Samstag, 27. August 2016

Raceday No. 19 - EuroEyes Cyclassics Hamburg 2016

Ich nehme zwei übertriefende Hände voll Rennradliebe, gieße sie in diesen Artikel und hoffe, sie fließt bei euch aus dem PC oder Handy wieder heraus. Ganz genau so und nicht anders ist das nämlich mit den Cyclassics. Was soll eigentlich noch kommen, nachdem mit dem RAD RACE Battle am Samstag der coolste Teil des Wochenendes schon abgehakt ist? Denkste.


Das Abholen der Startunterlagen geht super schnell - das Inspizieren des Startbeutels allerdings auch. Papiermüll, oh es gibt ein Rad zu gewinnen, Papiermüll, was zur Hölle soll ich mit After Shave??, Wasser (praktisch, aber... naja Wasser!), Riegel (taxofit - ungefähr das beste, was der Beutel zu bieten hat - nur dass es die gleichen auch bei der Nachzielverpflegung gibt), Trinkflasche (schönes Grün! Aber nicht an Bruno...), Teilnehmerinfos. Ganz praktisch, um die Gefahrenstellen auf der Strecke vorab schon mal zu checken (und schön blöd, wenn man dann während der Bodenwellen gerade nur eine Hand am Lenker hat, weil man ja ausgerechnet kurz vorher trinken musste). Mir ist durchaus klar, dass es auch für Sponsoren nicht gerade einfach ist, kostengünstig 20.000 Beutel zu füllen, aber hier ist echt noch Luft nach oben. Aber zum Glück nehme ich nicht wegen der Startbeutel teil, sondern weil ich Rennrad fahren will. Insgesamt bin ich nicht mehr so aufgeregt wie vor dem Velothon in Berlin, ich habe keine Angst. Ich fürchte allerdings, das Rennen könnte im Vergleich zum Battle etwas langweilig werden. Ich weiß ja jetzt, was auf mich zukommt. Diese Magie, etwas zum allerersten Mal zu machen, vermisse ich.


Am Vorabend veranstalten wir unsere eigene Pasta-Party. Mein unschlagbarer Plan, die Sauce aus dem Glas wenigstens mit frischem Gemüse zu bereichern, wird von der Meute nur unter Protest hingenommen. Nachdem die Nudeln (und das Grünzeug) allerdings ohne eine verzogene Miene verputzt sind, besprechen wir unsere Ziele und die Taktik fürs Rennen. Mein Plan sieht vor, schneller als in Berlin zu sein - einen Schnitt von 33,77 km/h gilt es zu schlagen, also wären 34 jetzt schön. Denk ich mir so in all meiner Naivität und mit nicht vorhandener Renn-Erfahrung. Allerdings kenne ich die Strecke nicht und weiß nicht, wie schlimm der Kösterberg wirklich ist, vor dem alle so eindringlich warnen. Wir sind zu dritt und wollen zwar zusammen starten, aber nicht unbedingt zusammen ins Ziel kommen. Ich habe keine Lust, Rücksicht auf irgendwen zu nehmen und möchte andersrum auch nicht, dass jemand auf mich warten muss - wobei ich mir insgeheim als zweites Ziel vorgenommen habe, vor den Jungs zu finishen. Die trauen mir allerdings noch nicht mal den 34er Schnitt zu ("Du kennst den Berg ja nicht! Den darf man echt nicht unterschätzen!"), was bei mir nicht unbedingt dazu beiträgt, den Plan nochmal zu überdenken. Im Gegenteil. Challenge? Accepted!


Start ist um minus 1000 Uhr. Für meinen Startblock zwar erst um 7:58, aber das bedeutet, man soll sich zwischen 7:18 und 7:48 dort einfinden. Puh. Weil ich ungern aus der allerletzten Reihe starten will und auch noch meinen Kleiderbeutel abgeben muss, fahre ich alleine schon mal etwas früher als der Rest los. Die Lust auf das Rennen ist schlagartig da, als ich in der Schanze die ersten anderen Rennradler entdecke, die sich unter Party-Zombies mischen und Richtung Start rollen. Wir sind alle aus dem gleichen Grund hier. Haben alle das gleiche Ziel. 20.000 Starter. Beim größten Radrennen Europas. Ich hab Bock!


