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Donnerstag, 12. Mai 2022
Birdrace - Vögel zählen auf dem Gravelbike
Ja, das Konzept ist absurd - wieso sollte irgendjemand Vögel um die Wette zählen? Naja - wieso denn nicht? Ich bin ja prinzipiell Fan von Dingen, die Menschen dazu motivieren, draußen Zeit zu verbringen, sich mit der Natur zu beschäftigen und sich im Idealfall noch zu bewegen. Wenn also eine Art Wettkampf den Ehrgeiz kitzelt und das dazu führt, sich mit verschiedenen Vogelarten, ihren Lebensräumen, ihrem Aussehen und ihren Rufen auseinander zu setzen, dann halte ich das für eine ziemlich gute Idee.
Das Kind braucht einen Namen
Ich bin deshalb jetzt also Teil eines Rennens, bei dem Teams wie Vollmeisen, Tigerente, Avifaunistische Aktion oder Uropa Epops Enkel (upupa epops = Wiedehopf) gegeneinander antreten. Selbstverständlich lassen die Teams bei ihrer Benennung kein Vogel-Wortspiel aus. Ich gründe ein eigenes Team, es heißt Gravelkrokos. Weil wir mit Gravelbikes fahren natürlich, und weil … wir eben keine Krokodile sind. Klar.Streckenplanung first, Vögel beobachten second. Vorteil am Kreis Mettmann: Er ist verdammt weitläufig. Nachteil am Kreis Mettmann: Er ist verdammt weitläufig. Es wirkt sinnvoll, so viele verschiedene Habitate wie möglich auf der Route unterzubringen und diese dann auch noch innerhalb von 24 Stunden komplett radeln zu können - denn hügelig ist es hier durchaus auch. Niederbergisches Land lässt grüßen.
Der Wecker klingelt um 6, ziemlich eklig für einen Samstag, aber es ist schließlich Raceday. Der Tag wird lang und ich frühstücke gut. Zu gut, wie sich am ersten längeren Anstieg herausstellt, denn beinahe hätten Brötchen und Waldboden sich näher kennengelernt. Uff.
Die Regeln
Es gibt etwas mehr als 300 Vogelarten in Deutschland, davon natürlich nicht alle im Kreis Mettmann, da wir leider keinen Zugang zum Meer und auch keine Alpen vor der Haustür haben. Trotzdem bleiben ganz schön viele Arten übrig. Es geht darum, in 24 Stunden so viele verschiedene freilebende Vögel wie möglich sicher zu bestimmen - entweder optisch oder akustisch. Das Ganze basiert auf Vertrauensbasis, klar. Ich kenne mich ein bisschen aus, aber nicht wahnsinnig gut. Es gibt verdammt viele kleine braune Vögel und mit Stimmen bin ich noch ziemlich ungeübt - egal, wenn's am Ende nur eine gute Radfahrt wird, war’s trotzdem ein guter Tag.Die ersten Häkchen kommen schon zuhause auf die Liste: Kohlmeise, Blaumeise und Amsel sind durchs Fenster schnell erkannt. Gut, das sind die Klassiker, die vermutlich jedes Team abhaken wird. Den Garten will ich mir als Joker für später aufheben, erst mal aufs Rad. Um kurz nach 7 sind die Straßen frei. Herrlich. Die Gravelkrokos haben keine Strategie, sondern besprechen sie unterwegs. Anhalten, wenn einer etwas sieht oder wenn ein Gebiet vielversprechend aussieht, ansonsten weiterfahren. Ok. Aus Angst, irgendetwas zu verpassen, fahren wir superlangsam, bis mir einfällt, dass gut 70 Kilometer in Schrittgeschwindigkeit dann vielleicht doch etwas zu lange dauern werden.
Rein ins Grün
Es geht rauf und runter, mitten durch die Felder. Schon kurz hinter dem Haus sehen wir Feldlerchen - und zu überhören sind die kleinen Alarmanlagen auch nicht. Doch da ist noch etwas anderes im Grünstreifen - eine App hilft bei der Bestimmung. Eine Dorngrasmücke! Die habe ich erst vor kurzem in Holland kennengelernt. Ich wusste gar nicht, dass wir Nachbarn sind!Nach Feld und Wald kommt Wasser. Normalerweise interessiere ich mich recht wenig für Enten und Gänse, heute halte ich die Augen und Ohren offen. Ein Beat aus dem Schilf erregt Aufmerksamkeit: Ein Teichrohrsänger! Eine Pfeifente bringt noch etwas Abwechslung in die Entenrunde.
Vogel-Wunschliste
Langsam gehen die Überlegungen los: Was sehen wir heute noch mit Sicherheit? Wird irgendein für uns neuer Vogel dabei sein? Oder vielleicht sogar ein seltener? Ein Must-Have lässt ein wenig auf sich warten, aber dann: endlich ein Buchfink! Haken dran. Weil ich in letzter Zeit häufig Greifvögel beobachte, will ich auf keinen Fall nach Hause fahren, bevor wir nicht die beiden am einfachsten zu entdeckenden abhaken können: Mäusebussard und Rotmilan. Beides gelingt gleichzeitig auf einem Feldweg irgendwo bei Wülfrath. Check.Ich finde eine Bank und will eine Pause einlegen, bis mir der kleine gelbe Vogel im Bäumchen dahinter auffällt. Im Vorbeifahren hätten wir ihn übersehen. Hallo! Was bist du? Glücklicherweise hat dieser Vogel die Ruhe weg und lässt sich kein bisschen davon irritieren, dass wir direkt unter dem Baum stehen und über seine Merkmale diskutieren. Drei laut streitende Kinder platzen in die Szenerie; eines beginnt auf den Baum zu klettern, in dem sich der von uns immer noch nicht bestimmte kleine gelbe Vogel befindet. Na klasse, der wird jetzt die Biege machen - allerdings nur seelenruhig bis zum Nachbarbaum. Es stellt sich heraus, dass dieser coole Dude eine Goldammer ist. Die sehe ich tatsächlich zum ersten Mal, finde sie direkt mal richtig lässig und mache mit Freude einen Haken dran.
Wir kommen zu Grube 7, einem ehemaligen Kalksteinwerk, das heute Naturschutzgebiet ist. Hier leben allerlei Vögel, auch ein paar gar nicht so häufige wie der Steinschmätzer, daher verspreche ich mir von diesem Abstecher viel. Entweder verbringen wir hier zu wenig Zeit oder die Vögel sind gerade woanders - auf den Wanderwegen drum herum tummelt sich jedenfalls nichts Ungewöhnliches. Ich kann den Zilpzalp langsam nicht mehr hören. Könnte der nicht endlich mal die Klappe halten, damit auch nochmal irgendwas anderes an meine Ohren durchdringen kann? Zilp zalp zalp zilp zalp zilp zilp zalp!
