniger anstrengend ist als das Programm zuvor. Obwohl sich Garmin und Google Maps uneinig sind (danke für eine komplett unnötige 9-km-Schleife), erreiche ich schließlich mein Ziel, wo mich Daniel freundlicherweise mit einer riesigen Portion Nudeln wieder aufpäppelt.

Zurück gehts nach 70 km mit dem Zug. Kann mich mal jemand kneifen? Life Goals: Radfahren mit André Greipel und John Degenkolb - check! Verrückter Scheiß. Manchmal - Quatsch, wahrscheinlich immer - ist es wohl doch am besten, nicht zu viel nachzudenken und einfach zu machen. Egal wie absurd, größenwahnsinnig oder bescheuert die Idee ist. Einfach machen! Danke Le Tour Düsseldorf für die einmalige Chance, fürs Organisieren und fürs Mitnehmen!


Hier noch die Fakten:
Mein Schnitt auf 70 km lag bei mickrigen 24,4 km/h. Der Rest der Truppe hat die 165 km bis Lüttich mit 800 hm laut Strava mit einem knappen 30er Schnitt zurückgelegt. Nicht nur mit permanentem Gegenwind, sondern auch inklusive Regen, Hagel und Schneeregen. Aprilwetter vom Feinsten.
Nichtsdestotrotz: Das Tempo hat für mich gereicht, um mal eben vier QOMs einzukassieren, eine davon mit sagenhaften 14,8 km/h bei der Sprintwertung in Mönchengladbach. Muss man auch erst mal schaffen! Ich werde die zweite Etappe am 2. Juli auf jeden Fall sehr aufmerksam verfolgen, mit Sicherheit auch mit etwas anderen Augen als bisher. Ich drücke André Greipel und seinem Anfahrer Marcel Sieberg die Daumen, dass es mit der Sprintwertung und vielleicht sogar dem Etappensieg in Lüttich was wird und freue mir bis dahin einfach schon mal ein Loch in den Bauch.

Hier gibts noch mehr zu sehen:
Bilder:
Steffen Weigold hat die Kuchenpausen ausgelassen und stattdessen fotografiert. Lässig wie immer. Vielen Dank für die Bilder, die ich hier im Artikel verwenden durfte. Noch mehr absolut sehenswerte Bilder gibt es hier.

Videos:
Kurz, aber trotzdem fein mit Maren auf Bruno im Bewegtbild: DW | Sport auf Twitter.

Auf der Le Tour Düsseldorf Facebookseite - hier.

Etwas länger, aber fängt die Stimmung grandios ein, unbedingt anschauen:

Donnerstag, 13. April 2017

Raceday No. 33 - Citylauf Lintorf 2017

Vor ziemlich genau drei Jahren bin ich zu meinem ersten Lauf angetreten. Ich hatte Ende Januar 2014 mit dem Training begonnen und wollte eigentlich im September bei Tough Mudder mitmachen. Dass daraus nie etwas geworden ist und ich stattdessen beim Triathlon gelandet bin - die Geschichte kennt ihr. Auf dem Weg dort hin gab es diesen ersten Lauf, einen schrecklich schönen 5er, zuhause auf dem Dorf, organisiert von "meinem" Verein. Ohne die Begleitung meiner Schwester hätte ich damals schon vor Ende der ersten Runde aufgegeben. Ihretwegen bin ich mit einer Mischung aus gehen, laufen und fluchen irgendwie ins Ziel gekommen - nach 36 Minuten und 19 Sekunden.


Jetzt, exakt drei Jahre später, stehe ich an genau der gleichen Startlinie. Citylauf Lintorf, 5 km. Heute geht es schon lange nicht mehr ums Ankommen. Die Frage lautet nicht mehr, ob ich die Strecke schaffe, sondern: Wie schnell kann ich laufen? Wobei heute selbst das nebensächlich ist. Ich würde gern die 25 Minuten auf 5 km knacken - aber nicht heute. Nicht nach zwei Radeinheiten und einem langen Lauf innerhalb der letzten drei Tage. Ich stehe heute nur am Start, weil ich hier zuhause bin, weil genau hier alles anfing. Und weil ich die Veranstaltung unterstütze, indem ich nun zum dritten Mal in Folge einen kleinen Stand betreibe und vegetarische Chili-Wraps verkaufe.


