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Samstag, 30. November 2019
Raceday No. 78 - Berlin Marathon 2019
Patsch. Patsch. Patsch. Bei jedem Schritt gibt das Wasser in den Schuhen ein matschiges Geräusch von sich. Die Socken sind ebenfalls komplett durchnässt, Hose und Shirt sowieso. Es gibt keinen trockenen Quadratzentimeter Stoff an meinem Körper. Selbst beim Trinkrucksack bin ich nicht sicher, ob er ausläuft oder ob das alles Regen ist. Tropft da Schweiß von meiner Augenbraue? Oder nur Wasser?
Eigentlich laufe ich gern bei Regen. Er kühlt angenehm, es wird nie zu heiß und irgendwann ist es auch egal, wie nass man ist. Nur ist es blöderweise heute anstrengender als sonst. Ich bin bei Kilometer 15. Es liegen noch 27 Kilometer vor mir. Kein Schritt fällt mir leicht, von Anfang an ist der Puls weit oben, obwohl ich langsam laufe. Wirklich langsam. Bei Kilometer 10 bin ich genau in meinem sehr tief gestapelten Zeitplan. Bei 15 ebenso. Kurze Pipipause. Wenn es jetzt schon so hart ist, wie soll ich dann noch drei Stunden lang weiterlaufen? Es sollte sich jetzt noch halbwegs leicht anfühlen. Es fühlt sich allerdings beinahe an wie ein schneller 10er. Wenn ich noch mehr Tempo raus nehme, gehe ich. Halbmarathon. Immer noch in der geplanten Zeit, ganz langsam. Es geht nichts mehr. Ich gehe.
Ich muss zugeben, dass ich bisher wenig Respekt vor richtig langen Marathon-Zeiten hatte. In acht Stunden 42 Kilometer walken kann theoretisch jeder gesunde Mensch mit zwei Beinen, es macht halt nur kaum einer. Dauert ja auch einfach ewig. In Berlin ist mir ein bisschen klarer geworden, was es eigentlich bedeutet, wenn es schon früh nicht gut läuft und man früh merkt, das wird heute lange dauern. Sehr lange. Und was es dann doch für eine Leistung ist - vor allem eine mentale - diese Ziellinie zu erreichen.
Dieser Abschnitt ist leicht falsch zu verstehen. Ich meine damit nicht, dass ein Marathon erst ab einer bestimmten Zeit "etwas zählt". Ich will damit auch nicht sagen, dass ich körperlich in Berlin nichts geleistet hätte. Ich will einfach darauf hinaus, dass etwas, was im ersten Moment verhältnismäßig einfach wirkt (nämlich lange gehen oder sehr langsam laufen), dann doch gar nicht mehr so einfach ist, wenn man sich die ganze Dauer vor Augen führt. Fünf, sechs, sieben oder gar acht Stunden. Das muss man schon ziemlich wollen.
Ich hatte mir 2018 mit dem Inlinemarathon den Startplatz für den Lauf gesichert. Also keine Lotterie, sondern sicherer Startplatz, bezahlen muss man dann natürlich zweimal. Egal, once in a lifetime. Seit ich in Berlin das erste Mal zugeschaut hatte, wollte ich dort laufen. Die Atmosphäre ist besonders, die Strecke toll, der Zieleinlauf durchs Brandenburger Tor schwer zu toppen. 125 Euro Startgebühr sind ziemlich happig, aber günstiger wirds in den nächsten Jahren wohl kaum, daher dachte ich: Jetzt oder nie. Ich habe lange überlegt, ob ich mich wirklich in diesem Jahr anmelden will, weil die Voraussetzungen für ein Marathontraining durchaus besser sein könnten als in den letzten beiden Semestern des Studiums. Klausurphase und Abschlussarbeit, dazu noch ein fast vierwöchiger Urlaub und überhaupt Training im Sommer. Viele Gründe, die dagegen gesprochen haben, aber schließlich hat das Herz sich durchgesetzt. Ich wollte laufen.
Das einzig Gute, wenn man schon vorher weiß, dass der Zeitpunkt nicht ideal ist: Keine Gelegenheit, um hohe Erwartungen entstehen zu lassen. Trotzdem schwierig, das im Kopf umzusetzen, wenn man generell dazu neigt, sich zu viel Druck zu machen. In Berlin klappt das. Das erste Mal ans Aufgeben denke ich nach 15 Kilometern. Danach immer wieder. Mein Deal mit mir selbst geht so: Ich laufe bis Kilometer 33, dort steht meine Freundin Steffi. Dann kann ich mit ihr zusammen nach Hause fahren. Bei Kilometer 31 oder 32 wird mir dann klar: Wenn ich es bis hier hin geschafft habe, schaffe ich es auch bis ins Ziel. Ich habe keine Beschwerden, die groß genug sind, um auszusteigen. "Es läuft einfach nicht", reicht nicht.
Ein Läufer vor mir fängt unheimlich schief an "With or without you" von U2 zu singen. Eine andere Läuferin stimmt ein. Ich singe nicht mit, weil ich froh bin, gerade genug Luft zu bekommen. Für ein Grinsen reicht es noch. Was für ein Moment! "I can't live with or without you ..."
Auf dem Kudamm entschließt Steffi sich spontan, mich ein gutes Stück zu begleiten. Ich habe mich mittlerweile so sehr mit der Situation angefreundet, dass ich ihr freudig mitteile, dass es heute leider scheiße läuft und länger dauern wird. Ich weiß, dass die letzten 9 Kilometer noch lang werden können, aber es ist mir jetzt egal, wie lange sie noch dauern. Ich laufe, wenn ich kann, und ich gehe, wenn ich muss.
Die letzten Kilometer kenne ich schon vom Skaten im letzten Jahr und vom Halbmarathon im April. Es ist aber doch etwas anderes, gegen Ende des Marathons auf Unter den Linden abzubiegen. Die Menschenmengen, das Brandenburger Tor, all dieser Lärm. "Ihr seid alle Helden" meint ein Werbebanner. Kopfsteinpflaster, nur noch wenige Meter. Die Ziellinie ist in Sichtweite. Nach 4:47 Stunden laufe ich endlich darüber. Mein dritter Marathon ist zugleich der langsamste. Es ist mir egal. Ein anderes Schild sagt: "Strangers are proud of you". Ich bin es auch.

Ich muss zugeben, dass ich bisher wenig Respekt vor richtig langen Marathon-Zeiten hatte. In acht Stunden 42 Kilometer walken kann theoretisch jeder gesunde Mensch mit zwei Beinen, es macht halt nur kaum einer. Dauert ja auch einfach ewig. In Berlin ist mir ein bisschen klarer geworden, was es eigentlich bedeutet, wenn es schon früh nicht gut läuft und man früh merkt, das wird heute lange dauern. Sehr lange. Und was es dann doch für eine Leistung ist - vor allem eine mentale - diese Ziellinie zu erreichen.
Dieser Abschnitt ist leicht falsch zu verstehen. Ich meine damit nicht, dass ein Marathon erst ab einer bestimmten Zeit "etwas zählt". Ich will damit auch nicht sagen, dass ich körperlich in Berlin nichts geleistet hätte. Ich will einfach darauf hinaus, dass etwas, was im ersten Moment verhältnismäßig einfach wirkt (nämlich lange gehen oder sehr langsam laufen), dann doch gar nicht mehr so einfach ist, wenn man sich die ganze Dauer vor Augen führt. Fünf, sechs, sieben oder gar acht Stunden. Das muss man schon ziemlich wollen.

Ich hatte mir 2018 mit dem Inlinemarathon den Startplatz für den Lauf gesichert. Also keine Lotterie, sondern sicherer Startplatz, bezahlen muss man dann natürlich zweimal. Egal, once in a lifetime. Seit ich in Berlin das erste Mal zugeschaut hatte, wollte ich dort laufen. Die Atmosphäre ist besonders, die Strecke toll, der Zieleinlauf durchs Brandenburger Tor schwer zu toppen. 125 Euro Startgebühr sind ziemlich happig, aber günstiger wirds in den nächsten Jahren wohl kaum, daher dachte ich: Jetzt oder nie. Ich habe lange überlegt, ob ich mich wirklich in diesem Jahr anmelden will, weil die Voraussetzungen für ein Marathontraining durchaus besser sein könnten als in den letzten beiden Semestern des Studiums. Klausurphase und Abschlussarbeit, dazu noch ein fast vierwöchiger Urlaub und überhaupt Training im Sommer. Viele Gründe, die dagegen gesprochen haben, aber schließlich hat das Herz sich durchgesetzt. Ich wollte laufen.

