Samstag, 31. Dezember 2016

Happy 2017! Saisonplanung und was sonst so kommt

Nachdem der Fokus für 2016 ja nur darauf lag, Zeiten zu verbessern und einige erste Male zu überstehen (Freiwasser, Radrennen ...), steht für 2017 endlich mal wieder ein Termin im Kalender, bei dem sich an meiner Zurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Anmeldung zweifeln lässt. Dazu kommen noch einige waghalsige Wunschzielzeiten und Highlights als Zuschauer. Aber von vorn.


Zuerst habe ich da ja mit ein paar Zeit-Zielen noch Rechnungen offen. Die 2-Stunden-Marke soll nächstes Jahr mit großem Marketingbrimbamborium auf der Marathondistanz fallen - mir würde eine sub2 schon auf der halben Strecke reichen. Ich weiß, dass die drin ist, dass mir nur noch zwei doofe Minuten fehlen und die sind kommende Saison definitiv fällig!
Auf 10 km sieht es nicht ganz so eindeutig aus. Die Geschichte mit der geplanten sub50 beim Martinslauf war vermutlich nicht die allerbeste Idee, aber wieso sollte ich das eigentlich nicht nochmal versuchen? Also! Und wo wir gerade dabei sind ... mit meiner Harakiri-Partnerin-in-Crime Naomi will ich mir auch die 5 km nochmal vornehmen. Unter 25 Minuten sollte locker drin sein, die Frage ist nur, wie genau wir den schmalen Grat zwischen supergeil und Kotzgrenze treffen. Ich werde berichten! Natürlich.

Kommen wir nun mal zu den Veranstaltungen, wo diese Späße stattfinden sollen. Bisher sieht der Plan wie folgt aus: Los gehts genau heute mit 10 km beim Silvesterlauf in Neuss. Der zählt einfach schon mal zur neuen Saison. Danach gehts weiter mit dem Neujahrslauf in Ratingen. 5 km. Auf die Fresse. Danach startet Ende Januar die wunderbare Winterlaufserie in Duisburg, weils letztes Jahr so nett war, weil ich dort tatsächlich schöne Läufe hatte, weil Duisburg prima ist und weils einfach hervorragend in den Kalender passt. Bedeutet: ein 10er Ende Januar, 15 km Anfang März und ein Halbmarathon Ende März.


Triathlonmäßig gehts dann ab Mai zur Sache: Ich starte auf der Olympischen Distanz in Gladbeck. Zwei Wochen später steht auch schon das Saisonhighlight im Kalender: Mitteldistanz. Heilige Scheiße! 1,9 km Schwimmen, 90 km Rad und 21 km laufen. Ich hab gehörigen Respekt vor dem Lauf - natürlich. 90 km im Triathlon radeln sind allerdings auch eine etwas andere Nummer als 70 km im Radrennen - keine Ahnung, wie man sich da ganz alleine fucking drei Stunden lang bei Laune halten soll und anschließend noch einen Halbmarathon läuft. Ich weiß es nicht. Die Vorstellung, sechseinhalb oder sieben Stunden unterwegs zu sein, erscheint mir absurd, aber ich bin überzeugt davon, dass ich das schaffen kann.
1,5 km bin ich im Wettkampf schon geschwommen, dann gehen auch 1,9. Leider habe ich keine Möglichkeit, vorher noch einen Triathlon im Freiwasser zu machen - meine OD im Mai ist im Schwimmbad. Bleibt also spannend, was der Kopf so zum Thema Kraulen im See sagt. Die Radstrecke sollte kein ernstes Problem werden und Halbmarathon bin ich inzwischen auch viermal gelaufen - allerdings immer frisch und nicht nach mindestens vier Stunden Belastung. Trotzdem bin ich froh, dass ich zumindest theoretisch weiß, was beim Laufen auf mich zukommt, sonst würde ich mir das Ganze definitiv nicht zutrauen. Ich bin gespannt, wie das alles auf einmal wird!
Die Wahl für die Mitteldistanz ist auf Hannover gefallen. Der Termin Anfang Juni passt mir gut in den Kram, die Veranstaltung ist kleiner und bezahlbarer als die großen bekannten und das Wichtigste: Die Triathlongang ist auch am Start. Und nach Hannover fährt ja sonst keiner freiwillig, also übernehmen wir das einfach. Mission Hannover, here we go!


Zwei Wochen später startet der internationale Sport-Trubel zuhause: Die Triathlon-Sprint-EM kommt nach Düsseldorf. Das Gute daran: Sie findet im Rahmen des T3 Triathlons auf den bekannten Strecken statt - gefühlt direkt vor meiner Haustür. Das Schlechte daran: Der T3 Triathlon wird wegen der EM nur abgespeckt stattfinden - es gibt 2017 keine Olympische Distanz. Nachdem ich beim letzten Mal auf der Radstrecke wegen ziemlich vielen Kurven, Brücken und engen Straßen extrem wenig Spaß hatte, wollte ich in Düsseldorf nur noch auf der OD starten. Jetzt gibts zwar keine, aber dafür was viel besseres: eine geänderte Radstrecke auf der Sprintdistanz. Yay! Es ist die alte Radstrecke der Olympischen, aber nur eine Runde zu fahren. Es geht lange geradeaus, direkt am Rhein entlang die Rotterdammer Straße bis zur Messe hoch und wieder runter - ich freue mich riesig und habe extrem Bock drauf. Heimspiel! Ballern!
Für die EM am Vortag habe ich mich als Helfer gemeldet und bin gespannt, wo ich eingesetzt werde. Näher kann man so einem Event ja nicht kommen, von daher: Ich freue mich! Bleibt zu hoffen, dass zwei Wochen nach der MD reichen, um halbwegs erholt am Start zu stehen.

Anfang Juli geht es zuhause dann ja hochkarätig weiter mit den internationalen Sport-Events: Bonjour le tour! Die Tour de France startet in Düsseldorf. Die erste Etappe ist ein Zeitfahren und zwar zum Teil auf der Triathlon-Strecke, was den T3 irgendwie nochmal ne Spur lässiger macht. Die zweite Etappe führt über die ebenfalls schon für gut befundene Race-am-Rhein-Strecke und danach weiter über Kaarst und Aachen bis Lüttich. Ich freue mir einen Ast und habe mich auch hierfür als Volunteer gemeldet, um möglichst viel Tour-Luft zu schnuppern. Einmalige Gelegenheit! Da kann man sich schon mal im Dezember vorfreudig die Hände reiben, wenn man dran denkt, was im Sommer 2017 so alles kommt!


Selbst aufs Rad möchte ich natürlich auch. Fest steht bisher noch nicht viel, außer das Rad Race Battle im August in Hamburg. Saucooles Ding, hat letztes Mal ordentlich Spaß gemacht und ich freu mich drauf. Ein längeres Rennen möchte ich natürlich auch noch fahren, die Cyclassics am Tag drauf bieten sich geradezu an - mal schauen. Den Münsterland Giro im Oktober habe ich als großartigen Saisonabschluss in Erinnerung und peile ich für nächstes Jahr auch wieder an - steht aber ebenfalls noch nicht fest. Wer andere tolle, vielleicht kleinere Radrennen empfehlen kann, möge bitte fleißig kommentieren! Ich freue mich über Tipps für Veranstaltungen, die im besten Fall auch mit einem studentischen Budget verträglich sind :)

Ok, was bisher fix ist:

31. Dezember: Silvesterlauf Neuss
8. Januar: Neujahrslauf Ratingen
Januar-März: große Winterlaufserie in Duisburg
28. Mai: Olympische Distanz in Gladbeck
11. Juni: Mitteldistanz in Hannover
25. Juni: Sprintdistanz in Düsseldorf
19. August: Rad Race Battle in Hamburg

Was noch fehlt: Eventuell der eine oder andere Sprint oder Olympische Triathlon im Juli oder August sowie die Entscheidung, welche Radrennen es nun werden oder nicht. Rund um Köln fällt leider mit Hannover zusammen, sonst wäre das auch eine Option gewesen. Mir spuken noch 1000 Dinge im Kopf herum, von Scheißhausideen (Rad am Ring!) bis zu wunderbaren Plänen, die aber noch nicht spruchreif sind (Radrennen mit Linksverkehr? Ja, nein, vielleicht?). Die eine oder andere Überraschung kommt also mit Sicherheit noch dazu. 2016 war entspannt und fantastisch, aber jetzt freue ich mich auch sehr drauf, 2017 wieder größere Ziele im Blick zu haben. Danke, dass ihr dabei seid. Guten Start ins neue Jahr!

