Dienstag, 5. Mai 2015

Mallorca Tag 3 - Oberschenkelbrenner deluxe: Cap de Formentor

Tag 3 startet bewölkt. Es ist nicht ganz so heiß, also beschließen wir: Wenn wir zum Cap de Formentor radeln wollen, dann heute. Ich war vor ein paar Jahren schon mal mit dem Auto dort und kann mich nur erinnern, dass man von einem Aussichtspunkt 300 Meter in die Tiefe gucken konnte. Berge, Klippen, Felsen und türkis-blaues Wasser.
Schon vor dem Abflug hatte ich mit dem Gedanken gespielt, nochmal dort hin zu fahren, denn es ist wirklich schön. Dann habe ich mir das Streckenprofil angesehen und den Gedanken verworfen. Meine Schulkameradin Svenja, die vor kurzem auch auf Mallorca radeln war, riet mir auf Instagram, ich solle es unbedingt machen und nur ein Stück durch einen Tunnel sei etwas knackig, der Rest ok. Dass ich mit der 400-Höhenmeter-Tour am ersten Tag schon bedient war, konnte sie da ja nicht ahnen.

Mit gemischten Gefühlen radele ich also los. Erstens ist es bewölkt und zweitens haben wir ja gestern schon die Beine geschont. Wann, wenn nicht jetzt?
Die ersten 20 km sind die gleichen flachen wie gestern bis Porto de Alcudia und noch etwas weiter nach Porto de Pollença. Weil es irgendwie gut läuft, fahren wir hier mal locker einen Schnitt zwischen 28 und 30 km/h. Kann man ja mal machen. Schön blöd, wenn man eigentlich weiß, was noch bevorsteht. Der Radweg in der Bucht von Porto de Pollença ist super - schön breit und direkt neben dem Strand. Nach einem kurzen Abstecher durch den Ort und sehe ich die ersten Schilder: Cap de Formentor.
Kurz bevor es dann tatsächlich den ersten Berg rauf geht, versammeln sich am Straßenrand einige Radfahrer, als müssten sie die Mission besprechen. Ich fahre vor und hänge mich an ein Paar dran, die Frau fährt ein angenehmes Tempo. Ja, es geht hoch, und zwar ordentlich, aber es lässt sich aushalten. Bei den Serpentinen sind die Kurven am Schlimmsten, weil es dort am Steilsten ist. Der Rest geht. Aber es zieht sich. Und zieht sich. Hinter jeder uneinsehbaren Kurve hoffe ich darauf, dass der erste Berg endlich geschafft ist. Ist er nicht. Und wieder nicht. Irgendwann ist Ende. Für mich. Das ist kein "och du könntest noch weiter, du willst nur nicht" - es ist aus und vorbei und zwar in genau diesem Moment und keinen Meter weiter. Die letzten 200 Meter lege ich zu Fuß zurück.
Erschöpft und genervt.
Am ersten Aussichtspunkt zeigt sich die Zwei-Klassen-Gesellschaft: Langweilige Auto- oder sogar Busfahrer und die Radfahrer. Wir Radler sitzen alle im gleichen Boot, jeder weiß, was der andere geleistet hat (auch, wenn er die letzten Meter gegangen ist). Mir kommt es so vor, als belächelten wir kollektiv insgeheim die Autofahrer, die es sich kein Stück erarbeitet haben, hier die Aussicht zu genießen. Andersrum halten sie uns wahrscheinlich für wahnsinnig.
Es ist Zeit zum Luft holen, Beine lockern, Aussicht genießen und Fotos machen. Dann müssen wohl oder übel taktische Überlegungen angestellt werden: Ich weiß, der Rest der Strecke ist nicht ohne. Es geht den Berg von gerade auf der anderen Seite wieder runter, dann ein Stückchen flach, nochmal ordentlich nach oben, fast genauso hoch wie wir jetzt sind, wieder etwas runter und nochmal ein wenig hoch. Und wenn wir dann da sind, müssen wir die ganze Scheiße ja nochmal zurück.

Ich möchte nicht nach Hause kommen und erzählen, dass ich das halbe Cap de Formentor hochgeradelt bin. Ich weiß aber ehrlich nicht, ob der Rest überhaupt im Bereich des Möglichen ist.

Deshalb quatsche ich eine größere Gruppe an, die Deutsch spricht und mit einer Karte herumhantiert. Sie zeigen mir das Höhenprofil: wir sind am höchsten Punkt, aber ein Mal geht es nochmal ziemlich lange steil bergauf. Und halt zurück. Der erste meint: "Klar schaffst du das!" Mit dem Einwand, dass ich schon bis hier hin die letzten Meter schieben musste, meint der nächste "Oh tja, dann weiß ich es auch nicht." Der erste mischt sich wieder ein: "Ach ihr trinkt euch jetzt hier 1, 2 Bier und dann geht das! Machen wir auch immer so. Und schön langsam fahren!" Und weg sindse.