Ich treffe die Jungs im Startblock wieder. Ganz schön voll hier, aber trotzdem total entspannt. Endlich dürfen wir losrollen - aus Block G bis zur Startlinie sind das ein paar hundert Meter. Wie beim Velothon ist auch hier der Start gemächlich - wir hoppeln über die Matte für die Zeitmessung, keiner ballert sofort los. Mir geht das alles viel zu langsam, aber die Muskeln sind kalt, erst mal einrollen, Geduld. Scheiß drauf, wenn ich eins nicht habe, ist es Geduld! Ich will nicht warten. Nach zwei Kilometern habe ich wirklich keine Lust mehr auf Bummeln und ziehe das Tempo wenigstens mal auf 30 km/h an. Schon besser. Fühlt sich aber immer noch langsam an.


Wir radeln an "unserer" U-Bahn-Station vorbei. Es geht leicht bergauf, es ist mir egal, ich spüre gar nichts. Eine erste kleinere Abfahrt, ich bin mittlerweile gut drin und ziehe das Tempo auch in der Ebene auf irgendwas zwischen 36 und 40. Es läuft. Gefühlt sind die meisten hier routinierter als in Berlin, nur wenige eiern in der Mitte rum, links überholen klappt wunderbar. Vielleicht bin ich auch selbst einfach entspannter. Ziemlich schnell ist die Umgebung ziemlich ländlich. Es geht raus aus Hamburg und bei Schenefeld auf die L103. Eine Landstraße mit Mittelleitplanke - fühlt sich an wie eine Autobahn und ich liebe sie sofort. Wie toll ist der Asphalt hier denn bitte? Ich habe Glück und finde einen Zug, dessen Geschwindigkeit perfekt passt. Das scheint die Mannschaft irgendeines Firmenteams zu sein und einige andere Fahrer haben sich bereits dran gehängt. Ich jetzt auch. Den Firmennamen kann ich nicht entziffern, aber während der nächsten Kilometer habe ich viel Zeit zu studieren, dass sich die Radler vor mir im normalen Leben mit Industriereinigung, Gerüstbau und all solchen Sachen beschäftigen.


Die Gruppe ist fantastisch. Insgesamt bestimmt um die 15, 20 Leute, mal fahren wir Einerreihe, meistens Zweierreihe. Ich kann gar nicht anders, der Windschatten saugt mich einfach mit und wir fliegen über die Autobahn Landstraße. Ich erkläre diesen Teil schon bei km 15 zu meinem Lieblingsstück der Strecke. Ich liebe die Geschwindigkeit, die Gruppe und bin einfach nur froh, dass es so verdammt gut läuft. Ohne Absprachen wird durchgewechselt, das Tempo ist hoch, aber gleichmäßig. Besser gehts nicht! Ich möchte ewig so weiter machen.


Dann kommt eine Kurve und meine neue Lieblingslandstraße ist vorbei. Schade. Insgesamt gerade mal 21 km gefahren. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo wir sind, aber die Dörfer werden immer kleiner. Raus aufs Land. Idyllisch. Und einsam. Die Gruppe ist noch immer zusammen, mittlerweile blicke ich die meiste Zeit auf einen Rücken mit der Aufschrift "Spätzle-Power". Mhm, Nudeln. Generell sieht man in so einem Radrennen ziemlich viele Ärsche, Trikotaufschriften und wenig Landschaft, aber ich bemühe mich, alles um mich herum aufzusaugen. Unser Zug funktioniert einfach viel zu gut, als dass ich mich ausklinken wollte. Ich schiele auf den Tacho. Ungefähr bei km 39 kommt der Berg. Der hat übrigens eine extra Bergwertung ("Unterschätz auf keinen Fall den Berg! Da hab ich schon Leute hoch schieben sehen!"). Mensch Hamburg, was hast du mit uns vor?

In Wedel sehen wir zum ersten Mal die Elbe (und die Bodenwellen) und dann geht es schon mal leicht bergauf - eine gute Einstimmung auf das, was noch kommt. Und eine gute Gelegenheit, die Beine ein klein wenig zu schonen. Zumindest, wenn man die Vernunft gewinnen lässt. Aber schlau ist langweilig. Und pure Vernunft darf niemals siegen. Wir knallen den Anstieg auf dem großen Blatt mit einem 30er Schnitt hoch. Puh. Kann man machen. Die Gruppe bleibt bis zum Kösterberg zusammen, dann reißen ein paar aus und die meisten fallen zurück. Ich bin irgendwo alleine in der Mitte und mache mein eigenes Ding. Erste Zeitmessung für die Bergwertung. Na dann wollen wir mal!