Die Sonne brennt, die Beine brennen auch, ich brauche eine Eispause. Der Eiskaffee fließt direkt in die Oberschenkel, Zucker regelt, zurück auf die Strecke. Im Morper Bachtal erwarte ich mehr Wander- als Fahrradmeter, weil es hier stellenweise schon mit dem MTB anspruchsvoll ist - aber egal. Die Gesamtzeit ist nicht wichtig, nur die Vogelarten zählen. Davon sollte es hier noch ein paar andere geben, Tümpel und Schilf lassen hoffen. Wünsche werden nicht erfüllt, keine Rohrammer, kein Schilfrohrsänger, aber dafür immerhin eine Schwanzmeise und ein Kuckuck, der uns noch eine Weile hinterher ruft.
Langsam wird es zäh. Der Blick auf die Uhr erklärt die Müdigkeit - wir sind schon einige Stunden unterwegs, in den Beinen stecken Kilometer und Höhenmeter, der Kopf ist permanent in Alarmbereitschaft. Es könnte ja ein Seeadler vorbeifliegen. Oder wenigstens ein Turmfalke. Beide sehen wir bis Ende des Tages nicht, was beim ersten nicht überraschend und beim zweiten ziemlich seltsam ist - wo seid ihr, Falken, wenn man euch braucht?
Endspurt
Kurz vor dem Ende wird aus Sonne und Hitze auf einmal Gewitter - natürlich genau oben auf dem Hügel, nur Felder rechts und links. Die Route sieht noch einen Umweg vor, ich sehe das anders. Direkter Weg nach Hause, bevor das Birdrace noch mit einem Blitzschlag endet. 66 Kilometer mit 850 Höhenmetern haben fast 10 Stunden gedauert. Die letzten beiden Vögel finden vom Küchenfenster aus ihren Eintrag in die Liste: Gimpel und Kernbeißer lassen sich wie zu erwarten noch im Garten blicken. Auf die Finken ist Verlass!In der Dämmerung halte ich extra nochmal die Ohren aus dem Fenster, aber weder der Waldkauz noch die Waldohreule haben an diesem Abend etwas zu sagen. So stehen am Ende 47 Vögel auf der Gravelkroko-Liste, was 2023 definitiv noch ausbaufähig ist. Was auf jeden Fall schon ziemlich solide ist: 850 Teams, 2500 Birdracer und 322 insgesamt gesehene Arten. Und fast 50 Prozent waren mit dem Rad unterwegs. Auch das dürfen nächstes Mal gerne mehr werden! Die Gravelkrokos planen schon mal ihre Strategie und legen so lange die müden Beine hoch.
Montag, 8. November 2021
Querfeldrhein - Cyclocross in Düsseldorf
Freitag, 16. Juli 2021
Orbit360 - Spin Spark: Ruhrgebiet rauf und runter
Bisher haben die Orbits mich nach Brandenburg und Hamburg geführt, aber eine Strecke habe ich auch vor der Haustür. Ich meine, wirklich direkt vor der Haustür - vom Wohnzimmerfenster aus kann ich sie sehen. Ich kenne viele Abschnitte der Route, einige Wälder davon seit 20 Jahren sehr gut, andere ein bisschen, aber fast überall bin ich schon mal gewesen. Niemals im Leben würde ich unter normalen Umständen auf die Idee kommen, in diesem Gebiet eine so lange und so hügelige Runde zu fahren, aber ... let's orbit!
Die Story zum Spin Spark Orbit kannst du dir auch als Podcast anhören, zum Beispiel bei Spotify, iTunes oder überall, wo es Podcasts gibt. In dieser Episode habe ich Nils Laengner zu Gast und spreche mit ihm über unseren Tag auf der Spin-Spark-Strecke. Jule Wagner, die Scouterin der Route, kommt auch zu Wort.Foto: Nils Laengner |
Dienstag, 29. Juni 2021
Orbit360 - Marsian Mountains: Powered by Franzbrötchen durch die Lüneburger Heide
Es ist 6 Uhr morgens irgendwo auf einem Wanderparkplatz südlich von Hamburg. Kärntner Hütte heißt die Lokalität hier - wollen die mich eigentlich verarschen? Die Hamburger sagen, hier gibt es so was wie Berge, die Harburger Berge. Berühmt-berüchtigt und bei vielen gefürchtet stelle ich mich vor dem Start aufs Schlimmste ein. Ich habe Christine im Ohr, die mir netterweise einen Schlafplatz angeboten hat und die Strecke schon gefahren ist: "Am Anfang geht's direkt bergauf. Verlier nicht die Nerven, danach wird's besser! Wirklich!" Na schön. Wehe, das stimmt nicht!
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Falls du meinen ersten Artikel zum Spooky Sputnik Orbit verpasst hast oder dich fragst, was es mit der Orbit360-Sache überhaupt auf sich hat, schau mal hier vorbei.
Es stimmt, denn es wird schnell besser. Die Strecke ist fluffig und die ersten Kilometer wirklich einfach - ich beginne, den Scouter Anno unbekannterweise ins Herz zu schließen. Was man halt so macht, wenn man alleine unterwegs ist und sich noch nicht mal der Routenberechnungsfehler blicken lässt. Anno meint es gut mit uns Orbitern, er schickt uns über gut fahrbare Wege, die sich zu Beginn durch die Harburger Berge schlängeln. Ich denke darüber nach, wie bescheuert es eigentlich ist, an einem Mittwochmorgen um 6 Uhr irgendwo in der Pampa eine mehr als 150 Kilometer lange Strecke abzufahren, nur weil sie irgendeiner geplant hat. Wie absurd. Und was für ein Privileg es ist, das machen zu können. Spontan einen Tag freizunehmen und dem Körper zu vertrauen, dass er das schon nochmal schaukeln wird. Absurd ja - aber wie schön ist das eigentlich?
Rennserie bedeutet, nach einem Orbit ist nicht Schluss, sondern der Spaß geht erst so richtig los. Als zweite Strecke habe ich mir Marsian Mountains ausgesucht - 154 Kilometer und 1200 Höhenmeter durch die Lüneburger Heide. Genauso lang wie das Spooky Sputnik vor einer guten Woche, aber fast doppelt so viele Höhenmeter. Trotzdem bin ich nicht nur grandios schlecht vorbereitet, sondern auch ziemlich unaufgeregt. Hat ja einmal geklappt, wird auch wieder klappen. Vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig, sich nach einem einzigen Orbit für eine Expertin in Sachen längere Gravelstrecken zu halten. Ich habe die Route nicht exakt studiert, habe mir keine Wasserstellen notiert und auch nicht explizit Erfahrungsberichte anderer Orbiter gelesen. Dass es sandig sein soll, habe ich gehört. Nun gut, das war's beim letzten Mal auch. Bisschen hügeliger jetzt eben. Wird schon werden!