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Rapha Braver Than The Elements Düsseldorf

Mir scheint, mit dem Gruppen-Radeln verhält es sich so wie mit dem Feiern: Geht immer, man muss nur irgendeinen Grund erfinden. Dieses Mal liefert uns Rapha den Anlass: Braver Than The Elements. Klingt cool, ist es auch. Simple Idee dahinter: Radfahrer, besonders Frauen, dazu motivieren, sich im Dezember für eine gemeinsame Ausfahrt zu treffen. Egal, wie das Wetter ist. Braver Than The Elements eben. Nun denn.

Ich muss zugeben, dass ich so brave gar nicht bin. Wenn der Winter der Radsaison im November anfängt, habe ich diesen Winter bisher exakt viermal auf dem Rad gesessen. Okay, plus Bahn, plus Spinning, aber eben nur vier Mal draußen. Was schlechtes Wetter und Kälte betrifft, bin ich echt ein Mädchen: kalte Füße, taube Zehen, Nässe, mimimi! Ja, richtige Kleidung, blabla, stimmt alles, hab ich aber nicht im Schrank. Und außerdem hab ich auch extrem wenig Bock, wieder zuhause angekommen erst mal das Rad zu schrubben noch bevor meine Füße wieder aufgetaut sind. Daher waren das Winterradeln und ich bisher keine allzu großen Freunde. Aber wenn Rapha schon einlädt und der Düsseldorfer Rapha-Minister vom Dienst Steffen höchstpersönlich eine Tour plant, dann kann man ja gar nicht anders. Das Radfahrerherz hüpft, der vernachlässigte Bruno scharrt ungeduldig mit den Hufen und von daher: Keine Frage, Klick auf Zusage.


In den darauffolgenden Tagen sagt beinahe die gesamte Düsseldorfer Radsportprominenz der Veranstaltung zu und mir rutscht so langsam trotz der Ansage "moderater 28er Schnitt" (moderat! chchch!) dezent das Herz in die Hose. Ich kenne die meisten nicht persönlich, aber fast alle von Facebook, Instagram, Strava. Die fahren alle viel Rad. Sehr viel. Und sehr schnell. Schon bevor es losgeht, bin ich sicher, dass ich das Tempo nicht werde halten können, dass ich in der Gruppe irgendwas Dummes machen werde (Schlenker fahren! Plötzlich bremsen!) und dass ich am Berg sowieso die allerletzte sein werde. Wo wir gerade dabei sind: der Berg. Angekündigt ist als Highlight der Runde die angeblich einzige nennenswerte Erhebung auf der linken Rheinseite, die Vollrather Höhe. Unter den Radfahrern der Region bekannt als "die Halde". Vermutlich bin ich die einzige, die die berühmt berüchtigte Halde noch nicht gesehen hat.

Was meinen Anflug von Panik vor der großen, fremden, schnellen Gruppe ein bisschen bremst, ist Steffens Ansage: "Keine Einkehr unterwegs - bei einem Hungerast habe ich ein paar gebrannte Mandeln in der Trikottasche." Wie traumhaft ist das denn?! Ich will diese Notfallration nicht brauchen müssen, also frühstücke ich lieber, packe zwei Flaschen ans Rad und rolle zum Treffpunkt. Düsseldorf versucht zurzeit mal mehr und mal weniger krampfhaft, Tour-de-France-Flair zu verströmen, daher treffen sich einige am neu eröffneten und anscheinend noch etwas fragwürdigen Café Vélo, bevor es dann mit dem gesamten Peloton am Burgplatz auf die Strecke geht.


#Menschen
Sieben Mädels und 21 Jungs wollen heute also Mut beweisen. Die Elemente sind zu Beginn allerdings ziemlich gutmütig zu uns: Um die 6° und Sonnenschein. Könnte schlimmer sein! Trotz gerader Anzahl kriegen wir irgendwie nicht so tolle Zweierreihen hin - auf jeden Fall fahre ich die ersten Kilometer allein und von hinten schließt keiner auf. Find ich ja tendenziell immer eher doof. Irgendwann bekomme ich dann doch noch Gesellschaft, indem Daniela die Lücke neben mir schließt. Wir kommen ins Plaudern und sie erkundigt sich nach meinen Kniebeschwerden von vor einem Jahr. Ich gehe davon aus, dass sie den Blog liest und komme nicht auf die Idee, dass wir schon mal zusammen geradelt sein könnten - sind wir aber. Und zwar bei Braver Than The Elements 2015. Liebe Menschen, ich meine das nicht böse, aber ich kann mir wirklich, wirklich keine Gesichter merken, manchmal noch nicht mal, ob ich eines schon einmal gesehen habe oder nicht. Und so rate ich dann drauf los und sortiere alle irgendwo falsch ein. Tut mir leid!

Weil wir hin und wieder dann doch lustig die Plätze wechseln, habe ich als nächstes Ellen neben mir, die sich erst mal freut, dass ich ein Mädchen bin, da sie wohl diverse radfahrende Singlemänner zu verkuppeln gedenkt. Als nächstes erzählt sie mir eine Gruselgeschichte über ein suizidales Eichhörnchen, das ihr kürzlich in die Speichen gesprungen ist und hinterlässt mich maximal verstört. Den freien Platz neben mir füllt ein recht stiller Vertreter auf, dessen Namen ich nicht weiß. Wenn ich spreche, antwortet er, ansonsten schweigen wir, während vor und hinter uns munter geplappert wird. Das von Ellen angepriesene Speeddating in den Zweierreihen klappt ja heute blendend. Nicht. Dafür klappt was anderes, und zwar das, weshalb wir eigentlich hier sind: Radeln.


Die Gruppe funktioniert prima, und obwohl ich in letzter Zeit so unregelmäßig auf dem Rad saß, ist das Tempo kein ernstes Problem. Ich lasse mich einfach mitziehen, die Beine arbeiten von alleine. Die Sonne scheint und wir düsen über die Landstraßen, das Wetter meint es so verdammt gut mit uns. Nach einer kleinen Hügelkuppe reicht die Aussicht bis ins Unendliche: links und rechts Felder, in der Mitte schlängelt sich eine schmale Straße, über die 28 Rennräder fliegen. Ich kann die Sonnenstrahlen sehen. Immerhin bin ich mir mit meinem ansonsten stummen Nebenmann einig, dass das hier verdammt schön aussieht.

Während wir so über die Straßen fliegen, hopst Steffen mit der Kamera auf dem Rad mal zur Seite, nach vorne oder hinten und nimmt anschließend wieder so mühelos einen Platz irgendwo vorne im Wind ein, als wäre er nie woanders gewesen. Dem Mann hat echt einer das Rad unter den Arsch und die Kamera in die Hand getackert. Maximal beeindruckt von so viel Lässigkeit rolle ich irgendwo in der drölften Reihe hinterher und male mir aus, wie schlimm die Halde wohl sein mag. Absolut jeder, den ich bisher darauf angesprochen habe, hat mir versichert, die sei halb so wild. Schließlich können wir sie aus der Ferne erahnen. Das bewegt sogar meinen wortkargen Nebenmann dazu, mich darauf hinzuweisen, dass das da hinten am Horizont nun die Halde sei. Wir nähern uns unaufhaltsam.