Das hier soll der so großartig angepriesene Berg sein? Das alpine Schreckgespenst im Hamburger Westen? Mittlerweile habe ich gelernt, dass es gar nicht mal DEN Kösterberg gibt, sondern nur Grotiusweg und Kösterbergstraße. Pfffft. Ich sehe es gar nicht ein, dafür aufs kleine Blatt zu schalten. Wiegetritt olé. Das steilste Stück hat wohl an die 6 % Steigung, aber es ist kurz. Der ganze Berg ist kurz. Haben die mich alle verarscht? Auf einmal ist es schon wieder flach. Hä? Das Stück Kopfsteinpflaster ist nicht schön, aber geht vorbei. Nach einer Kurve gehts nochmal rauf und ich erwarte, dass die Oberschenkel dann spätestens jetzt richtig leiden müssen. Der absolute Kracher bleibt allerdings aus und nach gut 500 Metern ist der Spaß vorbei. Ok Hamburg! Du meinst es gut mit uns. Direkt um die Ecke ist übrigens der Waseberg, den die Profis nachmittags gleich mehrfach bezwingen dürfen - mit bis zu 15 % Steigung nochmal ne deutlich andere Hausnummer. Ich bin trotzdem froh, dass das Schlimmste überhaupt kein bisschen schlimm war und habe für die letzen 15 km nur noch eines im Sinn: Tempo.


Es läuft einfach zu gut, um nicht schneller zu fahren. Trifft sich auch gut, dass es erst mal 5 km bergab geht. Genau bei km 46 spült die Strecke uns an die Elbe. Ach, Hamburg! Wie schön du bist. Noch 10 km. Elbchaussee. Wir kennen uns noch vom Hamburg-Triathlon vor ein paar Wochen. Ich liebe die Strecke. Sie ist ehrlich. Geht nur geradeaus. Und rauf. Ich spüre keine Anstrengung mehr, bin völlig besessen davon, ins Ziel zu rasen, möglichst schnell, auch wenn es gerade so schön ist - die alte Zwickmühle. Eine richtige Gruppe findet sich nicht, aber ein paar einzelne, die ähnlich denken. Das Ding nach Hause fahren. Und auf einmal fliegst du mit 37 Sachen bergauf, als gäbe es kein Morgen.

Noch 5 km bis zum Ziel. Es geht über die Königstraße, dann die Reeperbahn. 2 km. Kein Außen mehr. Kein Halten mehr. Noch drei Kurven. Vorbei am Rathausmarkt. Auf die Mönckebergstraße. Hier bin ich gestern schon beim Battle hochgesprintet. Jetzt sind noch mehr Zuschauer da und machen aus der Einkaufsstraße einen beschissenen, lauten Zielkanal. Gemütlich über die Ziellinie rollen kommt überhaupt nicht in die Tüte, von daher: all out. Ich will mir hinterher nicht vorwerfen können, nicht alles gegeben zu haben. Noch Luft nach oben gehabt zu haben.


Keine Vorwürfe. Nur Euphorie! Liebes Hamburg, das hat sehr viel Spaß gemacht!

Ich habe keinen Sturz gesehen, das Wetter war untypisch spitzenmäßig und es gibt einfach echt mal absolut nichts, das besser hätte laufen können. Einziger Kritikpunkt vor allem im Vergleich zum Velothon: Die Sehenswürdigkeiten am Streckenrand sind doch eher spärlich gesät. Die Dörfer rund um Hamburg sind zwar schön, aber nichts besonderes. Deshalb muss ich im nächsten Jahr definitiv auf der 100-km-Strecke an den Start gehen und mich die Köhlbrandbrücke hoch quälen. Ich freu mich drauf!

Meine Cyclassics in Zahlen:
56,7 km
1:36:17
Schnitt 35,33 km/h

Platz gesamt: 939 von 5063
Platz bei den Frauen: 62 von 1025
Platz in der Altersklasse: 19 von 165
Bergwertung: 24 von 1025

Ich gebe normalerweise nicht viel auf die Platzierungen. Aber wenn ich mir überlege, dass ich vor zwei Jahren nicht mal ein Rennrad besessen habe und die Cyclassics mein zweites Rennen waren, dann bin ich da grade einfach mal fucking stolz darauf. "Ist ja bei den Frauen auch nicht so schwer, vorne dabei zu sein" - alles schon gehört. Fahrt erst mal selber schneller.