Sich darauf vorzubereiten, wo sich Wasser nachfüllen lässt, ist tatsächlich nicht die allerschlechteste Idee. Praktischerweise nimmt mir Kathi Sigmund diese Aufgabe ab, indem sie mir am Vorabend den Tipp gibt, unbedingt schon in Hanstedt nach nur 40 Kilometern die Flaschen aufzufüllen, weil es dann bis Buchholz bei Kilometer 128 relativ mau aussieht. Ich befolge den Ratschlag und bin froh darüber - alles richtig gemacht. In Hanstedt komme ich auch direkt an einem Bäcker vorbei - Zeit für eine Pipipause und die beste Gelegenheit, die Essensvorräte aufzustocken. Ein Laugenbrötchen und ein Franzbrötchen wandern in die Lenkertasche. Geil!
Ich war noch nie in der Lüneburger Heide, aber ich habe sie mir so vorgestellt, wie sie mich heute empfängt: relativ menschenleer, mit feinen weißen Sandwegen, sanften Hügeln, einigen Birken, ein paar Rehen und Hasen, viel Weite und ein bisschen Wald drumherum. Schön. Zum Reiten würde ich gern nochmal hier her zurück kommen - auf echten Ponys, nicht auf Carbon-Ponys. Das gleiche dachte ich in der Uckermark auch schon. Wie ironisch, dass das nächste Orbit (Spin Spark) mich in mein bestens bekanntes Ausreitgebiet direkt vor meiner Haustür führen wird.
Ich habe euch auf Instagram gefragt, was euch zu Marsian Mountains interessiert und herausgekommen sind folgende Fragen:
Was hast du unterwegs alles dabei?
Verpflegung: zwei große Trinkflaschen, zwei Koffein-Gels und ein Riegel (habe weder die Gels noch den Riegel gegessen, aber besser haben als brauchen), eine Tüte getrocknete Mango. Dazu kamen das Franzbrötchen und ein Schokoriegel an der Tanke, das Laugenbrötchen habe ich nach dem Finish gegessen.
Klamotten: Windjacke, Armlinge.
Fahrradstuff: Schlauch, Luftpumpe, Reifenheber, Multitool, Fahrradschloss, Ventilaufsatz zum Aufpumpen an der Tanke.
Sonstiges: Sonnencreme, Sitzcreme, Geld, Handy, Garmin, Powerbank, Kabelbinder, Maske.
Nach dem kleinen Sturz im Sand beim ersten Orbit wollte ich eigentlich noch Sprühpflaster oder ähnliches einpacken, habe ich aber natürlich vergessen.
Was für Reifen fährst du?
Das Votec Testbike kam mit den Continental Terra Trail in 40 mm und tubeless. Die Breite ist möglich, weil wir auf die kleineren 650B Laufräder ausgewichen sind. Ich bin von meinem Crosser nur 35 mm gewöhnt und empfinde die Terra Trail als gleichzeitig super komfortabel und gut rollend - ich hatte zuletzt keine Schwierigkeiten, eine Rennradausfahrt komplett auf Asphalt mitzufahren.
Was für eine Übersetzung hat das Rad?
Das Votec VRC Evo hat eine 48/35 Kurbel und 10-33 Kassette. Ich weiß, da ist noch Luft nach oben - das werde ich spätestens beim nächsten wirklich hügeligen Orbit merken. Bei Spooky Sputnik und Marsian Mountains hatte ich damit überhaupt keine Probleme. An die elektronische Schaltung SRAM Force AXS habe ich mich schnell gewöhnt - auch wenn ich zu Beginn tatsächlich erst mal in die Anleitung schauen musste um zu begreifen, wie zur Hölle ich den Umwerfer bediene (mit beiden Schalthebeln gleichzeitig, wer soll da denn drauf kommen?!).
Gab's unterwegs Kaffee und Kuchen?
Nein, bis auf das während der Fahrt gemümmelte Franzbrötchen gab's keine Kuchenpausen. Jeder geht das anders an und ich habe nicht den Anspruch, super schnell zu sein - aber ich möchte wenigstens versuchen, die Pausenzeiten so gering wie möglich zu halten. In der Uckermark hat mir die Hitze einen Strich durch die Rechnung gemacht, dieses Mal habe ich nur 18 Minuten der Gesamtzeit nicht mit Fortbewegung verbracht - das find ich ganz solide.
Wie steht's um die Verfügbarkeit von Pipipausen?
Jeder Baum ist ein Klo ... Ich versuche, ein gutes Gleichgewicht von Wasser oben rein und unten raus zu finden - eine Pipipause gabs bei der Bäckerei bei Kilometer 40, das wars.
Gab's Schiebepassagen?
Nein! Ich hatte Glück, dass es am Vortag oder in der Nacht geregnet hatte - so war der Sand fest und fahrbar. Auch die etwas fiesen Stücke bergauf am Wilseder Berg und Brunsberg bin ich gut hochgekommen - aber mit Unterstützung der Witterungsbedingungen.
Wie kommst du mit so langen Strecken klar und wie motivierst du dich? Ist das zweite Orbit noch spannend, obwohl es nicht mehr neu ist?
Sehr gute Frage, vor allem die zweite habe ich mir unterwegs auch gestellt. Ich habe gemerkt, dass ich vor dem Start einerseits weniger aufgeregt war als beim ersten Mal und andererseits auch gar nicht gleich viel Bock hatte. Das fand ich schade, denn vor mir lag ein komplett freier, völlig aus der Zeit gefallener Tag in einer schönen Landschaft, die ich noch nicht kannte. Ich hab mich dran erinnert, dass ich das freiwillig mache, dass es meine Entscheidung ist und ich mir das so ausgesucht habe. Wenn beim nächsten Mal die Herausforderung wieder größer ist (Spin Spark - ebenfalls gleich lange Strecke, aber 2200 richtig ekelhafte Höhenmeter), werde ich vorher zu 100 Prozent sehr nervös sein und Schiss haben, das nicht zu schaffen.Unterwegs auf dem Marsian Mountains habe ich mich natürlich gefreut, dass es gut lief - die ganze erste Hälfte fiel mir wirklich leicht und war echt fluffig. Das Gefühl, mal ein bisschen flotter unterwegs zu sein und nicht nur am Boden zu kleben, hat Spaß gemacht und hat mich motiviert, weiter zu machen. Als es sich auf der zweiten Hälfte dann etwas gezogen hat, insbesondere ab Kilometer 130, war ich sozusagen Pot-committed: bereits zu viel eingesetzt, um jetzt noch auszusteigen. Zwischenziele helfen mir dann: Noch 2 Kilometer bis zum nächsten Abbiegen, nur noch X Kilometer, dann bleiben nur noch Y übrig, usw. Wenn's unterwegs doof ist, versuche ich mir oft vorzustellen, wie es mir hinterher gehen würde, wenn ich jetzt entweder aufhöre oder so richtig langsam bummele. Geht's mir körperlich wirklich schlecht und brauche ich eine Pause? Oder hab ich nur keine Lust mehr und würde mich später ärgern, nicht durchgezogen zu haben? Kann ich nachher vor mir selbst sagen: Naja, ich bin extra für ein Orbit nach Hamburg gefahren, aber nach 130 Kilometern gings nur noch geradeaus und der Weg war so rumpelig, da hab ich lieber aufgehört? Wohl kaum.
