Mittwoch, 28. Juni 2017

Raceday No. 38 - T3 Triathlon Düsseldorf 2017

Hey Düsseldorf! Heimspiel! Vor einem Jahr habe ich hier zuhause beim T3 Triathlon in Düsseldorf meine Freiwasser-Premiere gefeiert und am Ende das Fazit gezogen: Triathlon kannste auch alleine machen, aber is dann halt scheiße. Tatsächlich denke ich bei jeder Brückenrunde noch an das komplette Paket Kreide, das die Mädels aufgebraucht haben, um "no hay dolor" und alle unsere Namen auf den einzigen Hügel der Laufstrecke zu schreiben. Ist also jetzt gar nicht mehr nötig, sich die Finger wund zu malen, denn das Bild ist ins Gedächtnis eingebrannt.


Düsseldorf ist auch so geil. Eine Woche vor dem Grand Départ, vor dem Start der Tour de France in der eigenen Stadt, einfach mal eben noch eine Triathlon Europameisterschaft ausrichten. Warum auch nicht? Das Triathlon-Wochenende sieht so aus: Samstag Elite EM, Sonntag erst Agegroup EM und dann "normaler" T3 Triathlon. Sprintdistanz für alle, heißt dieses Mal 750 Meter Schwimmen, 20,7 Kilometer Radeln und 5 Kilometer laufen. Weil die Mitteldistanz ja erst zwei Wochen zurück liegt, habe ich mir für dieses Rennen absolut rein gar nichts vorgenommen. Sprint geht immer, aber für irgendwelche ambitionierten Ziele ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt.



Ganz anders sieht es natürlich bei den Profis aus: Laura Lindemann sichert sich am Samstag den Titel bei der EM im eigenen Land - super stark! Ich bin als Helfer an der Radstrecke eingeteilt und schwenke eine Fahne, um auf eine gefährliche Kurve hinzuweisen und bekomme ansonsten vom Rennen nicht allzu viel mit. Die Zuschauer tummeln sich wohl alle im Medienhafen - an Rad- und Laufstrecke könnte auf jeden Fall mehr los sein. Nachdem ich gegen Ende meines Helfer-Jobs in die Aufräumarbeiten eines schweren Sturzes auf der Radstrecke hinein gerate, mehrere Verletzte am Boden liegen sehe und einen in drei Teile gebrochenen Rahmen von der Straße aufsammele, tendiert meine Lust, am Folgetag selbst zu starten, gegen Null. 

Was hilft, ist das Gefühl, nicht nur doof daneben gestanden, sondern mit angepackt zu haben. Was sich auch gut anfühlt, ist die Überlegung, welche Menschen man genau jetzt um sich haben wollen würde (und welche nicht). Wer versteht, hört zu, stellt keine doofen Fragen? So sitzen wir noch eine ganze Weile im Medienhafen, blicken auf die wirklich fantastische Kulisse und lassen die Gedanken schweifen. Am nächsten Morgen steht fest: Ich habe keine Angst. Ich habe nur absolut gar keinen Bock. Aber ich werde starten.


Es gibt übrigens nichts praktischeres, als sich einfach aufs Rad zu setzen, zwei Kilometer durch die Stadt zu rollen und schon am Start zu sein. Allein schon dafür liebe ich das Heimrennen. Das Wasser im Hafenbecken hat heute übrigens Badewannentemperatur, während die Lufttemperatur sich im Gegensatz zur letzten Woche zum Glück normalisiert hat. Auf jeden Fall bedeutet das Neo-Verbot, was mir aber ziemlich gelegen kommt. Ich hatte sowieso überlegt, ohne zu starten, denn ich schwimme nicht gerne in dem Ding, kriege ja so oder so irgendwann Panik, muss dann Brustsschwimmen und das geht nun mal am besten ohne Neo.

Zweiter Vorteil beim Triathlon zuhause abgesehen von der kurzen Anreise: Heimspielatmosphäre! Alte und neue Freunde, Bekannte und auch Unbekannte, die merkwürdigerweise meinen Namen kennen, stehen überall an der Strecke verteilt und sorgen für eine wahnsinnige Stimmung. Die Triathlonfamilie selbst wächst auch fröhlich vor sich hin: Maria und Renate geben heute ihr Debüt. Die Gang selbst ist heute zerstreut: Steffi startet auch, Naomi und Kati feuern an, Christian ist im offiziellen Foto-Einsatz und Ferdi hat sich breitschlagen lassen, noch einen zweiten Tag als Helfer an der Radstrecke zu stehen. Danke euch allen!


Auf dem Weg zum Schwimmstart fällt mir endlich ein, was ich vergessen habe: Pulsuhr und Gurt. Na egal, wer keine Zeitziele hat, braucht auch nicht zu wissen, wie lange er schon unterwegs ist. Es gibt einen Kaltstart, Einschwimmen ist nicht. Stattdessen sitzen wir aufgereiht wie die Hühner auf der Stange.


Tatsächlich habe ich das Gefühl, ganz gut weg zu kommen. Kraulen ohne Neo fühlt sich so viel besser an! Trotzdem geht das gewohnte Spiel bald los: Nur sichten nach vorn reicht mir nicht als Überblick, ich möchte mitkriegen, was um mich herum passiert. Also Brustschwimmen. Das ist dieses Mal auch gar nicht so demütigend wie in Hannover, weil ich mich in meinem Schneckentempo irgendwo im hinteren Mittelfeld bewege und nicht das Schlusslicht bilde. So lange neben mir noch Athletinnen im Zickzack kraulen, mache ich mir keine Sorgen und schwimme einfach weiter.


750 Meter. 750 zu viel für jemanden, der gar keinen Bock auf schwimmen hat, aber erfrischend kurz im Vergleich zu den 1,9 Kilometern aus Hannover. Es geht unter der Brücke durch, die Zuschauer werden laut, um die erste Boje, um die zweite, nochmal auf die andere Seite der Brücke. Dritte Boje, vierte Boje und damit letzte Wende und ab in Richtung Schwimmausstieg. Eine Hand zieht mich aus dem Wasser - danke! - und ich trabe die Treppenstufen nach oben. Das war's schon?

Die Streckenführung hat sich seit dem letzten Jahr verändert. Die Wege sind immer noch weit, aber dieses Mal anders. Ein bisschen verwirrend für mich, aber definitiv näher an den Zuschauern - nicht das schlechteste, wenn man einen halben Fanclub an der Strecke stehen hat! Der Wechsel dauert nicht nur wegen der langen Laufstrecke ewig, sondern auch, weil ich mir die Zeit nehme, jede Falte unter den Füßen aus den Socken zu friemeln. Nervt ja alles nur später beim Laufen. Und ja, ich trage Socken, ich ziehe auch die Radschuhe auf normalem Weg an und veranstalte keine Akrobatik auf dem Rad. Kann ja noch kommen.


