Mittwoch, 23. Mai 2018

Plan für die Saison: Bergangst besiegen

Wir müssen reden. Über Berge. Ich hasse sie. Und ich liebe sie. Irgendwie.

Von vorne: Meine Radfahrer-Karriere begann 2014 mit einer spontanen Anmeldung zum Triathlon. Während ich bis zu diesem Zeitpunkt nur gemütlich im Fitnessstudio auf dem Spinning-Bike gesessen hatte, musste ich plötzlich erfahren, was es heißt, nicht nur ein bisschen Widerstand rein zu drehen, sondern wirklich bergauf zu fahren. Den Anstieg zu sehen. Die brennenden Beine zu spüren. Nach Luft zu schnappen. Langsamer zu werden. So langsam, dass Umfallen droht. Nach vorne zu schauen und festzustellen, dass oben immer noch ganz schön weit weg ist.


Diese Triathlon-Radstrecke ist ein bisschen hügelig und meine größte Sorge war es, dass ich diesen einen, fiesen Berg zweimal erklimmen musste. Der Anstieg - ein Kilometer mit durchschnittlich 3 %, kurz vor Ende um die 9 % - ist eigentlich ein Witz. Er war für mich damals der Endgegner, und es war mir egal, ob das ein kleiner popeliger Hügel in Ratingen Eggerscheidt war oder die Alpen. Natürlich bin dort oben angekommen, aber Spaß hat es nicht gemacht. Ich habe mich genauso gefühlt wie beim Laufeinstieg: langsam und schlechter als alle anderen.

Meine Einstellung zu Bergen beim Radeln hat sich in den nächsten Jahren nicht großartig verändert. Ich könnte mit dem Rennrad auch wunderbar nur flach und schnell fahren. Ich mag es nicht, wenn es langsamer wird - und das lässt sich bergauf ja nun mal schwer vermeiden, wenn man nicht gerade Nairo Quintana heißt. Bei mir wirds langsam. Bei den Jungs, mit denen ich in der Ebene mithalten kann, nicht. Toll. Ich mag das Gefühl nicht, dass der ganze Körper sich gegen den Berg sträubt: die Beine, die Lunge, der Kopf. Das Schlimmste: absteigen und schieben müssen. Das ist mir ein paar Mal passiert. Zuhause, als meine Beine, die Übersetzung und der Anstieg irgendwie nicht so recht zusammen passten. Auf Mallorca, als ich 2015 das erste Mal am Cap Formentor war und fast den kompletten Rückweg zu Fuß zurückgelegt habe, weil einfach gar nichts mehr ging.


2016 war ich wieder am Cap Formentor, musste dieses Mal nicht wandern, aber hatte auch nicht sonderlich viel mehr Spaß als beim ersten Mal. Natürlich ist die Strecke gigantisch, die Aussicht unschlagbar, aber ich habe auch sehr gelitten und hatte wenig Zeit zum Genießen. Dieses Jahr war es endlich anders, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Während ich zuhause wegen des Marathontrainings kaum auf dem Rad saß und nur flache Runden gedreht habe, habe ich mich auf Mallorca von Anfang an auf die Berge gefreut. Habe an den ersten Tagen bei den welligen Runden im Inneren der Insel auf die Gebirgskette geschielt und von nichts anderem geredet, als dass es mich dort hin zieht. Eine bittersüße Mischung aus Vorfreude und Angst, es könnte wieder scheiße laufen, keinen Spaß machen, zu hart werden. Und doch voller Vorfreude.


Zum ersten Mal hat die Freude überwogen. Der Spaß. Am bergauf Fahren. Dass ich das mal sagen würde! Wie immer liegt der Hund irgendwo da begraben, wo man sich keinen Stress macht. Wo negative Gedanken keinen Platz haben und wo es nur zählt, das eigene Tempo zu fahren, bei dem man sich gut fühlt. Und dann entsteht da auf einmal dieses Gefühl, dass du spürst: Das ist anstrengend, aber du kannst es aushalten, es schaffen, ohne dass es dir dabei so richtig, richtig schlecht geht - das ist fantastisch. Wenn sich die Steigung in den Beinen auf einmal nicht brennend und furchtbar anfühlt, sondern wohlig warm. Wenn du noch eine Frequenz treten kannst, die Sinn ergibt, die nicht sagt: "Was machst du hier eigentlich, steig doch besser ab, du wärst zu Fuß schneller!" Wenn du 10, 11, 12 % Steigung aushalten kannst, wenn sich 7-8 % richtig gut anfühlen und 4-5 % schon fast flach sind. In dieser verkehrten Welt bin ich so glücklich wie noch nie bergauf gefahren. Der Moment, als ich realisiert habe, dass die Anstrengung mir gerade tatsächlich Spaß macht, war genau in der schönsten Kurve der Welt: Cap Formentor, letzter Anstieg, rechts das Meer (und der Abgrund), links eröffnet sich zum ersten Mal der Blick auf den Leuchtturm. Gigantisch. Mit Freudentränchen in den Augen und einem Herz voller Glück bin ich dem Leuchtturm entgegen gerollt und wollte die ganze verdammte Welt umarmen.