Ja. Meistens nicht laut, aber ich achte auf meine Gedanken. Wenn sie in eine negative Richtung abdriften ("Du eierst hier so langsam rum, andere können das viel schneller!"), versuche ich das so schnell es geht zu bemerken und abzustellen. Wenn es schwer wird, sage ich mir im Kopf bewusst Positives, ganz egal ob das in dem Moment stimmt oder nicht ("Du kannst das, du machst das super, du wirst hier gut hoch fahren!"). Selbstgesprächs-Klassiker: "Es dauert, so lange wie es dauert und es geht, so schnell wie es geht."
Zurück in die Heide. Die erste Hälfte ist rum und ich rechne vorsichtig hoch, dass ich insgesamt in unter 8 Stunden wieder am Ausgangspunkt sein könnte. Die Heidelandschaft ist mal weitläufiger und mal etwas waldiger, einmal geht es über einen hölzernen Pfad und ansonsten ist weit und breit nur Grün zu sehen. Und heller Sand. Meinen Weg kreuzen einige Rehe, Hasen und ein Nacktwanderer. Oben auf dem Wilseder Berg rolle ich an einem Orbiter-Duo vorbei und ärgere mich später, dass ich nicht angehalten habe. Aber die Zeit läuft und meine Freude darüber, den Berg hochgefahren und nicht gewandert zu sein, sorgt dafür, dass ich lieber schnell wieder runter düsen möchte, als oben dann doch zu halten.
Den zweiten Stopp hebe ich mir bis kurz vor Buchholz auf, weil eine Tankstelle direkt auf der Strecke liegt. Wasser auffüllen, Schokoriegel nachtanken. Weiter gehts. Ein bisschen asphaltierter Radweg, ein bisschen bergauf aus der Hölle mit der Wahl zwischen Pest und Cholera (Kopfsteinpflaster oder grober Schotter), dann wartet der nächste Wald. Mein oben angekündigter Tiefpunkt kommt bei Kilometer 130, als das Navi mir anzeigt, dass es für sechs langweilige Kilometer geradeaus geht und der Weg jetzt nicht gerade vom feinsten ist. Eher so im Gegenteil. Betonplatten reihen sich aneinander und allerhand Zeug liegt darauf. Sechs Kilometer! Nur geradeaus! Warum?! Irgendwann sind es noch fünf, aber sie werden nicht weniger, dieser Weg will mich verarschen, oder das Garmin, und Anno - bis eben fand ich dich nett! Ich stelle die Ansicht auf dem Navi um, so dass ich weder die bereits gefahrenen Kilometer sehe, noch die Distanz bis zur nächsten Abbiegung. Wer sechs Kilometer geradeaus fährt, hat auch Zeit für ein kleines Video - gehen immerhin auch ein paar Sekunden vorbei.
Kaum zu fassen, aber irgendwann kommt auch endlich die nächste Abbiegung, und noch ein Stückchen später gehts auf Asphalt durch ein Wohngebiet bergab und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Wie fliegen. Das Vergnügen ist kurz, denn schon bald gehts im Wald wieder bergauf, aber mir ist alles egal, denn gleich ist es geschafft. Ich darf mir wieder die Strecke angucken: Noch 10 Kilometer, noch 5. Dann kommt der Startpunkt in den Kartenausschnitt. Nur noch bis da hin zurück! Das kleine Stück! Freundlicherweise geht es nicht nur hoch, sondern auch nochmal runter. Nach 8:33 Stunden: geschafft!
Ein weiteres Orbiter-Duo trifft fast zeitgleich mit mir am Parkplatz ein - schöner Zufall mitten unter der Woche die exakt gleiche Zeit zu erwischen. Jetzt ist die Gelegenheit, kurz zu plaudern. Mit Blick auf mein Auto kommt die Frage, ob ich extra aus Düsseldorf angereist sei, das sei ja ein Einsatz. Jo Freunde.. wer nicht gerade in Hamburg wohnt, hat in diesem Jahr nicht drei bzw. vier Orbits direkt vor der Tür und muss etwas weiter fahren. Könnte sich für NRW 2022 möglicherweise ändern :)
Zweites Orbit: check!
Donnerstag, 17. Juni 2021
Orbit360 - Spooky Sputnik: Wälder, Seen, der Routenberechnungsfehler und ich
Ich bin da in etwas hinein geraten. Es ist eine komische Bubble, in der ich mich dabei ertappe, völlig unironisch Sätze zu sagen wie: "150 Kilometer und 700 Höhenmeter? Das ist eine der kurzen und einfachen Strecken." Oder: "Ich hab ein Kilo gekochte Kartoffeln in der Fahrradtasche." Ja klar. Ich hatte bei meinem ersten Orbit zwar keine Kartoffeln dabei, aber dafür zwei Stücke Pizza vom Abend zuvor.
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Orbit? Was ist das?
Orbit360 ist eine Gravel-Rennserie, bei der es in diesem Jahr 18 Routen gibt, die querfeldein jeweils 150 bis 200 Kilometer im Kreis führen. An Höhenmetern ist von 500 bis mehr als 4000 auch alles dabei. Die Bodenbeschaffenheit vermeidet Asphalt größtenteils und hat stattdessen alles zu bieten, was es zwischen Schotter, Waldwegen, Sand, Wiese und Geröll so gibt. Für jedes gefinishte Orbit innerhalb von 10 Wochen gibt es Punkte, die schnellsten 30 Fahrer:innen bekommen Extrapunkte und wer mehr Orbits schafft, bekommt auch noch Serienpunkte. Ich hatte letztes Jahr schon große Lust, mir die NRW-Strecke in der Eifel anzutun, habe mich dann aber mangels geeigneten Rades dagegen entschieden. Dieses Jahr haben Orbit360 und Votec den oder die Super Orbiter:in gesucht und mit einem Testrad gelockt, das für die Dauer der Serie zur Verfügung gestellt wird. Ich hab mich beworben und mir eine doofe Geschichte dazu ausgedacht: Mit meinem alten Crosser bräuchte ich gar nicht starten, da könnte ich auch gleich zu Fuß gehen - was ich auch tun würde, wenn ich das Votec für die Orbits gewinne. Nun, ich werde dieses Jahr noch eine lange Wanderung machen müssen. Entweder haben mich viele Leute gern und gönnen mir ein tolles Rad für ein paar Wochen, oder sie wollen mich leiden sehen. Oder beides.
Die Vorbereitung
Nennenswerte Radfahrten im letzten halben Jahr: Eine Woche #Festive500 zwischen den Feiertagen und dann Orbit #rideFAR 180 Kilometer im März. Auf der Straße. Ansonsten hier und da mal ein bisschen, aber nichts, was man im Entferntesten als Training bezeichnen könnte. Wieso? Schweinehund, Wetter, noch keine Routinen am neuen Wohnort, dies das. Aber jetzt: Endlich ein Ziel. Oder mehrere. Orbits finishen. Lange Strecken kenne ich auf Asphalt, aber nicht im Gelände. Ich hatte fast vergessen, wie es sich anfühlt, so ein richtiger Rookie zu sein und keine Ahnung zu haben, was man da eigentlich genau tut - aber jetzt weiß ichs wieder. Ich habe ordentlichen Respekt vor so vielen Kilometern und Höhenmetern und der Zeit und Kraft, die das alles bei ruppigen Untergründen kostet. Blöderweise bin ich aktuell wirklich ziemlich untrainiert und fühle mich auch genauso. Bleibt nur ein Ausweg: Mut zur Langsamkeit.
