Dienstag, 27. September 2016

Berlinmarathon 2016: Party hard

Berlin, Marathonsonntag, 8 Uhr. Hinter mir liegen 285 Stufen. Ich stehe oben auf der Siegessäule, fröstele leicht und beobachte das Treiben unten. Vorfreude. Es ist perfektes Laufwetter: klar und sonnig, etwas frisch, aber nicht kalt und auch nicht zu warm. Zum Warten ein bisschen kühl, aber ich wollte ja unbedingt rechtzeitig hier oben stehen, um die beste Sicht auf den Start zu haben.

12 Stunden vorher. Zwischen Pastatellern breiten wir auf dem improvisierten Esstisch den Streckenplan aus, berechnen Pace und Durchgangszeiten, checken U-Bahn-Verbindungen, schätzen Laufwege ab und tüfteln am optimalen Plan, um unsere Läufer mehrfach zu sehen. Scotland Yard, quer durch Berlin. Wir wollen, dass die beiden Mr. X sich uns drei Mal zeigen: Bei km 13, bei 21 und bei 37. An der Siegessäule wollen wir aufs Anfeuern verzichten (die 600 m schaffen sie ja wohl alleine) und entscheiden uns deshalb egoistischerweise für den vermutlich atemberaubenden Blick von oben. Schließlich steht der Plan - er ist ambitioniert und eng getaktet, aber wäre ja auch unfair, wenn die Läufer als einzige etwas leisten müssen.


Guten Morgen Marathon! Der Wecker klingelt um 6 und ich schaufele so viel Frühstück in mich rein, wie es die knappe Zeit zulässt - wer weiß, wann heute das nächste Mal Gelegenheit zum Essen ist. Ich bewaffne mich mit der ausgeliehenen Kamera, trommele unser Support-Team zusammen, besuche die beiden Läufer, möchte sie nochmal drücken und viel Erfolg wünschen. Der erste ist äußerlich vollkommen ruhig, der zweite ein Nervenbündel. Ich wünsche mir für beide so sehr, dass sie ihre Ziele erreichen und verschwinde lieber schnell, bevor ich mich mit der Nervosität anstecke und alles noch schlimmer mache. Was ist das eigentlich für eine Zeitplanung, bei der die Fans vor den Läufern aus dem Haus müssen?


Achja, wir wollten ja rechtzeitig auf der Siegessäule sein. In 50 Metern Höhe auf den Tiergarten gucken. Den Großen Stern. Die Straße des 17. Juni. Das Brandenburger Tor, den Fernsehturm, Start und Ziel, Berlin. Sieht schon schön aus. Eine verdammt beeindruckende Kulisse ist das. Halb 9, noch eine Dreiviertelstunde bis zum Start. Ich schaue von oben zu, wie die Startblöcke sich in der Ferne füllen, wie unter uns die Absperrungen zur Seite geräumt werden, Menschen mit Funkgeräten Dinge besprechen, wie sich Polizei und Krankenwagen positionieren. Geschäftiges Treiben. Da kommt etwas Großes. So groß, dass es mir eine halbe Stunde vor dem Start eine beschissene Gänsehaut einjagt, obwohl ich nicht mal selbst laufe. Der Gedanke an die beiden, die da jetzt zwischen mehr als 41.000 Menschen im Startblock stehen, reicht völlig. Wochenlang habe ich die Vorbereitung miterlebt, vor wenigen Stunden haben wir zusammen Nudeln gekocht, eben haben sie noch verschlafen aus der Wäsche geguckt, jetzt ist es so weit. Wir sind nicht mehr dabei, können nichts mehr tun, bei nichts mehr helfen, nur zuschauen, da sein, mitfühlen. Gänsehaut. Kloß im Hals. Startschuss. Luftballons steigen auf, von hier oben aus der Entfernung sehen sie aus wie winzige weiße Punkte, könnten auch Fliegen sein.


Dann setzen sich die bunten Punkte in Bewegung und werden immer größer. Die Spitzengruppe setzt sich sofort ab. Die Masse dahinter rollt auf uns zu, teilt sich vor der Säule, strömt rechts und links vorbei und vereinigt sich wieder auf der anderen Seite. Was. Für. Ein. Bild. Ein Meer aus 41.000 bunten Ameisen umspült die Insel der Siegessäule und nimmt einfach kein Ende. Kein Foto kann festhalten, wie es sich anfühlt, das zu erleben.



Wir müssen runter. Ich möchte noch ein paar Bilder von der niedrigeren Aussichtsplattform machen und außerdem müssen wir langsam zur U-Bahn. Unsere beiden Läufer sind in verschiedenen Startblöcken und die Gefahr, den ersten bei km 13,5 zu verpassen, ist groß. Also beginnt die Jagd auf Mr. X. Wir sind zu viert, einer davon hat den Plan verinnerlicht, kennt Bahnlinien und Umsteigepunkte, wahrscheinlich verwaltet er auch die Black Tickets und sorgt dafür, dass alle die Spielfiguren auf die richtigen Felder setzen. Via Berlinmarathon-App erfahren wir, dass unser erster Läufer schon die 5-km-Marke passiert hat, während wir noch nicht mal ansatzweise in der Nähe von 13,5 sind. In der Bahn geht die Diskussion los: Den ersten Punkt ausfallen lassen, auf Nummer sicher gehen und direkt zu 21? Ja. Nein. Vielleicht doch besser. Nein, wir können es doch knapp schaffen. Wir fahren zur 13,5.