Wir trinken kein Bier, aber fahren auch weiter. Nicht zurück. DNF is no option. Egal was kommt. Es geht bergab, kilometerlang. Ich will überhaupt gar nicht so weit runter, das müssen wir ja alles wieder hoch. Scheißdreck. Danach gehts ein Stück sanft auf und ab durch ein ziemliches grünes Wäldchen, angenehm kühl hier. Aber es riecht nach Ziegen.
Auf einmal habe ich einen älteren Herrn vor mir, der eben noch ein Foto von uns gemacht hat (und wir von ihm). Er ist wirklich sehr langsam, aber so habe ich wenigstens jemanden, an dem ich mich orientieren kann. Und so kriechen wir mit 8 kmh den nächsten Berg rauf. Dann kommt der Tunnel, vor dem ich die ganze Zeit schon das Schlimmste befürchtet habe. Er ist überhaupt nicht schlimm, das einzig blöde ist nur, dass man mit Sonnenbrille da drin erst mal gar nichts sieht. Es dauert eine Weile, bis ich auf die Idee komme, die Brille abzusetzen.
Nach dem Tunnel habe ich es bei dem Schneckentempo irgendwie geschafft, meinen Vater abzuhängen. Also fahre ich an die Seite und warte. Und warte. Und warte. Genug Zeit, ein Gel zu nehmen ("Apfelgeschmack, nicht klebrig und süß"), was ungefähr das ekelhafteste und süßeste ist, was ich in letzter Zeit gegessen oder getrunken habe. Urgs. Papa taucht zu Fuß auf (Beine streiken), staubt noch den Rest vom Gel ab und dann geht es weiter.
Entweder hat meine lange Pause geholfen oder das Gel, auf einmal sind Kräfte da, die vorher nicht da waren. Auf einmal will ich unbedingt ankommen. Ich hole eine Radlerin ein, die eben an mir vorbei kam, als ich gewartet habe. Sie ist mir aufgefallen, weil ich ihre Hose so schön fand. Jetzt kassiere ich sie ein. Der nächste Berg ist schnell bewältigt und nach der Abfahrt kommt der letzte überschaubare Anstieg.

Wir sind da! Die letzten Meter wieder zu Fuß, weil Stau ist und Gegenverkehr und noch mehr Stau. Na toll, das wäre auch noch mit dem Rad drin gewesen, aber: wir sind da! Ich trage das Rad die Treppenstufen rauf. Als ich oben ankomme, erkennen mich einige aus der Gruppe mit der Karte von vorhin wieder: sie brechen in Jubel und Applaus aus - was für ein Empfang!
Wieder sind hier oben sehr viele Radfahrer, die nichts anderes als die Tatsache vereint, dass sie hier sind. Nach einer ausgedehnten Pause und einer kalten Cola (mit Zucker!) machen wir uns auf den Rückweg. Aber schon auf den ersten Metern beim ersten Anstieg steht fest: ist nicht. Ich muss schon jetzt auf meine Füße umsteigen und schiebe den Berg rauf. Dann läufts auf einmal wieder, der nächste (viel schlimmere) Anstieg ist okay. Ich hänge mich an eine größere Gruppe älterer Herren in gelben Trikots und überhole die letzten beiden - die sind wirklich noch langsamer als der noch ältere Typ vom Hinweg.
Nach der Abfahrt kommt der schlimmste Anstieg, der zurück zum ersten Aussichtspunkt. Und hier ist leider ziemlich schnell klar, dass nichts mehr geht. Auch nicht bei 8 km/h. Und so wird das Ganze zum Wandertag. Die Strecke zieht sich so sehr, dass ich irgendwann auch nicht mehr laufen will. Die Herzfrequenz sinkt auch beim Gehen nicht mehr unter 85%, zwischendurch überlege ich, ob nicht doch Radeln besser wäre, entscheide mich dann aber dagegen (besser 85 als 97% und brennende Beine). Wir werden überholt und besorgt gefragt: "Alles ok mit den Rädern?" - "Ja, nur mit dem Körper nicht." Ein nettes, besorgtes Volk, diese Radler.

Beim Aussichtspunkt brauchen wir eine Pause vom Gehen. Noch 25 km bis zum Hotel. Ich habe keine Lust auf die letzte Abfahrt, ich möchte am liebsten flach nach Hause radeln. Runter müssen wir dann doch noch. Ich habe Angst vor dem Seitenwind, vor dem Gegenverkehr in uneinsichtigen Kurven und vor lächerlichen Leitplanken, die eigentlich gar keine sind. Daher bremse ich ziemlich viel. Bei gut 45 km/h überholt mich ein Geschoss, dass irgendwie nicht von dieser Welt ist. Wie schnell kann man mit so einem Rennrad eigentlich fahren? Gibts da ne Grenze nach oben? Brennen die Reifen irgendwann durch?
Noch 20 km. Noch 10. Noch 5. Ich zähle den Countdown. Endlich angekommen. Ich nehme mit dem Rad den Aufzug in den zweiten Stock. Zu erschöpft zum Duschen. Ich schaffe es gerade so, auf der Couch zu sitzen. Brot schmieren geht auch. Schließlich schlepppe ich mich doch noch unter die Dusche: wie schön, die Kruste aus Salz und Staub endlich abzuwaschen.

Der Tag in Zahlen:
Ich saß knapp 82 km und 4:30 Std. auf dem Rad.
Dabei haben wir 2098 Höhenmeter bergauf laut Runtastic zurückgelegt.
Ich habe am Leuchtturm 24,40€ für 1,5 Liter Wasser, 2 Dosen Cola und 4 Postkarten ausgegeben. Dafür habe ich, als ich das allererste Mal absteigen musste, 50 ct gefunden.
Der 18 km/h Schnitt ist mir sowas von egal, wir sind das scheiß Cap rauf gefahren und zurück gefahren/gewandert! Yay!