Sich aus eigener Kraft mit dem Rad irgendwo rauf kämpfen, macht stolz. Oben zu sein und zu sehen, was man geschafft hat, wie weit man über den Meer ist oder über anderen, kleineren Bergen, ist unheimlich schön. So langsam kann ich das genießen. Es ist nicht mehr nur: "Oh scheiße, endlich bin ich oben, ich wäre fast gestorben!" sondern es ist: "Geil, das war hart, aber hat Spaß gemacht!" Sa Calobra zum Beispiel. 10 Kilometer mit 7 %, die man erst runter eiert, um sie dann wieder hoch zu fahren - vollkommen bekloppt, aber so schrecklich schön. Und was für ein glückseliges Grinsen einem so ein erfolgreich passiertes Col-de-Weißderkuckuck-Schild ins Gesicht tackert ...



Und weil dieses Gefühl, diese Herausforderung, zum Radfahren anscheinend irgendwie dazu gehört, fahren Menschen Rennen mit sehr vielen Höhenmetern. Ich nicht. Aber ich traue mich immerhin mal an dezent hügelige Geschichten heran: Nach dem Škoda Velodom bei Rund um Köln kommt das 24h-Rennen bei Rad am Ring im 4er Team. Ich bin sehr gespannt, wie mich mit der Nordschleife anfreunden werde. Nur eine Woche später geht's in die Rhön, wo man anscheinend dringend Radfahren sollte - ich werde mir das mal angucken. Bei der RHÖN300 kann man 300 km mit 5200 hm fahren. Das ist mir dieses Jahr definitiv viel zu krass. Ich werde mich mit 110 km und 2300 hm begnügen - nicht als Rennen, sondern im RTF-Format. Trotzdem eine Herausforderung und ich freue mich drauf, mal eine andere Ecke von Deutschland auf dem Rad zu sehen als das Rheinland. Wer Lust auf die RHÖN300 bekommen hat und bei der Anmeldung 20 % sparen möchte, gibt einfach diesen Code ein: P_VYFPY6. Der Startplatz sowie der Rabattcode wurden mir vom Veranstalter zur Verfügung gestellt.

Breaking: Wo es rauf geht, geht's auch wieder runter. 
Bilder: Jan Peifer (umsturzvegan.de | Coffee & Chainrings), Julia Jachmann, ich.

Mittwoch, 9. Mai 2018

Raceday No. 56 - Rotterdam Marathon 2018

Mittagshitze. Kilometer 30. Aus dem Schlauch des Trinkrucksacks kommt nichts mehr raus und ich verstehe nicht, warum. Eben ging das noch. Manchmal ist ein Knick im Schlauch, also Rucksack abziehen, Schlauch entwirren, nochmal versuchen. Nichts. Nochmal prüfen. Kein Erfolg. Dann die Erkenntnis: Der Rucksack ist leer. Kein Wasser mehr. Oh Mann! Ich ärgere mich, dass ich nicht früher darauf gekommen bin. Noch zwölf Kilometer. Mit leerem Rucksack. Mein wunderhübscher Plan, dass ich in Rotterdam, dieser niederländischen Sauna, immer etwas zu trinken habe, scheitert also. Es ist heiß und ich will Wasser. Und zwar nicht alle paar Kilometer, sondern jederzeit. Ich will keine blöden Becher, ich will aus dem Schlauch ganz bequem kleine Schlucke trinken. Aber das kann ich nicht mehr, denn ich habe bereits den ganzen Rucksack leer gesoffen. Ich ärgere mich, dass ich absolut nicht bedacht habe, dass das passieren könnte. Anstatt den leeren Trinkrucksack einfach abzuhaken und mich ab jetzt auf die Getränkestände zu konzentrieren, stelle ich das gesamte Vorhaben Rotterdam-Marathon in Frage. Wenn der Plan sowieso schon wankt, warum überhaupt noch weiter machen?