Wir stehen keine fünf Minuten am Streckenrand, als der erste vorbei kommt. Schild hochhalten, abklatschen, fotografieren. Gut sieht er aus. Frisch, kann noch lachen. Nicht sonderlich verwunderlich bei km 13. Endlich stehen wir mal mittendrin, schön in einer Kurve, haben gute Sicht und sehen die bunten Punkte jetzt mal aus der Nähe. Toll, wer so alles Marathon läuft. Jung, alt, sehr alt, klein, groß, dick, dünn, mit Dirndl, Schlafanzug oder Hasenohren - alles dabei. Unser zweiter Läufer lässt auch nicht lange auf sich warten, sieht ebenfalls super aus und ist bestens gelaunt. Wir schicken ihn auf die weitere Reise und benehmen uns dann wie Straßenverkäufer, die ihre Auslage ratzfatz einpacken müssen, weil die Polizei naht: Plakat zusammenrollen, Kamera verstauen, in die U-Bahn springen. Wir haben hier eine Mission zu erfüllen.


Während wir zur Halbmarathonmarke unterwegs sind, nähert sich die Elite dem Ziel. Per Whatsapp-Liveticker halten mich die Mädels zuhause in Sachen Zielsprint und Weltrekord ja oder nein auf dem Laufenden - und ich die komplette Bahn, indem ich laut vorlese, was die Fernsehzuschauer so in ihre Handys getippt haben. Was für ein Spaß!

Wir landen nicht bei km 21, sondern bei 20 und das ist ein Fehler, denn hier ist eine Verpflegungsstation und somit großes Gedränge. Unser Zeitfenster ist eng: Es ist eine echt knappe Kiste, wir marschieren im Stechschritt von der U-Bahn zur Strecke und sind zwar so gerade eben rechtzeitig da, aber sehen unsere Läufer nicht. Alle beide nicht. Verdammt! Dafür spricht mich eine maximal verwirrte Radfahrerin an, die schon eine Weile neben mir steht und über den nicht endenden Strom der Läufer rüber auf die andere Seite schielt: "Ich kann das so schwer einschätzen, aber ich komme da jetzt mit dem Rad eher nicht rüber, oder?" Äh, nein. Eher nicht.


Als uns klar wird, dass wir die beiden Läufer trotz vier Paar Augen wirklich nicht gesehen haben, wandern wir entlang der Strecke zum dritten und letzten vereinbarten Punkt: km 37. Dafür haben wir jetzt ausnahmsweise mehr als genug Zeit, denn während wir nur gemütlich drei Straßen weiter müssen, laufen die Hauptakteure mal eben 17 km. Endlich für uns kein Zeitdruck und endlich mal die Gelegenheit, ein paar mehr Eindrücke aufzusaugen. Wir kommen kaum voran, weil ich alle zwei Meter stehen bleiben und fotografieren muss. Dieses Schild, jenes Schild, die Leute, die dort rumturnen, die Kinder da mit den Seifenblasen, guck mal dort die Luftballons, Biene Maja, Einhörner, der Typ mit den Boxen, die da drübern mit dem beschrifteten Bettlaken, rotes Konfetti, goldenes Konfetti, Glitzer-Konfetti, Berlinmarathon, du bist so eine verdammte Party. Wenn ich hier niemanden anfeuern wollte und einfach nur den ganzen Tag Zeit hätte, würde ich Teile der Strecke entlang laufen und nur die Zuschauer fotografieren. Ihre leuchtenden Augen. Ihre klatschenden Hände. Ihre Plakate.


Die komplette Stadt liegt lahm. In unsere Überlegungen, wie wir zur nächsten U-Bahn-Station kommen, müssen wir immer mit einbeziehen, auf welcher Seite der Laufstrecke wir sind, wo wir rauskommen wollen, wo es eine Unterführung oder eine Brücke gibt. Autofahrer wären ziemlich aufgeschmissen und auch als Radfahrer sollte man ziemlich gut wissen, wo man lang möchte. Das betrifft übrigens nicht nur den Sonntag, sondern auch schon Samstag sind die Straßen gesperrt, weil der Inlinemarathon mit über 5.000 Skatern am Vortag stattfindet. Zwei Tage lang steht die Hauptstadt also ziemlich still - und was machen die Berliner? Feiern. Während bei der Radrenn-Premiere in Düsseldorf letzte Woche das Geschrei wegen gesperrter Straßen und abgeschleppter Autos sowohl in den Medien als auch den sozialen Netzwerken groß war, feiern die Berliner eine riesige Marathon-Party. Klar, das ist schon der 43. Berlinmarathon, es ist die schnellste Strecke der Welt, die Teilnehmerzahl ist mit über 41.000 Läufern gigantisch, aber: auch die Akzeptanz vor Ort ist gigantisch, der Support am Streckenrand großartig.




Da trommelt Jan seit 8 Jahren auf seinem Schlagzeug rum, Anwohner organisieren auf eigene Faust Getränkestände, am Wilden Eber steppt der Bär, bei km 37 feuert das Run Pack eine Konfettikanone nach der anderen ab. Stellenweise stehen die Zuschauer in Reihen zu viert oder fünft hintereinander, als kleiner Mensch sehe ich überhaupt nichts, kann nur die Kamera in die Höhe halten oder durch Beine hindurch fotografieren. Auf keinem einzigen Kilometer ist hier tote Hose. Berlin will jeden irgendwie ins Ziel peitschen und gibt sich dabei allergrößte Mühe - was hier in den Straßen los ist, macht einfach nur Spaß. Da liegt eine einmalige Energie in der Luft: Eine Mischung aus Euphorie, Entschlossenheit und Durchbeißen bei den Läufern und auf der anderen Seite Freude, Respekt und neidlose Anerkennung bei den Zuschauern. Der Berlinmarathon geht nicht spurlos an dir vorbei, es sei denn du bist aus Stein.




Bei km 37 erwarten wir unsere Läufer, die uns jetzt leider schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen haben. Dank der App wissen wir, dass es bei beiden gut läuft - bei einem sogar etwas zu gut, so dass wir ständig besorgt mit einem Einbruch rechnen, man weiß ja nie. Der erste kommt vorbei, sieht immer noch großartig aus, freut sich uns zu sehen, klatscht ab und ich bin sicher, wer nach 37 Kilometern noch so frisch aussieht, könnte schneller laufen. Von seinem Einbruch ahnen wir gar nichts, aber er kommt nur wenige Meter später. Blödes Timing, hätten wir mal lieber ein paar hundert Meter später an der Strecke gestanden. Der zweite Läufer sieht deutlich weniger frisch aus, freut sich noch mehr, uns zu sehen und ich bin immer noch gespannt, ob er sein Tempo so ins Ziel bringen kann. Er kann.