Das einzig Gute, wenn man schon vorher weiß, dass der Zeitpunkt nicht ideal ist: Keine Gelegenheit, um hohe Erwartungen entstehen zu lassen. Trotzdem schwierig, das im Kopf umzusetzen, wenn man generell dazu neigt, sich zu viel Druck zu machen. In Berlin klappt das. Das erste Mal ans Aufgeben denke ich nach 15 Kilometern. Danach immer wieder. Mein Deal mit mir selbst geht so: Ich laufe bis Kilometer 33, dort steht meine Freundin Steffi. Dann kann ich mit ihr zusammen nach Hause fahren. Bei Kilometer 31 oder 32 wird mir dann klar: Wenn ich es bis hier hin geschafft habe, schaffe ich es auch bis ins Ziel. Ich habe keine Beschwerden, die groß genug sind, um auszusteigen. "Es läuft einfach nicht", reicht nicht.
Ein Läufer vor mir fängt unheimlich schief an "With or without you" von U2 zu singen. Eine andere Läuferin stimmt ein. Ich singe nicht mit, weil ich froh bin, gerade genug Luft zu bekommen. Für ein Grinsen reicht es noch. Was für ein Moment! "I can't live with or without you ..."

Auf dem Kudamm entschließt Steffi sich spontan, mich ein gutes Stück zu begleiten. Ich habe mich mittlerweile so sehr mit der Situation angefreundet, dass ich ihr freudig mitteile, dass es heute leider scheiße läuft und länger dauern wird. Ich weiß, dass die letzten 9 Kilometer noch lang werden können, aber es ist mir jetzt egal, wie lange sie noch dauern. Ich laufe, wenn ich kann, und ich gehe, wenn ich muss.
Die letzten Kilometer kenne ich schon vom Skaten im letzten Jahr und vom Halbmarathon im April. Es ist aber doch etwas anderes, gegen Ende des Marathons auf Unter den Linden abzubiegen. Die Menschenmengen, das Brandenburger Tor, all dieser Lärm. "Ihr seid alle Helden" meint ein Werbebanner. Kopfsteinpflaster, nur noch wenige Meter. Die Ziellinie ist in Sichtweite. Nach 4:47 Stunden laufe ich endlich darüber. Mein dritter Marathon ist zugleich der langsamste. Es ist mir egal. Ein anderes Schild sagt: "Strangers are proud of you". Ich bin es auch.

Mittwoch, 9. Mai 2018
Raceday No. 56 - Rotterdam Marathon 2018
Mittagshitze. Kilometer 30. Aus dem Schlauch des Trinkrucksacks kommt nichts mehr raus und ich verstehe nicht, warum. Eben ging das noch. Manchmal ist ein Knick im Schlauch, also Rucksack abziehen, Schlauch entwirren, nochmal versuchen. Nichts. Nochmal prüfen. Kein Erfolg. Dann die Erkenntnis: Der Rucksack ist leer. Kein Wasser mehr. Oh Mann! Ich ärgere mich, dass ich nicht früher darauf gekommen bin. Noch zwölf Kilometer. Mit leerem Rucksack. Mein wunderhübscher Plan, dass ich in Rotterdam, dieser niederländischen Sauna, immer etwas zu trinken habe, scheitert also. Es ist heiß und ich will Wasser. Und zwar nicht alle paar Kilometer, sondern jederzeit. Ich will keine blöden Becher, ich will aus dem Schlauch ganz bequem kleine Schlucke trinken. Aber das kann ich nicht mehr, denn ich habe bereits den ganzen Rucksack leer gesoffen. Ich ärgere mich, dass ich absolut nicht bedacht habe, dass das passieren könnte. Anstatt den leeren Trinkrucksack einfach abzuhaken und mich ab jetzt auf die Getränkestände zu konzentrieren, stelle ich das gesamte Vorhaben Rotterdam-Marathon in Frage. Wenn der Plan sowieso schon wankt, warum überhaupt noch weiter machen?
Long story short: 2017 bin ich zuhause in Düsseldorf meinen ersten Marathon gelaufen. Schon beim Finish war mir klar, dass das nicht alles sein kann, dass ich das nochmal machen werde. Weil mich diese Herausforderung reizt, weil es mich antreibt, das noch einmal schaffen zu wollen, es besser zu machen und zufriedener zu sein. Die Gelegenheit kam mit Dein erster Marathon - ein Projekt von bunert und New Balance. Ich bin hier gleich doppelt involviert: Zum einen bei der Organisation des Projekts und zum anderen, weil ich mich entschlossen habe, selbst mitzulaufen. Auch wenn es nicht mein erster Marathon ist, bin ich am Vortag aufgeregter als so mancher Teilnehmer. Mir ist schlecht, ich zittere und bringe keinen geraden Satz raus. Na das kann ja was werden. Der holländische Zaubertrank Jupiler sorgt immerhin dafür, dass ich Schlaf finde.
Am Marathon-Morgen sieht die Welt zum Glück viel besser aus: Ich bin ruhig und voller Vorfreude. Ohne Angst. Und ich habe Bock! Niemand, der ein Herz hat, kann sich der Stimmung entziehen, die am Marathon-Morgen über der Stadt liegt. 15.000 Läufer pilgern die Zielgerade in verkehrter Richtung hinunter zum Start. Aus den Boxen schallt "You'll never walk alone", einige stimmen ein, ich habe einen freudigen Kloß im Hals und die ersten Tränchen des Tages in den Augen. Scheiße, falls ich gestern noch nicht wusste, weshalb ich das mache, dann jetzt. Genau dafür! Für diese Aufregung, diese wunderbare Anspannung und diese elektrisierte Luft.
Rotterdam ist großartig. Schon direkt nach dem Start führt die Strecke das erste Mal über die riesige Erasmus-Brücke. Gefühlt jedes Stückchen Streckenrand ist von Zuschauern gesäumt, die die perfekte Mischung aus Anfeuern und Party feiern finden. Nicht so übertrieben wie in Venlo, sondern sympathisch und herzlich. Mit genug Zeit, Namen abzulesen und einzelne Läufer anzufeuern. Und mit einem Händchen dafür, was die Läufer gebrauchen könnten: Unabhängig von den offiziellen Verpflegungsständen bieten die Zuschauer Wasser, Salzstangen, Gummibärchen oder Orangenscheiben an. Wenn die hier jetzt noch gute Musik und weniger Scooter spielen würden ...
Ich hadere mit meiner Taktik. Der Start war erst um 10.30 Uhr, ich habe vor, 4:30 Stunden zu laufen und dieser Tag ist ausgerechnet der erste, an dem es richtig warm wird. Ich habe lange Läufe bei Minustemperaturen gemacht, war bei Schnee, Regen und Hagel draußen, aber ich bin nicht auf 25° und Sonne eingestellt. Noch nicht, es ist gerade mal Frühling! Ich schwanke zwischen "langsam und ruhig durchlaufen" und "lieber am Anfang nicht zu sehr trödeln (aber auch nicht überpacen), denn hart wird es auf jeden Fall irgendwann - besser du bist dann schon so weit wie möglich gekommen". Der Grat ist schmal. Ich entscheide mich für eine vorsichtige Version von Variante zwei und laufe minimal schneller als geplant - 06:15 statt 6:20 min/km bis Kilometer 25.
Die Beine fühlen sich anfangs nicht gut an, aber ich komme gut rein. Ich treffe den Mittelweg ganz gut, will es auf keinen Fall übertreiben, aber auch nicht länger als nötig unterwegs sein. Die erste Hälfte vergeht trotz Pipipause bei Kilometer 18 schnell. Von den Kilometermarkierungen kommt eine nach der anderen und ich kann die Stimmung genießen. Nach dem zweiten Überqueren der Brücke dämmert mir: So einfach wird es nicht weiter gehen. Ich habe mich gut verpflegt, meine Gels planmäßig genommen und genug getrunken. Die Beine sind mittlerweile gut, trotzdem nehme ich Tempo raus. Da kommt noch einiges auf mich zu.
Zum Beispiel bei Kilometer 30 das Rucksack-Gate. Blöd, dass mentaler und körperlicher Tiefpunkt hier exakt aufeinander treffen. Ich merke, wie mir die Energie ausgeht, bekomme Kreislaufprobleme, Magenschmerzen und zweifle zum ersten und einzigen Mal. Gehpause. Keine andere Chance. Ich beschließe, dass der Magen schlimmer nicht werden kann und nehme ein Iso-Getränk des Veranstalters - normalerweise mache ich mit meinem empfindlichen Magen damit keine Experimente. Schlimmer als jetzt wäre nur noch Übergeben, danach fühlt es sich gerade nicht an, also rein damit. Wichtiger ist es, den Kreislauf wieder anzuschubsen. Das Iso bleibt drin, also drücke ich das letzte Gel hinterher. Ich schleppe mich mit einer Mischung aus wenig laufen und viel gehen bis Kilometer 34 und auf einmal ist es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Ich kann wieder laufen. Mit dem Wissen, dass meine 4:30 Stunden nicht mehr drin sind (außer ich renne die letzen acht Kilometer und das ist keine Option), laufe ich einfach so, wie ich mag. Das ist nicht flott, aber immerhin genauso schnell wie von Kilometer 25-30. Ich freue mich absurd darüber, dass die Beine absolut keine Probleme machen, dass auch der Rest wieder mitspielt und dass ich vor allem wieder laufen will. Da ist nicht genug Ehrgeiz, um noch um irgendeine möglichst schnelle Zeit zu kämpfen, aber immerhin so viel, um nicht komplett zu bummeln. An den Getränkeständen gönne ich mir kurze Pausen, dazwischen laufe ich so, wie es sich gut anfühlt.
Die letzten beiden Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Gleichzeitig sind sie wunderschön, weil die Zuschauerreihen immer dichter werden und das Publikum anders anfeuert als bei Kilometer 5 oder 10. Alle, die hier vorbeilaufen, haben es gleich geschafft. Ich auch. Und daher versuche ich, alles in mich aufzusaugen. All diese Menschen, die Stimmung, diese bittersüße Mischung aus Anstrengung und Glück und Stolz. Ich muss nicht auf jedem Kilometer Spaß am Laufen haben, ich mache das für genau diese Momente. Für das Gefühl, um die letzte Kurve zu biegen und die Zielgerade in schier unerreichbarer Entfernung zu entdecken. Zwei Stimmen im Kopf brüllen gleich laut: "Gleich geschafft!" und "Oh Kacke, noch so weit?!"
Wenn du bis Kilometer 42 gekommen bist, fängst du nicht auf den letzten 200 Metern noch an zu gehen. Oder ans Aufhören zu denken. Wenn du das geschafft hast, läufst du ins Ziel, so schnell wie deine Beine dich noch tragen. Weil es egal ist, wie weit das exakt weg ist - wenn du es sehen kannst, schaffst du auch diese letzten Meter. Als Belohnung gibt es eine goldene Medaille - selbst für Platz 9.000-irgendwas - und eine Rose. Ich halte beides in Ehren, aber ich muss auch verdammt dringend zum Klo. Und was trinken. Und endlich zurück zu den Fans stiefeln, um zu berichten, wie schrecklich und wie schön das war.
04:35:14 Stunden lang habe ich bis auf kurze Begegnungen mit anderen aus dem Team alles mit mir selbst ausgemacht. War alleine zwischen 15.000, komplett abgetaucht in meiner eigenen Marathon-Welt. Ich freue mich drauf, langsam wieder in die Realität zurück zu kehren, und ich weiß mittlerweile: Ich will nochmal in dieses Wasser springen. Nicht mit der Motivation, etwas besser zu machen. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis unter den Bedingungen und zufrieden mit meinem ziemlich schnell gewonnenen Kampf. Ich will das einfach nochmal machen.
Fotos: Christian Siedler. Danke, danke, danke!
Danke an den bunert Onlineshop, an New Balance und an all diese fantastischen Menschen, die dieses Projekt zu dem gemacht haben, was es war: Fantastisch. Danke!