Long story short: 2017 bin ich zuhause in Düsseldorf meinen ersten Marathon gelaufen. Schon beim Finish war mir klar, dass das nicht alles sein kann, dass ich das nochmal machen werde. Weil mich diese Herausforderung reizt, weil es mich antreibt, das noch einmal schaffen zu wollen, es besser zu machen und zufriedener zu sein. Die Gelegenheit kam mit Dein erster Marathon - ein Projekt von bunert und New Balance. Ich bin hier gleich doppelt involviert: Zum einen bei der Organisation des Projekts und zum anderen, weil ich mich entschlossen habe, selbst mitzulaufen. Auch wenn es nicht mein erster Marathon ist, bin ich am Vortag aufgeregter als so mancher Teilnehmer. Mir ist schlecht, ich zittere und bringe keinen geraden Satz raus. Na das kann ja was werden. Der holländische Zaubertrank Jupiler sorgt immerhin dafür, dass ich Schlaf finde.


Am Marathon-Morgen sieht die Welt zum Glück viel besser aus: Ich bin ruhig und voller Vorfreude. Ohne Angst. Und ich habe Bock! Niemand, der ein Herz hat, kann sich der Stimmung entziehen, die am Marathon-Morgen über der Stadt liegt. 15.000 Läufer pilgern die Zielgerade in verkehrter Richtung hinunter zum Start. Aus den Boxen schallt "You'll never walk alone", einige stimmen ein, ich habe einen freudigen Kloß im Hals und die ersten Tränchen des Tages in den Augen. Scheiße, falls ich gestern noch nicht wusste, weshalb ich das mache, dann jetzt. Genau dafür! Für diese Aufregung, diese wunderbare Anspannung und diese elektrisierte Luft.



Rotterdam ist großartig. Schon direkt nach dem Start führt die Strecke das erste Mal über die riesige Erasmus-Brücke. Gefühlt jedes Stückchen Streckenrand ist von Zuschauern gesäumt, die die perfekte Mischung aus Anfeuern und Party feiern finden. Nicht so übertrieben wie in Venlo, sondern sympathisch und herzlich. Mit genug Zeit, Namen abzulesen und einzelne Läufer anzufeuern. Und mit einem Händchen dafür, was die Läufer gebrauchen könnten: Unabhängig von den offiziellen Verpflegungsständen bieten die Zuschauer Wasser, Salzstangen, Gummibärchen oder Orangenscheiben an. Wenn die hier jetzt noch gute Musik und weniger Scooter spielen würden ...


Ich hadere mit meiner Taktik. Der Start war erst um 10.30 Uhr, ich habe vor, 4:30 Stunden zu laufen und dieser Tag ist ausgerechnet der erste, an dem es richtig warm wird. Ich habe lange Läufe bei Minustemperaturen gemacht, war bei Schnee, Regen und Hagel draußen, aber ich bin nicht auf 25° und Sonne eingestellt. Noch nicht, es ist gerade mal Frühling! Ich schwanke zwischen "langsam und ruhig durchlaufen" und "lieber am Anfang nicht zu sehr trödeln (aber auch nicht überpacen), denn hart wird es auf jeden Fall irgendwann - besser du bist dann schon so weit wie möglich gekommen". Der Grat ist schmal. Ich entscheide mich für eine vorsichtige Version von Variante zwei und laufe minimal schneller als geplant - 06:15 statt 6:20 min/km bis Kilometer 25.


Die Beine fühlen sich anfangs nicht gut an, aber ich komme gut rein. Ich treffe den Mittelweg ganz gut, will es auf keinen Fall übertreiben, aber auch nicht länger als nötig unterwegs sein. Die erste Hälfte vergeht trotz Pipipause bei Kilometer 18 schnell. Von den Kilometermarkierungen kommt eine nach der anderen und ich kann die Stimmung genießen. Nach dem zweiten Überqueren der Brücke dämmert mir: So einfach wird es nicht weiter gehen. Ich habe mich gut verpflegt, meine Gels planmäßig genommen und genug getrunken. Die Beine sind mittlerweile gut, trotzdem nehme ich Tempo raus. Da kommt noch einiges auf mich zu.