Passend dazu zieht es sich langsam zu. Tschüss blauer Himmel, tschüss Sonnenschein. Die Wolken sind bedrohlich, vor allem durch meine dunkle Sonnenbrille (ich habe keine Ahnung wo die andere ist!). Insgeheim wünsche ich mir Sturm, Hagel oder wenigstens Starkregen, damit wir hinterher prahlen können, braver than the elements gewesen zu sein. Ist ja Kindergeburtstag bisher!

#Berge
Die Party hört auf, als wir die Halde erreichen. Eine scharfe Kurve und der Berg beginnt schneller als ich gucken kann. Und vor allem schneller, als ich vorne aufs kleine Blatt schalten kann. Ich höre die beiden hinter mir unken, dass da wohl jemand den Berg hochballern wolle, hahaha. Nein. Ich bin nur zu blöd zum Schalten. Es geht 2 km lang rauf. Mit 5 % Steigung. Da wird jeder Radfahrer nur müde drüber lächeln können, aber ich fahre doch nie Berge! Und überhaupt, es ist Winter, ich bin kein Stück im Training und was zur Hölle, wieso sind die alle so schnell?



Ich gehe das Ganze ein klitzekleines bisschen zu schnell an und möchte schon auf den ersten Metern sterben. Oder zumindest irgendwo liegen. Okay, einfach nur absteigen und gehen wäre auch fein. Kommt leider nicht in Frage. Irgendwo hinter mir sind noch Teile der Gruppe und unter gar keinen Umständen möchte ich beim Wandern überholt werden oder schiebend ankommen, während oben alle warten. Aber irgendwie bin ich noch nicht so recht drin, arbeite gegen den Berg, will, dass er aufhört und bin gefrustet, weil alle so irrsinnig locker flockig hier hoch düsen, als wäre das hier keine Bergwertung, sondern ein lustiges Picknick. Schließlich geht es dann doch: Ich höre auf zu kämpfen, mit mir selbst zu diskutieren, finde mich damit ab, dass ich hier nicht locker hochtanzen werde, sondern mich mühsam im kleinsten Gang nach oben kurbele. Und sobald die Erkenntnis einmal reift, dass genau das super funktionieren wird und gar nicht so schlimm ist, macht die ganze Sache auch noch Spaß. Anstrengend, aber geil. Das soll mir mal einer erklären!


Freut mich #1: Oben angekommen ist auch für mich noch Zeit für eine Trinkpause.
Freut mich #2: Später eine Nachricht von Daniela: "Wie war die Halde für dich? Ich glaube, ich habe dich oben lächeln gesehen."
Freut mich #3: Die Abfahrt.

Scheiße, die Abfahrt! Ich bin so ein Schisser. Eigentlich. Aber diese Abfahrt hier ist prima, die Kurven sind nicht fies, ich kann wunderbar die Kontrolle behalten und habe sogar noch Zeit, mich über die Experten zu amüsieren, die versuchen, im Chris-Froome-Style noch ein paar Sekunden rauszuholen. Mein Lieblingssegment der Runde ist definitiv "Downhill nach Allrath", 2,3 km, -4 %, gute 3 Minuten und ein angenehmer Schnitt von 45,8 km/h. So macht mir das Spaß. Und ja, ich habe zwischendurch gebremst. Ich möchte da demnächst nochmal runter düsen!


#Hungerast
Nachdem die Halde hinter uns liegt, fürchte ich nichts mehr. Von mir aus kann jetzt kommen, was will. Was ich nicht bedacht habe ist, dass mein Frühstück für drei Stunden radeln vielleicht doch etwas mickrig war und dass nur Wasser in den Trinkflaschen auf Dauer auch eher suboptimal ist. Auf einmal finde ich mich mit Eichhörnchen-Ellen ganz am Ende der Gruppe wieder und stelle fest, dass das der denkbar schlechteste Ort ist, wenn man eh schon etwas hinüber ist. Ständig ziehen sich die Reihen auseinander und wir müssen ganz schön reintreten, um nicht den Anschluss zu verlieren. Beim nächsten Stopp an einer Kreuzung nutzen wir die Gelegenheit und mischen uns wieder mitten unters Volk. Puh. Durchatmen.



Bei Kilometer 78 (auf meinem Tacho, mit Anfahrt) löst Steffen sein Versprechen ein und verteilt gebrannte Mandeln. Nichts könnte mich in diesem Moment glücklicher machen als auf dem Rad beschissene gebrannte Mandeln zu mampfen - in dem Wissen, es gleich geschafft zu haben, alles überstanden zu haben, mitgehalten zu haben und nicht den Berg hochgewandert zu sein. Die zweite Belohnung gibts zurück auf dem Weihnachtsmarkt am Burgplatz: Glühwein. Kinderpunsch. Egal, wärmt von innen, lässt taube Zehen, verschwitzte Baselayer und strapazierte Hintern vergessen und ist der allerbeste Abschluss für ein großartiges Braver Than The Elements.


Danke an die Jungs, die aus einer mit nur sieben Mädels eher mickrigen Runde eine große prima Ausfahrt gemacht haben. Ohne euch hätten wir den Autofahrern nicht so sehr auf den Sack gehen können. Und bei eurer Pipipause hatten wir dann ja doch noch unsere Frauenrunde ;-) Danke für fabelhafte winterliche 80 Kilometer, für wunderbare Mitfahrer, Windschattenspender, Fotomacher und Mandelverteiler. Persönliches Highlight: Platz drei auf dem Segment "durch die Todeskurve". Ich werde die Strecke definitiv nochmal abfahren müssen, um rauszukriegen wo zur Hölle die gewesen sein soll.

Tiersichtungen:
Ein Dutzend Pferde, davon eines angesichts 28 Rennradfahrer maximal verschreckt.
Zum Glück keine Eichhörnchen.


Noch mehr Bilder gibt's hier von Daniel Ziegert und hier. Danke an Steffen Weigold für alles (Mandeln!) und besonders für das Okay, die Fotos hier zu verwenden.

Montag, 28. November 2016

Warum laufen wir? - Ein Liebesbrief

Ich bin mit meinen neuen Kollegen für drei Tage am Meer. Bergen aan Zee. Offsite. Bedeutet: Vorträge halten und hören, in neue Themen eintauchen, den Kopf frei pusten, neue Impulse mitnehmen. Und laufen. Laufen, laufen, laufen. Ob ich darüber schreibe, werde ich gefragt. Nö. Weiß nicht. Was habe ich denn zu erzählen? Wir sind gelaufen? Nicht sehr spannend. Wir verkaufen Laufschuhe. Bietet sich also irgendwie an.

Nach drei Tagen sitze ich im Zug von Amsterdam nach Hamburg und will nur eines: Schreiben. Die vielen Eindrücke sortieren, die gerade einfach nur sehr laut „Wunderbar!“ brüllen. Möchte rauskriegen, warum genau die Zeit am Meer so großartig war, warum mir das Laufen hier so übertrieben viel Spaß gemacht hat, was ich davon mit nach Hause nehmen kann.


