Samstag, 3. November 2018

Bikepacking: So wird aus dem Rennrad ein Packesel

Kennst du diese Dinge, die dir ewig im Kopf rumschwirren, die du gerne mal machen würdest, "irgendwann, wenn mal Zeit ist"? Die dich zwar reizen, dir aber vielleicht auch ein klitzekleines bisschen Angst einjagen? Die Fragen aufwerfen und kompliziert erscheinen, so dass man sie immer weiter aufschiebt? Ich würde ja gerne, aber ...

Wo schlafen? 

So ging es mir mit dem Bikepacking. Die Idee, mehrere Tage mit dem Rad unterwegs zu sein, beschäftigt mich schon das ganze Jahr. Ich würde gerne nur das allernötigste einpacken, irgendwo hin radeln, unter freiem Himmel übernachten, morgens weiter fahren und abends irgendwo anders das Lager aufschlagen. Romantische Vorstellung, aber leider funktioniert das für mich so (noch) nicht. Ich bin nicht draußen zuhause und ich finde Camping schon mit Zelt blöd. Einfach so irgendwo im Wald schlafen? Ohne mich. (Ergänzung 2020: Inzwischen war ich auch mit Zelt bikepacken. Meine Infos zu Zelt und Isomatte findest du ganz unten.)

Also Bikepacking mit Hotel-Übernachtung? Zu teuer. Und irgendwie auch uncool. Ich finde keine Antwort auf die Übernachtungsfrage und lege die Reisepläne daher so lange auf Eis, bis mir jemand durch Zufall von warmshowers erzählt - eine Art couchsurfing-Portal für Radfahrer. Das fühlt sich richtig an und ist der Startschuss für meine Planung: Ich überlege, wo ich ein bisschen Zeit her nehmen kann und schaufele mir drei Tage Anfang Oktober frei.

Wo geht's hin?

Drei Tage sind verdammt wenig. Wenn ich zuhause in Düsseldorf losfahren würde, könnte ich im Prinzip nur ein Dreieck fahren und käme nicht sonderlich weit. Nur in eine Richtung und mit dem Zug zurück? Wäre eine Idee, um mehr Strecke zu schaffen, aber möchte ich trotzdem bei dieser ersten Tour vermeiden. Langsam reift die Idee, nicht zuhause zu starten, sondern auf dem Rückweg vom Münsterland Giro eine Nacht bei Freunden zu bleiben, am nächsten Tag Richtung Holland zu radeln, per warmshowers zu übernachten, am zweiten Tag zurück in Deutschland bei anderen Freunden unterzukommen und am letzten Tag zurück nach Hause zu fahren. Das genaue Ziel in Holland bestimmt eine Mischung aus Kilometern, die ich mir zutraue und dem Ort der warmshowers-Zusage: Ein Pärchen in der Nähe von Amersfoort will mich aufnehmen.

Ich will mit dem Rennrad fahren und plane die Strecken mit Strava. Kleinigkeiten passe ich an, beispielsweise möchte ich lieber außen um Städte rum anstatt mittendurch. Wenn bei Google maps irgendetwas spannend aussieht, baue ich einen Umweg ein. Abgesehen von einer Bundesstraße, die definitiv nicht für Fahrräder erlaubt ist und um die ich einen kleinen Schlenker fahre, sind meine Strecken prima. Viele kleine Straßen, Wirtschaftswege, teilweise echte Highlights (Nationalpark Veluwezoom!). Die Navigation funktioniert per Garmin und im Zweifel bei spontanen Änderungen wie einer gesperrten Brücke per maps.

Was muss mit? 

Schneller als ich gucken kann, stehen 50 Teile auf der Packliste. Für nur drei Tage? Brauche ich das wirklich alles? Am meisten Kopfzerbrechen bereitet mir das Wetter. Temperaturen sind von 5-25° angesagt, dazu nass, trocken, windig. Ich erinnere mich an die 333-Kilometer-Tour zur Nordsee, bei der es mehrere Stunden geregnet hat. Im Sommer kein Problem. Aber bei 5° komplett durchnässt sein? Zur Windjacke kommt also noch eine Regenjacke sowie ein zusätzliches langes Trikot, so dass ich mich im Notfall wieder trocken legen könnte.

birzman hat mir ein ganzes Sortiment an Packtaschen zur Verfügung gestellt. Ich will alle ausprobieren und sortiere daher nicht wahnsinnig streng alles möglicherweise Überflüssige aus. Für meine erste Tour gilt: Lieber haben als brauchen! Ich packe meinen Koffer und nehme mit ...