Zum Beispiel bei Kilometer 30 das Rucksack-Gate. Blöd, dass mentaler und körperlicher Tiefpunkt hier exakt aufeinander treffen. Ich merke, wie mir die Energie ausgeht, bekomme Kreislaufprobleme, Magenschmerzen und zweifle zum ersten und einzigen Mal. Gehpause. Keine andere Chance. Ich beschließe, dass der Magen schlimmer nicht werden kann und nehme ein Iso-Getränk des Veranstalters - normalerweise mache ich mit meinem empfindlichen Magen damit keine Experimente. Schlimmer als jetzt wäre nur noch Übergeben, danach fühlt es sich gerade nicht an, also rein damit. Wichtiger ist es, den Kreislauf wieder anzuschubsen. Das Iso bleibt drin, also drücke ich das letzte Gel hinterher. Ich schleppe mich mit einer Mischung aus wenig laufen und viel gehen bis Kilometer 34 und auf einmal ist es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.


Ich kann wieder laufen. Mit dem Wissen, dass meine 4:30 Stunden nicht mehr drin sind (außer ich renne die letzen acht Kilometer und das ist keine Option), laufe ich einfach so, wie ich mag. Das ist nicht flott, aber immerhin genauso schnell wie von Kilometer 25-30. Ich freue mich absurd darüber, dass die Beine absolut keine Probleme machen, dass auch der Rest wieder mitspielt und dass ich vor allem wieder laufen will. Da ist nicht genug Ehrgeiz, um noch um irgendeine möglichst schnelle Zeit zu kämpfen, aber immerhin so viel, um nicht komplett zu bummeln. An den Getränkeständen gönne ich mir kurze Pausen, dazwischen laufe ich so, wie es sich gut anfühlt.

Die letzten beiden Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Gleichzeitig sind sie wunderschön, weil die Zuschauerreihen immer dichter werden und das Publikum anders anfeuert als bei Kilometer 5 oder 10. Alle, die hier vorbeilaufen, haben es gleich geschafft. Ich auch. Und daher versuche ich, alles in mich aufzusaugen. All diese Menschen, die Stimmung, diese bittersüße Mischung aus Anstrengung und Glück und Stolz. Ich muss nicht auf jedem Kilometer Spaß am Laufen haben, ich mache das für genau diese Momente. Für das Gefühl, um die letzte Kurve zu biegen und die Zielgerade in schier unerreichbarer Entfernung zu entdecken. Zwei Stimmen im Kopf brüllen gleich laut: "Gleich geschafft!" und "Oh Kacke, noch so weit?!"


Wenn du bis Kilometer 42 gekommen bist, fängst du nicht auf den letzten 200 Metern noch an zu gehen. Oder ans Aufhören zu denken. Wenn du das geschafft hast, läufst du ins Ziel, so schnell wie deine Beine dich noch tragen. Weil es egal ist, wie weit das exakt weg ist - wenn du es sehen kannst, schaffst du auch diese letzten Meter. Als Belohnung gibt es eine goldene Medaille - selbst für Platz 9.000-irgendwas - und eine Rose. Ich halte beides in Ehren, aber ich muss auch verdammt dringend zum Klo. Und was trinken. Und endlich zurück zu den Fans stiefeln, um zu berichten, wie schrecklich und wie schön das war.

04:35:14 Stunden lang habe ich bis auf kurze Begegnungen mit anderen aus dem Team alles mit mir selbst ausgemacht. War alleine zwischen 15.000, komplett abgetaucht in meiner eigenen Marathon-Welt. Ich freue mich drauf, langsam wieder in die Realität zurück zu kehren, und ich weiß mittlerweile: Ich will nochmal in dieses Wasser springen. Nicht mit der Motivation, etwas besser zu machen. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis unter den Bedingungen und zufrieden mit meinem ziemlich schnell gewonnenen Kampf. Ich will das einfach nochmal machen.


Fotos: Christian Siedler. Danke, danke, danke!
Danke an den bunert Onlineshop, an New Balance und an all diese fantastischen Menschen, die dieses Projekt zu dem gemacht haben, was es war: Fantastisch. Danke!