Das Radfahren ist der einzige Teil, bei dem ich dank Garmin über Zeit und Geschwindigkeit Bescheid weiß. Der Anfang ist stark und mir ist klar, dass ich das so nicht halten kann - aber mal sehen, was geht. Auf nur 20 Kilometern ist keine Zeit, auf gute Beine zu warten oder darauf, dass der Puls sich nach dem Wechsel wieder einkriegt. Also Vollgas.

Seit Monaten freue ich mich auf die geänderte Radstrecke: 2016 bestand sie auf der Sprintdistanz nur aus Kurven und Brücken, was absolut keinen Spaß gemacht hat. Dazu war die Strecke so schmal, dass Überholen an manchen Stellen schwierig war. Dieses Mal ist genug Platz und es ist nur eine Runde zu fahren. Zwei mal über zwei Brücken, das bedeutet weniger Kurven und weniger Anstiege und eine lange Gerade bis zur Messe und wieder zurück. Sehr geile Strecke, wenn es nicht windig ist.

Es ist windig. Glücklicherweise auf dem Hinweg fast frontal von vorn, kein fieser Seitenwind und vor allem: Rückenwind auf dem Rückweg! Der Heimvorteil zahlt sich auch aus: Ich glaube, ich kenne auf der Rotterdamer Straße mittlerweile jedes Schlagloch. Nach der anstrengenden ersten Hälfte gegen den Wind kann ich auf den zweiten zehn Kilometern so nochmal einige Plätze gut machen. Ein Wunder, bei solchen merkwürdigen Antritten:


Wie verdammt kurz 20 Kilometer sind! Irgendwo habe ich anscheinend doch getrödelt, denn leider weicht das Garmin von der offiziellen Zeitmessung ein bisschen ab. Egal. Jetzt noch laufen? Och nö. Na gut. 5 Kilometer sind auch kurz: Die können schnell sein und weh tun oder du läufst das Ding jetzt einfach irgendwie zu Ende, hast ja sowieso keine Uhr. Ich entscheide mich für letzteres.


Nichts fühlt sich komisch an, aber ich finde einfach keinen Ansporn, mich zu quälen. Da ist kein Ehrgeiz heute, aber genau so war der Plan und das ist absolut okay. Natürlich möchte ich nicht über die Ziellinie spazieren und ich laufe die 5 Kilometer auch nicht rückwärts, aber ich laufe sie so, dass es über lockeres Traben hinausgeht, gerade eben anstrengend ist, aber weit entfernt von Harakiri (wie sollte ich auch ohne meine Partnerin in Crime Naomi?!).


Die erste Runde ist schnell rum. Ich erinnere mich nochmal an Hannover: Auf nen Halbmarathon hätte ich ja jetzt nicht so viel Bock. Auf einen Marathon schon gar nicht, aber da der Wendepunkt der Laufstrecke kurz hinter Kilometer 42 des Düsseldorf Marathons liegt, denke ich automatisch daran zurück. Die Erinnerung daran, was ich genau hier an der gleichen Stelle schon einmal geschafft habe, funktioniert prima als Joker: Reiß dich zusammen bei 5 läppischen Kilometern! Du bist schon 42 gelaufen. Klappt.

Auch Runde zwei geht schnell vorbei ("schnell", als ob!). Auf der zweiten Hälfte der letzten Runde ziehe ich das Tempo ein bisschen an - niemand möchte gut erholt über eine Ziellinie laufen ... Also ein letztes Mal Beine in die Hand nehmen, ist ja gleich schon vorbei! Die Stimmung rund um den Zielkanal ist großartig, laut, bunt und toll. Danke, Düsseldorf!


Kommen wir mal zu den Zahlen:

Schwimmen: 20:10
T1: 04:45
Rad: 40:05
T2: 02:50
Laufen: 29:13
Gesamt: 1:37:01

Insgesamt bin ich absolut zufrieden, dass ichs tatsächlich mal auf die Reihe gekriegt habe, mir bei einem Rennen keine Ziele zu setzen, keinen Druck zu machen und trotzdem versöhnt im Ziel anzukommen. Nicht überglücklich, nicht komplett ausgepowert, sondern einfach zufrieden. Genau so war der Plan. Was nicht geplant war, aber trotzdem Spaß gemacht hat: Mit gut 40 Minuten liegt meine Radzeit auf Platz 11 von 190 Frauen. 11! Da kann der dicke Alu-Bruno mit seinen Laufrädern aus der Hölle offenbar gegen die Triathlonbikes ganz gut anstinken. Und auch gegen Hollandräder, Citybikes, Beachcruiser ... Wahnsinn, was da alles am Start war! Ach Düsseldorf, du hast wieder viel Spaß gemacht. Ich kann jedem, der einen Triathlon in der Heimatstadt vor der Tür hat, nur raten: Geh da hin und starte! Wenn du nicht starten willst, feuere an! Und wenn deine Stadt keinen Triathlon hat, komm zu uns, im Rheinland is' schön!


Montag, 19. Juni 2017

Raceday No. 37 - Mitteldistanz Wasserstadt Triathlon Hannover 2017

Der Läufer vor mir schleppt sich wie ein angeschossenes Reh über die Strecke. Er humpelt und wandert und murmelt etwas auf Englisch. Ich denke an gar nichts: Ich laufe und atme und laufe und atme. Ich will nur an Michael dran bleiben. Sonst nichts. Wir überholen den Angeschlagenen. Ich habe Mitleid. Michael ruft ihm zu: "Enjoy your day!" Was zur Hölle? Der antwortet auch noch freudig: "You, too!" Michael lacht: "I do! I have Maren with me, it's a wonderful day." Diese Triathleten haben doch nicht alle Latten am Zaun.

Ich habe Michael vor ein paar Minuten am vorletzten Getränkestand kennengelernt. Die Laufstrecke ist nicht mehr so gut bevölkert, wenn man da ein Stück nebeneinander her geht und trinkt, kommt man automatisch ins Gespräch. Laut Trikot ist er bei der Feuerwehr Hannover und er plaudert munter von seiner Langdistanz auf Lanzarote, die erst drei Wochen zurückliegt. Nun ja. Ich schleppe mich hier über die Laufstrecke meiner ersten Mitteldistanz und irgendwie sind wir jetzt Verbündete.

Sechseinhalb Stunden zuvor. Der längste Tag des Jahres beginnt immerhin nicht mitten in der Nacht, sondern erst um 11.30 Uhr. Eigentlich eine tolle Startzeit, wären nicht 28° und Sonne angesagt. Mitteldistanz nun also. Nachdem ich im letzten Jahr keine Distanzen verlängert habe, sondern eine wilde Mischung aus Sprints, Olympischen Distanzen und Halbmarathons auf dem Programm hatte, geht es in diesem Jahr sowohl beim Laufen als auch beim Triathlon einen Schritt weiter. Marathon. Mitteldistanz. Das bedeutet 1,9 Kilometer schwimmen, 90 Kilometer radfahren und 21,1 Kilometer laufen. 113 Kilometer. So weit wie von Düsseldorf nach Eindhoven. Nur radeln: Kein Thema. Aber schwimmen und am Ende noch laufen?