Radklamotten

Trikot kurz, Trikot lang, Thermo-Trikot lang, Hose kurz, Hose lang, Armlinge, Windjacke, Regenjacke, Baselayer, Sport-BH, 3x Socken, Überschuhe, Buff, Handschuhe lang, Handschuhe kurz, Sonnenbrille, Helm, Radschuhe.

Alltagskleidung

Leggings, T-Shirt, dünner Pulli, BH, Ballerinas.

Fahrradzeug

Ersatzschläuche, Luftpumpe, Reifenheber, Multitool, Schloss (zum Beispiel so ein kleines Kabelschloss*), Licht, Trinkflasche.

Technik

Handy, Garmin, Powerbank (ich benutze diese kleine und leichte von Intenso*), Ladekabel.

Kulturbeutel

Zahnbürste, Zahnpasta, Deo, Shampoo, Duschgel, Haargummis, Sonnencreme, Pflaster, Kopfschmerztabletten, Haarbürste, Schere.

Sonstiges

Reisehandtuch, Geld, EC-Karte, Krankenkassenkarte, Notfall-Armband, Handyhülle, Kabelbinder, Riegel.

Diese Sachen habe ich nicht angezogen: Überschuhe, Armlinge, Thermotrikot, Regenjacke. Alle anderen Klamotten hatte ich (mehrfach) an. Nicht gebraucht habe ich ansonsten das Handtuch und Notfallsachen wie Schläuche und Tools.

Wohin damit? 

Den meisten Stauraum bietet mit 6 Litern die Sattelstützentasche (Packman Travel Saddle Pack*). Die Befestigung entpuppt sich allerdings an meinem recht kleinen Rad als kompliziert. Ich orientiere mich an den Bildern auf der Website, probiere verschiedene Möglichkeiten und zwei Fahrräder aus, frage beim Händler nach - und kriege schon auf dem allerersten Kilometer einer kurzen Testfahrt die Unterseite der Tasche kaputt, weil sie bei jeder Unebenheit den Hinterreifen küsst - ganz egal, wie stramm ich alles festzurre. Weil das so definitiv nicht klappt und ich auf die Tasche nicht verzichten möchte, rüste ich einen Gepäckträger nach. Das Rennradfahrerherz weint, aber diese Lösung ist für mich und mein Rad ziemlich praktisch. Natürlich hat das Rennrad keine Ösen für die Befestigung, aber mit den entsprechenden Schellen ist da schnell nachgeholfen. Mit einer Kombination aus der Befestigung an der Sattelstütze und zwei Spanngurten sitzt die Tasche bombenfest und wackelt im Gegensatz zur normalen Variante seitlich kein bisschen. Sieht halt scheiße aus, ist aber praktisch.

Im Saddle Pack finden sämtliche Kleidungsstücke (Fahrrad und normal), die Schuhe, das Handtuch und der Kulturbeutel (Plastiktüte mit Probierpackungen) Platz. Statt der Sattelstützentasche wäre auch eine Lenkertasche möglich gewesen - da passt theoretisch etwas mehr rein, allerdings ist das Problem mit dem Abstand zum Reifen bei kleinen Rahmen hier ähnlich. Außerdem sind die meisten Lenkertaschen breiter als mein 38-Zentimeter-Lenker und bieten dann doch gar nicht mal so viel Platz - wird schwierig.


Die zwei Rahmentaschen (Packman Travel Frame Pack Planet und Satellite*) passen nach Abschrauben der Trinkflaschenhalter haargenau ins Rahmendreieck. Der Planet fasst 3 Liter, der an ihm befestigte Satellite 2,5. Meine außen verlegten Züge stören sich an den Klett-Befestigungen der Taschen überhaupt nicht. In der unteren Tasche sind die schweren Gegenstände wie Werkzeug, Fahrradschloss und anderer Schickschnack. Oben ist alles, woran ich während der Fahrt ohne Kramen in der großen Tasche drankommen will: Armlinge, Handschuhe, Ersatzschläuche usw. Besonders gut bei den beiden Rahmentaschen: Der Reißverschluss ist versteckt, so dass es nicht direkt rein regnen kann.

Die Oberrohrtasche (Packman Travel Top Tube Pack*) kenne ich schon von der Tour an die Nordsee. Hier sollten nur leichte Gegenstände verstaut werden, weil die Tasche sonst zu stark nach rechts und links kippt und gegen die Knie stößt. Ich habe die Powerbank, das Handy und diversen Krimskrams wie Schokoriegel hier auf dem Platz von 0,8 Litern untergebracht.