Wir gehen die letzten 5 km fast entlang der Strecke, stellen fest, dass bei km 38 mehr Wanderer als Läufer unterwegs sind, kürzen vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor ab und lassen uns auf die andere Seite der Strecke schleusen. Was für ein fantastisches ausgeklügeltes System ist diese Zuschauer-Schleuse bitte! Und Entschuldigung, das ist zwar offensichtlich, aber ich muss es trotzdem sagen: Was bitte muss es für ein phänomenales Gefühl sein, durchs Brandenburger Tor auf die Zielgerade zu laufen?



Wir treffen uns alle am Punkt für die Familienzusammenführung, Buchstabe Y. Seit gestern witzeln wir darüber, dass wir dort wahrscheinlich zwischen den Yildirims und Yoshimuras die einzigen sechs Kinder sein werden, die offensichtlich weder eine Familie sind, noch einen Nachnamen mit Y haben - aber der Treffpunkt funktioniert trotzdem oder gerade deshalb hervorragend. Bitte nicht nachmachen, denkt euch gefälligst einen eigenen seltenen Buchstaben aus, wenn ihr wen nach dem Berlinmarathon finden wollt - X und Q sind ja schließlich auch noch übrig! Wir holen also bei Y zwei erschöpfte, aber glückliche Marathonis ab. Einer deutlich unter der Wunschzeit, der andere etwas drüber, aber dennoch nicht zu enttäuscht. Ich verschweige lieber, dass ich mir kurz ernste Sorgen gemacht habe, als die App sich während seiner letzten 2 km beharrlich ausgeschwiegen hat, während der andere, später gestartete, schon im Ziel war. Alles gut gegangen, nur eine kleine Wanderung, Zeitziel zwar verpasst, aber dennoch neue Bestzeit - wunderbar. Wir watscheln nach Hause, klettern die Treppen in die gefühlt eine Millionste Etage rauf, schütten auf das Finisher-Bier noch etwas Schampus (ohne Lachsfisch) und sind uns ziemlich einig: Dieser Berlinmarathon ist schon ne saugeile Geschichte.




Danke für die Wahnsinns-Show Ferdi und Christian! Glückwünsche, Respekt, gezogene Hüte - seid stolz auf euch, ihr Kämpfer! War schön, mit euch mitzufiebern. Danke an das beste Support-Team Anne, Steffi und Constantin - das hat großen Spaß gemacht mit euch. Danke fürs Kamera-Halten-Lassen Christian, war mir mal wieder eine Ehre und Freude. Mehr Bilder gibts hier zu sehen. Berlin, wir kommen wieder!

Dienstag, 20. September 2016

Raceday No. 23 - Race am Rhein Düsseldorf

Liebe Kinder, bitte macht das nicht nach! Ich stand nur deshalb am Sonntag beim alltours Race am Rhein trotz dicker Erkältung am Start, weil meine Saison vorbei ist, weil ich jetzt zwei Wochen Urlaub habe und weil ich es mir deshalb gerade erlauben kann, mich etwas länger auszukurieren. Natürlich weiß ich, dass es keine schlaue Idee ist, mit verschleimten Nebenhöhlen und Bronchien überhaupt an den Start zu gehen, deshalb wirklich: Don't try this at home!

Wäre ich nicht gestartet, hätte mir allerdings sehr das Herz geblutet: Ein Radrennen in Düsseldorf, diese neu entdeckte Liebe, direkt vor der Haustür auf einem Teil der zweiten Tour-de-France-Etappe 2017. Wie gut ist das denn? Ich freue mich einfach viel zu sehr auf das zweite Heimspiel in Folge nach dem Ratingen Triathlon am letzten Wochenende - DNS ist also keine Option. Wie fabelhaft so ein Spektakel zuhause ist, stelle ich ziemlich schnell fest: Während ich nur ein paar Minuten alleine in der Gegend rumstehe, halbherzig bei einem Junioren-Rennen auf der Kö zuschaue und auf den Rest warte, quatschen mich nacheinander gleich drei Leute an, die mir entweder schon mal bei einer gemeinsamen Ausfahrt oder bei Strava begegnet sind oder die hier mitlesen. Hallo kleine Düsseldorfer Radsportwelt, du große Familie!


Mein überaus vernünftiger Plan für das Rennen sieht so aus: Es langsam angehen lassen. Wirklich langsam. Bloß nichts riskieren: Bronchitis, Lungenentzündung, Herzmuskelquatsch, was man sich halt so einfängt, wenn man es erkältet übertreibt. Im Startblock deshalb meine Ansage an Silke und Svenja, die beide heute ihr erstes Rennen fahren, aber theoretisch auf jeden Fall schneller sind als ich: Keiner soll auf mich warten! Würde ich auch nicht wollen, also soll einfach jeder sein eigenes Ding fahren. Die zwei halt schnell und ich gemütlich hinterher, so wie es die Lunge zulässt. Als wir zur Startlinie rollen, tippt mir von außen über die Absperrung Steffen aus dem Orga-Team auf die Schulter und meint: "Hau rein!" Wie nett! Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Mit dem Startschuss geht es mir genauso wie Jan von Pushing Limits: Erst mal gemütlich losrollen... Ach, scheiß auf den Plan! 

Plötzlich gilt das Motto: Du kannst nicht mehr, wenn du "Ich kann nicht mehr" nicht mehr sagen kannst. Bis dahin gib uns deine beste Show! Die gebe ich. Die ersten Kilometer zusammen mit Silke und Svenja, die sich beide ziemlich flott in diese wunderbare Radrenn-Atmosphäre einfinden. Die kurze Diskussion, wie schnell man denn am Anfang so fährt, endet damit, dass ich meine: Scheiß drauf, die Strecke ist arschkurz. Was sind schon 46 km. Lass mal reinhauen. Ne gute Gruppe finden. Dann mal gucken.