Von vorn. Ich habe im Oktober den Job gewechselt. Aus der PR einer großen Agentur in eine winzig kleine. Weg von Themen, die mich relativ kalt gelassen haben hin zu dem, worüber ich sowieso die meiste Zeit des Tages nachdenke: Sport. Nach zwei Wochen wusste ich mehr über Laufschuhe als jemals in meinem Leben zuvor. Wir sind nur acht Leute. Ich bin die Neue. Und ich bin es nicht. Die paar Tage zusammen führen uns raus aus Düsseldorf und ab ans Meer. Als wir ankommen, ist es bereits dunkel. Der erste Weg führt – natürlich – zum Strand. Elend viele Treppen mit bescheuerten Stufen rauf. Für einen Schritt zu klein, um zwei auf einmal zu nehmen zu weit auseinander. Ganz schön viele. Ganz schön steil. Nervig. Nach einer Ewigkeit sind wir oben auf der Düne. Können im Dunkeln das Meer erahnen. Es riechen. Hören. Irgendwie fühlen. Auf der anderen Seite gibt es keine Treppen, also rennen wir runter. Ich habe das Gefühl, ich rolle: Nehme immer mehr Fahrt auf, habe Angst, mich zu überschlagen und komme schließlich doch in einem Stück unten an. Im tiefen Sand. Wir stapfen bis zum Wasser. Der Sand wird fester. Richtig hart. Richtig gut. Wie kleine Kinder packt es uns: Wir rennen hin und her. Springen. Galoppieren. Haben keine Wahl, müssen laufen. Der Boden schreit danach. Spontane Absprache: Gehen wir richtig laufen? Jetzt? Ja, ja und ja.

Am Strand entlang. Für immer.


Zurück ins Haus, schnell umziehen und wieder zum Meer. Voller Vorfreude auf das Gefühl, wieder den harten Sand unter den Laufschuhen zu haben, rennen wir die Treppen hoch. Nichts mehr mit doof. Immer noch steil, aber egal. Es ist dunkel unten am Strand. Wir können die Wellen hören. Die Lichter einer einzigen Strandhütte sehen. Wo wollen wir hin? Rechts? Links? Egal. Wir entscheiden uns für rechts. Und dann geradeaus. Am Strand entlang. Für immer.

Es ist gerade mal 18 Uhr, aber der Strand ist menschenleer. Wirkt wie mitten in der Nacht. Und fühlt sich trotz Ende November an wie eine verdammte Sommernacht. Ich laufe im T-Shirt. Im Gegenwind. Mir ist nicht kalt, der Wind nervt kein Stück, die Füße laufen, laufen, laufen. Wie von selbst. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie schnell oder wie weit wir laufen. Es ist vollkommen egal, es gibt keinen Druck. Keinen Trainingsplan und als einziges Zeitlimit das Abendessen. Irgendwann später. In einer anderen Welt.


Wir lassen die Strandhütte mit ihren Lichtern hinter uns und tauchen in die Dunkelheit ein. Wir sind in der Unendlichen Geschichte, wir laufen geradeaus ins Nichts. Die Lichter des Ortes reichen nicht bis hier, der Mond ist nicht zu sehen, aber die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit. Links ist das Meer, rechts die Dünen, vorne der Wind. Mittendrin wir, ohne Plan, ohne Anstrengung. Wir springen über ein paar Priele – manchmal reicht ein kleiner Hüpfer, manchmal muss ich ein Stück sprinten und alles an Schwung mitnehmen, was geht, und manchmal werden die Füße nass. Wir klettern über Steine, quetschen uns zwischen Holzpfählen durch, patschen durch Pfützen, finden einen Anker, rennen aus Versehen ins Meer, machen einen Ausflug in den tiefen Sand, ich möchte deshalb kurz sterben, aber fühle gerade einfach nur das Leben. Die Luft schmeckt nach Meer. Unter den Schuhen knirschen die Muscheln. Einige Kilometer entfernt irgendwo am Ende der Welt leuchtet ein Leuchtturm. Heilige Scheiße. Kurz anhalten, atmen, alles aufsaugen.

Bye bye, runner's high!

Wir können nicht ewig laufen, auch wenn es sich gerade so anfühlt. Die Vernunft und der Hunger siegen und so drehen wir schließlich wieder um. Geradewegs zurück. Ohne Gegenwind ist es plötzlich ganz still. Still und warm. Mein Kopf glüht. Die Beine haben noch lange nicht genug, die Füße laufen wie von selbst, aber ohne diese Wand aus Wind im Gesicht spüre ich auf einmal, wie warm mir ist und wie anstrengend der Lauf eigentlich ist. Bye bye, runner’s high!



Tag zwei wartet auf uns mit Kaiserwetter. Etwas kühler, aber Sonne satt ohne eine einzige Wolke am Himmel. Während der Präsentationen sitze ich wie auf heißen Kohlen: Wir sind so nah am Meer, das Wetter ist der Oberhammer, ich muss raus. Es juckt in den Füßen, obwohl die Beine mich spüren lassen, dass sie den spontanen Strandlauf von gestern noch nicht so ganz weggesteckt haben. Meine größte Sorge ist heute nicht, dass ich meinen eigenen Vortrag vermasseln könnte, sondern dass die Sonne nicht mehr scheint, wenn wir Zeit zum Laufen haben. Sie scheint so gerade eben noch. Also zackig umziehen und los – heute zu dritt anstatt nur zu zweit.


Die Beine laufen und der Kopf arbeitet weiter

Unterwegs arbeiten die eben gehörten Themen im Hirn weiter. Die Beine laufen und der Kopf brütet irgendwas aus – ein gutes Gefühl. Heute stellt sich allerdings kein magisches „juhu wir laufen am Strand und hören nie wieder damit auf“ ein. Trotzdem ist der Lauf schön, denn endlich sehen wir mal, wo wir hier eigentlich laufen. Die beiden Gazellen neben mir tänzeln über den Strand, an der Wasserlinie entlang, durch den tiefen Sand, durch noch mehr tiefen Sand, über einen Muschelweg, einen Hügel rauf, noch einen Hügel rauf, auf die fucking höchste Düne in Sichtweite. Scheiße. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Die brennenden Oberschenkel oder die Lunge, die zu platzen droht. Oben angekommen ziehe ich erst mal die „wir müssen hier unbedingt ein Foto machen!“-Karte. Kurze Verschnaufpause. Dann gehts wieder runter.




Über eine MTB-Strecke (komisch, ich sehne mir zur Abwechslung tatsächlich kein Fahrrad herbei), über ein paar Baumstämme, eine Rampe, schon wieder durch tiefen Sand. Ich entwickle langsam ein neues Hassobjekt: Laufen ist ok, tiefer Sand ist Mist. Auf einmal sind wir im Wald und plötzlich ist der Weg asphaltiert. Was für ein gigantischer Scheiß! Wie hart! Kann ich zurück in den Sand, bitte? Wie konnte ich es denn jemals angenehm finden, auf Asphalt zu laufen?

Es ist viel zu schön hier, um nicht zu laufen

Das Rätsel muss ich wohl zuhause lösen, denn auch am dritten Tag wächst die Abneigung gegen ausgebaute Wege und gleichzeitig die Liebe für Trampelpfade. Wir sind mit dem Programm ein kleines bisschen früher durch, haben zum Laufen also noch etwas mehr Tageslicht als gestern und wieder gar keinen Zeitdruck. Dass wir überhaupt laufen, steht außer Frage. Dritter Tag in Folge – kein Problem. Würde mir zuhause nie einfallen, aber hier ist es einfach viel zu schön, um nicht zu laufen. Wir sind wieder zu zweit und haben keinen Plan – nur die grobe Idee, dieses Mal nicht am Strand zu starten, sondern in der Dünenlandschaft direkt vor der Haustür. Gestern Nacht haben wir hier gestanden und uns den Nacken verrenkt, uns über die völlige Dunkelheit und den sternenklaren Himmel gefreut. Heute wollen wir uns diesen Teil der Dünen im Hellen anschauen und herausfinden, wo der Weg uns hinführt.


Wir einigen uns darauf, dass es hier aussieht wie auf dem Mond, nur anders. Der Weg schlängelt sich durch die Dünen und obwohl der Ausblick eigentlich immer der gleiche ist (links Hügel, rechts Hügel), sorgen die wechselnden Formationen und das Licht dafür, dass es nicht langweilig wird. Nur genießen kann ich die ganze Sache nicht so voll und ganz, denn irgendwie ist der Scheiß heute echt anstrengend. Ich kann nicht abschalten und bemerke jeden Schritt. Keine Spur von der Leichtfüßigkeit des ersten Abends, als ich aus Lust und Laune einfach am Strand umher gerannt bin und nichts wollte außer laufen. Ich lasse mich mit Fachsimpeleien über Filme ablenken: Bei der traumhaften Landschaft um uns herum ist der Weg zu Herr der Ringe nicht weit. Ich frage mich, wie Stephen Kings Dunkler Turm aussehen wird, der nächstes Jahr endlich ins Kino kommt.