Long story short: 2017 bin ich zuhause in Düsseldorf meinen ersten Marathon gelaufen. Schon beim Finish war mir klar, dass das nicht alles sein kann, dass ich das nochmal machen werde. Weil mich diese Herausforderung reizt, weil es mich antreibt, das noch einmal schaffen zu wollen, es besser zu machen und zufriedener zu sein. Die Gelegenheit kam mit Dein erster Marathon - ein Projekt von bunert und New Balance. Ich bin hier gleich doppelt involviert: Zum einen bei der Organisation des Projekts und zum anderen, weil ich mich entschlossen habe, selbst mitzulaufen. Auch wenn es nicht mein erster Marathon ist, bin ich am Vortag aufgeregter als so mancher Teilnehmer. Mir ist schlecht, ich zittere und bringe keinen geraden Satz raus. Na das kann ja was werden. Der holländische Zaubertrank Jupiler sorgt immerhin dafür, dass ich Schlaf finde.

Am Marathon-Morgen sieht die Welt zum Glück viel besser aus: Ich bin ruhig und voller Vorfreude. Ohne Angst. Und ich habe Bock! Niemand, der ein Herz hat, kann sich der Stimmung entziehen, die am Marathon-Morgen über der Stadt liegt. 15.000 Läufer pilgern die Zielgerade in verkehrter Richtung hinunter zum Start. Aus den Boxen schallt "You'll never walk alone", einige stimmen ein, ich habe einen freudigen Kloß im Hals und die ersten Tränchen des Tages in den Augen. Scheiße, falls ich gestern noch nicht wusste, weshalb ich das mache, dann jetzt. Genau dafür! Für diese Aufregung, diese wunderbare Anspannung und diese elektrisierte Luft.


Rotterdam ist großartig. Schon direkt nach dem Start führt die Strecke das erste Mal über die riesige Erasmus-Brücke. Gefühlt jedes Stückchen Streckenrand ist von Zuschauern gesäumt, die die perfekte Mischung aus Anfeuern und Party feiern finden. Nicht so übertrieben wie in Venlo, sondern sympathisch und herzlich. Mit genug Zeit, Namen abzulesen und einzelne Läufer anzufeuern. Und mit einem Händchen dafür, was die Läufer gebrauchen könnten: Unabhängig von den offiziellen Verpflegungsständen bieten die Zuschauer Wasser, Salzstangen, Gummibärchen oder Orangenscheiben an. Wenn die hier jetzt noch gute Musik und weniger Scooter spielen würden ...

Ich hadere mit meiner Taktik. Der Start war erst um 10.30 Uhr, ich habe vor, 4:30 Stunden zu laufen und dieser Tag ist ausgerechnet der erste, an dem es richtig warm wird. Ich habe lange Läufe bei Minustemperaturen gemacht, war bei Schnee, Regen und Hagel draußen, aber ich bin nicht auf 25° und Sonne eingestellt. Noch nicht, es ist gerade mal Frühling! Ich schwanke zwischen "langsam und ruhig durchlaufen" und "lieber am Anfang nicht zu sehr trödeln (aber auch nicht überpacen), denn hart wird es auf jeden Fall irgendwann - besser du bist dann schon so weit wie möglich gekommen". Der Grat ist schmal. Ich entscheide mich für eine vorsichtige Version von Variante zwei und laufe minimal schneller als geplant - 06:15 statt 6:20 min/km bis Kilometer 25.