Es läuft zu gut. Nach nur 6 km steht mit der Rennbahnstraße in Grafenberg der erste Anstieg an. Bergwertung! Ich merke, dass mich das bisschen bis hier hin schon unnormal angestrengt hat und bin sicher, dass die beiden Mädels mich gleich abhängen werden, aber so schnell will ich nicht aufgegeben und nehme daher allen Schwung mit in den Berg, den ich finden kann. Im Wiegetritt heize ich die ersten Meter hoch und lasse dabei überraschend die anderen zwei erst mal hinter mir. Ich leide lieber kurz und hart als lange und ein bisschen. Trotzdem eine bescheuerte Idee, denn erst oben an der Kurve fällt mir ein, dass sich der Berg ja noch ein Stückchen zieht. Nicht ganz 2 km sind es insgesamt bis nach oben und der schnelle Anfang rächt sich. Natürlich. Wenn ich meine Lunge nicht gleich vom Boden aufsammeln will, muss ich also langsamer machen. Was mich freut, sind die Beine - die sind nämlich völlig ok. Silke ist mittlerweile längst über alle Berge (true!) und Svenja sammelt mich auch wieder auf, so dass wir die Abfahrt zusammen nehmen können.

Ich komme wieder zum Atmen und versuche, das Ausmaß des Schadens abzuschätzen, den mir das bergauf Ballern eingebrockt hat. Die Lage lässt sich am besten im Windschatten sondieren und so klemme ich mich erst mal hinter Svenja, die zwar höchstens halb so breit ist wie ich, aber mich aus irgendeinem Grund trotzdem hervorragend zieht. Und das ist auch nötig. Beschissen siehts aus. Nachdem wir aus Gerresheim raus sind, gehts durch Erkrath ins Neandertal bis nach Mettmann. Ich hasse das Tal. Es geht fast 9 km lang bergauf und die Steigung ist kaum zu sehen, aber trotzdem zu spüren. Ich hasse solche tückischen Scheißberge. Dann lieber ehrlich und hart. Kurz und angsteinflößend bergauf, steil, aber mit absehbarem Ende - das sind mir die liebsten. Was ist das überhaupt für ein Tal, in dem es direkt wieder hoch geht?


Wir finden keine vernünftige Gruppe. Die einen sind zu schnell, die anderen zu langsam. Und so krebse ich hinter Svenja her, die sich nicht davon irritieren lässt, dass sie nicht auf mich warten soll. "Macht doch auch zusammen Spaß!" Äh ja, theoretisch schon. Ich wär nur halt gern fit! Würd auch mal im Wind fahren, gerne an irgendeine Gruppe ran fahren, schnell fahren, was man eben so macht im Radrennen! Stattdessen versuchen wir ein paar Kilometer lang, zu einem Bekannten aufzuschließen und ich möchte währenddessen sterben. 27x lege ich mir ein "Ok! Das wars, ich bin raus! Fahr die Scheiße alleine zu Ende! Echt jetzt!" zurecht und beiße mir dann doch lieber die Zunge ab. Ich weiß, dass in Mettmann nochmal ein fieser Anstieg kommt, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich da rauf kommen soll, wenn ich schon auf dem Weg dahin so dermaßen hinüber bin.

Schließlich holen wir meinen Vater ein, der in Block A kurz vor uns gestartet ist und das nehme ich als Anlass, Svenja jetzt wirklich alleine auf die weitere Reise zu schicken. Sie soll endlich ihr Tempo fahren, ich bin nicht alleine, alles cool. Wenn da nicht jetzt dieser beknackte Berg käme. Aber wie war das? Lieber kurz und heftig als lang und gemein? Zum ersten Mal mache ich was wirklich Vernünftiges und gehe diesen Anstieg langsam an. Kleinster Gang, gemütlich, so dass noch Luft zum Atmen bleibt. Aber nicht genug Luft, um dem älteren Herrn irgendwas zu entgegnen, der unsere Kletterei mit "Na da haben Sie sich aber was ausgesucht! Hier mit dem Rad hoch?!" kommentiert.

Ich bin oben. Nur noch 20 km. Mehr als die Hälfte ist geschafft, alle Berge sind geschafft, in meinem Kopf geht es jetzt nur noch bergab. Das tut nicht weh, also Vollgas. Eine scharfe Kurve und dann: Kette rechts. Ab ins Schwarzbachtal. Leider habe ich vergessen, dass vorher noch Metzkausen auf der Route liegt und es hier nicht nur bergab geht, sondern auch noch zwei mal leicht rauf. Och Mann ey. Alle Typen, die ich auf der Abfahrt überholt habe (Ich! Bergab! Vollkommen verrückt), kassieren mich sofort wieder beim leichtesten Anstieg. Okay. Mir ist alles egal. Ich warte auf die richtige Abfahrt, die für all die Kletterei entschädigt. Der schönste Moment des gesamten Rennens kommt ganz kurz vorher: Mettmanner Straße, kurz nach der Brücke über die A3. Oben auf der Kuppe, rechts und links Felder, am Horizont ist Düsseldorf zu erahnen. Weit weg. Weit unten. Hinter mir die Hügel, die Anstrengung, die Quälerei, vor mir die großartige Aussicht, die Abfahrt, das Ziel. Am liebsten würde ich anhalten, ein Foto machen, den Moment einfrieren, aber ich bin immer noch in einem beschissenen Rennen, ich kann das alles nur in mich aufsaugen. Und dann runter ins Schwarzbachtal schießen.


