Mittwoch, 25. Oktober 2017

Raceday No. 49 - Rhein City Run 2017

Halbmarathon also. Der dritte dieses Jahr - sollte eigentlich kein Thema sein. Eigentlich. Wäre da nicht nach der Mitteldistanz im Juni diese Unlust zu laufen gewesen. Im Anschluss standen nur noch zwei Sprint-Triathlons an - wozu für fünf Kilometer trainieren, wenn der Marathon und der Halbe aus dem Triathlon noch so frisch sind? Eben. Nach dem letzten (wunderbaren!) Triathlon im Juli in Hamburg dann: Wieso überhaupt noch laufen? Es ist Sommer, ich will radfahren! Neuer Plan: viele Kilometer auf dem Rennrad und ein paar auf dem MTB. Irgendwann dämmerte es dann: So ganz ohne Laufen wirst du nicht durch den Halbmarathon im Oktober kommen. Verdammt.


Erschreckend, wie schnell die Form wieder gefühlt bei Null angelangt ist, wie zäh die ersten Läufe sind. Und wie mühsam, dass man immer wieder von vorn anfängt, wenn man nicht einmal dran bleibt. Ich bin im Sommer nicht dran geblieben. Von Ende Juli bis zum Halbmarathon Mitte Oktober zählt Strava genau elf Läufe. Elf! Die machen andere in zwei Wochen. Ich trödele stattdessen so rum, quäle mich fünf Kilometer durch den Wald und finde alles scheiße. Es dauert bis Mitte September, bis ich wenigstens den Hauch von Regelmäßigkeit ins Training kriege und sich das Ganze entfernt wieder wie Laufen anfühlt. Fazit: Das mach ich auch nicht nochmal - entweder bleib ich dabei oder ich häng die Lauferei an den Nagel. Dieses Wieder-Anfangen ist Pest und Cholera zusammen!


Es wäre das Einfachste gewesen, den Halbmarathon nicht zu laufen. Warum auch gleich 21 Kilometer? Im Juli und August hat die Strecke mir ernsthaft Sorgen bereitet, aber ich wollte mich nicht abmelden. Wollte zwar auch nicht wirklich was dafür tun, aber trotzdem laufen. Geile Kombination. Das Ganze nur deshalb, weil ich mich zusammen mit drei Arbeitskollegen angemeldet habe. Zwei davon sind krank oder verletzt, der dritte interessiert sich nicht die Bohne für Wettkämpfe und läuft nur, weil ich auch laufe. Und bevor gar keiner von uns an den Start geht, laufe ich eben. Ohne nennenswerte Vorbereitung, ohne Erwartungen, ohne Schlaf (Ironman Hawaii Night lässt grüßen), aber mit Ehrgeiz. Ehrgeiz, das irgendwie zu packen und zu finishen, und am besten bitte auch nicht langsamer als beim letzten Mal. Na klar! Wenns weiter nichts ist!


Ich erwarte nicht ernsthaft, dass ich heute unter 2 Stunden laufe, weil ich nicht mal weiß, ob ich die Distanz überhaupt noch drauf habe. Aber das wäre ja alles noch blöder, wenn es nicht irgendein Ziel gäbe, das mich 21 Kilometer lang beschäftigt - ob ich es hinterher erreiche oder nicht, steht ja auf einem anderen Blatt. Deshalb lautet der Harakiri-Plan: 5:40er Pace von Anfang bis Ende, und zwar zu zweit. Der Kollege hat keine Einwände und keine Uhr, also bin ich für Zeit- und Geschwindigkeitsmanagement zuständig. Super, ich mit meiner oldschool Uhr, die den Puls und die Minuten anzeigen kann, nicht aber die aktuelle Pace. Immerhin kann mir unmöglich langweilig werden, denn ich werde 21 Kilometer lang Kopfrechnen.


In meiner sagenhaften und nicht zum Nachahmen empfohlenen Vorbereitung war keiner der elf Läufe länger als 14 Kilometer. Und nur fünf waren überhaupt länger als zehn Kilometer. Dass ich konditionell halbwegs fit bin, weiß ich vom Radfahren und von der Leistungsdiagnostik, die ich letztens von der Arbeit aus beim Projekt Dein Erster Marathon mitmachen durfte. Die Frage ist also nicht: Schaffe ich das? Sondern: Ab wann tut es weh? Und will ich das aushalten?


Ich weiß es nicht, aber ich bin gespannt darauf und habe Bock, es herauszufinden. Die vergangene Nacht kann in jeder Hinsicht ja nur beflügeln - der absolute Wahnsinn, was Patrick Lange da in Kona für einen Lauf hingelegt hat. Da kriegt man ja schon fast wieder Lust auf Triathlon! Und im Vergleich zum Ironman in den Gluten der Hölle ist so ein kleiner Halbmarathon bei hübschem Laufwetter ja mehr so ein Kindergeburtstag. Go for it!