Die Beine fühlen sich anfangs nicht gut an, aber ich komme gut rein. Ich treffe den Mittelweg ganz gut, will es auf keinen Fall übertreiben, aber auch nicht länger als nötig unterwegs sein. Die erste Hälfte vergeht trotz Pipipause bei Kilometer 18 schnell. Von den Kilometermarkierungen kommt eine nach der anderen und ich kann die Stimmung genießen. Nach dem zweiten Überqueren der Brücke dämmert mir: So einfach wird es nicht weiter gehen. Ich habe mich gut verpflegt, meine Gels planmäßig genommen und genug getrunken. Die Beine sind mittlerweile gut, trotzdem nehme ich Tempo raus. Da kommt noch einiges auf mich zu.
Zum Beispiel bei Kilometer 30 das Rucksack-Gate. Blöd, dass mentaler und körperlicher Tiefpunkt hier exakt aufeinander treffen. Ich merke, wie mir die Energie ausgeht, bekomme Kreislaufprobleme, Magenschmerzen und zweifle zum ersten und einzigen Mal. Gehpause. Keine andere Chance. Ich beschließe, dass der Magen schlimmer nicht werden kann und nehme ein Iso-Getränk des Veranstalters - normalerweise mache ich mit meinem empfindlichen Magen damit keine Experimente. Schlimmer als jetzt wäre nur noch Übergeben, danach fühlt es sich gerade nicht an, also rein damit. Wichtiger ist es, den Kreislauf wieder anzuschubsen. Das Iso bleibt drin, also drücke ich das letzte Gel hinterher. Ich schleppe mich mit einer Mischung aus wenig laufen und viel gehen bis Kilometer 34 und auf einmal ist es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.

Ich kann wieder laufen. Mit dem Wissen, dass meine 4:30 Stunden nicht mehr drin sind (außer ich renne die letzen acht Kilometer und das ist keine Option), laufe ich einfach so, wie ich mag. Das ist nicht flott, aber immerhin genauso schnell wie von Kilometer 25-30. Ich freue mich absurd darüber, dass die Beine absolut keine Probleme machen, dass auch der Rest wieder mitspielt und dass ich vor allem wieder laufen will. Da ist nicht genug Ehrgeiz, um noch um irgendeine möglichst schnelle Zeit zu kämpfen, aber immerhin so viel, um nicht komplett zu bummeln. An den Getränkeständen gönne ich mir kurze Pausen, dazwischen laufe ich so, wie es sich gut anfühlt.
Die letzten beiden Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Gleichzeitig sind sie wunderschön, weil die Zuschauerreihen immer dichter werden und das Publikum anders anfeuert als bei Kilometer 5 oder 10. Alle, die hier vorbeilaufen, haben es gleich geschafft. Ich auch. Und daher versuche ich, alles in mich aufzusaugen. All diese Menschen, die Stimmung, diese bittersüße Mischung aus Anstrengung und Glück und Stolz. Ich muss nicht auf jedem Kilometer Spaß am Laufen haben, ich mache das für genau diese Momente. Für das Gefühl, um die letzte Kurve zu biegen und die Zielgerade in schier unerreichbarer Entfernung zu entdecken. Zwei Stimmen im Kopf brüllen gleich laut: "Gleich geschafft!" und "Oh Kacke, noch so weit?!"

Wenn du bis Kilometer 42 gekommen bist, fängst du nicht auf den letzten 200 Metern noch an zu gehen. Oder ans Aufhören zu denken. Wenn du das geschafft hast, läufst du ins Ziel, so schnell wie deine Beine dich noch tragen. Weil es egal ist, wie weit das exakt weg ist - wenn du es sehen kannst, schaffst du auch diese letzten Meter. Als Belohnung gibt es eine goldene Medaille - selbst für Platz 9.000-irgendwas - und eine Rose. Ich halte beides in Ehren, aber ich muss auch verdammt dringend zum Klo. Und was trinken. Und endlich zurück zu den Fans stiefeln, um zu berichten, wie schrecklich und wie schön das war.
04:35:14 Stunden lang habe ich bis auf kurze Begegnungen mit anderen aus dem Team alles mit mir selbst ausgemacht. War alleine zwischen 15.000, komplett abgetaucht in meiner eigenen Marathon-Welt. Ich freue mich drauf, langsam wieder in die Realität zurück zu kehren, und ich weiß mittlerweile: Ich will nochmal in dieses Wasser springen. Nicht mit der Motivation, etwas besser zu machen. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis unter den Bedingungen und zufrieden mit meinem ziemlich schnell gewonnenen Kampf. Ich will das einfach nochmal machen.