Die Generalprobe in Gladbeck lief trotz Gewitter und Starkregen ziemlich gut. Meine beiden größten Sorgen sind: Wie schaffe ich es, bei meinem Bleienten-Schwimmtempo halbwegs gelassen zu bleiben, während mir das komplette Feld wegschwimmt? Und: Kann ich mich über eine so lange Zeit gut verpflegen, macht der Magen mit? Die Frage, wie sich ein Halbmarathon nach vier Stunden Belastung wohl so anfühlt, stelle ich mir lieber gar nicht erst. Wir werden sehen.

Das Schwimmen starte ich mit einem gekonnten Ausrutscher in den Kanal, bei dem ich sicher bin, mir den kleinen Zeh gebrochen zu haben. Das kann ja was geben beim Laufen. Ansonsten finde ich das Wasser prima, es ist nicht zu warm und nicht zu kalt und ziemlich klar. So klar, dass ich die Unmengen an Pflanzen wenigstens rechtzeitig erkenne und sie mich nicht einfach klammheimlich festhalten können. Ich erfahre glücklicherweise erst abends, dass eine Zuschauerin eine Schlange gesehen haben will. Ach. Du. Scheiße. Ich selbst sehe zum Glück nur Pflanzen, Pflanzen, Pflanzen und zwei verschiedene Arten Fische. Kleine Fische. Alles in Ordnung.

Der Ein- und Ausstieg ist übrigens der winzige bunte Fleck ganz da hinten links am Rand. Ich bin einer der roten Punkte. Auch irgendwo ganz hinten. 
Ich schwimme nicht gern im Freiwasser. Eigentlich schwimme ich zurzeit überhaupt nicht gern. Ich bin langsam und zu faul, daran etwas zu ändern. Der Aufwand, den man für okaye Schwimmzeiten betreiben muss, ist mir einfach zu viel. Von guten Zeiten mal ganz zu schweigen. Und so läuft es wie immer: Ich kraule munter los, freue mich, dass es keine wilde Schlägerei gibt, fühle mich im Wasserschatten unglaublich schnell, blicke dann mal nach vorn und stelle nach wenigen Metern fest, dass die ersten Schwimmer schon einen gigantischen Vorsprung haben, dass sich das ganze Feld zwischen uns auseinander zieht und sich neben mir nur noch wenige andere Problemfälle tummeln.

Vielen lieben Dank für die drei Schwimmbilder von oben an Sonja Vogel (@sonnikeks)
Ich kann nicht weiter kraulen, wenn ich niemanden habe, an dem ich mich orientieren kann. Also schwimme ich immer so lange Brust, bis mir der Rücken weh tut oder bis ich beschließe, die Beine doch noch ein bisschen zu schonen und wieder aufs Kraulen zu wechseln. Im Neo Brustschwimmen ist ungefähr das Beknackteste, was man machen kann. Auf einer Mitteldistanz Brustschwimmen wahrscheinlich auch. Der Kopf kann aber nicht anders. Ich will keiner von den Idioten sein, die es selbst im schmalen Kanal nicht schaffen, geradeaus zu schwimmen, sondern einfach nie nach vorne gucken und fast gegen die Mauer am Ufer donnern. Da behalte ich lieber den Überblick, versuche es von Zeit zu Zeit mit ein paar Zügen Kraul und bleibe ansonsten beim guten alten Brustschwimmen.

Der Wendepunkt ist übrigens so weit weg, dass er auf dem Bild ohne Lupe kaum zu erkennen ist. Er ist der winzige Punkt ungefähr dort, wo der Kanal scheinbar aufhört.
Wie gerne würde ich im Becken schwimmen. Lieber eine Milljausend Bahnen, als hier genau zu sehen, wie weit es noch ist. Oder es auch nicht zu sehen, weil die Boje am Wendepunkt einfach mal verdammt weit weg ist. 950 Meter, um genau zu sein. Es stresst mich, dass gefühlt alle anderen so viel weiter vorne sind, dass ich noch nicht mal ansatzweise in der Nähe dieser bescheuerten Boje bin und die ersten schon längst auf dem Rückweg sind. Die entgegenkommenden Schwimmer verursachen Wellen, die ich andauernd einatme. Könnte schöner sein.

Gut 24 Minuten dauert es, bis ich den Wendepunkt erreiche. Huch, 24 Minuten? Fühlt sich an, als würde ich schon seit einer halben Ewigkeit schwimmen. Tatsächlich ist die Zeit für mich ziemlich okay - auf wundersame Weise wirken sich Schwimmstil und Freiwasser gar nicht mal so sehr aus. Soll mir recht sein. Jetzt also nur noch mal eben zurück! Mittlerweile ist die nächste Startgruppe längst im Wasser und kommt mir entgegen. Schon wieder Wellen. Und dann die ersten, die überholen. Erst eine Handvoll und dann immer mehr. Ist eigentlich noch irgendjemand mit blauer Badekappe hinter mir? Inzwischen kommt mir die übernächste Startgruppe in gelb entgegen. Ist nicht wahr oder? Die überholen mich jetzt nicht auch noch!

Hurra, Schwimmen überlebt!
Nach 50 Minuten und 30 Sekunden ziehen mich nette fremde Hände aus dem Wasser und ich rutsche prompt nochmal auf den glitschigen Stufen aus. Scheißegal, bloß weg hier! Der Weg zur Wechselzone ist lang, sehr lang. Er führt über einen abwechselnd lila und grünen Teppich und ich würde gern mal wissen, wer sich dieses Farbkonzept ausgedacht hat. Die Zuschauer bejubeln mich, als hätte ich irgendetwas gigantisches vollbracht, Weltrettung oder so, man weiß es nicht. Nachdem ich mich zumindest obenrum aus dem Neo befreit habe, versuche ich, die rote Badekappe so gut es geht zu verstecken. Etwas peinlich zwischen all den blau bemützten Super-Schwimmern hier.

Der Weg zur Wechselzone am Vortag, noch ohne Zuschauer
In der Wechselzone liegen Klamotten und Gedöns getrennt vom Rad. Neo aus, Socken an, Schuhe an, Gels und Riegel in die Taschen stopfen und ab zum Rad. Helm auf, Sonnenbrille auf und raus auf die Strecke. Ein Helfer ruft: "Du siehst aber noch frisch aus!" Klar, das kommt davon, wenn man mehr planscht als schwimmt. Ich muss trotzdem grinsen. Als ich auf dem Rad sitze, fällt mir auf, dass irgendwas fehlt. Was baumelt da am Lenker? Kacke. Die Startnummer sollte ich am Rücken und nicht vorne am Lenker haben. Also nochmal anhalten, Startnummernband überziehen und weiter gehts.