Das neue Pony ist also hier eingetroffen und so wagen das Votec VRC Evo und ich einen ersten Ausflug in den Orbit-Kosmos. Was für eine organisatorische, vor allem logistische und zeitliche, aber auch finanzielle Herausforderung hinter einer über ganz Deutschland verteilten Rennserie steckt, wird mir spätestens bei der Planung meiner Starts dann auch klar. Ein glücklicher Zufall will es so, dass ich eine Mitfahrgelegenheit von Düsseldorf nach Templin finde - sonntags hin, montags zurück. Kurz durchrechnen, ob die Abfahrtszeit machbar ist oder ob ich mich gleich beim ersten Start mit einem engen Zeitfenster zu sehr unter Druck setze, aber: 12 Stunden brutto sollten machbar sein und noch Zeit für eine Dusche lassen.
Essen ist wichtig!
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie lange ich wirklich für 152 Kilometer im Gelände brauche und auch nicht, wie ich mich währenddessen verpflege. Ich packe folgendes in die Taschen: zwei Riegel, zwei Koffein-Gels, zwei Tüten getrocknete Mango (bei #rideFAR hatte ich eine verspeist und denke jetzt: viel hilft viel) und einen Apfel. Weil vom Abendessen noch Pizza übrig ist (seriously!), wickele ich mir die beiden Stücke auch noch in Wachstücher und hoffe, irgendwann wird der Moment kommen, an dem ich nichts Süßes mehr will und mich darüber freue. Die Kartoffel-Philosophie sozusagen. Als Start lege ich 5 Uhr morgens fest, damit ich pünktlich zur Rückfahrt wieder da bin. Um kurz vor halb 6 komme ich an meinem selbstgewählten Startpunkt auf der Route an. An einem Montagmorgen um diese Zeit sind keine Menschen unterwegs, aber dafür ein Fuchs. Ich halte die Augen offen, weil ich gehört habe, dass es auch Wölfe und Seeadler in der Gegend geben soll - gesehen habe ich nichts davon.
Die Uckermark besteht aus Kiefernwäldern und Seen. Die ersten Stunden fühlen sich magisch an: die großen, schlanken Bäume, Nebel über Feldern und Wasser, völlige Einsamkeit und Stille bis auf Vogelgezwitscher und Fahrradgeräusche. Ein Kuckuck ruft, Silhouetten von Kranichen zeichnen sich auf dem Feld ab. Ganz und gar nicht meine Uhrzeit, aber ich spüre keine Müdigkeit. Generell sind Tage, an denen man solche Vorhaben wie Orbits angeht, irgendwie aus der Zeit gefallen. Klar ist das hier eigentlich ein Rennen und klar steht meine Gesamtzeit am Ende in einem Ranking, aber in erster Linie fahre ich ja, um anzukommen. Um herauszufinden, wie 152 Kilometer in der sandigen Uckermark sich so anfühlen. Wie es ist, wenn ich so lange mit mir selbst alleine bin, wann ich mir auf den Keks gehe und wie ich damit umgehe. Es ist ziemlich schön, einen Tag lang nichts anderes im Kopf zu haben als Fortbewegung und Verpflegung.
Die liebe Technik
Was mir zuerst auf den Wecker geht, ist das Sitzen. Die Hose ist erprobt, sie hat schon 280 Kilometer auf dem Rennrad mitgemacht. Den Sattel fand ich bei meinen kurzen Testfahrten in Ordnung und so dachte ich: Sitzcreme regelt. Turns out: Sitzcreme regelt gar nichts, schon nach 12 Kilometern muss ich sie neu auftragen. Uff. Wenn das so weitergeht, wird der Tag lang und schmerzhaft. Die Technik bietet ebenfalls Potential für Aufreger: Ich habe die Route aus der Komoot-Collection heruntergeladen und navigiere mit einem Garmin 1000. Eigentlich. Wenn da nicht der Routenberechnungsfehler wäre. Der wird mir nämlich alle paar Sekunden angezeigt, woraufhin ich ihn wegdrücke, um dann wieder die Route zu sehen. Manchmal wandert die Karte nicht schnell genug weiter, oft weiß das Gerät nicht, wo ich gerade bin, manchmal habe ich wegen ruppigem Boden auch einfach keine Hand frei, um aufs Display zu tippen und den Fehler zu entfernen.
Noch nie war ein Routenberechnungsfehler so hartnäckig. Von Zeit zu Zeit kommt einer, dann geht er wieder. Dieser hier bleibt. Spätestens alle 30 Sekunden ist er wieder da. Ich mag ihn nicht. Ich möchte, dass er verschwindet. Nach 50 Kilometern beginne ich zu akzeptieren, dass er nicht weggehen wird. Er wird mich begleiten, und anstatt mich darüber aufzuregen, freunde ich mich mit ihm an. Der Routenberechnungsfehler und ich, wir machen das hier heute zusammen.
Hin und wieder gesellt sich noch eine Streckenabweichung dazu. Ich mag sie noch weniger. Sie ist echt nervig, aber nun gut, sie ist nun mal da. Ich verpasse Abzweigungen, weil ich den Fehler zu spät wegdrücke oder weil die Karte nicht nachlädt oder das GPS ungenau ist. Anhalten, umdrehen, weitermachen.
Ich verstehe irgendwann, dass Sitzprobleme und Fehlermeldung wegdrücken zusammenhängen, weil ich alle paar Sekunden nur eine Hand am Lenker habe und das Gewicht verlagere. Ich creme nochmal ordentlich nach und versuche darauf zu achten, beim ständigen Tippen aufs Navi nicht zu sehr hin und her zu rutschen. It's magic: Keine Schmerzen mehr ab der Freundschaft mit dem Routenberechnungsfehler und selbst am Ende der Tour keine Wehwehchen an sensiblen Stellen zu beklagen.
Langsamkeit aushalten
Was ich am Rennradfahren liebe, ist, dass man sich fast mühelos schnell fortbewegen kann. Beim Crossen oder Graveln liebe ich es, mitten in der Natur zu sein, aber ich kämpfe echt damit, mich an die Langsamkeit zu gewöhnen. Mit 10 km/h über einen Waldweg zu eiern ist einfach so weit entfernt von der Art von Radfahren, an der mein Herz hängt. Und immer dann, wenn es gerade mal ein bisschen besser und zügiger rollt, kommt neuer Sand daher. Danke Brandenburg.