Als ich am Vorabend vier Stunden in der Küche stehe, um 13 kg Chili zu kochen, wird mir klar, dass ich damit den allerkleinsten organisatorischen Teil übernommen habe. Und dass der Otto-Normal-Läufer selten eine Vorstellung davon hat, was sich hinter den Kulissen jedes gewöhnlichen Volkslaufes eigentlich so abspielt. Dass der Berlinmarathon eine wahnsinnige organisatorische und logistische Herausforderung ist, da sind sich wohl alle einig. Aber der 10er aufm Dorf nebenan, den man für 10 Euro melden kann, um sich mit ein paar Hundert anderen Volksläufern um die Altersklassenplatzierungen zu duellieren? Auch da steckt weit mehr Arbeit drin, als am Veranstaltungstag sichtbar ist.


Die Vorbereitungen beginnen etwa ein Jahr im Voraus: Es geht um Planungen, Anmeldungen, Genehmigungen. Behörden und Anwohner wollen informiert werden, Drucksachen müssen gestaltet und beauftragt werden, ein Anmeldesystem für die Läufer freigeschaltet werden. Die Kommunikation beginnt. Pressearbeit, Newsletter, Social Media. Helfer werden rekrutiert. Anwohner finden Flyer im Briefkasten, wollen Informationen, ob und wie die Strecke befahrbar ist. In der Woche vor dem Lauf gibt das Telefon keine Ruhe. "Wir wohnen in der XY-Straße, wie kommt der Besuch am Sonntag am besten zu uns?" - "Wie melde ich meine Kinder zum Bambini-Lauf an?" Es nimmt kein Ende.


Startnummern, Medaillen und Pokale werden gestaltet, bestellt und treffen schließlich rechtzeitig ein. Aufstellen von Parkverbotsschildern. Beutel mit Verpflegung für die Helfer werden gepackt. Aufbau des Meldebüros. Ausgabe der Startnummern, Annahme von Nachmeldungen. Antworten auf alle Fragen. Der Abend vor dem Lauf: Eine dreistellige Anzahl von Nachmeldungen wird per Hand ins System eingepflegt. Der Tag ist lang. Die Nacht ist kurz. Um halb 6 klingelt der Wecker, um 7 Uhr treffen das Orga-Team und die Aufbauhelfer vor Ort ein. Zelte, Tische und Bänke werden aufgebaut. Straßensperrungen und Pylone werden aufgestellt. Es wird geschleppt, gespült, Kaffee gekocht und Kuchen verteilt. Streckenposten positionieren sich. Weisen Läufern den Weg, diskutieren mit Autofahrern, lassen sich ausfragen und beschimpfen. Helfer füllen Wasserbecher, schneiden Äpfel und Bananen in Stücke, reichen alles im richtigen Moment an. Radfahrer begleiten die ersten und die letzten Läufer. Techniker, Sanitäter, Kommentatoren und Fotografen beziehen ihre Posten, Wertmarken werden verkauft, der Grill wird angefeuert, das erste Bier läuft durch den Zapfhahn. Wir schmeißen die Gulaschkanone voller Chili an, schneiden Salat, rühren Guacamole und hauen Wraps in die Pfanne.


Eine Schar Heuschrecken fällt über Grillwürste, Kuchen und Wraps her. Nachdem alle Läufe gelaufen, alle Sieger geehrt und die meisten Vorräte verspeist sind, geht das Schleppen von vorne los. Viele helfende Hände bringen bis in die Abendstunden alles wieder an Ort und Stelle. Sammeln Pylone und Schilder ein, bauen Bänke, Tische und Zelte ab, räumen Müll weg, klauben Kabelbinderschnipsel von der Straße. Der 10. Lintorfer Citylauf 2017 in Zahlen: 1.033 gemeldete Läufer, 944 Finisher, 150 Helfer, 350 Pylone, neun Kisten Äpfel und Bananen, 4000 Trinkbecher. Meine persönlichen Zahlen: 5 km, 25 Minuten, 42 Sekunden. Knapp, aber: Neue Bestzeit. Danke, Lintorf!