Aus einem mir schleierhaften Grund starten wir relativ weit vorn aus dem ersten Startblock. Mit der angepeilten Zielzeit von knapp unter 2 Stunden sollten wir eigentlich ganz hinten stehen, aber da wir zu spät sind, quetschen wir uns an der Seite rein und sind jetzt also die Idioten, die den anderen auf den ersten Kilometern im Weg sind. Gar nicht gut fürs Ego, denn alle überholen uns. Wir überholen niemanden. Schade. Immerhin laufen wir den ersten Kilometer exakt mit 5:40 min/km, das muss man ohne GPS-Uhr auch erst mal hinkriegen! Vor lauter Euphorie über mein gigantisches Gefühl fürs Tempo rennen wir die nächsten fünf Kilometer direkt mal zu schnell: jeweils um die 15 Sekunden zu flott. Erst bei Kilometer sieben ziehe ich die Bremse - ich will nicht noch einmal den gleichen Fehler wie letztes Jahr machen, als ich 14 Kilometer lang sehenden Auges ins Verderben gerannt bin und dann nichts mehr ging. Voll vernünftig jetzt und so!


Die Strecke folgt dem Rhein in Richtung Norden und ist wirklich traumhaft. Eine bunte Kette aus 3000 Läufern in allen möglichen und unmöglichen Farben schlängelt sich von Düsseldorf nach Duisburg. In keine Richtung ist irgendein Ende in Sicht. Wunderbar. So langsam knallt die Sonne richtig und ich bin froh, dass ich so wenig wie möglich angezogen habe. Ich bin weiterhin gespannt, was das Experiment Halbmarathon noch so für mich bereit hält und versuche, beim Blick auf die Uhr nicht zu euphorisch zu sein, bevor das Ding im Ziel ist.  Es ist anstrengend, aber läuft.


Ab Kilometer zwölf wird es ein klein wenig zäh, und zwar nicht nur bei mir. Drei Kilometer später trennen sich unsere Wege - das wars also mit dem Plan, zusammen über die Ziellinie zu laufen. Gedanken von Kilometer 15-17: Scheiß drauf, das laufe ich jetzt auch alleine nach Hause! Bei Kilometer 18 dann ein leichter Einbruch begleitet von einer mittelschweren Sinnkrise: Wer zur Hölle braucht schon ein Finish unter zwei Stunden? Keine Sau interessiert das, du hast nicht trainiert, sei froh, dass du überhaupt noch auf den Beinen bist, aber mach mal ein bisschen langsamer, wozu noch quälen?


Kilometer 19 verläuft schon wieder etwas weniger schleppend. Dann der Blick auf die Uhr. Wenn du jetzt die Beine in die Hand nimmst, wird das noch was mit den 2 Stunden! Dazu muss nur aus der aktuellen 6:20 eine 5:20 min/km werden. Wird sie auch. Einen Kilometer lang. Ich renne den 20. Kilometer, als ginge es um Leben und Tod, ich will diese Zeit, will das schaffen, bei diesem verdammt langen Lauf nach dieser verdammt kurzen Nacht. Fünf Minuten später will ich's nicht mehr. Bei der Marke für Kilometer 20 wird klar: Das schaffe ich nicht noch einmal. Auch wenn es nur fünf Minuten sind. Ist nicht. Geht nicht. Ich weiß, dass es nichts mehr wird, aber ich will nicht komplett aufgeben. Ich bin stolz, dass bei so einem Lauf, bei dem ich wirklich mit gar nichts rechnen konnte, ein so knappes Ergebnis raus kommt. Dass ich zwischendurch zwar nicht mehr wollte, aber der Schweinehund nicht das Ruder übernommen hat. Keine wahnsinnigen Einbrüche, keine Wanderungen, alles rausgeholt. Die Beine wollen schon lange nicht mehr, aber der Kopf hat sie ins Ziel getragen. Nach 2:00:30 Stunden.


Das klingt bitter, weil es nur 31 Sekunden sind, die zur sub2 fehlen. 31 Sekunden, die ich zu Beginn zu schnell war, in der Mitte vertrödelt habe und am Ende nicht mehr rausholen konnte. Aber das Fantastische ist: Es juckt mich nicht. Kein Stück. Ich weiß, wie ich mich bei Überqueren der Ziellinie gefühlt habe: Platt, aber glücklich. Und genau so soll es sein. Ich hadere kein bisschen. Denke nicht das Übliche "hättest du mal besser hier oder da dieses oder jenes gemacht". Ich denke: Das habe ich mit unterirdischer Vorbereitung nach einer schlaflosen Nacht ziemlich gut hingekriegt! Und: Neue Bestzeit ist neue Bestzeit, auch wenns nur acht Sekunden sind. Deshalb bin ich auf die Medaille zur Abwechslung mal ehrlich stolz, weil sie mich an zwei Sachen erinnert:
1. Druck raus, Leichtigkeit an! Ich kann das, wenn ich will.
2. Mach nie wieder sone Scheiße ohne Training. Der Muskelkater kam direkt aus der Hölle, war schlimmer als nach der doppelten Strecke und dauerte bis Mittwoch. Don't try this at home!


Danke für bezaubernde und sehr echte Fotos an Christian Siedler. Danke Lena, du treuer Fan! Danke Lukas für 15 Kilometer kurzweilige Begleitung - wir machen das nochmal!