Fotos: Christian Siedler. Danke, danke, danke!
Danke an den bunert Onlineshop, an New Balance und an all diese fantastischen Menschen, die dieses Projekt zu dem gemacht haben, was es war: Fantastisch. Danke!
Freitag, 26. Mai 2017
Raceday No. 35 - Metro Marathon Düsseldorf 2017
Wer gerade erst einsteigt, dem sei gesagt: Ich wollte nie Marathon laufen. Aber dann stand ich 2016 als Helfer an der Ziellinie beim Metro Marathon in Düsseldorf und schon war es um mich geschehen. Alles zur heimlichen Vorbereitung habe ich von Juni 2016 bis April 2017 in zwei Artikeln mit geschrieben: Teil 1 und Teil 2.
Seit fast vier Wochen liegt der Marathon-Artikel nun wie ein leeres Blatt im Entwürfe-Ordner. Ich finde keinen Einstieg. Der Kopf hat noch nicht fertig sortiert, ich weiß nicht genau, was dieser Lauf für mich ist, was er bedeutet. Ich weiß nur, was er nicht ist: Ich habe mir keinen Traum erfüllt. Es ist nicht so, als hätte ich mir schon immer ausgemalt, irgendwann einmal einen Marathon zu laufen. Wozu auch? Ich hätte vor drei Jahren niemals mit dem Laufen angefangen, wenn das Ziel 42,195 Kilometer gewesen wären. Viel zu weit weg. Viel zu utopisch. Viel zu absurd.
So schnell kann sich das ändern. Seit Anfang des Jahres läuft die Marathonvorbereitung. Ich habe nie ernsthaft daran gezweifelt, ins Ziel zu laufen. Aber dass das Ganze aber auch keine Kleinigkeit ist, merke ich spätestens an meinem Zustand in der Woche vor dem Lauf. Ich bin zart besaitet, launisch, leicht in alle Richtungen zu beeinflussen. Das erkennt nach dem ersten (und einzigen) richtigen Tiefpunkt zum Glück auch meine Freundin Steffi, dir mir von da an einfach jeden Tag schreibt, ich sei super. Was ich zuerst übertrieben finde, wirkt. Schöne Gehirnwäsche. Außerdem trudelt ein Päckchen bei mir ein, das ich ohne ihre Erlaubnis nicht öffnen darf. Stattdessen beäuge ich es von allen Seiten und drücke darauf rum. Am Abend der Pastaparty kommt dann endlich ihre Freigabe: Ich packe zwei Metallplättchen aus, die man in die Schnürsenkel friemeln kann. Was ein Quatsch - eigentlich. Aber auf meinen Exemplaren steht: "she believed she could" und "so she did". Und damit treffen sie exakt den Kern dieser ganzen Marathon-Sache. Ich mag das Wort "glauben" nicht, weil ich Sachen entweder weiß oder nicht weiß, alles andere ist Blödsinn. Aber die Idee ist die gleiche: Ich habe es für möglich gehalten, einen Marathon zu laufen, und deshalb werde ich genau das machen.
Raceday. Guten Morgen Marathon. Ich habe gut geschlafen, richtig gut. Bin zwei Minuten vor dem Wecker wach und gut gelaunt - das passiert morgens selten. Da ist keine Angst, keine negative Spannung, eher dieses Gefühl, gut für eine Prüfung gelernt zu haben und sie nun endlich schreiben zu wollen. Allerdings ist da auch kein Appetit. Zum Frühstück zwinge ich mich trotzdem. Mich erreicht eine Sprachnachricht, die mich auf dem Weg zur U-Bahn zu Tränen rührt. Scheiße, fange ich jetzt schon an zu heulen, bevor es überhaupt los geht?
Ich bin in der Altstadt mit Christian verabredet, vor McDonalds, wo sich normalerweise die coolen Kids treffen, bevor sie die längste Theke der Welt unsicher machen. Das steht auch noch auf meinem Programm für heute, dazwischen liegen nur noch 42 Kilometer und ein paar Stunden. Praktisch am Düsseldorf Marathon: Wenn du ins Ziel kommst, bist du direkt in der Altstadt. Fein.
Vor dem Start muss ich noch meinen Kleiderbeutel abgeben, was eine verdammte Ewigkeit dauert, und natürlich obligatorisch aufs Dixi. Auch diese Schlange zieht sich, das Timing passt aber perfekt. Ich kann gerade noch meine Eltern begrüßen, mich in den Startblock stellen und muss dann nicht lange warten, bis es losgeht. Hab ich schon erwähnt, dass ich eher kleinere Veranstaltungen vor der Haustür sehr liebe? An der Startlinie stehen nur etwas mehr als 2600 Marathonläufer. Etwas später folgen uns fast genauso viele Staffeln. Countdown, epische Musik, Startschuss. Los gehts.
Sobald die Musik aus dem Startbereich nicht mehr zu hören ist, wird es still. Die Action am Streckenrand ist überschaubar, ein paar Läufer unterhalten sich, die Atmosphäre ist friedlich und ruhig. Allerdings nur so lange, bis bei Kilometer 1 ein älterer Herr oben auf seinem Balkon zwei Topfdeckel mit voller Inbrunst gegeneinander schlägt. Fantastisch!
Ich habe mir eine 6:20er Pace vorgenommen. Sollte ich die halten können, stünden am Ende 4:27 Stunden auf der Uhr. Unter 4:30 Stunden fände ich schön, bin heute aber tatsächlich nicht so krampfig auf irgendeine Zeit fixiert. Das ist beim ersten Mal wohl ziemlich vernünftig. Dass die 6:20 min/km sich am Anfang erst einmal wie schleichen anfühlen, habe ich geahnt und trabe daher den 4:30 Pacemakern hinterher. Das klappt gut, bis die gesamte Gruppe bei Kilometer 5 am ersten Verpflegungsstand anhält. Ich will nichts trinken und schon gar nicht stehen bleiben und laufe daher alleine weiter.
Ich fühle mich gut, denke nicht daran, was noch alles vor mir liegt, sondern trabe in diesem fluffigen Tempo einfach weiter vor mich hin. Vorbei an meinen Eltern, an Kati und Naomi und durch das Viertel, in dem ich arbeite. Ein sehr dicker Mann hockt auf einem Campingstuhl am Streckenrand, Bier in der Hand, auf dem Tisch neben ihm steht das Fässchen. Er scherzt: "Da bekomm ich ja fast Lust, auch mitzulaufen!" Düsseldorf, du punktest vielleicht nicht durch bombastische Stimmung, aber du bist auf deine ganz eigene Art unheimlich charmant!
Es geht über die Oberkasseler Brücke rüber auf die andere Rheinseite. Auf der Brücke fahren auch U-Bahnen, was die japanischen Läuferinnen vor mir scheinbar derart fasziniert, dass sie erst einmal für ein Foto mit der Bahn posieren. Okay. Kilometer 15 und mir wird langweilig. Dass hier hinten auf diesem Teil der Strecke der Hund begraben sein würde, war mir klar. Dass allerdings schon so früh ein Anflug von keine Lust mehr kommt, ist ungut. Ich schaffe es, die negativen Gedanken zu stoppen. Überlege mir, wie oft ich hier am Rhein schon entlang geradelt bin, was diese wahnsinnig schnellen Staffelläufer eigentlich für schöne Beine haben, dass ich hier in dieser Nebenstraße mal einen Babysitterjob hatte, dies und das. Beim Verpflegungsstand bei Kilometer 18 oder 19 komme ich auf die Idee, eine halbe Banane zu essen. Ich möchte sie am liebsten sofort wieder ausspucken, denn die matschige Pampe wird im Mund immer mehr. Ich kriege den Bananenmatsch beim Laufen kaum runter und ärgere mich, nicht einfach bei den erprobten Gels geblieben zu sein. Ab jetzt erst mal trinken, trinken, trinken, weg mit dem ekligen Bananenzeug.
Halbmarathonmarke. 2:12 Stunden - gut eineinhalb Minuten vor der geplanten Zeit, aber überpacen ist auch anders. Also locker weitermachen. Endlich ist am Streckenrand mal mehr los: Ich klatsche Kinderhände ab und freue mich, dass es gleich zurück über den Rhein auf die andere Seite geht. Die Brücke erstickt die Freude, denn der Wind gibt mir das Gefühl, kein bisschen von der Stelle zu kommen. Die Aussicht lässt mir allerdings das Herz aufgehen: Der Blick auf Düsseldorf, die Altstadt, den Schlossturm, den Rheinturm, dazwischen das Ziel - ich bin jetzt so nah dran, aber muss noch 21 Kilometer laufen. Runter von der Brücke, zwischen den Häusern pustet der Wind nicht mehr so wahnsinnig stark. Zum inzwischen dritten Mal laufe ich an meinen Eltern vorbei, deren Aufgabenverteilung immer noch die gleiche ist: Papa fotografiert und Mama klatscht Beifall. Hach!
Bei Kilometer 25, irgendwo in der Nähe der Kö, rechnet ein Spaßvogel hinter mir seinem Nebenmann vor: "Nur noch 17 Kilometer!" Ich würde ihn gern erschlagen. So langsam wird es anstrengend und ich ahne, dass ich für die zweite Hälfte etwas mehr Zeit einkalkulieren muss. Ich schiele auf die silbernen Plättchen in meinen Schnürsenkeln. Kann die Aufschrift beim Laufen nicht lesen, aber sage mir den Spruch wie ein Mantra immer wieder vor. Zähle die Silben. Eine bei jedem Schritt. Und wieder von vorn. Es sind übrigens acht. Völlig überraschend stehen Naomi und Kati bei Kilometer 27 - damit hatte ich nicht gerechnet. Die Begegnung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, ich nehme einen ordentlichen Energieschub mit über die Eisenbahnbrücke und sehne dann den nächsten Verpflegungsstand bei Kilometer 28 herbei. Die Brehmstraße empfängt mich mit Wind aus der Hölle. Hier pustet es mindestens so schlimm wie auf der Brücke, nichts geht mehr und laufen erscheint mir komplett absurd. Ich nehme zwei Becher, einmal Wasser und einmal Iso, und gehe zum ersten Mal. Gehen und trinken. Trinken und gehen. Die Temperaturen sind auszuhalten, obwohl es heute ganz schön warm ist, aber dieser verdammte Wind raubt mir echt die Körner.
Ich mag den Teil der Strecke, der jetzt kommt, sehr. Um den Zoo-Park, Hans-Sachs-Straße, das Viertel ist einfach schön. Die Anwohner veranstalten ein kleines, aber feines Straßenfest bei Kilometer 30 und ich würde das alles einfach gern mehr genießen. Mein unterer Rücken sieht das anders und zwingt mich bei Kilometer 31 zu einer Gehpause. Ich weiß, dass ich es bis zum Wehrhahn schaffen muss, dass bei Kilometer 32 Christian auf mich wartet. Dass ich von dort noch 10 Kilometer laufen muss, ist ein anderes Thema, erst einmal heißt das Ziel: irgendwie am Wehrhahn ankommen. Ich versuche mich abzulenken, indem ich nach den Jungs aus der Staffel Ausschau halte. Gestern bei unserer Pastaparty haben wir versucht zu berechnen, wer mich wann überholen müsste (das hat ja in Mathe mit den Zügen auch noch nie geklappt) - eigentlich sollte es jetzt langsam so weit sein. Ich sehe keinen, stattdessen überholen mich die 4:30 Pacemaker.
Christian steht wie verabredet am Streckenrand und wird mich ab jetzt begleiten. Als er vor 10 Monaten angeboten hatte, ein paar Kilometer mit mir zu laufen, war ich nicht sicher, ob ich das möchte. Ich dachte, es würde sich nicht richtig anfühlen, den Lauf nicht alleine zu schaffen. Dass ich meine Beine trotzdem selbst zu jedem Schritt überreden muss und mir das keiner abnimmt, ist mir dann irgendwann auch klar geworden, also habe ich zugesagt. Ich wusste außerdem nicht, ob ich möchte, dass mich jemand nicht nur kurz im Vorbeilaufen, sondern einige Kilometer lang leiden sieht. Jetzt weiß ich: Diese Unterstützung ist unbezahlbar. Wir laufen mal nebeneinander, mal hintereinander, ich höre mir an, wie es bei der Staffel bisher gelaufen ist und versuche, nicht zu detailliert auf meinen Wehwehchen rumzureiten. Nach kurzer Zeit muss ich dann aber doch gehen und bin froh, dass ich keine vorwurfsvollen oder mitleidigen Blicke ernte, sondern einfach mein Ding machen kann. Die Rückenschmerzen kann ich nicht mehr ignorieren, auch die Botschaft "no hay dolor", die an Christians Rucksack klebt, hilft nicht. Doch, es gibt sehr wohl Schmerz. Er ist im Rücken, im Knöchel und im Magen. Ich versuche, mich nicht darüber zu ärgern, dass ich aus dem Training keine derartigen Schmerzen kenne, dass ich 35 Kilometer locker laufen konnte. Jetzt ist es eben anders. Deal with it. Ich gehe, wenn ich gehen muss und ich laufe, wenn ich laufen kann.
Kilometer 34, schon wieder stehen meine Eltern am Streckenrand. Zum ersten Mal bin ich dankbar, dass Christian mir nicht nur Gesellschaft leistet, sondern auch noch seine Kamera mitschleppt. 500 Meter später sehe ich überraschend das nächste bekannte Gesicht: Daniel von Coffee & Chainrings, den ich bald bei seiner 24h-MTB-Weltmeisterschaft in Italien unterstützen werde, steht mit seiner Tochter am Rand. Und er macht das, was er immer macht: ein Live-Video. Als ich ihn entdecke, wandere ich gerade die Berliner Allee hinauf und drücke mir das dritte und letzte Gel hinein, weil der Magen langsam endlich besser wird. Live-Video vom Marathon und dann erst mal spazieren? Ups. Ich nehms mal als Anlass, weiter zu laufen.
Kilometer 36. Hier gibt es Orangenscheiben. Ich will auf keinen Fall nochmal den gleichen Fehler wie mit der Banane machen, aber so ein Stück Orange wird ja wohl klar gehen? Und wie. Oh Mann, wenn das mal nicht die beste Orangenscheibe auf der ganzen Welt ist! Ab jetzt wird die Strecke nochmal richtig schön, typisch Unterbilk. An der Bilker Kirche stehen so viele Leute, dass ich meine Kollegin Lena übersehe, die mit Laufen eigentlich gar nichts am Hut hat, aber extra ein "ichhasselaufen"-Plakat gebastelt hat. Genau das ruft mir unabhängig davon wenige Hundert Meter weiter ein Streckenposten zu. Wie witzig ist das denn? Später stellt sich heraus, wir "kennen" uns von Instagram. Falls du jetzt hier mitliest, vielen Dank!
Rücken und Knöchel sind inzwischen wieder ruhiger, das Laufen wird wieder flüssiger. Die letzte kurze Gehpause lege ich bei Kilometer 39 ein, danach fühlen sich die Beine plötzlich an wie neu und ich freue mich, dass das Laufen keine Qual mehr ist. Sieht mit Sicherheit anders aus, aber fühlt sich wunderbar an! Die Stelle, die ich mir am schlimmsten vorgestellt habe, geht auch vorbei: Bei Kilometer 39 ist der Zieleinlauf beinahe in Sichtweite, Läufer auf Kilometer 41 kommen mir entgegen und ich muss noch einmal in die falsche Richtung abbiegen. Noch ein Schlenker über die Kö, natürlich. Ich sehe Naomi, Kati, Daniel und Renate und ich habe einfach wieder Bock, zu laufen.
Wieder abbiegen, jetzt bin ich diejenige, die den anderen mit zwei Kilometern Vorsprung entgegen kommt. Ein Aufkleber auf dem Boden kündigt an, dass noch ein Kilometer zu laufen ist. Mir geht es prima. Ich spüre schon längst keine Schmerzen mehr, die Beine fühlen sich unnormal gut an. Ich sehne die Ziellinie nicht um jeden Preis herbei, aber so langsam fällt der Groschen, dass ich tatsächlich gleich ins Ziel laufen werde. Achso.
Das Gefühl, dass es nicht zu einfach war, aber dass es mir jetzt trotzdem so gut geht, macht mich zufrieden. Ich habe gekämpft, aber ich bin nicht komplett am Ende, sondern konnte die letzten Kilometer genießen und ganz besonders die letzten Meter. Ich freue mich seit der Anmeldung auf den Moment, wo ich vom Apolloplatz runter zum Rhein abbiege, mit Blick auf die Altstadt, auf die andere Rheinseite, das Ziel in Sichtweite. Ich bin dankbar und froh, dass ich ausgerechnet hier nicht mit jedem Schritt leide und jeden Meter verfluche, sondern dass sich das Laufen auf wundersame Weise wieder gut anfühlt.
Ganz im Ernst: Ich kann mir keinen schöneren Zieleinlauf vorstellen als direkt am Rhein. Dafür kann man schon mal 4:38:12 Stunden durch die Stadt laufen/wandern/traben. Die Entscheidung, zuhause den ersten Marathon zu laufen, war absolut richtig. Und auch, das Ganze vorher nicht groß anzukündigen, hat mir enorm geholfen, den Druck rauszunehmen. Das war mein halbwegs heimliches Projekt, das ich gern etwas kleiner gemacht habe, als es tatsächlich war. Ich habe es geschafft, beim Lauf nicht an 42,195 Kilometer zu denken, nicht an das Wort Marathon. Beides hat in mir in den Tagen zuvor eine schräge Mischung aus Respekt und Kribbeln hervorgerufen, als sei es etwas Großes, ein Mythos. Am Ende ist die genaue Distanz komplett willkürlich, im Prinzip geht es nur darum, ein paar Stunden zu laufen und damit umzugehen, was während dieser langen Zeit so alles passieren kann. Ich bin stolz, dass ich das so gut wie möglich gemacht habe, aber ein anderes Gefühl überwiegt. Ich bin dankbar, dass ich in der Lage dazu bin. Gesundheitlich, körperlich und mental. Dankbar, dass ich mit einem solchen Projekt nicht alleine bin, dass meine Familie und meine Freunde mitfiebern, dass sie auf ihre Art und Weise dabei sind, egal ob sie 600 Kilometer entfernt sind, am Streckenrand stehen, mit mir laufen oder danach mit mir anstoßen. Nichts davon ist selbstverständlich. Danke!
Sämtliche Fotos oben und das Bei-Laune-Halten während der letzten Kilometer geht auf die Kappe von Christian Siedler. Danke dafür!