Danke, dass ich das alles mitmachen durfte, für die Möglichkeit, für das Markenbotschafter-Dasein. Diese Radrenn-Sache zu machen, war eine der besten Entscheidungen des Jahres. Warum? Weil das einfach mit nichts vergleichbar ist. Die gesperrten Straßen, die großartigen Abschnitte der Strecke, die Gruppen, die sich gegenseitig ziehen und blind verstehen, die verdammte Geschwindigkeit. Die Beine, die kurbeln, kurbeln, kurbeln. Das Herz, das spätestens beim Blick auf den Tacho einen Sprung macht. Aus eigener Kraft lange schnell fahren ist offenbar ein simples Rezept, um mich sehr glücklich zu machen. Wir sind in Hamburg, ich möchte Enno Bunger zitieren: "Es gibt Dinge, die begreift man nur, wenn man sie nicht erklärt." Das hier ist so ein Ding.

Wer jetzt Lust bekommen hat und auch mal Rennluft schnuppern will: Eine sehr gute Gelegenheit gibts am 18. September 2016 zuhause in Düsseldorf: Das alltours Race am Rhein auf einem Teil der Tour de France Strecke 2017. Ich bin dabei. Wer nicht radeln will: Helfer werden auch noch gesucht, klickt mal rein.

Fotocredits: Alle bis auf das erste Medaillenfoto: Christian Siedler.

Donnerstag, 25. August 2016

Raceday No. 18 - RAD RACE Battle Hamburg 2016


Ob es wohl eine gute Idee ist, am Tag vor den Cyclassics ein Sprintrennen zu fahren? Antwort Freund 1: "Also ich würds ja nicht machen!" Antwort Freund 2: "Bist du bescheuert?" Antwort Freund 3: "Coole Sache, hast du denn ein Outfit dafür?" Scheiße, nein, hab ich nicht. Beim RAD RACE sind nur coole Leute mit coolen Rädern am Start und ich komm dann da mit meinem Altherren-Bianchi und rosa Helm an? Jo. Genau so siehts aus.

In Hamburg fährt das Fahrrad außerhalb der Stoßzeiten kostenlos mit - yay!
 

Das RAD RACE Battle funktioniert simpel: 190 Meter die Mönckebergstraße raufballern. Gestartet wird wie beim Zeitfahren von einer Rampe im sogenannten gehaltenen Track Stand, das heißt man sitzt fahrbereit und eingeklickt auf dem Rad und wird von hinten festgehalten. 128 Männer und 32 Frauen fahren gegeneinander, bei den Jungs in den ersten beiden Runden 4 gegen 4, wobei die ersten zwei weiter kommen, und bei uns Mädels direkt 1 gegen 1 und die schnellere ist in der nächsten Runde. Am Ende weiß man, wer die besten Sprintbeine hat oder einfach nur die coolste Socke ist.


Samstagnachmittag in Hamburg, das RAD RACE hat die Zielgerade der Cyclassics gekapert, die Rampe und eine Nebelmaschine aufgebaut, ein paar Fahnen aufgehängt und die Musik aufgedreht. Gute Musik! Rise Against. Jimmy Eat World. Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Leute, die gute Musik hören, keine schlechten Menschen sein können. Trotzdem steh ich erst mal wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend rum und traue mich nicht so recht zum freien Training. Ich möchte unbedingt üben, die Rampe runter zu fahren, weil ich immer noch nicht weiß, mit welchem Gang ich starte.


Letzte Woche habe ich genau einmal sprinten geübt: Aus dem Stand, eingeklickt in beide Pedale, mit festgehalten werden und dann 200 m treten, was die Beine hergeben. In der Theorie. In der Praxis hatte ich eine Scheißangst, dass ich nicht sicher genug festgehalten werde, sofort umkippe oder spätestens dann zur Seite plumpse, wenn man mich loslässt und ich starten soll. Ich musste feststellen, dass 200 m so kurz gar nicht mal sind und dass man die Wahl hat zwischen einem relativ leichten Antritt, dann aber später schalten muss, oder direkt einen dicken Gang nimmt, um das Schalten zu vermeiden und dafür am Anfang aber nicht von der Stelle kommt. Zwickmühle. Schließlich überschlagen sich die Experten und ich bin kurz vor dem Rennen soweit gehirngewaschen, dass mir der Gedanke: "Wer schaltet, verliert sofort!" erfolgreich implantiert ist. Mit der Rampe soll aber alles besser werden.


Nachdem ich die Lage ausführlich sondiert habe, entscheide ich mich für einen Kaltstart von der Rampe. Es stehen zwar Rollentrainer zum Aufwärmen bereit, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich da sturzfrei mit dem Rad rauf und wieder runter kommen soll, also lasse ichs bleiben und klettere lieber die Rampe rauf. Und damit das hier nicht läuft wie bei meinem Tattoo, als die Tätowiererin munter drauf los stach und nach der halben Eule erstaunt feststellte: "Oh! Das ist dein erstes Tattoo? Achso!!!" und ich kurz darauf das Bewusstsein verlor, erzähle ich dem Helfer da oben auf der Rampe direkt mal als allererstes, dass das hier meine Premiere ist und ich mich über Tipps freue. Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?!