Dienstag, 4. April 2017

Raceday No. 32 - Cyclingworld Cyclocross Challenge

Es gibt so Dinge, da hat das Herz schon längst entschieden, während der Kopf noch drüber nachdenkt. Das Cyclocross-Rennen auf der Düsseldorfer Cyclingworld ist genau so eine Sache. Die Veranstalter schreiben, sie wären ja schön blöd, wenn sie auf der eigens errichteten Offroad-Teststrecke kein Rennen abfeuern würden. Und ich wäre ja schön blöd, wenn ich nicht mitmachen würde. Als ich davon höre, haben sich 28 Männer und genau eine einzige Frau angemeldet. Das kann ja nicht angehen, also da müsste man ja ... Handfeste Gründe, die absolut dagegen sprechen, fallen mir allerdings auch ein: Ich habe den Crosser (er heißt übrigens Karlson, weil er fliegen kann) seit gerade mal zwei Wochen, habe seitdem genau zwei Mal darauf gesessen und bin zwar durch ein bisschen Matsch gefahren, aber nicht ernsthaft durch schwieriges Gelände. Ich weiß überhaupt nicht, wie das geht, was das Rad alles kann, was ich damit kann. Oder eben nicht. Der andere Haken heißt Halbmarathon bei der Duisburger Winterlaufserie. Beides ist am gleichen Tag, der Lauf startet um 15 Uhr in Duisburg und das CX Rennen um 18:15 Uhr in Düsseldorf. Zwei Stunden Laufzeit (wenn alles glatt geht), eine halbe Stunde Fahrtzeit - bleibt nicht mehr viel übrig für Wege, Umziehen, Klarkommen.


Obwohl eigentlich kein Weg an der Anmeldung vorbei führt, braucht der Kopf noch ein bisschen, um hinterher zu kommen. Es beruhigt mich ungemein, dass Markus, der Crosser-Vorbesitzer, nicht sofort die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, sondern im Gegenteil eher orakelt, wie anspruchsvoll so eine Messe-Teststrecke denn schon sein könnte. Er hat meine erste Bekanntschaft mit dem Querfeldeinrad beobachtet und traut mir anscheinend zu, mich bei der Aktion weder ernsthaft in Gefahr zu bringen noch komplett zu blamieren. Als ich Naomi mit leuchtenden Augen von der Idee erzähle, zuckt sie naomimäßig lässig mit den Schultern und fragt nur: "Wieso eigentlich nicht? Könnte zeitlich doch passen!"


Es passt. Beim Halbmarathon benehme ich mich wie beim Triathlon: Bloß nicht an die nächste Disziplin denken. Meine Wunsch-Zeit verpasse ich zwar um 38 Sekunden, aber bin danach nicht ausgelaugt und leer, sondern nutze die knappe Zeit für das Wichtigste: Toilette besuchen, Mitfahrer einsammeln, sämtliche Tendenzen zum Trödeln unterbinden und Diskussionen auf die Fahrt vertagen. Alle zum Auto schieben und los. Während ich fahre, schütte ich abwechselnd Iso in mich hinein und kaue auf einem Riegel herum. Naomi bastelt auf der Rückbank meine Startnummer ans Radtrikot, während sich Christian auf dem Beifahrersitz vermutlich leise fragt, was zur Hölle wir hier eigentlich machen und sich dann laut über die Gelegenheit zum Fotografieren freut.


Ich hatte am Vortag wegen des Zeitdrucks die Chance, die Startunterlagen schon abzuholen (weil ich die erste war, gab es gleich mal die Nummer 1 - na prima, baut ja kaum Druck auf!) und bei der Gelegenheit schon einen Blick auf die Strecke zu werfen. Die coolen Kids tummeln sich mit Dirtbikes auf dem Pumptrack, außen rum führt die Cyclocross-Strecke. Es geht bergab, bergauf, über sandige Wege, Wiesen, Baumstämme, hohes Gras, ziemlich tiefen Sand und durch enge Kurven. Weil mir vor Ort niemand sagen kann, ob die Strecke mit oder gegen den Uhrzeigersinn gefahren wird, drehe ich eine Runde rechts und eine Runde links herum. Beide Richtungen haben Vor- und Nachteile, aber eines gemeinsam: Ich bin schon nach nur einer 1,1 km langen Runde ganz gut im Arsch. Glücklicherweise schaffe ich es, diese Tatsache erfolgreich zu verdrängen.


Wir stehen nicht im Stau und sind rechtzeitig in Düsseldorf. So rechtzeitig, dass ich es gerade noch schaffe, das frische Trikot anzuziehen, drölf mal zurück zum Auto zu rennen, um das Handy zu suchen und um dann in Richtung Start zu marschieren, wo Ansgar schon mit dem Rad wartet. Ich hatte ihm Karlson mittags schon vorbei gebracht, weil mir keine bessere Lösung für das logistische Problem kleines Auto + Rad + mehrere Menschen eingefallen ist und bin extrem dankbar dafür, dass ich es jetzt nur noch in Empfang nehmen muss.