Seit fast vier Wochen liegt der Marathon-Artikel nun wie ein leeres Blatt im Entwürfe-Ordner. Ich finde keinen Einstieg. Der Kopf hat noch nicht fertig sortiert, ich weiß nicht genau, was dieser Lauf für mich ist, was er bedeutet. Ich weiß nur, was er nicht ist: Ich habe mir keinen Traum erfüllt. Es ist nicht so, als hätte ich mir schon immer ausgemalt, irgendwann einmal einen Marathon zu laufen. Wozu auch? Ich hätte vor drei Jahren niemals mit dem Laufen angefangen, wenn das Ziel 42,195 Kilometer gewesen wären. Viel zu weit weg. Viel zu utopisch. Viel zu absurd.
So schnell kann sich das ändern. Seit Anfang des Jahres läuft die Marathonvorbereitung. Ich habe nie ernsthaft daran gezweifelt, ins Ziel zu laufen. Aber dass das Ganze aber auch keine Kleinigkeit ist, merke ich spätestens an meinem Zustand in der Woche vor dem Lauf. Ich bin zart besaitet, launisch, leicht in alle Richtungen zu beeinflussen. Das erkennt nach dem ersten (und einzigen) richtigen Tiefpunkt zum Glück auch meine Freundin Steffi, dir mir von da an einfach jeden Tag schreibt, ich sei super. Was ich zuerst übertrieben finde, wirkt. Schöne Gehirnwäsche. Außerdem trudelt ein Päckchen bei mir ein, das ich ohne ihre Erlaubnis nicht öffnen darf. Stattdessen beäuge ich es von allen Seiten und drücke darauf rum. Am Abend der Pastaparty kommt dann endlich ihre Freigabe: Ich packe zwei Metallplättchen aus, die man in die Schnürsenkel friemeln kann. Was ein Quatsch - eigentlich. Aber auf meinen Exemplaren steht: "she believed she could" und "so she did". Und damit treffen sie exakt den Kern dieser ganzen Marathon-Sache. Ich mag das Wort "glauben" nicht, weil ich Sachen entweder weiß oder nicht weiß, alles andere ist Blödsinn. Aber die Idee ist die gleiche: Ich habe es für möglich gehalten, einen Marathon zu laufen, und deshalb werde ich genau das machen.