Ich kenne die Radstrecke von der gemütlichen Testfahrt am Vortag. Eine Runde ist 30 Kilometer lang, führt recht schnell aus der Stadt raus und dann über die Dörfer. Die Strecke ist wunderschön: schnurgerade Landstraßen, sanfte Anstiege, eine tolle Abfahrt, guter Asphalt, ein paar Kurven und ein schöner Ausblick. Blumen am Streckenrand, lila Tupfer hier und ein knallrotes Mohnfeld dort. Den einzigen Haken habe ich gestern schon geahnt: Windanfälligkeit. Auf der Strecke hier würde ich lieber ein Radrennen fahren als mit Windschattenverbot im Triathlon. Die Strava-Segmente heißen hier schon "push ups" oder "always against the wind". Und genau so ist es: Leider pustet der Wind heute deutlich kräftiger als gestern und leider fühlen sich die Anstiege im Renntempo auch ein klitzekleines bisschen weniger sanft an als gestern im Cappuccino-Tempo. Wer hätte das gedacht.

Auf der ersten Runde geht mein Plan trotzdem in jeder Hinsicht auf. Die Beine sind gut, das viele Brustschwimmen rächt sich nicht. Ich halte den Schnitt bei 30 km/h und schaffe es, alles zu essen und zu trinken, was ich mir vorgenommen habe: einen Riegel, ein Gel und 2/3 aus der ersten Flasche Iso. Mit dem Riegel muss ich ziemlich kämpfen, im Training gingen die leichter runter. Der Magen spielt trotzdem mit, schon mal keine Übelkeit und keine Magenschmerzen wie beim Marathon.


Zweite Runde. Zum Wind kommen Kopfschmerzen dazu. Aus den Kopfschmerzen wird Schwindel, je nachdem, wohin ich den Kopf drehe. Ich nehme deutlich Tempo raus und versuche, nicht ständig aufs Garmin zu schielen. Trotzdem kann ich beobachten, wie mein Plan mit den drei Stunden dahin schmilzt. Der totale Tiefpunkt kommt ungefähr bei Kilometer 40, noch vor der Hälfte. Mich ärgert, dass die Beine sich zwar gut anfühlen, ich aber trotzdem nicht so kann, wie ich will, weil der Wind mich so anstrengt. Mich ärgert, dass ich kämpfe und nicht genieße, ausgerechnet bei der Lieblingsdisziplin und auch noch auf dieser schönen Strecke, Wind hin oder her. Mich ärgert, dass ich mich ärgere. Nie im Leben werde ich gleich noch laufen.

Gegen Ende der zweiten Runde nehme ich ein Koffein-Gel in der Hoffnung, dass irgendein wundersamer Energieschub kommt. Einen weiteren Riegel kriege ich nicht runter, dafür ist die erste Flasche aber inzwischen leer und die zweite wie geplant nur noch 2/3 voll. Ich brauche eine Abwechslung zum süßen Iso-Zuckerwasser und habe außerdem noch ein paar Himbeer-Gel-Reste auf dem Oberschenkel, die ich gern loswerden würde - Wasser muss her. Ich nehme zu Beginn der dritten Runde während der Fahrt eine Flasche am Verpflegungspunkt und bekomme dafür ein Lob von der Helferin. Okay! Flasche nicht fallen gelassen. Super!


Wasser tut gut, die Kopfschmerzen sind endlich weg, auf in die letzten Kilometer. Nachdem die zweite Runde ganze drei Minuten langsamer war als die erste, kann ich auf der letzten vor allem gegen Ende nochmal Gas geben. Mittlerweile kenne ich die Strecke gut, freue mich über die eine kurvige Abfahrt, die lange Gerade im Anschluss, das Mohnfeld, das "Eile tötet"-Schild. Die Handvoll Menschen am Hügel, die "Gleich ist oben!" rufen, als ob man gerade nicht zehn Höhenmeter überwinden, sondern den Mont Ventoux erklimmen würde. Die zwei Jungs, die auch in der dritten Runde nicht müde werden, für jeden vorbeikommenden Radfahrer zu klatschen. Ein letztes Mal der kurze, ein bisschen knackige Anstieg in Stemmen, dem schönsten Dorf im Landkreis 1996. Dieses Mal spare ich es mir, aufs kleine Blatt zu schalten, drücke den Hügel hoch und freue mich auf die großartige Abfahrt danach. Mit 53 km/h bergab schiebt mich eine Windböe einen Meter zur Seite - weniger witzig! Ich frage mich, wie all die Experten mit ihren Scheiben hier runter kommen. Gar nicht? Fliegend?


Nach drei Stunden und zwei Minuten ist das Radfahren geschafft. Laut Garmin fehlt mir gut ein Kilometer und der Schnitt liegt irgendwo knapp über 29, was solls. Nicht ganz so wie geplant, aber wer kann den Wind schon vorher mit einrechnen? Der gleiche nette Helfer wie vor drei Stunden begrüßt mich am Eingang der Wechselzone: "Na, dass du zurück kommen würdest, habe ich gewusst!" Das freut mich. Ungemein. Nach drei einsamen Stunden auf dem Rad ist das das Beste, was er hätte sagen können. Und so bin ich abgelenkt, denke gar nicht darüber nach, dass ich eigentlich überhaupt nicht mehr laufen wollte. Rufe ihm hinterher, dass er mir ruhig mal hätte sagen können, dass ich die Startnummer vorhin am Rad und nicht am Körper hatte. Lache, stelle das Rad ab, tausche Helm gegen Visor, wechsele die Schuhe und stecke mir neue Gels in die Taschen. 3:08:22 ist die Radzeit inklusive beider Wechsel und schon bin ich auf der Laufstrecke. Ups.


Laufen nun also. Ich denke nicht an den Halbmarathon, sondern nur stückchenweise. Von einem Getränkestand zum nächsten. Das Etappenziel ist genau zwei Kilometer entfernt, rückt näher und belohnt mit Wasser oder Cola. Ich könnte auch Iso, Gels oder Salzgebäck haben, aber Wasser und Cola reichen vollkommen. Seit vier Stunden bin ich mittlerweile unterwegs. Die Hitze hat nachgelassen, aber warm ist es immer noch. Zum Glück habe ich einen Schwamm dabei, stecke ihn abwechselnd hinten und vorne in den Trisuit oder drücke ihn mir ins Gesicht.