Ich bin bergab so ein Angsthase. Ich fahre lieber bergauf. Fahrt niemals mit mir in die Berge, ihr werdet unten immer warten müssen. Eigentlich. Für eine Jedermann-Rennstrecke finde ich diese Abfahrt ein bisschen gewagt, denn die Straße ist schmal, es gibt zwei Kurven und es geht verdammt ordentlich runter. Aus irgendeinem Grund ist keine Angst da, sondern einfach nur volles Vertrauen. Ins Material, in mich, in die Leute vor und neben mir. Voll toll ohne Gegenverkehr! Ich liebe die Strecke. Ich liebe die Kurven. Auf keinen Fall kann ich schreiben, wie schnell ich da runter gefahren bin, weil meine Mutter hier mitliest und sehr wahrscheinlich sonst einen Herzinfarkt bekäme. So bleibt das Brunos und mein Geheimnis und ich kann nur sagen: Wenn Abfahrten immer autofrei wären, hätte ich so viel weniger Angst!

Die letzten 15 km sind ein Traum. Es geht durch Ratingen und obwohl ich die Augen offen halte, entdecke ich kein bekanntes Gesicht am Streckenrand, aber dafür was anderes wichtiges: Endlich den perfekten Zug. Ich reihe mich ein und plötzlich ist alles leicht. Das Tempo passt perfekt: auf flacher Strecke jenseits der 40, bergauf immernoch mit 36, mal Einerreihe, mal Zweierreihe, ich werde mitgezogen, sauge hinter mir andere mit, genieße endlich die Geschwindigkeit und bin schon wieder traurig, dass es gleich vorbei ist. So muss sich Radrennen anfühlen! Schnell und toll und viel zu kurz.

Der Tunnel am Kö-Bogen ist schön und schrecklich zugleich: Es geht bergab, der Asphalt ist großartig und ich sause mit gut 50 Sachen durch die Kurven im Tunnel - bis es direkt am Ausgang nochmal bergauf geht, verdammt! Wie unnötig nochmal so kurz vor dem Ziel. Also hoch kurbeln, wieder antreten, nochmal Tempo rausnehmen und um die letzte 180°-Kurve eiern, auf die mein Nebenmann großzügigerweise alle Fahrer im 100-Meter-Umkreis mit "VORSICHT, KURVE!!" hinweist (wer hätte das gedacht!) und dann: Zielsprint. 46 km, 1:18:21, Schnitt 35,23 km/h. Huch.


Geschafft! Ich bin im Ziel, habs überstanden, hab die Berge gerockt, lebe noch, ne verdammt ordentliche Zeit hingelegt und mir ist ein bisschen schwummrig und ich brauche dringend so ein zuckriges Iso-Drink-Gedöns. Und Obst. Und Laugenstange. Wie spitzenmäßig ist die Zielverpflegung denn bitteschön? Kuchen, Energydrink und Bier hätte ich auch noch haben können. Im Nachzielbereich turnt außerdem der Oberbürgermeister rum, der das Rennen ebenfalls mitgefahren ist - mit der Fortuna-Startnummer 1895 - super Sache!

Als Teilnehmer habe ich an der Race-am-Rhein-Premiere nichts auszusetzen: von der Information über die Sicherheit bis zur Versorgung war für mich alles tiptop. 700 Helfer sind der reinste Wahnsinn, danke für euren Einsatz! Zwei Kleinigkeiten hab ich dann aber doch: Bei Verkehrsinseln auf der Strecke halte ich Fahnenschwenker für deutlich besser sichtbar als Pylonen auf dem Boden - ist alles gut gegangen, aber wenn sich der ein oder andere Helfer hierfür gefunden hätte, wäre es perfekt gewesen. Anderer Punkt: Danke Henkel für ein Duschgel in Originalgröße im (übrigens ganz gut gefüllten!) Startbeutel - aber ist es wirklich so schwer, für 300 Frauen extra Beutel zu packen? Ich bin die erste, die bei dem Radfahrer/innen-Gender-Quatsch kotzt, aber im Ernst: Den wenigen Frauen, die bei der Veranstaltung teilnehmen, sendet ein Männerduschgel ein echt blödes Signal: Achja, hm, ihr seid auch irgendwie dabei, aber ihr seid so wenige, das kümmert uns gar nicht so richtig, tja, Pech gehabt. Sponsoren, lasst euch mal was einfallen! Muss ja nicht gleich Nagellack sein (bitte nicht!), aber ein simples Duschgel für Frauen wäre schon spitze!

Und weil ich durchs Kommentare-Lesen echt schlechte Laune gekriegt habe und das Social-Media-Team des Race am Rhein mein volles Mitleid hat: Ihr ignoranten Anwohner, die Teilnehmer eines Jedermannrennens als dopingverseuchte Drogenopfer betiteln, mit Klagen drohen, Mähdrescher auf der Rennstrecke parken wollen und Radfahrer mit Wasserbomben bewerfen wollen - ich hoffe, all das ist nicht passiert. Zieht nicht in die verdammte Stadt, wenn ihr nicht wollt, dass Straßen für eine sportliche Großveranstaltung gesperrt werden. Und wenn ihr in einem der umliegenden Dörfer wohnt - freut euch doch, dass vor eurer Haustür endlich auch mal was los ist. Macht es wie all die fantastischen Zuschauer an der Strecke, trefft die Nachbarn, schmeißt Grillpartys, stellt Stühle und Tische raus, macht Lärm, erlebt was. Wie wärs mit etwas mehr Toleranz? Wir sind hier nicht in Hamburg, wo Anwohner jedes Wochenende von irgendwas beeinträchtigt werden - es geht nur zufällig nächstes Jahr um die größte Sportveranstaltung der Welt. Ich bin froh, dass die Stadt die Eier hat, die Tour nach Düsseldorf zu holen und ich freue mich riesig auf das Spektakel. Ich vertraue darauf, dass die Kritik an der Informationspolitik ernst genommen wird und hoffe vorsichtig auf eine Race-am-Rhein-Neuauflage. Wer so verbittert ist, dass er Kommentare wie die oben angerissenen schreiben muss, der tur mir nach dem ersten Wutanfall nur noch leid. Ich wünsche denjenigen, die sowas nötig haben, dass auch sie in ihrem Leben etwas finden, was sie lieben, wofür sie brennen, dass sie mal was Einmaliges erleben und sagen: Boah, war das geil. Leidenschaft ist sexy, meckern ist scheiße.