Ich habe keine Zeit mehr drüber nachzudenken, denn als ich gerade halbwegs startklar bin, geht die Einführungsrunde los. Wir sind drei Mädels und um die 20 Jungs, die fast alle unheimlich professionell und schnell aussehen. Okay, einer trägt Turnschuhe. Das Ganze hier ist als Fun-Race ausgeschrieben und ich hoffe, dass die anderen das auch so sehen. Zu meiner Überraschung führt die Strecke ernsthaft über den welligen Pumptrack inklusive ziemlich steiler Kurve. Was zur Hölle! Das hab ich gestern nicht getestet! Es ist ja nur die Einführungsrunde, wir fahren langsam und alle rollen dort runter, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Kneifen ist nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als hinterher zu fahren. Die Wellen sehen schlimmer aus, als sie sind, aber bei der Kurve bin ich froh, dass ich schon mal auf der Bahn gefahren bin. Puh. Danach gehts kurz und knackig bergauf, an den Zuschauern vorbei, direkt wieder runter und auf die "richtige" Strecke. Der Rest der Runde geht einigermaßen klar. Ich bringe es fertig, mich im Tiefsand nicht gleich auf die Nase zu legen, trage Karlson erfolgreich über die Baumstämme und den letzten richtig gemeinen Anstieg und komme wieder am Start/Ziel an. Dafür, dass das eine gemütliche neutralisierte Runde war, bin ich ganz schön im Eimer. Oh je.


Startaufstellung. Ich entdecke mit Alex und Felix zwei bekannte Gesichter unter den Fahrern. Sehr gut - es ist doch irgendwie immer schön, wenn man nicht alleine im Rennen ist. Am Streckenrand habe ich ja mit Naomi, Ansgar und Christian ebenfalls gute Untersützung. Meinetwegen kanns dann jetzt also losgehen. Weil ich Nummer 1 habe, dürfte ich mich in die erste Reihe stellen, verzichte aber lieber. Ist ja Blödsinn, wenn mich dann direkt alle auf einmal überholen müssen, sollen sie mich lieber der Reihe nach überrunden. Eine der anderen beiden Mädels stellt sich erst mal selbstbewusst in Reihe 1. Kann man machen. Da wir ja nur zu dritt sind, habe ich mich mit Platz drei schon längst angefreundet - ich bin froh, wenn ich gut durchkomme, die 35 Minuten überstehe und habe ansonsten keine Ambitionen. Außerdem bin ich noch vor einer Stunde einen verdammten Halbmarathon gelaufen.


Los gehts. Die ersten sind auf und davon, als ich noch nicht mal so richtig auf der Strecke bin. Eine der Frauen fährt ebenfalls irgendwo vorne mit, an die zweite hänge ich mich erst mal dran. Ich habe nicht wirklich einen Überblick, aber glaube, dass uns noch mindestens der Turnschuhfahrer folgt. Adrenalin sei Dank, aber: Ich bin überrascht, dass ich mithalten kann. Überrascht, dass die Beine sich nichts vom Laufen anmerken lassen. Und überrascht, wie anstrengend ein bisschen im Kreis radeln eigentlich sein kann. Während die Beine sich noch gut anfühlen, komme ich ganz schön ins Schwitzen. Krass, wie hart das ist und wie viel Spaß es gleichzeitig macht! Ich frage mich, wie lange das gut gehen kann, ob ich das Tempo halten kann. Ich habe nichts am Rad, was mir die Geschwindigkeit oder Uhrzeit oder irgendetwas anzeigen würde, also bin ich auf Zurufe von außen angewiesen. Netterweise wurde das Rennen von 45 Minuten auf 35 plus eine Runde gekürzt - das kommt mir schon mal sehr entgegen.