Die Flaschenhalter mussten den Taschen weichen, wohin also mit den Flaschen? Ich habe eine Flaschen-Tasche (Packman Travel Bottle Pack*), die an Lenker und Vorbau befestigt wird. Das klappt wahrscheinlich mit einem längeren Vorbau und mehr Platz besser, hält aber auch an meinem Rad. Eine Flasche findet Platz - ich würde für längere Touren also zwei Taschen empfehlen oder woanders noch eine Flasche zum Nachfüllen unterbringen.


Alle Taschen machen auf den ersten Blick einen sehr hochwertigen und gut verarbeiteten Eindruck. Meine Erfahrung mit der sofort aufgescheuerten Unterseite des Saddle Pack trübt dieses Bild - das Material sieht super stabil aus, war aber wirklich nach wenigen Berührungen mit dem Reifen durch. Wenige Zentimeter Abstand reichen also nicht, weil die Tasche während der Fahrt noch etwas nach unten rutscht. Wer ein großes Rad fährt, sollte kein Problem haben, wer ebenfalls eher klein ist, braucht vielleicht eine andere Lösung. Praktisch finde ich, dass jede Tasche verschiedene Möglichkeiten bietet, die Klettverschlüsse zur Befestigung anzubringen - das bei der Oberrohrtasche herauszufinden, hat bei mir zugegeben etwas gedauert. Der Gummizug des Saddle Pack hat außerdem meine Regen- und Windjacke sowie holländische Rosinenbrötchen zuverlässig festgehalten. Im Regen habe ich lediglich die Oberrohrtasche auf der Fahrt zur Nordsee testen können - hier ist die Powerbank darin trocken geblieben. Da der Reißverschluss an dieser Tasche jedoch nicht geschützt ist, wäre ich bei längerem und stärkerem Regen skeptisch. Um die Kleidung im Saddle Pack würde ich mir keine Sorgen machen. Insgesamt reicht das Platzangebot so auch definitiv für mehr als drei Tage. Wer noch Camping-Utensilien auf die Bikepacking Tour mitnehmen möchte, muss entweder geschickter packen, auf manches verzichten oder an die Taschen außen anbauen.

Hier findest du alle Birzman Packman Produkte bei Amazon in der Übersicht.* 



Wie war's?

Nach einem nicht so geilen Renntag in Münster ist die Stimmung kurz vor dem Start meiner Tour auf dem Tiefpunkt. Die Vorstellung, drei Tage lang alleine durch fremde Gegenden zu radeln, ist auf einmal völlig abwegig. Ich will nicht raus aus der Komfortzone, sondern einfach nur nach Hause. Gut, wenn es Menschen gibt, die dich daran erinnern, dass du diese Bikepacking-Sache unbedingt machen wolltest und wie sehr du dich darauf gefreut hast.

Trotzdem fährt der Kopf Achterbahn: Schaffe ich die Strecken, die ich mir vorgenommen habe? Wie fährt sich das Rad mit all dem Gepäck überhaupt? Brauche ich das alles? Habe ich etwas Wichtiges vergessen? Was mache ich eigentlich den ganzen Tag alleine auf dem Rad? Was, wenn mir langweilig wird? Wenn ich gar nicht mehr kann? Wenn das Wetter richtig dreckig wird? Wenn die Streckenplanung scheiße war?


Zum Glück verfliegt die Unsicherheit mit dem Losfahren. Ich liebe das Unterwegssein ab dem ersten Meter: Ja, das Rad ist mit all dem Zusatzgewicht etwas schwerfällig, vor allem bergauf (10% Steigungen lassen mich eine neue Definition von Langsamkeit entdecken). Es ist aber völlig egal, ob das Radeln etwas mühsamer ist als sonst, denn ich habe überhaupt keinen Stress. Es ist mir komplett egal, wie langsam ich bin. Ob das noch was mit Rennradfahren zu tun hat, ob das Ganze jetzt Bikepacking oder Bike-Touring heißen muss - ich scheiße darauf und genieße einfach diese drei Tage, die mir tagsüber ganz alleine gehören und die ich abends nur zu gerne mit meinen Gastgebern teile.

Die Streckenplanung entpuppt sich als absoluter Volltreffer. Am ersten Tag geht es gut 125 Kilometer von Borken nach Amersfoort, über einsame Landstraßen, Wirtschaftswege, mit Gegenwind pünktlich ab der niederländischen Grenze und mit einigen Hügeln. In den Nationalpark Veluwezoom bin ich auf Anhieb völlig verliebt und möchte definitiv zurück kommen. Egal ob mit dem Rennrad, MTB oder zum Wandern.