Die Beine machen keine Probleme. Sind nicht schwer vom Radeln, nichts zwickt, das typische eirige Laufgefühl direkt nach dem Wechsel bleibt aus. Das war auch schon in Gladbeck so. Verrückt finde ich trotzdem, dass die Beine sich nicht anmerken lassen, ob sie 40 oder 90 Kilometer geradelt sind. Blöd auch, dass ich mit guten Beinen keine Ausrede habe. Komm ich ums Laufen wohl nicht drum herum... Christian kommt mir entgegen, wir klatschen ab. Er hat seine erste Laufrunde gleich schon hinter sich, während ich gerade mal starte. Frech. Ich bin gespannt, ob Ferdi vor oder hinter ihm ist und gucke auf die Uhr. Als ich ihn endlich entdecke, schwappt in Sekundenbruchteilen ein ganzer Emotions-Cocktail zu mir rüber: Freude und Erleichterung über die Begegnung, dazu Stolz und Respekt für uns beide für das, was wir hier gerade machen. Wie schön das ist, mit Freunden im Rennen zu sein! Ich rufe ihm den Abstand auf Christian zu und feuere ihn an - erst ein paar Meter weiter fällt mir ein, dass ich mich während der drei Minuten ja auch fortbewegt habe und die Angabe daher gar nicht stimmt. Die Überlegung, ob ich den richtigen Abstand irgendwie sinnvoll hätte rauskriegen können, beschäftigt mich noch eine Weile.


In einem Garten direkt an der Strecke läuft "All the leaves are brown". Ungefähr so fühle ich mich gerade auch. Sehr motivierend. Endlich, das nächste Wasser. Eines über den Kopf und eines zum Trinken. Scheiß auf die guten Beine, ich dehne die Trink- und Gehpause noch etwas aus. Fängt ja gut an, schon auf der ersten Runde am Wandern, obwohl eigentlich nichts ist. Auf einem Rücken lese ich "Trifun irgendein See". Wer zur Hölle nennt seinen  Verein Trifun? Ich meine TRIFUN?? Denen ist doch nicht mehr zu helfen. Es gibt übrigens noch zwei andere Athletinnen, die im gleichen Trisuit rumlaufen wie ich. Bei jeder Begegnung grinsen wir uns an.

Irgendwie kriege ich es auf die Reihe, bis Kilometer 5 zu gelangen und ein Helfer zieht mir ein Haargummi übers Handgelenk. Wenn ich ins Ziel laufen will, brauche ich noch ein zweites. Na toll. Zuhause habe ich hunderte davon. Blöde Dinger. Niemals im Leben werde ich eine zweite Runde laufen. Keinen fucking Halbmarathon. Zehn Kilometer sind auch fein. Laufen, gehen, laufen, gehen. Ich überhole eine Läuferin im Schneckentempo. Wie zwei LKW auf der Autobahn. Sie sagt: "Wir sehen uns jetzt zum dritten Mal, wieso gehen wir nicht einfach einen Kaffee trinken?" Ich kann mich zwar nicht an sie erinnern, weil ich die Augen nur nach Christian, Ferdi, Naomi und den beiden Mädels in meinem Trisuit offen halte, aber mir gefällt die Idee. Ich schlage vor, dass wir stattdessen ja zusammen laufen können. Erst schweigen wir uns an, aber ich merke, wie uns beiden die Gesellschaft hilft. Das Tempo ist knapp schneller als Gehen und so können wir uns eigentlich auch unterhalten. Ich frage sie nach ihrem Namen: Susanne.


Susanne ist auf der Quadrathlon-Mitteldistanz gestartet, das heißt, sie musste nur 60 Kilometer radfahren und danach noch 11 Kilometer paddeln. Ich will alles darüber wissen. Wie fühlt es sich an, nach dem Paddeln zu laufen? Merkt man da irgendwas besonders? Wo wird überhaupt gepaddelt? Muss man ein eigenes Boot haben oder kann man eines leihen? Sollte man das vorher mal geübt haben? Antwort: Ja, sonst ist das ungefähr so, als wäre man mit einem Dreirad auf der Radstrecke. Die Zeit mit Susanne verfliegt. Gerade entdecke ich am Getränkestand zum ersten Mal Anne und Amelie, freue mich über anfeuernde Zuschauer und versuche, wieder zu Susanne aufzuschließen. Ein Helfer hält mich auf und fragt, ob ich zwei Bändchen habe. Natürlich nicht. Die Quadrathleten müssen nur eine Runde laufen. Ich darf noch nicht in den Zielkanal und offenbar ist genau hier der Wendepunkt. Gut zu wissen!

Das alles geht so schnell, dass ich keine Zeit habe darüber nachzudenken, ob ich eine zweite Runde laufen will. Auf einmal bin ich auf der Strecke. Jetzt also wieder alleine, das ist scheiße - Glückwunsch zum Finish, Susanne! Ferdi kommt mir entgegen geflogen. Stark, fast geschafft! Wir klatschen ab und ich halte nach Christian Ausschau. Gab es tatsächlich einen Führungswechsel beim Duell Trainingsweltmeister gegen Kampfsau? Es scheint so. Christian kommt ein paar Minuten später an mir vorbei und sah echt schon mal besser aus. Keine Ahnung, was er auf der letzten Runde durchgemacht hat, im kurzen Moment des Abklatschens nehme ich nur eine gigantische Menge Erschöpfung wahr. Ich versuche, ihn irgendwie zu motivieren, auch er hats gleich geschafft!

Naomi habe ich außer in T1 und zu Beginn des Radelns noch gar nicht gesehen. Eigentlich müsste sie auch längst auf der Laufstrecke sein. Wahrscheinlich wird sie mich gleich während irgendeiner Wanderung überholen. Bis es so weit ist, überhole ich andere Läufer. Gehend. Ich möchte ihnen irgendetwas hilfreiches sagen, aber mir fällt nichts ein. Ich freue mich auf die Verpflegungsstände. Es gibt einige, die Gartenduschen haben und die Helfer fragen jedes Mal sehr zögerlich, ob man eine Dusche möchte. JA! Immer her damit! Ich liebe die Duschen. Das kalte Wasser tut so unglaublich gut. Leider nur sehr kurz, denn sobald ich weiter laufe, freue ich mich schon aufs nächste Mal. Aber irgendwie halten die Duschen mich am Laufen.


Der Wendepunkt. Ich freue mich übertrieben über mein zweites Haargummi, was wiederum die beiden Helfer freut - ist das nicht schön! Am Ende freuen sich alle, Geigen spielen und ein Glitzer-Regenbogen erscheint über Hannover. Oder so ähnlich. Es fängt an zu regnen. Dusche von oben, gehts noch besser? Es ist so absurd, dass ich eigentlich noch könnte, aber nicht mehr will. Und so wandere ich viel, laufe wenig und treffe schließlich Michael. Wir trinken Wasser und gehen zusammen eine Brücke rauf. Oben schlage ich vor, mal wieder zu laufen und meine damit eigentlich nur so lange, bis ich nicht mehr kann oder will. Michael hat andere Pläne mit mir. Wir unterhalten uns über seine Langdistanz, meinen Marathon, die Tatsache, dass das hier meine erste Mitteldistanz ist, dieses und jenes. Ich will ihn nicht aufhalten, aber er lässt sich nicht davon abbringen, mich zu begleiten. Michael ist die neue Susanne.