DO EPIC SHIT. Drucken die RAD RACE Leute auf ihre T-Shirts. Wenn es episch ist, von einer beknackten Rampe zu rollen, dann mache ich das jetzt also. Ich klettere aufs Rad, klicke auf beiden Seiten ein und werde dieses Mal nicht so wackelig wie beim Üben gehalten. Alles cool. "Sag Bescheid, wenn du so weit bist." Äh. Jo. Er lässt los, ich trete an, Bruno rollt. Haha! Das ist großartig! Die Rampe ist spitze, die Strecke super. Es geht leicht bergauf, ich spüre nichts davon. Ich traue mich nicht, voll reinzutreten, will die Kräfte fürs Battle aufsparen. Aber irgendwie muss ich das mit dem richtigen Gang jetzt rauskriegen. Also gleich nochmal.


Nach ein paar Proberunden weiß ich, welchen Gang ich fahren will ("Wer schaltet, verliert!") und treffe endlich Katharina, meine Gegnerin im ersten Battle. Nachdem die Startlisten raus waren, hatte ich versucht rauszukriegen, mit welcher Rakete ich es zu tun bekomme und trotz meiner machmal NSA-verdächtigen Recherche-Skills genau gar nichts rausgefunden. Meine ungooglebare Konkurrentin ist mir so unbekannt dann allerdings doch nicht: Wir folgen uns auf Twitter und Instagram, sie liest hier schon eine Weile mit und tatsächlich bin ich ein kleines bisschen mit Schuld daran, dass sie an diesem Wochenende überhaupt in Hamburg ist. Nach meinem Bericht vom Velothon kam sie auf die Idee, mit dem soeben neu erworbenen Rennrad nicht nur bei Triathlons zu starten, sondern dass Radrennen ja auch ne ganz lustige Sache sein könnten. Unglaublich! Wenn meine Schreiberei hier so was bewirkt, macht mich das unheimlich glücklich und ein kleines bisschen stolz. Sentimentale Kackscheiße beiseite, jetzt sind wir Battle-Gegnerinnen. Tatsächlich haben wir beide nicht damit gerechnet, auch nur eine einzige Runde weiter zu kommen, aber da wir ja jetzt gegeneinander antreten, dämmert uns langsam, dass eine von uns gewinnen und ins Achtelfinale einziehen muss. Nur eine kann Germany's Next... Ach egal.

Zuerst sind die Männer dran, und zwar so lange, bis von 128 nur noch 32 übrig sind. Genug Zeit zum Zuschauen, Leute treffen, die Hände wie eine Wahnsinnige an die Bande klatschen und dann - warm machen. Ich komm ja nicht drum herum. Nachdem ich mittlerweile festgestellt habe, dass hier keiner beißt, quatsche ich einfach das erstbeste Mädel an, das gerade erfolgreich von der Rolle runtergeklettert ist. Sie erklärt mir wie es geht (eigentlich total einfach, aber ey! Man weiß ja nie!) und verrät mir, dass sie heute auch zum ersten Mal mit dem Rad auf der Rolle war. Fazit nach dem Aufwärmen: Wie geil ist das denn bitte? Ich brauch ne Rolle! Und zwar ne freie! Hey RooDol, wie wärs mit uns? ;-)

Katharinas und mein Start rückt näher. Wir warten unten vor der Rampe und ich schiele auf ihr Ritzelpaket. Was für einen Gang sie wohl fährt? Einen leichten. Einen deutlich leichteren als ich. Scheiße. Damit kommt sie bestimmt am Start besser weg. Sind 190 m zu kurz, um sie wieder einzuholen? Ich schalte einen Gang runter. Und wieder hoch. Ist doch bescheuert, ich ändere doch jetzt nix an meiner Taktik, nur weil sie so einen niedrigen Gang fährt! Vielleicht schaltet sie ja ("Bloß nicht schalten!!"). Aber der dicke Gang ist am Anfang schon doof. Ich schalte wieder runter. Und bleibe dabei. Himmel!