Viel zu spät merken wir, dass wir uns ziemlich zielsicher ein ganzes Stück vom Strand entfernt haben – eigentlich wollten wir nur ein bisschen durch die Dünen traben und am Strand zurück. Als wir auf einen Parkplatz stolpern und uns die Zivilisation zu nahe kommt, biegen wir gerade noch rechtzeitig ab und beschließen, dass querfeldein auch eine gute Option ist. Die Dünen sind hier nicht einfach nur Sandhaufen, sondern ziemlich fest und bewachsen. Wir folgen einem schmalen Weg aus lockerem Sand und laufen direkt ins Auenland. Aus dem Sandweg wird ein Trampelpfad und schließlich verschwindet er fast. Die Hügellandschaft um uns herum nimmt dagegen kein Ende – eine einzige gigantische Spielwiese.

Warum laufen wir? 

Es geht rauf und runter, anstrengend und toll zugleich. Mal brennen die Beine, mal geht mir die Puste aus, manchmal müssen wir ein paar Meter gehen, mal renne ich bergab und weiß auf einmal, dass man wirklich auch beim Laufen rollen lassen kann. Als gerade wieder gar nichts mehr geht und ich nur noch atmen will, stellen wir fest, dass sich das überhaupt nicht schlimm anfühlt. Kein bisschen wie versagen, sondern einfach wie leben. 


Zusammen laufen ist auch deshalb so wunderbar, weil die guten Gespräche immer dann aufkommen, wenn die Luft eigentlich schon lange weg ist: Wir spüren unseren Körper nicht auf der Couch. Dafür müssen wir ihn antreiben, uns antreiben. An Grenzen gehen. Und auch mal dahin, wo es weh tut. Weil es sich für die bekackten Endorphine lohnt, weil ich schon währenddessen weiß, dass ich später vollkommen verstrahlt grinsend unter der Dusche stehen werde und weil es einfach nur absurd, aber wunderschön ist, wenn ich noch einen Tag später mit dem gleichen glückseligen Gesichtsausdruck im Zug sitze, wenn ich diese Laufgeschichte aufschreibe. Es tut so gut, mal aus dem Trainingsalltag auszubrechen und neue Wege zu erkunden.


Bevor wir uns in philosophischen Tiefgründigkeiten verlieren, laufen wir lieber weiter. Hügel rauf, Hügel runter, irgendwo dahinten ist das Meer langsam zu erahnen. So weit noch?! Noch mehr Hügel, quer durchs hohe Gras, an pieksenden Büschen vorbei, über Stacheldrahtzäune. Ich bekomme eine leise Ahnung davon, was die Leute an Trailrunning so reizvoll finden. Der Trailrunnersdog hat dazu übrigens einige Tipps aufgeschrieben (die ich allerdings erst im Nachhinein gelesen habe, Schande über mich!). Auf einer Ebene halten wir an und ich schaue mir zum ersten Mal an, was Strava zu diesem Lauf sagt: Als wir feststellen, dass wir komplett im Kreis gelaufen sind, lachen wir uns über unseren eigenen offensichtlich nicht vorhandenen Orientierungssinn kaputt und beschließen dann, den kürzesten Weg zum Meer zu nehmen. Die Hügel leuchten nicht mehr grün, sondern golden, als wir vor der dem letzten Anstieg stehen: Eine übertrieben steile Düne mit einem gemeinen sandigen Weg nach oben. Laufen ist ausgeschlossen, selbst gehen wird schwer. Schließlich brauche ich alle Viere. Als ich mich oben aufrichte, kriege ich gerade noch „Wow!“ raus, bevor es mir die Sprache verschlägt. Kurz vor dem Sonnenuntergang eröffnet sich nach der Mondlandschaft der Blick in die endlose Weite, was für ein sensationelles Timing.




Allein für diesen Blick, diesen Moment, hat sich dieser Lauf so sehr gelohnt. Wir setzen uns erst mal in die Düne und schauen aufs Meer. Lassen alles wirken. Dieser Lauf ist zeitlos, keiner drängelt oder schaut auf die Uhr, die Pace ist das allerletzte, was interessiert und deshalb sitzen wir hier einfach so lange, bis es uns weiter zieht. Das hier ist kein Training, sondern die unendliche Schönheit der Welt - auf einem Fleck, selbst erlaufen.


Wir rollen ein letztes Mal die Düne runter. Der Sand hier ist richtig tief und ich zögere erst, will nichts kaputt machen und will mich auch wirklich nicht überschlagen. „Wenn du fällst, fällst du weich!“ Stimmt ja. Also ab dafür. Herrlich! Als wir am Strand unten angekommen sind, zieht es uns wieder zum festen Sand. Die Beine haben genug geleistet, die letzten Meter bitte nur noch genießen. Die Sonne gibt alles und untermalt das Ganze mit dem kitschigsten Sonnenuntergang aller Zeiten. Ich laufe rückwärts, um die Show nicht zu verpassen. Das Feuerding versinkt im Meer und der komplette Himmel leuchtet rosa. Überall. Wir müssen uns nicht absprechen um zu wissen, dass das hier der intensivste und schönste der drei Läufe war. Für mich der schönste seit langem. Vielleicht sogar überhaupt.

Denn was bliebe uns, wenn uns solche atemberaubenden Momente plötzlich kalt ließen, wenn wir uns nicht mehr so sehr über die Schönheit der Natur freuen könnten, wenn wir das Staunen verlernen würden? Wenn wir uns nie die Gelegenheit geben würden, mal auf etwas am Wegesrand zu achten, mal was Neues zu sehen? Und was würden wir jetzt noch davon spüren, wenn wir spazieren gegangen wären anstatt zu laufen, wenn wir nur zugeguckt hätten und nicht mittendrin gewesen wären? Für mich ist es nicht vergleichbar, ein paar nervige Treppen hochzusteigen und über den Dünenkamm aufs Meer zu blicken oder ewig durchs Auenland zu wieseln, es gleichzeitig zu lieben und zu hassen, sich gegenseitig anzustacheln und zu ziehen, sich durchzukämpfen und mit dieser ganz eigenen Mischung aus erschöpft und glücklich oben anzukommen. Mit den eigenen Füßen. Aus eigener Kraft. Voller Dankbarkeit. Mit dem Wissen, was hinter einem liegt, hinter beiden, und dann oben zusammen zu stehen und mit einer Aussicht belohnt zu werden, die beide gleichermaßen einfach nur umhaut. Das gibt’s einfach nicht genauso ohne Anstrengung vorher. Ich bin sicher: Die Belohnung ist umso größer, je mehr du investiert hast. Also nimm die Beine in die Hand und lauf!

Mittwoch, 16. November 2016

2016 - das Jahr der Ersten Male. Ein Rückblicksdreikampf

Ich finde Rückblicke langweilig und doof. Trotzdem schreibe ich jetzt schon den dritten in Folge: 2015 gabs einen unter dem Motto "Double Up", weil ich in diesem Jahr alle Distanzen verdoppelt hatte. 2014 hieß es "Von Null auf Triathlon", weil ich noch im Januar nicht länger als ein, zwei Minuten am Stück laufen konnte und im September meinen ersten Triathlon über die Bühne gebracht hatte. Das waren mal noch Inhalte! Was hab ich jetzt zu bieten? Langweiligen Freizeitsportler-Alltag. Hier ein bisschen Training, dort mal ein Rennen, da mal ein bisschen die Zeit verbessern. Gähn.

