Montag, 17. August 2015

Freiwasserschwimmen: Angst vor Monstern

Ich bin seit 27 Jahren im Schwimmverein, habe einen Rettungsschwimmschein und ich habe Angst vor Monstern im See. Kein Scherz. Wenn ich schwimme, dann im Schwimmbad: 25m- oder 50m-Bahn. Kacheln zählen. Wenn ich am See oder am Meer bin, dann liege ich auf der Wiese oder im Sand und bin maximal kurz zum Abkühlen im Wasser. So, dass ich noch stehen kann. Eventuell tauche ich einmal mit dem Kopf unter oder lasse mich von einer Welle hin und her schaukeln. Das wars dann auch schon. Schwimmen? Niemals!


Letzte Woche war ich dann trotzdem ganz spontan im See. Zum Schwimmen. Also so richtig. Der Baggersee ist spitze: sehr klar, gar keine eklige Brühe. Erster Gedanke: "Oh super, dann kann ich den Boden sehen!" Dann: "Oh scheiße, ich seh ja jeden Fisch und jede Pflanze!" Vielleicht möchte ich doch nicht wissen, was da alles unter mir schwimmt. Reinmarschieren ist erst mal kein Problem. Dass ich im See planschen kann, weiß ich ja schon. Überwindung kostet der Punkt, an dem man losschwimmen muss. Weil der Boden nicht mehr da ist. Zu tief, um darauf stehen zu können. Und später nicht mal mehr zu sehen. Ich finde das echt unheimlich. Da betrachtest du jahrelang die Kacheln auf dem Schwimmbadboden (doof finde ich diese Alubecken, wie große Kochtöpfe, aber ohne Kacheln!) - und dann ist da plötzlich: nichts. Dunkelgrün. Dunkelblau.


 

Aber zu Beginn sehe ich durch die Schwimmbrille noch ziemlich viel: Pflanzen, dicht an dicht. Kleine Fische. Noch kleinere Fische. Eine Plastiktüte. Einen toten Baum. Noch einen Baum. Es ist, als könnte man die Stille sehen, diese ganz andere Welt, die einfach so unter einem liegt. Als wäre sie schon immer da gewesen, man besucht sie halt nur nicht so oft. Man gehört hier irgendwie nicht hin, aber man darf mal vorsichtig reinschauen. Wir schwimmen am Ufer entlang, das gibt mir ein ganz gutes Gefühl. Einmal außen am Rand des Sees ganz herum schwimmen sind 2,7 km. So weit bin ich noch nie im Schwimmbad geschwommen - meistens habe ich ja schon bei 40, spätestens bei 60 Bahnen keine Lust mehr. Keine Lust mehr zu zählen und auch keine zu schwimmen. Wir wissen also nicht, wie weit wir kommen. Vielleicht drehen wir irgendwann um, vielleicht kletten wir an irgendeiner Stelle raus und laufen zurück. Das Ufer ist nur ein paar Meter entfernt, ich könnte jederzeit raus.

Für den ganzen Tag ist Unwetter angesagt, aber es regnet nicht. Es ist bewölkt und warm, dann sogar sonnig. Ich kann die anderen Schwimmer im See an einer Hand abzählen, wir haben ihn fast für uns allein. Teilen ihn nur mit all dem Getier, was da unter uns schwimmen mag. Die Sonne scheint. Ich kann nicht genug davon kriegen, mir die Sonnenstrahlen unter Wasser anzuschauen. Wie sie das Blaugrün beleuchten, so sanft und so hell. Meine Hände leuchten unter Wasser. So schön. Die bunte Eule an meinem Unterarm ist noch viel bunter als in meiner Welt.


Wir schwimmen Brust wie die nervigen Omis im Schwimmbad, die immer die Bahnen blockieren, weil sie zu viert nebeneinander vor sich hin dümpeln und den neuesten Klatsch und Tratsch austauschen. Im See finde ich es auch angenehm, mich zu unterhalten. Zwischendurch wechsele ich zum normalen Brustschwimmen, bis mir irgendwas auffällt, was ich unbedingt loswerden muss. Die Hände. Wie sie leuchten. Wie schön das alles ist. Wie weit wir schon gekommen sind. Guck mal! Da hinten sind wir gestartet, ganz schön weit weg.

Kraulen ist irgendwie nicht drin. Mehr als vielleicht zehn Züge am Stück lässt der Kopf nicht zu. Ich möchte den Boden sehen. Die Fuge zur Orientierung zwischen den Kacheln. Beim Kraulen im See fühle ich mich orientierungslos. Ja, ich weiß vom Wasserball, wie man mit dem Kopf über Wasser krault. Aber das mache ich auch nur über kurze Strecken und nicht regelmäßig zwischen den normalen Atemzügen - hier muss ich wohl noch ein System finden. Ist egal, das hier ist kein Schwimmtraining, sondern ein Kopftraining. Dabei kann man so langsam sein, wie es eben nötig ist.


Nach einer Stunde haben wir ungefähr drei Viertel des Sees hinter uns gelassen und halten kurz an, damit die Uhr mal wieder ein GPS-Signal empfängt. Die letzten Meter sind wir schon gar nicht mehr so nah am Ufer geschwommen, wie es am Anfang nötig war. Ich traue mir zu, das letzte Stück zurück bis zum Anfang quer durch den See zu schwimmen. Oder? Vielleicht doch lieber am Ufer entlang? Wir schwimmen durch die Mitte. Und plötzlich ist meine sanfte, sonnige Welt verschwunden: beunruhigend dunkle Wolken am Himmel, Gegenwind, Wellen. Naja, also das, was so ein bisschen Wind auf einem See halt so an Wellen produziert - nichts ernstes, aber schon scheiße, wenn man zufällig gerade einatmet und nur Wasser schluckt. Das Wasser klatscht an meine Wangen, meine Augen, es hört sich auf einmal feindselig an. Neben unserem Ausgangspunkt steht eine markante Baumreihe, die kein Stück näher kommt.

Meine Hände krampfen vom vielen Brustschwimmen, ich drehe mich auf den Rücken, gucke in den düsteren Himmel und hoffe, dass endlich mal dieses verdammte Ufer näher kommt. Und dann werden die Bäume größer. Ich drehe mich um, zu der Stelle, an der wir beschlossen haben, quer durch den See zu schwimmen. Ich weiß nicht, welches Ufer weiter entfernt ist. Also weiter schwimmen. Brust für Omas, normal, ein bisschen Kraul. Immer im Wechsel. Zwischendurch mal umdrehen, ob der Vater noch hinterher kommt, der eigentlich gar nicht so gerne schwimmt. Er schwimmt noch. Ich auch. Und dann ist die Gestalt am Ufer auf einmal zu erkennen: meine Schwester. Sie hält fest, wie wir ankommen: stolz.


Ich war eineinhalb Stunden im Wasser, bin dabei knapp 2,5 km weit gekommen und bin einfach verdammt stolz. Die große Freiwasser-Baustelle, die ich mir eigentlich für 2016 aufheben wollte, ist ein kleines bisschen kleiner geworden. Nächstes Jahr kann ich dann ja noch richtiges Schwimmen draußen üben.


Alleine hätte ich das nie gemacht. Danke, dass ihr dabei wart!