Sein Tempo ist mir eigentlich ein bisschen zu hoch. Die Beine spielen wunderbar mit, konditionell gehts aber nur so gerade eben, ich muss meine Antworten auf einsilbiges Murmeln beschränken. "Du läufst noch gut!", behauptet er. Haha, ja. Ich weiß, es geht mir ja auch eigentlich gut, ich will nur einfach nicht mehr! Nach der "Enjoy your day"-Nummer sammeln wir einen anderen Läufer auf und ich vermute, dass die beiden sich kennen. Ich bin zu sehr neben der Spur, um nach seinem Namen zu fragen, aber das Stalking in der Ergebnisliste hat ergeben, dass er Knut heißen muss. Michael und Knut unterhalten sich also, während ich einfach nur noch einen Fuß vor den anderen setze, atme und zusehe, an den beiden dran zu bleiben. So bemerkt Knut erst nach ein paar Metern, dass wir eigentlich ein Trio sind und heißt mich dann Willkommen. Ja danke.

Michael plaudert aus, dass ich es noch unter 6:30 Stunden schaffen könnte und Knut behält daraufhin die Uhr im Blick. Ich mache gar nichts außer laufen. Frage nach hinten: "Alles gut bei dir, Maren?" - "Mh." Am letzten Hügel noch ein bisschen gehen, die beiden warten tatsächlich oben. Diese Verrückten. Jetzt habe ich zwei Bändchen, wir gehen nicht auf eine weitere Runde, sondern biegen in den Zielkanal. Ziel! In Sichtweite! Neben Amelie steht jetzt Martinique, meine Freundin aus Braunschweig, die ich viel zu selten sehe. Sie kann sich überhaupt gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich in diesem Moment freue, ihr Gesicht zu sehen. Wie schön, dass sie extra her gekommen ist! Ich will sie am liebsten sofort umarmen, aber die beiden vor mir ziehen gerade nochmal das Tempo an und schieben mich nach vorne. Ich soll zuerst über die Ziellinie laufen. Eskortiert von zwei wildfremden Menschen, die ich vor einer halben Stunde nicht einmal kannte und die auf den letzten Kilometern alles dafür getan haben, damit ich das Ziel so erreiche, wie man verdammt nochmal eine Ziellinie erreichen sollte: komplett im Arsch, aber verdammt glücklich.


Die guten letzten Laufkilometer lassen mich vergessen, dass ich 2:29:11 für den Halbmarathon gebraucht habe - das ist sogar noch langsamer als mein allererster vor eineinhalb Jahren, aber das spielt einfach überhaupt rein gar keine Rolle. Was zählt, ist die bittersüße Mischung auf den letzten Metern, auf denen alles so nah beieinander liegt: Anstrengung, Kämpfen, Glück, Freude, Dankbarkeit. Und Freunde. Denn die erwarten mich alle direkt hinter der Ziellinie: Ferdi, Christian und Naomi, die komplette Hannover-Gang hat sich versammelt.


Wenn ich die Mitteldistanz mit dem Marathon vergleiche, bin ich überrascht, wie verhältnismäßig leicht mir der Lauf gefallen ist, während der Triathlon mit seiner Länge und Komplexität einfach eine andere Hausnummer ist - obwohl so viel Radeln dabei ist, was mir ja eigentlich in die Karten spielt. Die Herausforderung mit der Verpflegung hat Dank Science in Sport super geklappt, Dankeschön an dieser Stelle für die Unterstützung in dieser Saison! Sechseinhalb Stunden Sport ohne Magenprobleme sind absolut nicht selbstverständlich. Ob ich das Ganze nochmal brauche, weiß ich noch nicht - auch das war nach dem Marathon anders. Klingt blöd, aber da wusste ich beim Überqueren der Ziellinie, dass das nicht alles sein kann und das ich das nochmal machen werde. Mitteldistanz? Keine Ahnung.

Nach einer Woche finde ich es immer noch krass, was das Ganze mit meinem Kopf gemacht hat. Gar nicht mal so sehr mit dem Körper - abgesehen von zwei Tagen leichtem Muskelkater, einer blöden Druckstelle vom Chipband und ein paar Tagen Müdigkeit hatte ich keine Nachwirkungen. Die Lust aufs Radeln ist auch schon wieder zurück. Was mich extrem fasziniert, ist dieser Zustand fern von Zeit und Raum, während der Kopf sich ausschaltet und den Körper funktionieren lässt. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich die drei Stunden auf dem Rad alleine rumgekriegt habe. Ich weiß nicht, wieso ich noch auf die Laufstrecke gegangen bin. Wieso ich die zweite Runde gelaufen bin. Ich habe nichts davon bewusst entschieden, sondern einfach gemacht. Ich bin so dankbar für die drei wunderbaren Begegnungen auf der Laufstrecke: Ohne Susanne, Michael und Knut hätte ich es mir einfacher gemacht. Ihr seid Schuld am Glücksgefühl auf der Ziellinie, das ich so noch bei keinem Finish erlebt habe. Und als ob es irgendeine Rolle spielt: 06:28:03 Stunden! Danke dafür!

Es gab übrigens keine offiziellen Medaillen, sondern Rucksäcke als Finisher-Präsent. Weil es aber irgendwie scheiße ist, für die erste Mitteldistanz keine Medaille zu bekommen, hat Christian für das gesamte Mission-Hannover-Team etwas vorbereitet.
Was für eine Gang! 




Samstag, 10. Juni 2017

Raceday No. 36 - ELE Triathlon Gladbeck 2017

Saisonstart! Hallo, Triathlon! Vor lauter Lauferei in den letzten Wochen ist ja fast ein kleines bisschen untergegangen, dass ich neben dem Marathon dieses Jahr noch ein anderes großes Ziel habe: die Mitteldistanz in Hannover. Die Laufform sollte ganz in Ordnung sein, auf dem Rad bin ich auch zufrieden, nur dieses Schwimmen... Warum nochmal mache ich keinen Duathlon? Achja, weil man da zwei Mal laufen müsste.

Auf jeden Fall sieht der Plan vor, dass die gesamte Hannover-Gang zwei Wochen vorher in Gladbeck die Saison mit einer Olympischen Distanz einläutet. Wäre ja irgendwie schön blöd, als erstes Event im Jahr direkt auf der Mitteldistanz zu starten. Lieber nochmal in Ruhe in die Triathlon-Abläufe reinfinden und sich daran erinnern, wie sich das nochmal anfühlt, wenn man direkt nach dem Schwimmen zum Rad rennt und am Ende auch noch laufen muss.