Raceday. Guten Morgen Marathon. Ich habe gut geschlafen, richtig gut. Bin zwei Minuten vor dem Wecker wach und gut gelaunt - das passiert morgens selten. Da ist keine Angst, keine negative Spannung, eher dieses Gefühl, gut für eine Prüfung gelernt zu haben und sie nun endlich schreiben zu wollen. Allerdings ist da auch kein Appetit. Zum Frühstück zwinge ich mich trotzdem. Mich erreicht eine Sprachnachricht, die mich auf dem Weg zur U-Bahn zu Tränen rührt. Scheiße, fange ich jetzt schon an zu heulen, bevor es überhaupt los geht?
Ich bin in der Altstadt mit Christian verabredet, vor McDonalds, wo sich normalerweise die coolen Kids treffen, bevor sie die längste Theke der Welt unsicher machen. Das steht auch noch auf meinem Programm für heute, dazwischen liegen nur noch 42 Kilometer und ein paar Stunden. Praktisch am Düsseldorf Marathon: Wenn du ins Ziel kommst, bist du direkt in der Altstadt. Fein.








Sobald die Musik aus dem Startbereich nicht mehr zu hören ist, wird es still. Die Action am Streckenrand ist überschaubar, ein paar Läufer unterhalten sich, die Atmosphäre ist friedlich und ruhig. Allerdings nur so lange, bis bei Kilometer 1 ein älterer Herr oben auf seinem Balkon zwei Topfdeckel mit voller Inbrunst gegeneinander schlägt. Fantastisch!
Ich habe mir eine 6:20er Pace vorgenommen. Sollte ich die halten können, stünden am Ende 4:27 Stunden auf der Uhr. Unter 4:30 Stunden fände ich schön, bin heute aber tatsächlich nicht so krampfig auf irgendeine Zeit fixiert. Das ist beim ersten Mal wohl ziemlich vernünftig. Dass die 6:20 min/km sich am Anfang erst einmal wie schleichen anfühlen, habe ich geahnt und trabe daher den 4:30 Pacemakern hinterher. Das klappt gut, bis die gesamte Gruppe bei Kilometer 5 am ersten Verpflegungsstand anhält. Ich will nichts trinken und schon gar nicht stehen bleiben und laufe daher alleine weiter.
Ich fühle mich gut, denke nicht daran, was noch alles vor mir liegt, sondern trabe in diesem fluffigen Tempo einfach weiter vor mich hin. Vorbei an meinen Eltern, an Kati und Naomi und durch das Viertel, in dem ich arbeite. Ein sehr dicker Mann hockt auf einem Campingstuhl am Streckenrand, Bier in der Hand, auf dem Tisch neben ihm steht das Fässchen. Er scherzt: "Da bekomm ich ja fast Lust, auch mitzulaufen!" Düsseldorf, du punktest vielleicht nicht durch bombastische Stimmung, aber du bist auf deine ganz eigene Art unheimlich charmant!

Es geht über die Oberkasseler Brücke rüber auf die andere Rheinseite. Auf der Brücke fahren auch U-Bahnen, was die japanischen Läuferinnen vor mir scheinbar derart fasziniert, dass sie erst einmal für ein Foto mit der Bahn posieren. Okay. Kilometer 15 und mir wird langweilig. Dass hier hinten auf diesem Teil der Strecke der Hund begraben sein würde, war mir klar. Dass allerdings schon so früh ein Anflug von keine Lust mehr kommt, ist ungut. Ich schaffe es, die negativen Gedanken zu stoppen. Überlege mir, wie oft ich hier am Rhein schon entlang geradelt bin, was diese wahnsinnig schnellen Staffelläufer eigentlich für schöne Beine haben, dass ich hier in dieser Nebenstraße mal einen Babysitterjob hatte, dies und das. Beim Verpflegungsstand bei Kilometer 18 oder 19 komme ich auf die Idee, eine halbe Banane zu essen. Ich möchte sie am liebsten sofort wieder ausspucken, denn die matschige Pampe wird im Mund immer mehr. Ich kriege den Bananenmatsch beim Laufen kaum runter und ärgere mich, nicht einfach bei den erprobten Gels geblieben zu sein. Ab jetzt erst mal trinken, trinken, trinken, weg mit dem ekligen Bananenzeug.
Halbmarathonmarke. 2:12 Stunden - gut eineinhalb Minuten vor der geplanten Zeit, aber überpacen ist auch anders. Also locker weitermachen. Endlich ist am Streckenrand mal mehr los: Ich klatsche Kinderhände ab und freue mich, dass es gleich zurück über den Rhein auf die andere Seite geht. Die Brücke erstickt die Freude, denn der Wind gibt mir das Gefühl, kein bisschen von der Stelle zu kommen. Die Aussicht lässt mir allerdings das Herz aufgehen: Der Blick auf Düsseldorf, die Altstadt, den Schlossturm, den Rheinturm, dazwischen das Ziel - ich bin jetzt so nah dran, aber muss noch 21 Kilometer laufen. Runter von der Brücke, zwischen den Häusern pustet der Wind nicht mehr so wahnsinnig stark. Zum inzwischen dritten Mal laufe ich an meinen Eltern vorbei, deren Aufgabenverteilung immer noch die gleiche ist: Papa fotografiert und Mama klatscht Beifall. Hach!

Bei Kilometer 25, irgendwo in der Nähe der Kö, rechnet ein Spaßvogel hinter mir seinem Nebenmann vor: "Nur noch 17 Kilometer!" Ich würde ihn gern erschlagen. So langsam wird es anstrengend und ich ahne, dass ich für die zweite Hälfte etwas mehr Zeit einkalkulieren muss. Ich schiele auf die silbernen Plättchen in meinen Schnürsenkeln. Kann die Aufschrift beim Laufen nicht lesen, aber sage mir den Spruch wie ein Mantra immer wieder vor. Zähle die Silben. Eine bei jedem Schritt. Und wieder von vorn. Es sind übrigens acht. Völlig überraschend stehen Naomi und Kati bei Kilometer 27 - damit hatte ich nicht gerechnet. Die Begegnung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, ich nehme einen ordentlichen Energieschub mit über die Eisenbahnbrücke und sehne dann den nächsten Verpflegungsstand bei Kilometer 28 herbei. Die Brehmstraße empfängt mich mit Wind aus der Hölle. Hier pustet es mindestens so schlimm wie auf der Brücke, nichts geht mehr und laufen erscheint mir komplett absurd. Ich nehme zwei Becher, einmal Wasser und einmal Iso, und gehe zum ersten Mal. Gehen und trinken. Trinken und gehen. Die Temperaturen sind auszuhalten, obwohl es heute ganz schön warm ist, aber dieser verdammte Wind raubt mir echt die Körner.