Ich kanns aber trotzdem nicht lassen und mache deshalb aus dem Rückblick 2016 einen Dreikampf, passt ja irgendwie auch: Für die Statistik-Fans (ich versuche gerade, einer zu werden) gibt es einen Haufen Zahlen. Für die sensationshungrigen Dinger unter euch schreibe ich danach über einige erste Male. Und zum Schluss verrate ich, was ich aus dem ganzen Spaß mitgenommen habe. Los gehts:


Zahlen, Daten, Fakten 2016

Anzahl der Startlinien, an denen ich in diesem Jahr gestanden habe: 18
Davon im Wasser: 4
Davon auf dem Rad: 5
Bleiben für Laufschuhe übrig: 9

Insgesamt zurückgelegte Rennkilometer: 494,62 km (das ist ungefähr so weit wie von Düsseldorf bis Kiel)
Davon zu Fuß zurückgelegte Kilometer: 148,3 km (so weit wie von Düsseldorf nach Koblenz)
Auf dem Rad: 343,1 km (ungefähr so weit wie von Düsseldorf nach Norderney)
Schwimmend: 3,25 km (so weit wie von mir zuhause bis zum Büro)
Kürzestes Rennen (Strecke): Rad Race Battle in Hamburg, 2x190 Meter
Längstes Rennen (Strecke): Münsterland Giro, 72 km

Insgesamt verbrachte Rennstunden: 27 Stunden, 16 Sekunden
Kürzestes Rennen (Zeit): auch das Rad Race Battle, aber da es keine Zeitmessung gab, geht diese Runde an den Düsseldorfer Brückenlauf über 5 km in 26:13 Minuten
Längstes Rennen (Zeit): Bayer Triathlon Krefeld, Olympische Distanz in 3:06:24 Stunden

Härtestes Rennen: Olympische Distanz in Krefeld. Bei 1000°.


Größte Schnapsidee: Donnerstags spontan entscheiden, sonntags in Duisburg Halbmarathon zu laufen. Bei 1000°.

Magischster Rennmoment: Die Nebelwand nach dem Anstieg in den Baumbergen beim Münsterland Giro.


Schönster Lauf: Der erste des Jahres: 10 km bei der Duisburger Winterlaufserie. Nach kleiner Verletzungspause voller Demut und Dankbarkeit und Spaß an der Freude. Spaß! Wirklich!

Schönstes Finish: Hamburg Triathlon. Weil Hamburg einfach großartig ist, weil das Rennen super gelaufen ist (swim, Kotzgrenze, run) und weil der Rathausmarkt einfach ein saugeiler Ort für einen Zieleinlauf ist. 


Zufall: Von 18 Ziellinien lagen genauso viele in Duisburg wie in Düsseldorf, nämlich jeweils 5. Das entspricht einer Quote von je rund 28 Prozent, zusammen also mehr als der Hälfte aller Rennen. Ich mag Duisburg!

Medaillen: Gab es für 9 von 18 Veranstaltungen und hängen jetzt so ab.

Trainingskilometer 2016, Januar bis Mitte November:
Laufen: 754 km (oder 3770 Runden in der Leichtathletikhalle)
Rad: 2694 km (oder exakt so weit wie von Hannover nach Gibraltar, was mit Sicherheit eine schöne Strecke ist);
12.338 hm (oder so viel wie gut zehnmal von der Ostseite hoch auf den Mont Ventoux radeln)
Schwimmen: Geschwommen bin ich auch.

Trainingsstunden 2016, Januar bis Mitte November:
Laufen: 79 Stunden 17 Minuten (in etwa so lange wie Walking Dead Staffel 1-6 plus mehr als zwei Staffeln Breaking Bad)
Rad: 109 Stunden, 54 Minuten (in der Zeit hätte ich auch zehn Mal am Stück alle Episoden von Band of Brothers und dann nochmal mehr als die erste Hälfte gucken können)
Schwimmen: So lang wie nötig, so kurz wie möglich.
An dieser Stelle wollte ich eigentlich gern die dabei verbrauchten Kalorien in Tafeln Schokolade umrechnen und die wiederum in Fußballfelder (Danke, Diana!). Allerdings reichen knapp 250 Tafeln Ritter Sport Marzipan nicht mal ansatzweise für ein Fußballfeld. Challenge für 2017: Schokolade finden, die weniger Kalorien auf größerer Fläche unterbringt oder einfach mehr trainieren.


Erste Male 2016

Ich finde es gut und richtig und wichtig, Neues zu entdecken. Weil dieses Jahr für mich keine neuen Distanzen auf dem Plan standen, habe ich mir einfach andere Dinge zum ersten Mal erlebt:

Das erste Radrennen beim Velothon in Berlin. Und weils so derbe viel Spaß gemacht hat, bin ich danach gleich noch bei den Cyclassics und dem Rad Race Battle in Hamburg, dem Race am Rhein in Düsseldorf und dem Münsterland Giro gestartet. Natürlich hatte ich vorher Schiss, aber ich bin unendlich froh, dass ich mich getraut habe - es gibt nämlich keine Worte, um zu beschreiben, wie unglaublich großartig sich dieser Radrenn-wie-Fliegen-Geschwindigkeitsrausch anfühlt. Beim Velothon habe ich überlegt, ob ich jemals etwas cooleres erlebt habe. Ja, ein einziges Mal: Der Sprung mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug.


Trotz Angst vor Monstern habe ich die ersten Triathlons im Freiwasser überlebt. Ohne gefressen zu werden. Mit Abstand schönstes Gewässer: Der Elfrather See in Krefeld. Mit Abstand ekligstes Gewässer: Die Alster in Hamburg. Ich hatte mir das mit dem Schwimmen draußen einfacher vorgestellt und bin auf den harten Boden der Realität geplumpst: Nicht alles funktioniert im ersten Anlauf. Auch nicht im zweiten. Oder dritten.


Ich bin zum ersten Mal einen 10er unter 60 Minuten gelaufen, was für mich eine magische Grenze war. Die nächsten beiden 10er sind unter 55 Minuten geblieben und damit mehr als zehn Minuten schneller als noch Anfang des Jahres. Zehn Minuten! Plan für 2017: Die sub50 knacken. Zum Glück ist das Jahr lang!

Ich habe zum ersten Mal bei einer Siegerehrung auf einem Treppchen gestanden - und das nicht etwa bei einem Radrennen (knapp verfehlt!), sondern bei einem Triathlon. Und dann auch noch ganz oben: Platz 1 in der Altersklasse bei der Olympischen Distanz in Krefeld. Ok, von 2 Starterinnen. Aber hey, immerhin nicht Platz 1 von 1! Der Preis: Ruhm, Ehre und ein Buch über Autobahnen.


A pro pros Bahn: Ich bin zum ersten Mal auf der Bahn geradelt. Zum ersten Mal fixed gefahren. Es ist anders, es ist großartig, ich will das öfter haben und ich schätze: Da wird nächstes Jahr einiges kommen.


Was bleibt

Akzeptanz
Vom Schwimmen im Freiwasser nehme ich mit: Ja, es gibt Situationen, in denen ich Panik bekomme, ich kann besser ohne als mit Neo schwimmen und es kann gut sein, dass ich auch zukünftig noch in einigen Wettkämpfen Brust schwimmen werde, obwohl ich kraulen kann. Nur eben nicht immer im Freiwasser. Wäre ja auch zu langweilig, wenn es keine Baustellen gäbe!

Ehrgeiz
Aufs Treppchen dürfen ist ein tolles Gefühl! Das möchte ich auch nochmal haben - aller Wahrscheinlichkeit nach stehen die Chancen am besten beim Radfahren. Mal sehen, was geht!

Leichtigkeit
Hab ich mir konkret vorgenommen und ist noch immer vorhanden. Macht die Dinge komischerweise ... leichter.