Der zweite Tag hält 100 Kilometer von Amersfoort nach Kleve bereit und führt mich erst an einen kleinen Kanal (Tipp des Gastgebers), dann durch die Hügel um Amerongen und schließlich an Nederrijn und Waal entlang. Immer am Fluss, lange geradeaus, einmal mit der Fähre rüber. Zuletzt zwischen Nijmegen und Kleve durch Berg en Dal, was seinem Namen alle Ehre macht.

An Tag drei stehen wieder rund 100 Kilometer auf dem Plan: Zurück von Kleve nach Düsseldorf. Der erste knackige Anstieg wartet direkt zu Beginn, danach geht es durch menschenleere hügelige Gegenden. Ich entdecke ein Dorf, in dem Unsere kleine Farm gedreht worden sein muss, außerdem Wiesen mit Hundewelpen, Känguruhs und Alpakas.


Kurz: Mir ist nicht langweilig geworden. Keine Sekunde lang. Stattdessen bin ich ziemlich angefixt und sicher, dass das nicht die letzte Tour war. Manchmal braucht man wohl einen kleinen Schubs in die richtige Richtung - denn eigentlich weiß ich von den letzten Malen ins kalte Wasser springen doch schon längst: Die Dinge, die dich reizen und die dir gleichzeitig ein bisschen Angst machen, sind oft die allerbesten. Deshalb unbedingt machen!

Danke an Denise & Björn, Sharon & Daniel, Nadine & Tim, die mich alle so herzlich aufgenommen und die Tour ermöglicht haben. Het was leuk met jou!
birzman hat mir die Bikepacking Taschen kostenlos zur Verfügung gestellt und die Tour so ebenfalls unterstützt. Dankeschön! 

Ergänzung: Bikepacking mit Zelt, Isomatte und Schlafsack

2020 habe ich mich dann doch getraut, mal ohne die Aussicht auf ein richtiges Bett mit dem Fahrrad aufzubrechen. Das Mikroabenteuer Overnighter zusammen mit Annette von den Radflamingos gibt es auch als Podcastfolge. Weil die Frage nach der Ausrüstung oft gestellt wird, will ich sie schnell beantworten:

Ich hatte das Glück, ein Tarptent Squall 2* gebraucht übernehmen zu können. Dieses Modell gibt es mittlerweile nicht mehr, dennoch hat Tarptent einige leichte Zelte mit geringem Packmaß im Sortiment. Beides hat für mich eine Rolle gespielt, außerdem die Tatsache, dass das Zelt sich für zwei Personen eignet.

Meine Isomatte ist neu und von Deeplee*. Sie wiegt keine 500 Gramm, lässt sich super klein verstauen (25x10x10cm) und schnell aufblasen. Ich habe sie bisher wenige Male benutzt, kann also noch nichts zur Lebensdauer sagen. Zum Sitzen ist sie weniger gut geeignet, da man bei punktuellem Druck schnell den Boden spürt. Im Liegen hatte ich allerdings gar keine Probleme, auch nicht auf der Seite. Tatsächlich finde ich sogar das integrierte Kissen bequem. Für den Preis erwarte ich natürlich keine Wunder, aber für die ersten Erfahrungen reicht mir die Matte auf jeden Fall.

Als Schlafsack habe ich genommen, was da war. Das hat für den ersten Versuch gereicht, hier werde ich aber nochmal aufrüsten müssen. Mein Schlafsack ist hat zwar ein okayes Packmaß, aber ist mir nicht warm genug. Hier kann ich noch keine Empfehlung geben.

Topeak Backloader

Es gibt sie doch! Ich habe eine Sattelstützentasche gefunden, die auch bei meinem kleinen Rahmen funktioniert und dazu noch bezahlbar ist. Es ist der Topeak Backloader*, den ich wirklich empfehlen kann. Mit um die 70 Euro ist der Preis echt fair und bietet auch für bisher weniger Überzeugte die Möglichkeit, einmal ins Bikepacking hineinzuschnuppern. Es gibt die Tasche in verschiedenen Größen, ich komme mit 10 Litern gut hin. Das Beste: Ich brauche keinen Gepäckträger (was ja auch Sinn der Sache ist) und die Tasche schleift nicht auf dem Hinterrad. Die Befestigung ist durchdacht und das Wackeln nach rechts und links hält sich in Grenzen - ich würde jedoch natürlich keine zu schweren Gegenstände hier unterbringen. Die Tasche kommt mit einem Innensack mit Luftventil, so dass sich alles schön platzsparend packen lässt. 


Die mit * markierten Links sind Werbelinks. Wenn du über diese Links einkaufst, bekomme ich von Amazon eine Provision. Für dich verändert sich der Preis nicht.