Ich versuche, Zwischenzeiten hochzurechnen. Wie lange wird es dauern, wenn ich so langsam weiterfahre? Die Überlegung beruhigt mich in keiner Weise, also fahre ich einfach. Ich freue mich über Einsamkeit, Bäume, Wasser, Vögel, Rehe, Hasen. Über den Abstecher auf einen alten russischen Militärflughafen - Spooky Sputnik, I feel you. Über einen flowigen Trail direkt an der Havel. Über eine Eisdiele, obwohl ich gar keine Pause machen wollte. Aber Hitze und eine verpasste Möglichkeit, Wasser nachzufüllen, zwingen mich zur Pause. Mein Mund fühlt sich so trocken an, dass ich kaum schlucken kann - da muss definitiv ein Eis rein. Und Cola. Und mehr Wasser. Während es beim Start heute Morgen noch 8° waren, sind es jetzt 29°.
Finish
Das bisschen Zivilisation in Fürstenberg liegt schnell hinter mir, schon führt die Route mich wieder in den Wald, wieder über holprige Wege und so langsam wird es wirklich zäh. Ich zweifle nicht daran, anzukommen. Was hätte ich auch für eine Wahl? Der Handyempfang ist gleich Null, Bahnhöfe sind eher spärlich gesät und außerdem bin ich ja nicht in die Uckermark gefahren, um aufzuhören, wenn es ein bisschen anstrengend wird. Der Rücken will hin und wieder mal gedehnt werden, aber abgesehen davon geht es mir gut. Vor einigen Kilometern, als ich bis zu den Knöcheln im Sand gesteckt habe (und einmal unfreiwillig auf dem Rücken lag und mir den Wald von unten angesehen habe), da habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als Asphalt. Ein Rennrad und stumpf geradeaus. Kopf aus und gib ihm. Mein Wunsch wird erfüllt, nach ungefähr 135 Kilometern bin ich auf einmal auf einer zauberhaften Fahrradstraße und kann mein Glück kaum fassen. Es rollt von selbst! Wie fliegen! Ohne Anstrengung! Ich realisiere langsam, dass ich es bald geschafft habe und bekomme Lust, nochmal ein wenig reinzutreten. So muss sich das anfühlen!
Ich feiere die Wahl meines Startpunktes, der mir den schönsten Radweg zum Ende beschert hat - und dafür die anstrengendsten Teile der Strecke direkt zu Beginn. Und dann - nach 152 Kilometern, 10 Stunden und 20 Minuten, bin ich wieder am Start angelangt. Hier war ich heute Morgen schon mal - fühlt sich an, wie in einem anderen Leben. Ein Tag, an dem die Zeit still steht, obwohl sie die ganze Zeit läuft. Erstes Orbit: check!
Mittwoch, 16. Dezember 2020
Buch: Cape to Cape - Jonas Deichmann, Philipp Hympendahl, Tim Farin
Vom Nordkap nach Kapstadt - 18.000 Kilometer mit dem Fahrrad. Mieser Vergleich: Das ist etwa viermal so viel, wie ich im Jahre fahre. Nur eben nicht in 365 Tagen, sondern in 73 Tagen und durch alle möglichen Länder und Klimazonen. Keine Frage, das Abenteuer ist groß, die Geschichte gibt einiges her und ist super spannend. Der Extrem-Abenteurer Jonas Deichmann und der Fotograf Philipp Hympendahl sind diese Herausforderung angetreten. Philipp ist mir ein Begriff, weil wir beide aus Düsseldorf kommen und manchmal mit der gleichen Rennradgruppe unterwegs sind, deshalb habe ich die Reise im letzten Jahr schon über Social Media verfolgt. Seit kurzem gibt's im Delius Klasing Verlag das Buch dazu: Cape to Cape*. Ich habe mein Rezensionsexemplar im Herbst mitgenommen, als ich einen Nachmittag bei einem Gravel Event einen Verpflegungspunkt betreut habe. Bei Sonnenschein auf der Wiese verging die Zeit ruckzuck - und am nächsten Vormittag war ich durch mit den 160 Seiten. Definitiv eine kurzweilige Lektüre!
Freitag, 10. Juli 2020
Auf ne Pizza nach Hannover - 280 Kilometer mit dem Rennrad
Keine Lust auf Lesen? Diesen Blogartikel kannst du dir auch als Podcast anhören, zum Beispiel bei Spotify, iTunes oder bei anderen Anbietern.
Ferdi, auch bekannt als Koootsch der Raketenstaffel und ich und Hannover. |
Zwei Wochen später ist eine Übernachtungsgelegenheit gefunden (danke, Lisa und David!), die Zugtickets für die Rückfahrt sind gebucht, die Taschen gepackt, die Route geplant und um kurz vor 5 sitzen wir freitagsmorgens auf den Rädern. Los geht's von Düsseldorf nach Hannover, gut 280 Kilometer für eine Pizza und mindestens 27 Tiramisu.
Wir sind beide alles andere als Frühaufsteher, aber die grobe Kalkulation der Zeitplanung und das Schließen der Pizzeria um 22 Uhr lassen uns keine Wahl. Falls ich aus meiner 333-Kilometer-Tour an die Nordsee eines gelernt habe, dann ist es das: Wenn du den ganzen Tag Sport machen willst, ist vorher nicht schlafen das Blödeste, was du machen kannst. Ich schlafe also immerhin vier Stunden statt damals nur eine und verbringe den Rest der Zeit des Im-Bett-Liegens mit Sorgen machen: Schaffen wir das zu zweit? Wird der Leistungsunterschied zu groß sein? Überlebe ich die Höhenmeter? Ist die kurzfristig und daher etwas lieblos geplante Route Mist? Macht mein Hintern das mit? Ist der neue Sattel besser oder schlechter als der alte und war es eine dämliche Idee, vor wenigen Tagen noch an der Einstellung herum zu schrauben? Kommen wir rechtzeitig an, bevor die Pizzeria schließt? Wird die Pizza noch so lecker sein wie damals nach dem Triathlon?
Da die Frage nach den Taschen immer wieder auftaucht: Bei nur einer Übernachtung brauchen wir nicht viel. Verpflegung für unterwegs, Wechselsachen für die Nacht und die Rückfahrt im Zug passen in die Oberrohrtasche von Birzman* sowie den Backloader von Topeak*. |
Nach einem guten Drittel der Strecke haben wir bereits 500 Höhenmeter auf der Uhr - was so ziemlich genau 500 mehr sind als ich normalerweise fahre. Gut: Immerhin sind sie gleichmäßig über die ganze Strecke verteilt. Schlecht: Es kommen noch 1000.
In Stromberg müssen wir am Ortseingangsschild selbstverständlich für ein Foto anhalten. Als nächstes fahren wir durch Rheda Wiedenbrück und Gütersloh, gefühlt schon absurd weit weg von zuhause. Nur wegen der vielen Berichterstattung in der letzten Zeit kann ich ungefähr einordnen, wo wir sind. Wiedenbrück ist überraschend schön und in Gütersloh nerven die wobbelig gepflasterten Radwege so sehr, dass wir doppelt froh sind, als wir die Stadt endlich hinter uns lassen. Bielefeld liegt als nächstes auf der Route. Ich sorge mich um potentiell schlimme Anstiege im Teutoburger Wald, bekomme dank höhenmetervermeidender Routenplanung jedoch nur nervigen Stadtverkehr. Nicht viel besser.