Mein letzter Auftritt in Gladbeck liegt zwei Jahre zurück. 2015 habe ich hier zum zweiten Mal an einer Triathlon-Startlinie gestanden. Volksdistanz. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem der Schwimmausstieg der Marke gestrandeter Wal. Die Radstrecke habe ich mit dem Stahlross Gabi bestritten und bei der letzten Disziplin bin ich gefühlt mehr gewandert als gelaufen. Was ich damals noch nicht wusste: Zufällig war Naomi auch am Start - wir kannten uns zu dem Zeitpunkt noch nicht, haben uns aber nach der Veranstaltung über die Ortsangabe auf Instagram gefunden. Ein Jahr später hat Christian hier in Gladbeck sein Triathlon-Debüt gefeiert. Heute gehen wir zu viert an den Start: Die Mission Hannover besteht aus Naomi, Christian, Ferdi und mir und hat heute Generalprobe.

Am Vorabend geistert mir kurz durch den Kopf, wie beknackt es eigentlich ist, mit einer Olympischen Distanz zu starten und nicht erst mal einen schönen fluffigen Sprint hinzulegen. Nun ja, die Möglichkeiten im Mai sind überschaubar und im Hinblick auf Hannover ist das wirklich keine dumme Idee. Aber 1000 Meter schwimmen? Im Becken? Das sind 20 Bahnen, voll viel! Als beim Einrichten der Wechselzone ein Gewitter heranrollt, keimt die Hoffnung auf, eventuell nicht schwimmen zu müssen. Der Himmel ist bedrohlich graugrüngelb, es donnert und blitzt und gießt wie aus Eimern. Na fein. Lassen sie das Schwimmen dann wohl einfach ausfallen? Oder gibt es stattdessen wie beim Duathlon zu Beginn einen Lauf? Wenn ja, wie weit könnte der wohl sein und wie sollte das organisatorisch klappen?

Während ich mir in etwa 327 sinnvolle Möglichkeiten ausmale, sagt der Veranstalter durch, dass geschwommen wird. Das Gewitter ist ungefähr einen Meter weitergezogen, aber für meinen Geschmack noch viel zu nah. Haben die hier alle keine Baderegeln gelesen? Es hilft alles nichts, wohl oder übel muss ich ins Wasser. Und zwar so spät, dass das Einschwimmen bereits beendet ist - großartig, Maren! Glücklicherweise ist noch genug Zeit für die übliche Diskussion mit den anderen Athleten auf der Bahn: "Wie schnell schwimmst du?" - "Langsam. Und du?" - "Ich auch." - "Ok, wie langsam denn?" - "So 25 Minuten?" Oh wow. Wir stellen fest, dass wir tatsächlich keinen schnellen Schwimmer auf der Bahn haben. Trotzdem versuchen wir, die Armee aus Blei-Enten halbwegs sinnvoll zu sortieren. Christian ist irgendwo vorne und ich sehe ihn nicht mehr, bis er mich überrundet. Hinter mir sind nur noch Naomi und ein älterer Herr.


Ich hefte mich an Olivers Fersen - irgendwie auch witzig, da ist man mit 12 Leuten auf einer Bahn und kennt davon drei. Ach du schöne Triathlon-Familie! Das Tempo ist mir minimal zu langsam, aber ich entscheide, dass Ausruhen im Wasserschatten wichtiger als eine möglicherweise minimal weniger unterirdische Schwimmzeit ist. Naomi scheint hinter mir den gleichen Gedanken zu haben und krault mir von Zeit zu Zeit die Füße. Ich habe Schiss, dass ich es nicht auf die Reihe kriege, fehlerfrei bis 20 zu zählen - anscheinend läuft das Schwimmen ganz gut, wenn das die einzige Sorge ist.


Das gemütliche Planschen endet, als bei meinem Wasserschattenspender Krämpfe einsetzen und er Anstalten macht, auszusteigen. Ab jetzt muss ich selbst was tun und kann das Tempo nicht halten, so dass sich Naomi hinter mir zu langweilen beginnt. Warum sie den Überholvorgang ausgerechnet von der rechten Seite und brustschwimmend startet, während gleichzeitig von links Gegenverkehr kommt, ist mir ein Rätsel und beschert mir zwei Tritte in die Rippen. Vorteil beim Brustsschwimmen - immerhin kriegt sie meine Flüche mit. Das war unnötig, tut weh, aber bleibt zum Glück ohne Folgen. Es donnert wieder. Warum holen die uns denn nicht aus dem Wasser raus? Eine Quietscheente zeigt mir endlich die letzte Bahn an.


Christian und Ferdi haben wahrscheinlich schon eine halbe Radrunde hinter sich, Naomi treffe ich in der Wechselzone wieder. Ich überhole sie beim Radaufstieg und freue mich auf meine liebste Disziplin. Endlich. Nach dem Schwimmen fängt der Spaß an! Und der Platzregen. Der Asphalt ist nass und hat keine Chance, abzutrocknen, weil von oben immer mehr Wasser nachkommt. Die erste Abfahrt nehme ich in Zeitlupe und versuche, Unebenheiten und Schlaglöchern auszuweichen. Radfahren war auch schon mal schöner.


Ich hatte die Strecke irgendwie flacher in Erinnerung. Es gibt einen kurzen okayen Anstieg und einen gemeinen, der sich ewig lange hin zieht und kaum sichtbar ist. Frech. Nicht sehr beruhigend, dass ich schon in Runde 1 von 7 hier hoch krieche und mich frage, wo zur Hölle hier eigentlich die Steigung sein soll, die die Beine spüren, die Augen aber nicht sehen. Die Schlaglöcher werden auch nicht weniger, dafür lässt allerdings endlich der Regen nach. Ein Fahrer ruft mir beim Überholen zu, das sei ja jetzt schon schön, wo die Sonne rauskäme. Ja. Schön. Total schön. Fünf Minuten später schüttet es wieder aus Kübeln.


Ich beobachte einen Sturz. Auf gerader Strecke, ohne Kurve, ohne Einwirkung eines anderen Fahrers. Vielleicht ein Hubbel in der Straße, ein bisschen mysteriös. Ich bremse und frage, ob ich helfen kann, ob alles okay ist - sieht ganz danach aus, er steht schon wieder und untersucht sein Rad. Was ein Scheiß, ich möchte hier einfach nur gut durchkommen. Die Radstrecke hat einige enge Kurven zu bieten, bei einer davon fährt man gleichzeitig schräg von einem dieser Verkehrsberuhigungs-Moppeds wieder nach unten auf die Straße - quer und auf nassem Untergrund. Ich nehme die Kurven mit gefühlt minus 10 km/h und drücke nur auf den wenigen geraden Abschnitten.

Da macht es dann immerhin Spaß. Besonders die Gerade vor dem Freibad bietet sich an, um ein bisschen Tempo zu machen. Tapfer harrt der kleine Fanclub bestehend aus meinen und Naomis Eltern, Kati und Svenja im Regen aus und jubelt jede Runde aufs Neue. Der Regen ist mir mittlerweile egal, ich bin so oder so nass, wahrscheinlich seit dem Schwimmen kein bisschen getrocknet. Die vollgesprenkelte Sonnenbrille habe ich längst ausgezogen, inzwischen sehe ich wieder etwas und vertreibe mir die 7 Runden mit der Erinnerung an Braver Than The Elements. Wie schön, wir im März schon einmal 90 Kilometer durch genau so einen starken Regen gefahren sind, dass ich weiß, dass ich das kann, dass ich dabei irgendwie auch noch Kälte ausgehalten habe. Heute sind es immerhin keine 5°, sondern deutlich mehr. Trotzdem sind die nassen Füße langsam taub. Wenn die wüssten, dass sie gleich noch ein Stündchen laufen müssen...