Wir müssen auf die Rampe. Ich erwische nicht meinen Lieblingsfesthalter, der mich zu Beginn so nett eingewiesen hat, aber der andere macht das auch gut. Da stehen wir also oben auf der Rampe. Absurd, ausgerechnet Katharina und ich. Der Moderator nennt unsere Namen, wir sitzen bereits startklar auf den Rädern, meine Beine sind aus Pudding. Ich versuche, gleichzeitig fokussiert und möglichst böse nach vorn zu gucken. Starre das Ziel an. Der Moderator erzählt immer noch, meine Beine zittern mittlerweile, wann gehts denn endlich mal los? Countdown. "5, 4, 3, 2, 1, KICK IT!"



Ich kicke es. Start-Ziel-Sieg. Komme gut von der Rampe, kurbele was das Zeug hält, freue mich über den unfassbaren Lärm, den die Zuschauer genau dann produzieren, wenn ich an ihnen vorbei fliege und dann bin ich als erste im Ziel. Sauber! Achtelfinale! Erst mal bei Katharina entschuldigen, dass ich sie so abgezogen habe. Wieder ist ein bisschen Zeit, bei den Kerlen zuzuschauen, dann gehts wieder auf die Rolle, mittlerweile bin ich darin Profi. Ein Blick auf die schlaue Liste verrät mir die Startnummer meiner nächsten Gegnerin. Sie sitzt auf der Rolle neben mir. Ich schiele möglichst unauffällig rüber. Na prima. Sie fährt ein Fixie. Nicht irgendeins, sondern so ein fancy geschecktes von 8bar, dazu das passende Trikot und ich bin mir sicher, dass mein zweites Battle das letzte für heute sein wird.


Scheiß auf ne vernünftige Aeroposition! Ich bin ein Erdmännchen!
Nun denn. "KICK IT!" Wieder komme ich grandios schnell von der Rampe und überlege noch währenddessen, ob das wohl schon als Fehlstart durchgeht. Von meiner Nachbarin ist nichts zu sehen - vielleicht wird das ja doch noch was? Sieht gut aus. Bis ein bunt gefleckter Blitz an mir vorbei schießt. War klar. Vorher philosophiere ich noch wild, dass die Fahrer auf dem Fixed Gear höchstens am Anfang ein klein wenig im Nachteil sind, aber wenn sie das Teil einmal ans Laufen gebracht haben... ist nix mehr zu machen. Verdammt, warum genau hatte ich mich eben für den niedrigeren Gang entschieden? Ich versuche nochmal ranzukommen - keine Chance. RAD RACE Battle, das wars! Ich will meiner Gegnerin zum Sieg gratulieren, aber sie muss erst mal gefühlt einen Kilometer ausrollen. Hoffentlich gewinnt sie das Ding jetzt wenigstens! Alles Daumen drücken hilft allerdings nichts, in der nächsten Runde fliegt sie auch raus. Schade.


#raceface - wäre eigentlich auch mal ne schöne Fotoreihe
Nach dem Battle bleibt ein kleines bisschen was-wäre-wenn und hätte-ich-nicht-doch-noch übrig. 190 Meter sind arschkurz, da muss alles verdammt gut passen - von der ausgelosten Gegnerin bis zur richtigen Übersetzung und den Beinen, die nur eine einzige Chance haben. Das macht das Format knallhart - aber auch saugeil. Bis zum nächsten Mal optimiere ich die Aerodynamik und übe den einen oder anderen Sprint - Ortsschilder sollten fürs erste ja auch reichen. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, ich will nochmal! Wenn ihr mal die Gelegenheit habt, bei einem RAD RACE zuzugucken oder zu starten: Macht das! Unbedingt!


Fotocredits: Christian Siedler. Merci.
Noch mehr absolut sehenswerte Bilder vom gesamten RAD RACE Battle findet ihr hier.

Donnerstag, 11. August 2016

Slow fat triathlete - Handlungsempfehlung für den Umgang mit Idioten

In den letzten Tagen machte ein Bericht einer Triathletin im Netz die Runde, der mich zuerst sprachlos und dann wütend gemacht hat. Nicht nur mich, sondern hunderte, die auf allen Kanälen munter kommentierten. Wer's nicht mitgekriegt hat, bitte einmal hier entlang und Christinas etwas anderen Rennbericht lesen. Kurz: Sie wurde während eines Wettkampfs von Zuschauern behindert und als "fette Sau" beschimpft. Dass das gar nicht geht, da sind wir uns wohl alle einig. Nun, nicht alle: Ein Kommentator war der Meinung, das Problem läge ja eindeutig bei ihr selbst - achja, klar. Manche fassen sich eben auch an den Kopf und greifen ins Leere. So. Im Prinzip wäre dazu jetzt alles gesagt. Einige Blogger-Kollegen wie der Trailrunner's Dog fordern mehr Respekt, Triathlove macht die Geschichte richtig sauer. Mich auch. Mich macht vor allem sauer, dass wir über das Thema überhaupt sprechen müssen.