Die Startplätze wurden mir vom alltours Race am Rhein zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür! Meine Meinung zum Rennen ist unabhängig davon natürlich meine eigene.
Fotos: Christian Siedler. Ebenfalls dankeschön!

Mittwoch, 14. September 2016

Raceday No. 22 - Ratingen Triathlon 2016

Seit drei Tagen grübele ich darüber nach, wieso es so schön ist, in Ratingen zu starten. Warum ich den Triathlon dort so gerne mag, wieso er seit 2014 jedes Jahr fest für Mitte September im Kalender steht. Neben einer Organisation voller Herzblut und einer anspruchsvollen, aber tollen Strecke ist Ratingen für mich vor allem eins: Zuhause. Hier bin ich geboren und aufgewachsen, genau hier bin ich vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, mich für einen Triathlon anzumelden und zufällig ist es dann eben der direkt vor der Haustür geworden. Konnte ja damals keiner ahnen, dass das mal was wird mit mir und dem Ausdauersport!
 

Aus Langeweile und weil zu früh wach Zöpfe geflochten. Vorsicht, als nächstes werde ich so ein ätzendes Triathlonmädchen, das Frisurtipps gibt. Wartet nur ab.
Bis aufs Schwimmen habe ich dieses Mal zur Abwechslung keine dämlichen Selbstgespräche zu bieten und auch das eine ist schnell abgehandelt. Bahn 1: Wieso ist die Tante vor mir so langsam, obwohl sie gesagt hat, sie würde was um die 11 Minuten schwimmen? Können die Mädels hinter mir bitte ENDLICH aufhören, an meinen Füßen rum zu grabbeln? Bahn 2: Boah ey, was hab ich keinen Bock auf Schwimmen. Nur 10 Bahnen! Voll wenig eigentlich. Aber die ziehen sich so. Wie langweilig. Wie doof wäre es, wenn ich jetzt aus dem Becken klettere und aufhöre? Wie blöd würden die Zuschauer wohl gucken? Mit welcher Ausrede könnte ich aus der Nummer wieder raus kommen?
 



Andere Sache beim Schwimmen: Rollwenden. Hab ich in letzter Zeit immer wieder geübt, mich zuletzt damit vor einer Woche in einen ziemlichen Flow geschwommen und daher beschlossen: geht schneller, sieht voll profimäßig aus, klappt in 80 % der Fälle ziemlich gut - wird also im Wettkampf gemacht. 10 Bahnen bieten 9 Gelegenheiten, möglichst elegant und schnell zu wenden. Oder halt wie eine Robbe, die nicht weiß wo oben und unten ist, irgendwo in der Nähe des Beckenrandes orientierungslos zu kreiseln, um dann irgendwie doch noch eine Zehenspitze an den Rand zu bugsieren, sich halbwegs abzustoßen und nach Luft japsend auf die nächste Bahn zu - äh - gleiten. Nun ja.

Hat eigentlich irgendjemand jemals beim Atmen nicht wie der weiße Hai ausgesehen? (Danke Svenja, den musste ich einfach klauen)
 

Auf der Radstrecke gibt es eine Sprintwertung: Direkt nach dem Radaufstieg folgt eine Passage Kopfsteinpflaster und dann ein Anstieg, kurz und knackig. Zum ersten Mal ist nicht nur für den schnellsten Fahrer, sondern auch die schnellste Fahrerin ein Preisgeld ausgeschrieben. Ich habe zwar keine ernsthaften Hoffnungen darauf, wills aber trotzdem versuchen. Wäre ja auch blöd, wenn nicht. Blöd ist auch, wenn die Beine dann im falschen Moment aus Pudding sind.



Dass die restliche Radstrecke mit "wellig" auch noch ziemlich euphemistisch beschrieben ist, weiß ich. Zum Glück weiß ich sogar sehr genau, was auf mich zukommt - kann allerdings überhaupt nicht einschätzen, wie schnell ich die 20 km Auf und Ab hinter mich bringen kann. Der Plan lautet deshalb: alles geben. Nach dem verkorksten Sprint sind die Radbeine zum Glück direkt da - vielleicht ist die Sache mit dem Kraulschwimmen doch nicht so dumm. Bei den Freiwasser-Starts dieses Jahr habe ich nach dem Brustschwimmen auf dem Rad mehr kämpfen müssen. Vielleicht liegts an den Beinen, vielleicht auch am Kopf: Ich weiß, das Radfahren wird hart und ich habe Bock drauf.



Schwupps, sind 20 hügelige Kilometer rum. Schade! Darf ich wirklich schon zur Wechselzone abbiegen? Ich darf. Ab auf die Laufstrecke. Es ist der letzte Triathlon in dieser Saison, in diesem Jahr, es ist "nur" ein Sprint, es ist zuhause. Ich habe mir nur eine Sache vorgenommen: Es so schnell wie möglich zu machen. Es ist egal, wenn es weh tut. Es sind nur 5 km. Nur zwei Runden. Das letzte Mal. Diese Gedanken sind so verinnerlicht, dass ich sie mir auf der Strecke kaum vorbeten muss. Das einzige, was ich absolut nicht will: mir hinterher vorwerfen, es wäre noch was gegangen. Wäre mehr drin gewesen. Also laufe ich. Höre auf zu denken und laufe. Gucke nicht auf die Uhr, nicht auf den Puls, schaue in Gesichter, auf die Strecke, auf mich und stelle gegen Mitte der zweiten Runde fest: Es ist hart. Ich will es so. Und ich schaffe das.