Ich komme mit der Strecke zurecht, überlebe die Tiefsandpassagen, die komischen Wellen und komme über die Baumstämme (zwar alles andere als schnell und elegant, aber hey!). Wenn es brenzlig wird, schaffe ich es immer irgendwie, rechtzeitig auszuklicken. Die einzige Stelle, die mir jede Runde wirklich den Rest gibt, ist der letzte Anstieg. Direkt nach einem Stück Tiefsand geht es steil nach oben. Es ist mir ein Rätsel, wo einige den Schwung und die Beine her nehmen, um dort hoch zu fahren - ich muss laufen. In den ersten Runden schultere ich das Rad noch, später ist mir auch das zu anstrengend und es bleibt nur noch schieben. Die Beine wollen diesen Hügel weder hoch radeln noch hoch laufen und protestieren mit Krämpfen in der Wade. Zum Glück habe ich auf dem winzigen Stück Asphalt oben die Gelegenheit, die Wade zu dehnen, bevor es wieder runter in die nächste Runde geht. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund kommen meine krampfigen Beine und ich diesen dreckigen Kackmistanstieg einmal schneller hoch als die zweite Frau. Ich überhole sie zu Fuß, sitze oben schneller wieder auf dem Rad und rechne damit, dass sie mich gleich wieder auf der Strecke irgendwo einkassiert - aber bis es so weit ist, werde ich versuchen, den Vorsprung auszubauen.

Es gibt Menschen, die hier hoch fahren. Keine Ahnung, wie das geht. Magie vermutlich.



Zwischendurch schaue ich mich an blöden Kurven um, ob zufällig jemand von hinten vorbei will - mittlerweile werde ich überrundet, aber habe schon längst keinen Überblick mehr, wie oft. Die einzige, die ich sehr genau im Blick habe, ist die jetzt dritte Frau - und irgendwie liegt sie eine halbe Runde zurück. Ich kann nicht fassen, dass die Halbmarathon-Beine es tatsächlich zustande bringen, hier im neuen Terrain schneller als irgendjemand anderes zu sein - dass es so gut läuft, spornt mich zusätzlich an. Bei Runde 5 oder 6 weiß ich nicht mehr, wie viele Runden ich schon gefahren bin, ich weiß nur, dass sie mich nicht nerven, obwohl ich Runden normalerweise absolut nicht ausstehen kann. Ich hasse einzig und allein den Anstieg am Ende, den ich hoch klettern muss, und frage mich jedes Mal, ob ich den anderen Hügel direkt vor den Zuschauern wohl noch einmal fahrend hoch komme oder ob ich vorher einfach samt Rad umfalle. Ich schaffe es. Jede Runde aufs Neue, jedes Mal knapper, und jedes Mal freuen sich die Zuschauer. Danke!



Ich höre, wie der Moderator meinen Namen nennt, wie er irgendetwas über mein Rad erzählt, dass Fabian Cancellara auch ein Trek fahren würde - ich finde den Zusammenhang absurd, aber freue mich über die Erwähnung von Karlson und sause runter in die nächste Runde. Fast jedes Mal stehen "meine" Zuschauer woanders und werden nicht müde, mich anzufeuern. Ansgar ruft mir zu, den zweiten Platz hätte ich sicher, aber das will ich gar nicht hören, so lange noch Runden zu fahren sind und noch die Möglichkeit besteht, irgendwo im Sand für immer stecken zu bleiben. Ich habe beobachtet, dass die meisten anderen ihre Räder bei den Baumstämmen gar nicht schultern, sondern nur am Oberrohr anheben und tragen. Als ich testen will, ob das praktischer ist, donnere ich mir die Pedale gegens Knie und möchte spontan weder weiter laufen noch radfahren. Autsch. Irgendwo hinsetzen und Eis aufs Knie wäre fein. Vielleicht bin ich zu klein für diese Technik oder zu doof, keine Ahnung.


Anstrengend ist der Spaß hier ja von Anfang an, aber so langsam wird es richtig hart. Ich kämpfe mich gerade durch die viel zu hohe Wiese einen Hügel hoch, als mich Alex überholt und "Super, Maren!" oder irgendetwas in der Richtung ruft - mit leicht bräsigem Kopf nehme ich nur wahr, dass mich anscheinend gerade jemand überrundet, den ich kenne und der versucht, mich während seines eigenen Rennens anzufeuern. Stark! Naomi ruft auch was: "Noch [hier unverständliches Wort einfügen] Minuten!" Ich verstehe nichts und nehme an, dass es nicht allzu viel sein kann. Sie würde mir ja wohl kaum mitteilen, dass es noch 25 Minuten zu fahren sind. Vielleicht sind es 5. Oder 10. Die Kräfte und die Konzentration lassen nach, das merke ich an jedem Hügel und jedem bisschen Tiefsand, aber ich fahre das jetzt zu Ende. Schließlich heißt es am Start/Ziel: "Noch eine Runde!" Yeah. Ich freue mich, dass es gleich geschafft ist und dass ich immer noch an zweiter Position liege - gleichzeitig bin ich traurig, weil es einfach unheimlich viel Spaß macht. Ich liebe die Mischung aus Kraft, Ausdauer und Technik, die die Strecke fordert - das querfeldein Radeln ist so anders als über den Asphalt zu fliegen, aber ich habe diese schroffe, ehrliche Art auf Anhieb ins Herz geschlossen.