Und weil ich ja nun mal optisch auch nicht gerade dem Idealbild einer Triathletin entspreche, betrifft mich das Ganze auch. Ich habs nur noch nie thematisiert. Ich will schon lange einen Artikel schreiben, der bisher noch nie so richtig raus wollte, aber jetzt ist verdammt nochmal der richtige Zeitpunkt dafür. Wilde Aneinanderreihung von Gedanken und Erlebtem:

2014. Kurz vor meinem ersten Triathlon. Mir dämmert, dass ich in einem hautengen Anzug nicht nur schwimmen und radfahren, sondern auch noch laufen muss. Ich möchte den Anblick eigentlich keinem antun und ich möchte vor allem nicht diejenige sein, die ihre schwabbeligen Beine, Po und Bauch im Einteiler durch ihre Heimatstadt schiebt. Ein Telefonat mit Georg, Triathlon-Urgestein aus dem Ort und Organisator des Ratingen-Triathlons, stimmt mich um: "Ach mach dir doch keinen Kopf wegen 5 kg zu viel. Die Leute gucken vielleicht erst mal, aber am Ende sind die beeindruckt von dem, was du leistest." 5 kg?! Haha, danke für die Blumen. Wir reden eher so über 15-20 zu viel. Ich glaube ihm trotzdem, gehe an den Start und den Rest der Geschichte kennt ihr.


Mitte 2015. Ungefragt bekomme ich mitgeteilt, es sei ja komisch, dass ich gar nicht abgenommen hätte, wo ich doch jetzt so viel Sport mache. Diese Feststellung erreicht mich nicht etwa im passenden Kontext von einer vertrauten Person, die echtes Interesse an der Analyse der Situation hat, sondern von einem Freund meiner Eltern während einer Party vor versammelter Mannschaft. Ich fühle mich bloßgestellt und möchte ausrasten. Stattdessen sage ich nur irgendwas blödes und gehe früh.

Herbst 2015. Meine erste Kurzdistanz. Es sind 4 (ziemlich profilierte) Radrunden zu fahren, dementsprechend oft komme ich an den etwas spärlich gesäten Zuschauern vorbei. Ein älterer Herr ruft: "Weiter so, hast bestimmt schon ein Kilo verloren jetzt!" Und findet sich dabei ziemlich witzig. Ich möchte hoffen, dass das der gleiche Idiot wie aus Christinas Geschichte war, aber ich fürchte, es gibt noch mehr davon. Glücklicherweise hat mich das im Rennen nur geärgert und nicht ernsthaft irritiert, es war mir nicht mal eine Erwähnung im Artikel wert und ich hatte die Sache vergessen. Bis gestern.

Ich habe kein dickes Fell. Manchmal wirkt das vielleicht so, aber ich habe es nicht. Das erste Jahr meiner Lauf-Karriere hat mich ein Gedanke immer begleitet: Das ist nicht meins. Ich kann das versuchen, so lange ich will, aber es ist offensichtlich, dass ich dafür nicht gemacht bin. Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin das dicke Mädchen mit dem witzigen Blog, das jetzt mal auf Läuferin und Triathletin macht.


Ende 2015. Ich bin zum Schwimmen verabredet. Es ist nicht so ganz klar, was für eine Art von Verabredung das ist, wahrscheinlich geht es nicht einfach nur ums Training, aber so ein richtiges Date ist das auch nicht, irgendwas dazwischen. Eine Verabredung im Schwimmbad ist normalerweise undenkbar. Aber so was von! Klar, ich bin jede Woche im Schwimmbad, dort sehen mich ständig Leute, die Wasserballjungs kennen mich besser im Badeanzug als angezogen - aber das ist was anderes. Vor jemandem, mit dem ich noch nie zusammen schwimmen war, auf einmal halbnackt herumlaufen? Alptraum. Eigentlich. Und dann finde ich mich auf einmal zuhause im Badeanzug vor dem Spiegel wieder und überlege nur noch, ob ich die graue oder die rote Badekappe nehme. Was ich sehe, ist bei weitem nicht perfekt, aber ich bin stolz. Stolz auf einen Körper, der zu diesem Zeitpunkt zwei Volkstriathlons und eine Kurzdistanz geschafft hat, der einen Halbmarathon gelaufen ist und dem man das nicht ansieht. Ich muss es aber nicht sehen. Ich weiß es. Bei diesem Treffen im Schwimmbad ist nichts peinlich - und übrigens war es doch ein rein sportliches Date ;-)