Ich will auf keinen Fall gemütlich ins Ziel traben, ich will schnell sein, ich will den Konjunktiv streichen, hinterher nicht hadern, ich will die Saison abschließen, stolz sein und ich will die eineinhalb Stunden knacken. Nach 1:24:59 laufe ich ins Ziel. BAM! Her mit der Wassermelone!


Die einzelnen Zeiten sehen so aus:

500 m Schwimmen: 12:53 min
20 km Rad plus beide Wechsel: 42:59 min
5 km Laufen: 29:08 min

Fun Fact: Das sind insgesamt fast 20 Minuten weniger als vor zwei Jahren. Die meiste Zeit habe ich auf dem Rad eingespart - und habe übrigens mit dem dicken Bruno die 9. schnellste Radzeit von 91 Frauen hingelegt. Man gebe mir ein Triathlonrad und ich gehe sofort nochmal auf die Strecke! Mit der unterirdischen Schwimmzeit und dem okayen Lauf reicht es insgesamt für Platz 30 von 91. Achja, der Bergsprint. Fühlte sich grauenvoll an, ist aber Platz 5 von 301 geworden. Huch!


Nach meinem einsamen Kö-Lauf vor einer Woche weiß ich übrigens spätestens in Ratingen sofort wieder zu schätzen, wie wichtig der Support ist. Meine Eltern zum Beispiel - die könnten am Wochenende ja auch mal was Schönes unternehmen. Stattdessen sitzen sie entweder in der Handball-Halle oder stehen auf Triathlon-Veranstaltungen wahlweise in der Sonne oder im Regen rum, um entweder der einen oder der anderen Tochter beim Schwitzen zuzugucken (der Unterschied ist nur, dass man die eine währenddessen vollständig beobachten kann und die andere außer beim Schwimmen ja ständig woanders ist).

Da sind Helfer, die um 6 Uhr morgens im Freibad stehen, als es noch dunkel ist. Die Absperrgitter durch die Gegend schleppen, Brötchen schmieren, Bahnen zählen, den Weg weisen, die Strecke sichern, unermüdlich Wasserbecher füllen... Besonders charmant beim Heimspiel: Alle diese fleißigen Hände gehören nicht irgendwelchen namenlosen Freiwilligen, sondern Georg, Marcus, Stefanie, Dany, Reiner, Steffi und und und. Ihr glaubt nicht, was ein "Super, Maren!" beim Wechsel (also dort, wo die normalsterblichen Fans ja nicht hinkommen), die Wunschbadekappenfarbe oder ein Willkommenheißen auf der Laufstrecke so ausmachen! 

Da sind Trainingspartner, die längst zu Freunden geworden sind, die sich von ihrem Longrun auch mal schön am See erholen und gepflegt Nichts tun könnten - stattdessen schleppen sie ihre Kameras in den Nachbarort, sind den ganzen Tag auf den Beinen, hören sogar zu, als ich mich beschwere, dass ja keiner anfeuern kann, wenn beide fotografieren (und wechseln sich daher ab) und hecken obendrauf noch Konfettikanonen-Überraschungsaktionen aus.

Während des Zieleinlaufs gut zu sehen: Die Konfettikanone. Nicht zu sehen, weil nicht vorhanden: Konfetti. Wir üben das dann nochmal.
Genauso wichtig wie die Triathlonfamilie am Rand ist die im Rennen: Du kannst den Kram halt entweder alleine für dich irgendwo am Ende der Welt machen, oder zuhause, wo du gefühlt jeden zweiten Starter kennst. Die bekannten Gesichter und abgeklatschten Hände auf der Strecke werden hier immer mehr - wie wunderbar ist das? Allen voran mein Favourite Racing Buddy Naomi, die eine mordsmäßige Saison hingelegt hat, jetzt endlich weiß, wovon ich rede, wenn ich die Ratinger Radstrecke als Vergleich für irgendwas ranziehe und die den besten aller Sätze gesagt hat: "Wenn ich nächstes Jahr vernünftig Kraulschwimmen kann, üben wir den belgischen Kreisel im Wasser." So und nicht anders!


DANKE euch allen! Ich weine der Saison jetzt noch ein wenig hinterher und schmiede dann schon mal langsam Pläne fürs nächste Jahr. Hat großen Spaß gemacht mit euch!

Fotos: Christian Siedler, Ferdi Hierl. Merci.

Montag, 5. September 2016

Raceday No. 21 - Kö-Lauf 2016

Spontane Ideen sind immer die besten. Daher überlege ich nicht lange, als Naomi fragt, ob ich ihren Startplatz für den 10er beim Kö-Lauf haben möchte, weil sie beim Triathlon einspringt. Solche spontanen Geschichten muss man unterstützen, also bin ich dabei. Auch, wenn heute sonst keiner hier ist: Die Triathlon-Gang-Mädels sind über Willich, Xanten und Bottrop verteilt und auch sonst kenne ich keinen, der hier heute 10 km läuft. Die Herren aus dem Team Halbmarathon entpuppen sich als treulose Tomaten und wollen erst kurz vor ihrem eigenen Start eineinhalb Stunden später anreisen (es sei ihnen verziehen, aber nur wegen des Starkregens!). Also stiefele ich alleine zur Kö.


Ich bin trotzdem 20 Minuten zu früh da. Ich warte alleine. Es gießt wie aus Eimern, also stelle ich mich unter. Alleine. Warten. Mit keinem sprechen. Besorgte Gesichter schauen in Richtung Himmel. Ich habe keine Jacke dabei, weil keiner da ist, der sie während des Laufs festhalten kann. Startbeutel abgeben für nen 10er? Pfffft. Aber ich mag Regen. Beim Laufen ist Regen prima. Die Startzeit rückt näher, aber die Strecke ist noch besetzt: Teilnehmer des Rehacare-Laufs trudeln ins Ziel ein. Gemeinsam sind behinderte und nicht behinderte Sportler 1,1 km um die Kö gelaufen - und wer sich dabei Zeit gelassen hat, wird jetzt unter frenetischem Jubel empfangen. Rechts und links der Strecke stehen die 10-km-Läufer Spalier, die sich die Wartezeit mit Applaus vertreiben. Was für eine Stimmung!