Stolz 
Ich habe mich noch im April über die sub60 auf 10 km gefreut, mittlerweile ist eine 5er Pace auch im Training Alltag und ich schiele schon langsam in Richtung 4 vor dem Doppelpunkt. Moment mal! Wie wärs, wenn wir mal kurz innehalten und uns überlegen, wie die Ziele noch Anfang des Jahres aussahen? Was wirkte damals groß, vielleicht unerreichbar weit weg? 
Ich bin stolz, dass ich heute Geschwindigkeiten laufen kann, die mir endlich mal Spaß machen. Ich bin stolz, dass ich Distanzen am Stück laufen kann, die vor einem Jahr noch ein sehr, sehr harter Kampf waren. Ich bin stolz, dass diese Sache mit dem Radfahren so vollkommen aus dem Nichts ziemlich gut klappt und dazu noch so unheimlich viel Spaß macht. Aber es schadet definitiv nicht, sich mal ein paar Monate zurück zu erinnern.

Mut
Ich bin für meinen Mut belohnt worden. Ich hätte auch im Radrennen böse stürzen können, ich hätte beim Spontan-Halbmarathon ein DNF kassieren können, eventuell wäre ich gestorben, wenn ich auf dem Fixie aufgehört hätte, zu treten - man steckt ja nie drin! Da all das nicht geschehen ist, nehme ich mit, was sowieso schon gilt: Sei Pippi, nicht Annika!


Dankbarkeit #1
Dafür, dass alles genau so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Für Gesundheit und Verletzungsfreiheit. Für einen Körper, der das macht, was er eben macht.

Dankarkeit #2
Für Zuschauer am Streckenrand. Für Helfer, die Veranstaltungen möglich machen. Für lächelnde Gesichter, wenn man selbst mal derjenige ist, der das Wasser reicht. Deshalb findet ihr mich nächstes Jahr definitiv wieder als (kochende!) Helferin beim Citylauf in Ratingen, außerdem sehr wahrscheinlich als Volunteer bei der Tour de France in Düsseldorf und wer weiß wo sonst noch alles.


#crewlove
Es ist großartig, wie die Triathlonfamilie größer wird und zusammen wächst, wie Bekannte zu Freunden werden, wie aus Trainingspartnern liebste Racing Buddies werden, wie die Triathlon-Gang einfach die Triathlon-Gang ist. Support sonntagsmorgens um 7, Kreidebotschaften und Konfettikanonen sind schwer zu toppen (außer vielleicht mit zündenden Konfettikanonen), ihr habt die Messlatte verdammt hoch gelegt. Man kann diesen Triathlonkram auch alleine machen... aber dann wäre es nicht mal halb so schön. Danke! No hay dolor!


Was kommt

Die Planung für die Saison 2017 verdient einen eigenen Artikel, der voraussichtlich im Dezember kommt. Kleiner Teaser: Nächstes Jahr werden die Distanzen wieder länger. Versprochen!

Donnerstag, 10. November 2016

Raceday No. 26 - Martinslauf 2016

Im Stecken von Zielen war ich bisher ziemlich konservativ unterwegs. Als ich mir im April die sub60 auf 10 km vorgenommen hatte, war vorher klar, dass das klappen würde, wenn nichts komplett unvorhergesehenes dazwischen kommt. Die einzige Frage war tatsächlich, wie weit ich unter den 60 Minuten landen würde - nicht ob oder ob nicht. Beim letzten Triathlon wars genauso: unter 1:30 Stunden war der Plan, fünf Minuten weniger sinds geworden. Jeder liebt es, wenn Pläne funktionieren. Natürlich. Ist aber auch ein kleines bisschen langweilig. Neue Mission: Spannung erhöhen. Deshalb habe ich aufgehört, tief zu stapeln und vor dem letzten Halbmarathon überall herum erzählt, dass ich vorhabe, unter zwei Stunden zu laufen. Nun ja. Das ging etwas in die Hose: zu schneller Start, Wanderung ab km 14, am Ende 2:02 Stunden. Knapp daneben ist auch vorbei. Jetzt also das letzte Rennen des Jahres, ein 10er und der wahnwitzige Plan: sub50. Was zur Hölle.


Dieses Mal hänge ich das Ziel vorher nicht an die große Glocke, wahrscheinlich weil ich das ganze für - naja sagen wir mal - "ziemlich ambitioniert" halte. Meine Bestzeit auf 10 km liegt bei 52:44 Minuten. Und sie ist noch nicht sehr alt. Auf die Idee, beim nächsten Mal nicht etwa unter 52, sondern gleich unter 50 Minuten zu laufen, bin ich immerhin nicht von alleine gekommen. Das war so ein gruppendynamisches Ding, ich hab mich reinquatschen lassen und war dann auf einmal auch Feuer und Flamme. Und während wir uns bei 7° und kaltem Wind am Unterbacher See warmlaufen, brät der Anstifter zu dieser Harakiri-Aktion unter kubanischer Sonne. Schönen Dank auch, Ferdi.

Einlaufen ist ja auch so eine Sache. Habe ich bisher nicht für nötig gehalten. Hab ja 10 oder 21 km Zeit, dabei wird mir schon warm genug. Wenn der Plan allerdings so aussieht, direkt mit einer glatten 5er Pace loszulaufen, ist es vielleicht nicht die schlechteste Idee, vorher mal ein paar Runden zu traben. Als mir endlich langsam wärmer wird, wird die Startzeit verschoben. 20 Minuten renne ich jetzt nicht noch weiter hier über die Wiese. Wieder was drüber ziehen? Wäre schlau. Ich bin dumm. Und friere. In kurz/kurz. Denn: Wird schon noch warm genug. Denkste. Wirds nicht. Schließlich gehts los, wir reihen uns in die Startaufstellung ein (schön warm! Können wir hier bitte bleiben?). Der erste Block startet und unserer gleich mit. So viel also zu verschiedenen Startwellen, das hat ja schon mal super geklappt. Nicht. Ich bin etwas überrumpelt davon, dass wir jetzt auch schon loslaufen. Öh, also dann.


Der erste Kilometer verfliegt. Die Beine sind kalt, das ist nicht gut, aber das Tempo macht Spaß. Wir sind zu dritt, schlängeln uns durch die Horden von Läufern auf den engen Waldwegen, aber kommen gut voran. Zu gut. Ich habe keine Uhr und bin im Blindflug unterwegs. Vorhin habe ich das noch für eine romantische Idee gehalten: aufs Körpergefühl hören, nicht von Zahlen stressen lassen, einfach machen. Nun ja. Jetzt rennen Naomi und ich Christian hinterher, der auch unter 50 Minuten laufen will. Leider weiß keiner von uns, wie weit drunter. Naomi fragt nach, ob ich es für eine gute Idee halte, an ihm dran zu bleiben. Wir haben vorher ausgemacht, dass nicht gesprochen wird. Nicht dieses Mal. 15 km im Halbmarathon durchquasseln: kein Thema. Aber in diesem 10er ist unterhalten verboten. Ich nicke. Klar. Läuft doch super. Wir fliegen. Hab ich eine andere Wahl?

Kilometer 2, mir ist immer noch kalt, ganz schön kalt sogar. Die Muskeln sind hart, so viel zum Thema kurze Hose und 20 Minuten zu früh warmlaufen. Prima. Naomi fällt zurück und ich stelle zum ersten Mal für mich selbst in Frage, ob das mit dem Dranbleiben wirklich so eine gute Idee ist. Will ich das? Bin ich bereit, noch 8 km lang die Zähne zusammen zu beißen? Mich zu quälen? Als es zuletzt im Halbmarathon schwer wurde, habe ich mir einen 10er gewünscht. Kurze Strecke, absehbares Ende. Lieber kurz und hart als ewig lange immer mal ein bisschen leiden. Dachte ich. Seh ich jetzt grade anders. Die Vorfreude ist dahin, der Kopf ist nicht da, die Beine sowieso nicht. Wieso mach ich das hier? Wen interessiert überhaupt irgendeine Zeit? Warum zur Hölle hatte ich jemals gedacht, ich könnte Spaß dran haben, wenn es hart wird?