Wieder werde ich überholt und im Vorbeifahren gefragt, ob wir 5 oder 6 Runden fahren müssen. Es sind 7. Dumm gelaufen. "Schicker Trisuit!" Quatscht mich jetzt der nächste Typ von hinten an? Ah, den kenne ich. Christian. Wir tauschen uns kurz aus, wie es läuft ("Nass"), dann schicke ich ihn weg, weil ich keine Lust habe, dass er so nah neben mir bummelt - man weiß ja nie, wo das Kampfrichtermotorrad gerade so ist. Als nächstes überholt mich Ferdi und klagt über die Witterung. Wir unterhalten uns kurz über den Sturz, aber ich kann mir nicht helfen: Irgendwie finde ich diese Regenschlacht mittlerweile ganz geil. Klar würde ich gerne schneller fahren, in den Kurven überwiegt definitiv die Vorsicht, aber immerhin sind die Bedingungen ja für alle gleich.

38,5 Kilometer sind zu fahren, allerdings behauptet mein Garmin kurz vor der Wechselzone etwas von knapp 37 - mir fehlt doch nicht noch eine Runde, oder? Nein. Ich bin mir ganz sicher, dass es auf keinen Fall mehr als 40 Kilometer sind, eine Runde ist etwa 5,5 Kilometer lang und warum ich keine 38,5 auf der Uhr habe, weiß ich auch nicht. Ab zum Wechsel. Bye bye, Radstrecke!

Irgendwie schaffe ich es, so dämlich über irgendeine rutschige Kante zu stolpern, dass erstens die Kette abspringt (egal, Radeln ist ja jetzt vorbei) und zweitens irgendwas im Knöchel zieht. Na schön. Ich vergesse den Vorfall gleich wieder, wechsele die Schuhe, tausche Helm gegen Visor, trinke noch einen Schluck Iso, packe für alle Fälle mal ein Gel ein und laufe los. Eigentlich vertraue ich darauf, dass mich das Koffein Gel von der letzten Radrunde schon gut durch den Lauf bringen wird, aber man weiß ja nie.


Was glücklicherweise komplett fehlt, ist das typische eirige Gefühl beim Loslaufen. Meine Koppeltrainings kann man zwar an einer Hand abzählen, aber immerhin rächt sich das gerade nicht. Ich schiele auf die Uhr und stelle fest, dass das sehr grob gesteckte Ziel "unter 3 Stunden" mehr als locker drin ist. Weil das hier sowieso nur der Testlauf für Hannover ist, habe ich kein spezielles Ziel im Sinn, schon gar nicht für den Lauf. Gut durchkommen und mal schauen, was geht.

Es gibt zwei winzige Hügel im Wald, die die Laufstrecke nicht gerade angenehmer machen. Immerhin steht ein Teil unserer Zuschauerbande am Fuß des einen mikroskopisch kleinen Anstiegs. Mittlerweile müssten die genauso nass sein wie ich. 4 Laufrunden sind an der Grenze dessen, was ich mir als Rundenanzahl beim Laufen antun kann - ich hasse Runden, wirklich. 7 Radrunden sind schon doof, aber 4 Laufrunden? Och nee. Die Sonne kommt raus, es wird warm. Auch das noch. Ich überlege, ob ich mir einen Wasserbecher über den Kopf schütten will, aber beschränke mich dann darauf, die Kruste aus Salz und Matsch ein bisschen abzuwaschen und den Rest zu trinken.


Ich gehe auf Runde 3. Halbzeit! Bisher lief es okay, ich bin es langsam angegangen, habe es irgendwie geschafft Gehpausen zu vermeiden und mich halbwegs bei Laune zu halten. Jetzt redet der Knöchel ein Wörtchen mit. Vielleicht vom Umknicken eben, vielleicht drückt die Socke auch einfach nur richtig dämlich - auf jeden Fall zwickt da etwas, so dass aus langsam noch langsamer wird. Als ich durchs Stadion laufe, kündigt die Sprecherin mich gerade als Social Media Sternchen an und ich möchte im Boden versinken. Stattdessen bewege ich mich weiter im Schneckentempo fort und starte in die letzte Runde. Letzte Runde!! Svenja ruft: "Jetzt kommt die Spaßrunde!" - "Ich hatte schon drei Spaßrunden!" Witze machen geht immerhin noch - dann kann es so schlimm nicht sein.


Der erste Hügel kotzt mich an, beim zweiten genehmige ich mir die einzige Gehpause. Die Luft ist raus, es geht um nichts. Ich rechne damit, dass mich Naomi jeden Moment überholen wird, wir sind uns ein paar Mal entgegen gekommen und ich vermute, dass der Abstand kürzer wird. Letzte Kurve, abbiegen ins Stadion - endlich mal ein Zieleinlauf, den ich genießen kann. Ich bin nicht komplett im Eimer, muss mich aber auch nicht verstecken - klar hätte der Lauf besser sein können, aber tatsächlich bin ich zufrieden, was an sich schon eine Seltenheit ist. Ferdi und Christian empfangen mich direkt hinter der Ziellinie - die beiden haben ihren Testlauf für Hannover ziemlich gerockt. Ich kriege ein Mikro unter die Nase gehalten und darf kurz erzählen, wie es denn so war ("Nass!"). Wir warten geschlossen auf Naomi, die schon angeflitzt kommt und einen beeindruckenden Zielsprint hinlegt - wo nimmt sie die Energie nur immer her? Es gibt Cola und Orangen und ich stelle fest: Es ist verdammt schön, so eine Gang dabei zu haben!




So, noch ein paar Zahlen:
Gesamt: 2:41:20 Stunden.
Schwimmen: 26:24 Minuten, Platz 27/30.
Laufen: 57:25 Minuten, Platz 28/30.
Rad inklusive Wechsel: 1:17:29 Stunden, Platz 9/30. Rechnet man die Wechsel raus, habe ich laut Garmin den Schnitt bei 31 km/h gehalten, womit ich für die Bedingungen ziemlich zufrieden bin.
Insgesamt kommt mit unterirdischen Schwimm- und Laufzeiten und einer ganz soliden Leistung auf dem Rad Platz 20/30 raus. Außerdem der 4. Platz in der Altersklasse, was aber nicht mal undankbar, sondern ganz schön ist, weil die Drittplatzierte einen so gigantischen Vorsprung hat, dass ich mich nicht ärgern muss. Fein! Insofern: alles wie erwartet, Generalprobe geglückt, Hannover, du kannst kommen!