Mittlerweile sind wir 170 Kilometer gefahren und es wird heiß. Die Stopps häufen sich. Zeit für die erste Tankstellen-Cola. In meiner Fantasie hört NRW kurz hinter Bielefeld auf, allerdings muss ich in der Realität verdammt lange auf die niedersächsische Landesgrenze warten. NRW hält allerdings noch Späße wie Bad Salzuflen (wer denkt sich denn so einen Namen aus?) und Vlotho bereit. Irgendwo zwischen hier und dort, die schmale Straße schlängelt sich gerade zwischen sehr grünen Hügeln entlang, treffen wir auf eine Gruppe Jugendliche auf Hollandrädern. Bierkiste hinten drauf, Musikboxen vorne und locker flockig zu "99 Luftballons" die Hügel rauf. So kann man auch ne gute Zeit haben. Fahrrad, Getränke, Musik, ab zum See, fertig. Wieso wollten wir nochmal unbedingt nach Hannover?
Porta Westfalica heißt wohl nicht ohne Grund so, aber Hauptsache ich muss erst 220 Kilometer bis hier hin radeln, um das festzustellen. Hier hört NRW also auf. Nach dem Ortsteil mit dem klangvollen Namen Eisbergen folgt der einzige halbwegs ernst zu nehmende Anstieg des Tages über das Wesergebirge. Klingt schlimmer, als es ist, denn es geht nie sonderlich hoch, aber immerhin mal drei Kilometer am Stück bergauf. Kenn ich nicht von zuhause, und kenn ich erst recht nicht mit 220 Kilometern und 1000 Höhenmetern in den Beinen. Auch hier funktioniert die Taktik Ablenkung wieder hervorragend, denn ich hatte zuvor bei der Routenplanung entdeckt, dass jemand ausgerechnet hier ein "Bänkle zum Verweilen" als Point of Interest markiert hat. Was kann also schief gehen?
Tatsächlich hält Eisbergen entgegen der Ankündigung weit und breit kein Bänkle zum Verweilen bereit. Einige Kilometer später finden wir glücklicherweise doch noch eines. Mit Schatten! |
Nicht mehr so schön ist es bei Kilometer 260 kurz hinter Bad Nenndorf, als ich ankündige, dass ich eine Pause brauche, und zwar jetzt sofort. Der Kreislauf schwächelt, die Hitze tut ihr übriges und ich muss einfach kurz im Schatten sitzen. Ich habe das Gefühl, dass es eher mit dem Zug oder Bus als auf dem Rad weitergeht, aber eine Cola und ein paar Cracker ändern meine Meinung. Es geht besser. Wir einigen uns darauf, langsam weiter zu rollen und auf den Radwegen zu bleiben. Sieben Kilometer später sind wir endlich in Stemmen, dem schönsten Dorf im Landkreis 1996, niemanden interessiert das - außer uns, denn wir befinden uns ab jetzt auf der Triathlon-Radstrecke und hatten auch vor drei Jahren schon unseren Spaß mit dieser stolz präsentierten Auszeichnung.
Endlich erreichen wir ein Ortsschild von Hannover, selbstverständlich halten wir für ein Foto an. Für die Reservierung in der Pizzeria sind wir sowieso schon etwas spät dran, jetzt kommt es auf die Minute auch nicht mehr an. Hannover! Angekommen! Ob sich darüber schon mal jemand so doll gefreut hat?
Die letzten zwei Kilometer durch die Stadt schaffen wir jetzt auch noch. Auf dem Weg liegt der Stichkanal Linden, Triathlon-Schwimmstrecke. Besser könnte das alles hier gar nicht zusammenpassen. Es ist schön, schon mal hier gewesen zu sein und noch schöner ist es, mit dem Fahrrad aus eigener Kraft zurück zu kehren. Heute morgen um 5 waren wir noch zuhause in Düsseldorf und jetzt sind wir hier. Wir sind wirklich da! Pizza gibt's auch noch und der Magen macht glücklicherweise auch wieder mit - nur fürs Tiramisu reicht's bei mir dann leider nicht mehr. Müssen wir wohl nochmal wieder kommen - vielleicht in drei Jahren, wenn die Foto-App mich an diese Tour erinnert?
Die Frage kam auch schon häufiger: Die fantastische Pizza gibt's bei Francesca & Fratelli. |
Samstag, 7. Dezember 2019
Stirnlampe im Test: Petzl Swift RL
Nun ja, der Nachteil daran, wenn andere eine Lampe haben und du nicht: Läufste einmal hintereinander, siehste gar nix mehr. Und so habe ich letztens dann tatsächlich fertig gebracht, was ich bisher immer belächelt habe: Ich bin beim Laufen gestürzt. Wurzel nicht gesehen, gestolpert, einmal der Länge nach den Boden geküsst. Außer blauen Flecken und einer aufgeschürften Hand ist zwar nichts passiert, aber solche Stunts möchte ich in Zukunft doch lieber vermeiden. Trotzdem möchte ich auch mal abends eine waldige Strecke laufen. Eine Stirnlampe muss also her.
Anforderungen an eine Stirnlampe zum Laufen
Als bisheriger Stirnlampenverweigerer habe ich natürlich keinerlei Ahnung, was so eine Maschine alles können muss außer leuchten. Deshalb habe ich auf Instagram mal nachgefragt, was euch bei einer Stirnlampe wichtig ist und herausgekommen ist dabei das:- geringes Gewicht
- hohe Leuchtkraft
- soll bequem sein und nicht rutschen
- breite Ausleuchtung
- mit Rücklicht
- preiswert
- Akku sollte hinten sein
- Verstellbarkeit des Winkels; Abblenden können bei Gegenverkehr
- lange Akkulaufzeit
- mehrere Stufen
- Nachhaltigkeit: Akku statt Batterie
- wasserdicht
Wow krass, was so ein simples Gerät wie eine Stirnlampe theoretisch alles können kann. Die eierlegende Wollmilchsau, also eine leichte, helle und günstige Stirnlampe zum Laufen wird wahrscheinlich schwierig zu finden sein. Mein Testobjekt Petzl Swift RL* ist schon mal weder super leicht noch besonders günstig, aber dafür extrem hell. Hier aber erst einmal die harten Fakten:
Petzl Swift RL
- 900 Lumen maximale Leuchtkraft
- intelligente Lichtstärkeanpassung Reactive Lighting
- Lithium-Ionen-Akku mit 2350 mAh
- ergonomisches Kopfband
- 100 Gramm
- IPX4-Zertifizierung (spritzwassergeschützt)
- UVP: 99 Euro, online zurzeit ca. 80 Euro
Klingt erst einmal nach einem ziemlichen Monster - für das, was die Lampe kann, ist sie aber tatsächlich vergleichsweise kompakt und leicht. Petzl unterscheidet zwischen Active und Performance Stirnlampen - die Active Reihe eignet sich für normales Laufen, während die Performance Lampen auch für Trailrunning, Mountainbiken und Skitouren empfohlen werden. Sie passen ihre Leuchtkraft automatisch der Helligkeit der Umgebung an. Es kommt also ganz darauf an, wo die Stirnlampe eingesetzt werden soll: Fürs Laufen in der Stadt oder auf Straßen, wo von Zeit zu Zeit eine Laterne steht, reicht definitiv auch eine kleinere, schwächere Lampe - die dann auch leichter und preiswerter ist. Auf Instagram wurde mir mehrfach die Petzl Bindi* empfohlen, die auf jeden Fall in die Kategorie superleicht und klein fällt. Ein Mittelding zwischen Bindi und Swift ist beispielsweise die Petzl Actik*.