Ich bin zwar ganz alleine hier, aber plötzlich Teil einer vorfreudigen, jubelnden Masse, die irgendwie Eins ist. Schließlich sind alle im Ziel und wir nehmen unsere Startaufstellung ein. Meinen letzten 10er bin ich Ende April bei der Breitscheider Nacht gelaufen: 56:10 Minuten. Dass ich das unterbieten kann, weiß ich - allerdings nicht, wie weit. Ich peile eine Zeit unter 55 Minuten an und plane, mit einer Pace knapp unter 5:30 min/km durchzulaufen. So weit die Theorie. Weil ich direkt nach dem Rennen gefragt wurde, was ich währenddessen eigentlich so gedacht habe (so ganz alleine!), kommen hier 10 km und 10 Eindrücke. Startschuss!


1. Kilometer: Scheiße, ist das voll! Was zur Hölle! Wie soll das was mit der Bestzeit werden, wenn ich hier gar nicht von der Stelle komme? Sind alle diese langsamen Leute wirklich vor mir gestartet? Wieso stand ich denn so weit hinten? Idiotisch, nächstes Mal kannste dich echt ein bisschen weiter nach vorne stellen. Boah, ist das eng hier! Kurven. Kopfsteinpflaster. Nasse Gitter auf dem Boden am Kö-Bogen - ob ich es fertig bringe, mich schon nach 500 Metern auf die Fresse zu legen? Nein. Puh, gut. Gehts da hinten in der Kurve bergauf? Boah nee, echt jetzt? Ah, gar nicht so schlimm. War das da gerade ein Schild? Frage von links: "War das gerade der erste Kilometer?" Ich glaub, das Schild war nur für die Halbmarathon-Läufer.

2. Kilometer: Ah, da kommt unser Schild. Guck auf die Uhr! 5:10 min. Ups! Naja, läuft grade gut. Weiter so! OH! Ist das ein Baum hier mitten auf der Strecke?!

3. Kilometer: Immernoch 5:10 min/km. Ooookay, immerhin gleichmäßig, aber viel zu schnell! Das läufst du so doch niemals bis zum Ende! Du bist zwei Kilometer so gut wie gerannt! Jetzt kannste aber wirklich mal ein kleines bisschen rausnehmen.

4. Kilometer: Ist das ein Matsch hier im Park! Ob ich es schaffe, den Jungs während des Laufs zu schreiben, dass sie Trailschuhe für den Halbmarathon anziehen sollen?

5. Kilometer: Ach was solls. Das werden sie schon selber merken, dass es nass ist. Ah, Rückweg! Oh, da ist schon die Kö. Nur noch einmal rum, dann Zieldurchlauf und auf die zweite Runde. Äh. Zieht sich ja schon ein wenig, diese blöde Straße hier!


6. Kilometer: Oh! Knapp 26 Minuten für 5 km. Schneller als beim Brückenlauf. Nur da war nach 5 km Ende. Puh. Jetzt gehts also auf die zweite Runde. Du hast es so gewollt! Fühlt sich anstrengend an, aber irgendwie gut.

7. Kilometer: Was war das für ne bescheuerte Idee, mit 5:10 loszulaufen?

8. Kilometer: Was zur Hölle! Die Beine laufen noch, aber nicht mehr lange. Kannst du es irgendwann mal hinkriegen, einen negativen Split zu laufen? Schön locker starten und gegen Ende nochmal ne Schippe drauflegen? Wie ausm Lehrbuch, wär doch mal was. Aber so leidest du hier jetzt auf den letzten Kilometern, toll gemacht.

9. Kilometer: Getränkestand. Wasser wäre nicht übel! Ok, ein Schluck reicht, war doch keine so gute Idee. Wobei auf die Kö kotzen irgendwie auch keine schlechte Aktion wäre.

10. Kilometer: Da gegenüber ist das Ziel. Was soll die Scheiße, hier jetzt nochmal diesen Schlenker zu laufen? Oh, Lautsprecherdurchsage. Siegerehrung 5 km. Was, deren Strecke war 200 m zu kurz? Laufe ich dann gerade 400 m zu wenig? Wozu streng ich mich eigentlich an? Na prima. Was machen die Fahrradpolizisten eigentlich mitten auf der Laufstrecke? Überhole ich die jetzt oder was? Achja, jetzt können sie auf einmal doch schneller fahren. Letzte Kurve! Jetzt ist auch alles egal. Renn in das scheiß Ziel!
 
 

Im Ziel. Atmen. "Maren!" Oh Mann, hä was wo? Daniela steht am Rand und hat meinen Zieleinlauf beobachtet. Ich wusste nicht, dass sie hier ist; sie wusste nicht, dass ich hier bin. Wie schön ist das denn? Ich kämpfe mich durch den Nachzielbereich, stoppe die Uhr viel zu spät und stolpere zu ihr rüber. Ich bin irgendwas um die 53 min gelaufen, aber will mich erst so richtig freuen, wenn ichs ganz genau weiß. Unter 55 min hat ja schon mal geklappt! Die Ergebnisse sind online: 52:44 min. Krasser Scheiß! Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass ich so schnell laufen kann. 

Gelernt vom Kö-Lauf:

Alleine ist kacke. Vor allem vorher und nachher - die zufällige Begegnung war großartig! Umso dankbarer bin ich nach dem blöden alleine Rumstehen und alleine Laufen für alle Zuschauer, die in letzter Zeit sonntagsmorgens zu irrwitzigen Uhrzeiten aufgestanden sind, nur um mehrere Stunden am Streckenrand auszuharren. Ohne euch ist es nicht das gleiche!

Und: Weniger denken. Mehr laufen.