Kilometer 3. Im Vorfeld hatte ich überlegt, was mich daran hindern könnte, den 10er schnell zu laufen. An erster Stelle: ziemlich viel Schweinehund. Zweitens: die Sauerstoffversorgung. Am Ende scheitert es doch immer an der Atmung. An kalte Muskeln hatte ich irgendwie nicht gedacht. Daran, dass der Schweinehund so leicht gewinnen würde, allerdings auch nicht. Ich bin raus. Lasse Christian ziehen, der das Ding locker eineinhalb Minuten schneller nach Hause läuft, als ich geplant hatte. Naomi ist irgendwo hinter mir, ich bin alleine. Das große Ziel ist geplatzt. Dass Plan A (sub50) nichts wird, weiß ich an dieser Stelle ganz ohne Uhr. Ich verpasse es, mich für Plan B (schneller als 52:44) zu motivieren und bin mental komplett raus. Bis zum Schild von km 4 überlege ich, ob ich aussteige. Ernsthaft. Sehr ernsthaft. Ich könnte hier einfach die Abkürzung um den See nehmen, die Schleife durch den Wald weglassen, einfach zurück zum Start marschieren und dort kleinlaut auf die anderen warten. DNF. Did not finish. Nein. Dazu gibt es keinen Grund. Ich hatte noch nie Verständnis für die Leute, die wegen nicht mehr erreichbarer Zielzeiten aufgeben und ich werde jetzt  keiner von ihnen werden. Plan B habe ich irgendwie komplett aus meinem Kopf gelöscht und greife automatisch auf die letzte Möglichkeit zurück, die es gibt: durchkommen. Ankommen, ohne hinterher enttäuscht zu sein.


Der Kopf ist jetzt ausgeschaltet, die Stimme, die bei km 4 aussteigen und um den See spazieren wollte, gibt Ruhe. Ich laufe. In die andere Richtung. Auf die große Schleife. 2 km geradeaus an der Landstraße entlang, bis es wieder in den Wald geht. Was für eine ätzende Strecke. Vor einem Jahr bei meinem ersten und schrecklichsten Halbmarathon war das hier km 15 und 16. Ich hatte Schüttelfrost und war davon überzeugt, diese grauenvolle Landstraße würde niemals enden. Jetzt habe ich einen Vorteil: Ich muss nur 10 km laufen und nach ziemlich genau der Hälfte schließt Naomi wieder auf. Es herrscht wortloses Einverständnis darüber, dass Plan A gestorben ist. Wir sind uns allerdings genauso einig darüber, dass wir weitermachen. Auch wenns nicht schön wird. Es ist schon jetzt nicht schön. Am Getränkestand nehme ich nur deshalb einen Becher Wasser, um vor mir selbst eine kleine Gehpause zu rechtfertigen. Ansonsten wird nicht gegangen! Das ist ein verdammter 10er! Kurzes und vor allem selbstgewähltes Leid!

Wir laufen weiter. Zu zweit ist es schöner als allein. Ein wenig zumindest. Ich will trotzdem nicht mehr, will einfach ganz und gar nicht. Ich versuche der Situation und den negativen Gedanken zu entkommen, indem ich mir vorstelle, das hier wäre nicht der Martinslauf, sondern es wäre ein gemütlicher Sonntag und wir würden einen Trainingslauf zusammen hier im Wald laufen. Naomi und ich. Einfach so. Wie immer. Diese Welt ist fluffig, vielleicht glitzert sie sogar ein bisschen, ich schwebe auf meiner "das-ist-hier-alles-nur-Spaß"-Wolke weiter. Die Kilometermarkierungen reißen mich zurück in die Realität und ich mache den alten Fehler, rückwärts zu zählen. Nicht "schon 7 km geschafft, tschakka, super!", sondern "scheiße, immer noch 3 km, will nicht mehr". Gehen ist immer noch keine Option. Ich würde gerne, aber schiebe den Gedanken weg. Versuche, das Verlangen zu unterdrücken und erinnere mich an meine einzige Regel: Gegangen wird nicht. Nicht im 10er. Nicht jetzt. Langsamer laufen geht immer. Zur Not trabe ich über die Ziellinie, aber ich werde nicht gehen.


Wir ziehen uns abwechselnd. Noch immer habe ich keinen Überblick über das Tempo, ich will es auch gar nicht wissen. Es fühlt sich langsam an. Langsam und schrecklich. Strava erzählt später etwas anderes - natürlich. Bei km 9 steht plötzlich Alex mit der Kamera da - na prima. Ich bin überfordert vom Signalisieren, dass ich ihn gesehen habe, Lächeln, einen Fuß vor den anderen Setzen, Atmen. Alles gleichzeitig. Dabei kommt das Augen offen haben zu kurz - alles geht eben nicht. Ich hatte mir vorgenommen, bis hier hin irgendwie durchzukommen und auf dem letzten Rest nochmal Vollgas zu geben. Ein einziger verdammter Kilometer. In weniger als 5 Minuten könnte es vorbei sein. Aber wenn ich jetzt noch Tempo zulege, muss ich eventuell doch über die Ziellinie wandern. Nicht gut. Scheiß auf den Plan. Dann eben weiter traben.


Die letzten Meter ziehen sich. Ich will, dass es vorbei ist, aber ich traue mich nicht, schneller zu laufen. Noch nicht. Da ist nicht mehr viel Luft nach oben. Wir müssen die Startlinie noch einmal überqueren und dann geht es minimal bergauf bis ins Ziel. Jetzt ist mir alles egal. Ich kann die Ziellinie sehen - ab dafür. Wir hatten vorher kurz gewitzelt, ob wir die Hahners geben wollen und deutlich hinter der erhofften Zeit Hand in Hand ins Ziel laufen, aber das ist mir jetzt doch zu doof. Es schafft auch jeder alleine über die Linie - endlich. 53:24 Minuten hat es gedauert. Weit weg vom ursprünglichen, ziemlich hoch gesteckten Ziel. Für den gefühlten Totaleinbruch aber gar nicht so übel.

Ich weiß noch nicht so genau, was ich aus den beiden letzten Läufen mitnehme. Klar, ich weiß, was hier negativ reingespielt hat: die ersten 3 km in 4:50 min/km statt 5:00, das viel zu frühe Aufwärmen, die Kälte (zum ersten Mal habe ich es tatsächlich geschafft, zu wenig und nicht zu viel anzuziehen), der erst verschobene und dann ziemlich plötzliche Start, die schlechte mentale Verfassung. Aber neben all den offensichtlichen Dingen: Vielleicht tut es mir einfach nicht gut, mich unter Druck zu setzen. Vielleicht bekommt mir die Leichtigkeit eines Ziels besser, dessen Erreichen nicht so sehr in Frage steht. Ich weiß es nicht. Ich denke bis zum nächsten Lauf drüber nach. Bis dahin nehme ich allerdings mit: Ich kann mich sehr wohl durchbeißen. Wenn es auch nur für Plan C gereicht hat - ich habe alles gegeben, was möglich war, obwohl ich mehr als einmal gerne aufgehört hätte. Und allein für diese Lektion hat es sich gelohnt. Danke Martinslauf! Danke Alex für die Bilder, danke Naomi fürs Ziehen und Mitleiden, danke unbekannte Dame in der Kloschlange, die hier mitliest. Die sub50 schreibe ich dann mal auf die Liste für 2017.

Wenn man sie nicht extra zahlt, gibts beim Martinslauf übrigens keine Medaille. Aber dafür einen Weckmann für jeden. Bisschen trocken, aber auch gut.