Swift RL*
Actik*
Bindi*
Laufen mit Stirnlampe: Der erste Test
Da ich ja in der Stadt sowieso ohne Stirnlampe laufe, habe ich die Swift RL direkt mal mit in den Wald genommen. Beim ersten Lauf nur in ein kleines Wäldchen und beim zweiten Test direkt mal bei Regen in den "richtigen" Wald. Das Band ist weich gepolstert und wie bei einer Schwimmbrille hinten zweigeteilt - der Sitz ist wirklich bombenfest und nicht unangenehm - trotzdem war es für mich anfangs ungewohnt, jetzt auf einmal was am Kopf zu haben. Beim ersten Lauf habe ich die Lampe nach sechs Kilometern an meine Begleitung abgegeben, weil ich Kopfschmerzen bekommen habe - da spielte aber sehr wahrscheinlich auch mit rein, dass es mir an dem Tag generell beim Laufen nicht so gut ging und alles irgendwie doof war. Der Akku ist bei der Swift RL vorne, daher ist das Gewicht nicht so gut verteilt. Beim zweiten Lauf waren zehn Kilometer alleine mit Lampe allerdings kein Thema mehr - ohne Kopfschmerzen.Im Vergleich zu den weniger starken Lampen, die ich von meinen Laufbegleitungen so kenne, kann ich mit der Swift RL auf jeden Fall angeben: Sie ist heller als alle Stirnlampen, die ich bisher erlebt habe. Was mir mindestens genauso wichtig ist: Sie leuchtet nicht nur einen winzigen Kreis vor meinen Füßen halbwegs aus, sondern schön breit den gesamten Weg und zwar auch einige Meter vor mir. So habe ich überhaupt nicht mehr das Gefühl, einem kleinen funzeligen Lichtschein durch ein dunkles Nichts hinterher zu rennen, sondern ich habe mehr Überblick und kann auch weiter Entferntes wahrnehmen. Je nach Einstellung leuchtet die Petzl Swift RL 35 bis 150 Meter weit - mit der geringsten Leuchtkraft laut Hersteller bis zu 50 Stunden lang. Das habe ich nicht ausprobiert!
Ein Knopf für alles
Die Swift RL hat zur Bedienung genau einen Knopf, mit dem man die zwei verschiedenen Modi (Standard oder Reactive Lighting) und jeweils drei Stufen auswählen kann. Es gibt eine mechanische Tastensperre, so dass die Lampe sich nicht beim Transport unabsichtlich einschalten kann - ziemlich gut. Dass sonst alle Funktionen über nur eine Taste zu steuern sind, finde ich nicht besonders praktisch, zumindest den An/Aus Knopf hätte ich gerne extra. Wenn ich aus einer helleren Stufe nämlich in eine schwächere schalten möchte, geht die Lampe immer die Reihe durch: Bin ich beispielsweise in Stufe 2 und möchte in 1, muss ich erst in 3 schalten, dann aus, dann wieder in 1. Ist natürlich logisch, denn woher soll die Stirnlampe wissen, ob ich es gern heller oder dunkler hätte - aber den kurzen Moment, in dem es beim Laufen ganz dunkel ist, könnte man mit einem extra Schalter für Ein und Aus vermeiden.Das Wechseln zwischen den Stufen übernimmt die Petzl Swift RL auch alleine, wenn man möchte. Im Reactive Modus misst ein Sensor die Helligkeit und passt die Leuchtkraft automatisch an - das funktioniert auch tatsächlich sehr zuverlässig. In diesem Modus verspricht der Hersteller eine längere Leuchtdauer, einen höheren Sichtkomfort und natürlich weniger manuelles Umstellen.
Test-Fazit Petzl Swift RL
Positiv zu erwähnen ist auf jeden Fall die umweltfreundliche Verpackung. Statt Plastik-Hülle ist alles in Pappe sicher verstaut. Schön wäre es, wenn bei der Lampe in dieser Preisklasse direkt ein Etui zur Aufbewahrung oder Transport dabei wäre - tatsächlich gibt es eines, was man für ein paar Euro dazu kaufen kann. Es gibt auch weiteres Zubehör wie Ersatz-Kopfbänder (die man übrigens abnehmen und waschen kann), Ersatz-Akku sowie Haken zur Befestigung am Helm. Das Laden funktioniert über Micro-USB, was ich recht praktisch finde - immerhin nicht noch ein zusätzliches Kabel, das zuhause rumfliegt. Der Anschluss ist allerdings nicht über eine Gummilippe oder ähnliches geschützt - da er unter der Lampe angebracht ist, passiert bei Regen trotzdem nichts.Dass der Akku nicht hinten ist und das ganze Gewicht vorne lastet, hat mich nur beim ersten Lauf gestört - danach hatte ich mich daran gewöhnt. Das Kopfband sitzt wirklich gut und ist reflektierend, so dass man auch gesehen wird. Die Verstellbarkeit des Winkels nutze ich gerne und viel, da ich je nach Bodenbeschaffenheit lieber direkt vor mir oder etwas weiter in die Ferne sehe.
Braucht jetzt jeder eine so helle Stirnlampe? Ich denke nein. Hätte ich eine Stirnlampe in der Preisklasse gekauft? Wahrscheinlich nicht. Würde ich sie wieder hergeben? Auf keinen Fall. Im Vergleich zu den funzeligen Lampen, die ich vorher kannte, löst die Swift RL für mich genau das Problem, was mich bisher vom Laufen mit Stirnlampe abgehalten hat: Ich sehe nicht nur einen winzigen Kreis vor mir, sondern den Weg in seiner gesamten Breite und kann auch mehrere Meter vor mir noch genug erkennen. Wer also eine schwächere Lampe hat und damit zufrieden ist, braucht definitiv nicht zu wechseln. Sollten die Sportarten aber schneller oder anspruchsvoller werden, wie beispielsweise beim Mountainbiken oder Trailrunning, dann hat eine leistungsstärkere Stirnlampe schon ihre Berechtigung.
Werbehinweis: Die Petzl Swift RL wurde mir von Petzl kostenfrei überlassen. Danke dafür! Auf die Art oder die Inhalte des Testberichts wurde keinerlei Einfluss genommen.
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