Das allerletzte Mal also hier entlang fahren, dort entlang, absteigen, über die Bäume hüpfen, aufsteigen, kurbeln, kurbeln, kurbeln, Kurve, Hügel rauf, Hügel runter, quer übers Feld, Kurve, Kurve, Konzentration jetzt, seltsame Wellen im Boden! Tiefsandkurve, Gerade, nochmal alles geben, Kurve, Gerade, nochmal Tiefsand, der fucking beschissenste Berg, Asphalt, geschafft. Denkste. "Letzte Runde!" Wollt ihr mich verarschen? Das habt ihr gerade schon mal gesagt! Ich halte an. Protestiere. Noch eine Runde? Im Ernst jetzt? Bevor ich noch länger rumstehe und diskutiere, fahre ich eben noch eine Runde. Eine Ehrenrunde, ganz alleine, denn alle anderen nach mir bleiben im Ziel. Schön peinlich, als ob ich die allerletzte wäre. Die Luft ist raus, also fahre ich die zweite letzte Runde nur für mich. Ein letztes Mal. Als ich endlich im Ziel ankomme, habe ich das Gefühl, ich habe alles verpasst. Sind überhaupt noch Zuschauer da? Wer hat eigentlich gewonnen? Gibts eine Siegerehrung?


Das war nur ein Spaß-Rennen, es hat keine Startgebühr gekostet und ich weiß nicht mal so wirklich, ob es einen Preis für den Ersten gibt - ich meine, zwischendurch über die Lautsprecher irgendwas in der Richtung gehört zu haben. Trotzdem schade, dass sich alles schon zerstreut, als ich im Ziel bin. Und was mir ehrlich ziemlich blöd aufstößt, Fun-Race hin oder her, ist die Kommunikation nach dem Rennen: Wer diesen Post sieht, könnte meinen, es seien nur Männer gestartet. Lediglich auf einem Bild ist eine Frau zu sehen, der Text nennt fünf Fahrer namentlich, aber nicht mal die erste Frau? Klar wäre es bekloppt, bei drei Starterinnen alle Plätze zu nennen, aber zumindest die erste muss doch drin sein. Wer Frauen auf Räder bekommen will, als Zielgruppe ansprechen will, für einen gleichberechtigten Sport stehen will - der sollte Sieger und Siegerin gleichermaßen ehren und vor allem zeigen, dass es Frauen gibt, die genau das machen: Radfahren.

Abgesehen von dem Kritikpunkt bin ich hin und weg - wie sollte es auch anders sein. Danke an die Organisatoren der Cyclingworld für die Idee, die Durchführung und die Flexibilität am Vortag. Danke Ansgar für die Unterstützung vor, während und nach dem Rennen. Seinen Bericht zur Messe findet ihr übrigens hier. Danke Naomi fürs Dasein und fürs Nicht-Ausreden von wahnwitzigen Ideen. Und danke Christian, ebenfalls fürs Mitkommen und für die wahnsinnig schönen Fotos. Noch mehr Bilder gibt es hier, unbedingt anschauen!


Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach nur zwei Wochen Karlson-Besitz gleich ein Rennen mit ihm bestreiten würde und dass ich mein Herz dabei so sehr verliere. Das hat sehr, sehr viel Spaß gemacht, ich glaube, da ist noch viel Luft nach oben und ich freue mich drauf, in diesem komplett neuen Gebiet noch viel zu lernen. Sollte sich jemand berufen fühlen, mit Karlson und mir die Wälder unsicher zu machen und mir ein paar Strecken oder technische Kniffe zu zeigen - ich bin dabei!
Was ich auf jeden Fall aus diesem bescheuerten Halbmarathon-Cyclocross-Samstag mitnehme: Öfter mal weniger nachdenken und mehr machen!