2016. Ich habe keine negativen Gedanken mehr beim Laufen. Ich kann mir zwar immer noch Schöneres vorstellen, als im Trisuit wie auf dem Präsentierteller zu laufen. Aber ich kann den Kopf ausschalten, mich auf was anderes fokussieren, es keine Rolle mehr spielen lassen. Ich denke auch nicht mehr oft darüber nach, wer auf dem Rad beim Windschattenfahren jetzt eigentlich gerade dazu gezwungen ist, auf meinen voluminösen Hintern zu starren. Im Gegenteil: Ich freue mich, dass diese Beine mit den austrainierten Oberschenkeln und strammen Waden der Vordermänner mithalten können.


Noch immer ist das ein sensibles Thema. Ja, ich habe in den letzten Wochen ein paar Kilo abgenommen. Gar nicht mal so irre viele und gar nicht mal so bewusst. Ich schiebe das auf die hohe Intensität beim Radeln zurzeit und mache mir ein klein wenig Sorgen, wie ich das über den Winter retten soll, wo man nicht mal eben den halben Samstag im Sattel verbringen kann (nein, 6 Stunden auf der Rolle sind keine Option). Meistens ist es mir unangenehm, darauf angesprochen zu werden, früher schlimmer als heute. Typischer Dialog: "Hast du abgenommen?" - "Öh, ja nö, bisschen vielleicht." Immer rede ich das klein, sage, dass ja noch viel Luft noch oben sei, das noch was ginge, das ich nicht fertig bin. Ich rede nicht gern darüber. Schluss damit jetzt! Ich thematisiere das genau jetzt.

Wir müssen nicht immer stark sein
Mich betrifft Christinas Erfahrung. Sie macht mich traurig und wütend und ich möchte Menschen, die einen Athleten als "fette Sau" beschimpfen, am liebsten rechts und links eine verpassen. Und denen, die glauben, es sei das Problem von jedem selbst, wenn man so etwas an sich heran lässt, denen erst recht. Es gehört eine verdammte Portion Mut dazu, sich bei einem Thema, das man sowieso nicht gerne bespricht, hinzustellen und zu sagen: "Wenn ihr Witze auf meine Kosten macht und mich respektlos behandelt, verletzt mich das." Wir müssen nicht immer stark sein, nur weil andere Arschlöcher sind. Judith Riemer hat dazu heute ganz wunderbar passend geschrieben: Wenn dein Herz übergewichtig ist, dann ist es völlig egal, wie viel du abnimmst.

Ich möchte auch gar keine küchenpsychologische Analyse beginnen, welche eigenen Komplexe jemanden dazu bringen, sich so zu verhalten, wie die Zuschauer bei Christinas Triathlon. Aber ich möchte - da es ja anscheinend 2016 wirklich noch nötig ist - darauf aufmerksam machen, dass das nicht ok ist. Beschreiben, wie es innen drin so aussehen kann, auch wenn man nach außen stark ist. Solltet ihr mal bei einer Veranstaltung am Rand daneben stehen und so etwas miterleben, sei es eine so direkte Beleidigung oder auch nur Gerede: Unternehmt was. Unternehmt irgendwas! Fragt denjenigen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, ob er sein Verhalten eigentlich sportlich findet, fragt nach seiner Marathon-Bestzeit* oder ob er eigentlich schon so dumm geboren wurde. Lasst diese Idioten nur nicht glauben, sie seien witzig.


*Ich bin natürlich nicht der Meinung, dass schnellere Sportler auf langsamere herabschauen dürfen - ganz im Gegenteil. Kommen die ach so witzigen Sprüche allerdings von denjenigen, die sich selbst höchstens vom Sofa zum Kühlschrank bewegen, kann man ihnen die eigene Unsportlichkeit im Vergleich durchaus gerne mal aufzeigen. Unter Sportlern ist das Ganze noch tragischer, habe ich aber zum Glück noch nie erlebt. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass gerade wir Läufer und Triathleten ganz genau wissen, was die anderen leisten. Trotzdem kann es nicht schaden, sich hin und wieder bewusst zu machen, dass schwächere und stärkere Sportler jeweils genauso über sich selbst hinauswachsen - nur eben auf anderen Ebenen. Dass sie kämpfen. Grenzen verschieben. Unermüdlich trainieren. Vielleicht mal straucheln. Sich verbessern. Wo kommen wir hin, wenn wir uns dabei nicht mehr gegenseitig bestärken?