Ich mag den Teil der Strecke, der jetzt kommt, sehr. Um den Zoo-Park, Hans-Sachs-Straße, das Viertel ist einfach schön. Die Anwohner veranstalten ein kleines, aber feines Straßenfest bei Kilometer 30 und ich würde das alles einfach gern mehr genießen. Mein unterer Rücken sieht das anders und zwingt mich bei Kilometer 31 zu einer Gehpause. Ich weiß, dass ich es bis zum Wehrhahn schaffen muss, dass bei Kilometer 32 Christian auf mich wartet. Dass ich von dort noch 10 Kilometer laufen muss, ist ein anderes Thema, erst einmal heißt das Ziel: irgendwie am Wehrhahn ankommen. Ich versuche mich abzulenken, indem ich nach den Jungs aus der Staffel Ausschau halte. Gestern bei unserer Pastaparty haben wir versucht zu berechnen, wer mich wann überholen müsste (das hat ja in Mathe mit den Zügen auch noch nie geklappt) - eigentlich sollte es jetzt langsam so weit sein. Ich sehe keinen, stattdessen überholen mich die 4:30 Pacemaker.
Christian steht wie verabredet am Streckenrand und wird mich ab jetzt begleiten. Als er vor 10 Monaten angeboten hatte, ein paar Kilometer mit mir zu laufen, war ich nicht sicher, ob ich das möchte. Ich dachte, es würde sich nicht richtig anfühlen, den Lauf nicht alleine zu schaffen. Dass ich meine Beine trotzdem selbst zu jedem Schritt überreden muss und mir das keiner abnimmt, ist mir dann irgendwann auch klar geworden, also habe ich zugesagt. Ich wusste außerdem nicht, ob ich möchte, dass mich jemand nicht nur kurz im Vorbeilaufen, sondern einige Kilometer lang leiden sieht. Jetzt weiß ich: Diese Unterstützung ist unbezahlbar. Wir laufen mal nebeneinander, mal hintereinander, ich höre mir an, wie es bei der Staffel bisher gelaufen ist und versuche, nicht zu detailliert auf meinen Wehwehchen rumzureiten. Nach kurzer Zeit muss ich dann aber doch gehen und bin froh, dass ich keine vorwurfsvollen oder mitleidigen Blicke ernte, sondern einfach mein Ding machen kann. Die Rückenschmerzen kann ich nicht mehr ignorieren, auch die Botschaft "no hay dolor", die an Christians Rucksack klebt, hilft nicht. Doch, es gibt sehr wohl Schmerz. Er ist im Rücken, im Knöchel und im Magen. Ich versuche, mich nicht darüber zu ärgern, dass ich aus dem Training keine derartigen Schmerzen kenne, dass ich 35 Kilometer locker laufen konnte. Jetzt ist es eben anders. Deal with it. Ich gehe, wenn ich gehen muss und ich laufe, wenn ich laufen kann.



Kilometer 34, schon wieder stehen meine Eltern am Streckenrand. Zum ersten Mal bin ich dankbar, dass Christian mir nicht nur Gesellschaft leistet, sondern auch noch seine Kamera mitschleppt. 500 Meter später sehe ich überraschend das nächste bekannte Gesicht: Daniel von Coffee & Chainrings, den ich bald bei seiner 24h-MTB-Weltmeisterschaft in Italien unterstützen werde, steht mit seiner Tochter am Rand. Und er macht das, was er immer macht: ein Live-Video. Als ich ihn entdecke, wandere ich gerade die Berliner Allee hinauf und drücke mir das dritte und letzte Gel hinein, weil der Magen langsam endlich besser wird. Live-Video vom Marathon und dann erst mal spazieren? Ups. Ich nehms mal als Anlass, weiter zu laufen.



Kilometer 36. Hier gibt es Orangenscheiben. Ich will auf keinen Fall nochmal den gleichen Fehler wie mit der Banane machen, aber so ein Stück Orange wird ja wohl klar gehen? Und wie. Oh Mann, wenn das mal nicht die beste Orangenscheibe auf der ganzen Welt ist! Ab jetzt wird die Strecke nochmal richtig schön, typisch Unterbilk. An der Bilker Kirche stehen so viele Leute, dass ich meine Kollegin Lena übersehe, die mit Laufen eigentlich gar nichts am Hut hat, aber extra ein "ichhasselaufen"-Plakat gebastelt hat. Genau das ruft mir unabhängig davon wenige Hundert Meter weiter ein Streckenposten zu. Wie witzig ist das denn? Später stellt sich heraus, wir "kennen" uns von Instagram. Falls du jetzt hier mitliest, vielen Dank!








Rücken und Knöchel sind inzwischen wieder ruhiger, das Laufen wird wieder flüssiger. Die letzte kurze Gehpause lege ich bei Kilometer 39 ein, danach fühlen sich die Beine plötzlich an wie neu und ich freue mich, dass das Laufen keine Qual mehr ist. Sieht mit Sicherheit anders aus, aber fühlt sich wunderbar an! Die Stelle, die ich mir am schlimmsten vorgestellt habe, geht auch vorbei: Bei Kilometer 39 ist der Zieleinlauf beinahe in Sichtweite, Läufer auf Kilometer 41 kommen mir entgegen und ich muss noch einmal in die falsche Richtung abbiegen. Noch ein Schlenker über die Kö, natürlich. Ich sehe Naomi, Kati, Daniel und Renate und ich habe einfach wieder Bock, zu laufen.



Wieder abbiegen, jetzt bin ich diejenige, die den anderen mit zwei Kilometern Vorsprung entgegen kommt. Ein Aufkleber auf dem Boden kündigt an, dass noch ein Kilometer zu laufen ist. Mir geht es prima. Ich spüre schon längst keine Schmerzen mehr, die Beine fühlen sich unnormal gut an. Ich sehne die Ziellinie nicht um jeden Preis herbei, aber so langsam fällt der Groschen, dass ich tatsächlich gleich ins Ziel laufen werde. Achso.




Das Gefühl, dass es nicht zu einfach war, aber dass es mir jetzt trotzdem so gut geht, macht mich zufrieden. Ich habe gekämpft, aber ich bin nicht komplett am Ende, sondern konnte die letzten Kilometer genießen und ganz besonders die letzten Meter. Ich freue mich seit der Anmeldung auf den Moment, wo ich vom Apolloplatz runter zum Rhein abbiege, mit Blick auf die Altstadt, auf die andere Rheinseite, das Ziel in Sichtweite. Ich bin dankbar und froh, dass ich ausgerechnet hier nicht mit jedem Schritt leide und jeden Meter verfluche, sondern dass sich das Laufen auf wundersame Weise wieder gut anfühlt.


Ganz im Ernst: Ich kann mir keinen schöneren Zieleinlauf vorstellen als direkt am Rhein. Dafür kann man schon mal 4:38:12 Stunden durch die Stadt laufen/wandern/traben. Die Entscheidung, zuhause den ersten Marathon zu laufen, war absolut richtig. Und auch, das Ganze vorher nicht groß anzukündigen, hat mir enorm geholfen, den Druck rauszunehmen. Das war mein halbwegs heimliches Projekt, das ich gern etwas kleiner gemacht habe, als es tatsächlich war. Ich habe es geschafft, beim Lauf nicht an 42,195 Kilometer zu denken, nicht an das Wort Marathon. Beides hat in mir in den Tagen zuvor eine schräge Mischung aus Respekt und Kribbeln hervorgerufen, als sei es etwas Großes, ein Mythos. Am Ende ist die genaue Distanz komplett willkürlich, im Prinzip geht es nur darum, ein paar Stunden zu laufen und damit umzugehen, was während dieser langen Zeit so alles passieren kann. Ich bin stolz, dass ich das so gut wie möglich gemacht habe, aber ein anderes Gefühl überwiegt. Ich bin dankbar, dass ich in der Lage dazu bin. Gesundheitlich, körperlich und mental. Dankbar, dass ich mit einem solchen Projekt nicht alleine bin, dass meine Familie und meine Freunde mitfiebern, dass sie auf ihre Art und Weise dabei sind, egal ob sie 600 Kilometer entfernt sind, am Streckenrand stehen, mit mir laufen oder danach mit mir anstoßen. Nichts davon ist selbstverständlich. Danke!



Sämtliche Fotos oben und das Bei-Laune-Halten während der letzten Kilometer geht auf die Kappe von Christian Siedler. Danke dafür!

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Glückwunsch an die lustigste, coolste, raketenschnellste Staffel, die ich mir vorstellen kann. Bis zum nächsten Mal! |
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