Dienstag, 26. April 2016

Marathonluft schnuppern! Als Helfer beim Metro Marathon Düsseldorf

Damit ich gar nicht erst auf dumme Gedanken komme, habe ich mich bereits im letzten November als Helfer für den Marathon in Düsseldorf gemeldet. Der Plan ist so weit aufgegangen - ich stand morgens nicht an der Start-, sondern der Ziellinie und habe tausende Becher mit Wasser gefüllt. Der Tag verdient eigentlich einen eigenen Rennbericht und deshalb schmeiße ich mal mit ein paar Eindrücken um mich:


Sonntagmorgen, 7 Uhr. Während mein Wecker klingelt, sind die Kollegen bei der Kleiderbeutelabgabe schon im Einsatz. Respekt dafür! Bei mir geht es etwas ruhiger zu und ich habe nach dem Frühstück noch genug Zeit, gemütlich zu Fuß durch die Stadt zum Zielbereich zu spazieren. Sonntagsmorgens um kurz nach 8 ist Düsseldorf ziemlich ausgestorben. Teilweise sind die Straßen schon gesperrt, Menschen sind erst mal kaum zu sehen. Erst in der Altstadt wird es etwas lebendiger: Partyleichen mischen sich hier gröhlend und torkelnd unter die Läufer. Ein verrücktes Bild.


Der Zielkanal ist schon abgeriegelt: Nur Security-Mitarbeiter, Sanitäter, Organisatoren und Helfer kommen hier rein. Die Atmosphäre mit ihrer Ruhe vor dem Sturm fesselt mich sofort: Das Ziel liegt direkt unten an der Rheinpromenade - etwas doof für die Zuschauer, die weiter oben sind, aber immerhin mit einer fantastischen Aussicht aufs Wasser. Wie fühlt es sich wohl an, nach 42 Kilometern am Apollo Theater bergab um die Kurve zu biegen, endlich den Rhein zu sehen und die wenigen letzten Meter über die Promenade bis ins Ziel zu laufen? Wie magisch muss dieser Moment sein? Ich latsche über die Ziellinie, als die Uhr noch 0:00 Minuten anzeigt. Auch schön.


Ich treffe meine Kollegen für den heutigen Tag an der Wasserstelle. Der Empfang ist herzlich, ich finde alle auf Anhieb cool. Die sind schon ein netter Haufen, diese Helfer: Insgesamt 1.400 Freiwillige sind rund um den Marathon im Einsatz, um über 10.700 Staffelläufern und über 2800 Marathonis den Tag so angenehm wie möglich zu gestalten. Bei der Wasserstellen-Crew beginnt die Schicht mit einer kleinen Einweisung, bei der sich schnell herausstellt, dass Doro längst weiß, wie der Hase läuft - sie war letztes Jahr schon dabei und klärt uns über Wasserwannen und Becher auf. Für alle gibt es außerdem einen gut gefüllten Helfer-Beutel und einen echt kuscheligen Hoodie, der bei den Temperaturen um die 2° zu Dienstbeginn definitiv besser ist als jedes T-Shirt. Als ich den Pullover prüfend in die Höhe halte und mir überlege, ob die Größenauswahl wohl so schlau war, kommt von meiner Kollegin Angelika nur: "Ach Mädchen! Der wird schon passen, du bist doch schlank!" Huch. Als ich später noch für 7 Jahre jünger geschätzt werde als ich bin, ist der Tag definitiv sowas von gerettet! Die Stimmung im Team ist spitze. Jede kritische Bemerkung zum Wetter lache ich mit "Es regnet heute nicht! Ich weiß das!" weg und handele mir damit schnell den Spitznamen "Sonnenschein" ein.




Ich bin eine Lügnerin. Wir stehen an der Wasserstelle in der Sonne, im Hagel, im Wind, im Regen und im Schneeregen. Und im künstlichen Regen des beknackten Feuerwehr-Bootes, was wirklich unnötig ist bei einstelligen Temperaturen. Wir versorgen erst mal die Teilnehmer der Kids-Läufe mit Wasser und warten dann auf den Hauptlauf. Nach gut zwei Stunden rechnen wir mit dem Sieger im Ziel. Wir wollen uns schon bereit machen und Wasser reichen, aber unser Chef Sven winkt ab: "Der kommt gar nicht bis hier durch." Achso. Die Becher sind bereits gefüllt und warten genau wie wir auf die Läufer - wenn wir aktuell sowieso nichts zu tun haben, gehen wir eben nach vorne und gucken zu. Die Wasserstelle liegt einige Meter hinter dem Ziel, grob geschätzt 100-150. Von dort sieht man nichts. Also nutzen wir es aus, dass wir als einige der wenigen hier unten sein dürfen und pirschen uns an die Ziellinie an. Die Sanitäter haben wohl die gleiche Idee, nur dass sie da vorne eventuell wirklich gebraucht werden: Bewaffnet mit Notfallrucksäcken rollen sie schnell mehrere Tragen näher ans Ziel - ein ungewohntes Bild für den gewöhnlichen Wald- und Wiesenläufer wie mich und eine Erinnerung daran, dass das hier kein 10-km-Volkslauf ist, sondern ein beschissener Marathon.


 


Nachdem mit Japhet Kosgei der erste Läufer nach 2:10:46 im Ziel ist, bleibt für Hendrik Pfeiffer nicht mehr viel Zeit, um die Olympianorm (2:14:00) zu knacken - etwas mehr als 3 Minuten. Der Zweite erreicht das Ziel in 2:13:00. Noch eine Minute! Hendrik Pfeiffer braucht 11 Sekunden. Nach 2:13:11 ist er durch. Er lässt sich auf den Boden fallen, alle Kameras stürzen sich auf ihn. Der erste Marathon, ein Lauf in seiner Geburtsstadt, ekelhafte Bedingungen und dann die Olympia-Quali. Wie großartig, diesen Moment nur wenige Meter direkt hinter der Ziellinie mitzuerleben!

Danke an Kati für das Foto!

Nachdem die Spitzenläufer im Ziel eingetrudelt sind, rechnen wir so langsam mit den ersten Normalsterblichen, die nicht direkt von ihren Teams abgefangen werden, sondern den langen Weg in den Nachzielbereich antreten müssen. Schließlich kommt der erste, immernoch mit einer wahnwitzigen Zeit und wandert vom Ziel aus in unsere Richtung. Völlig allein. 10, 15 Minuten langsamer als die Spitze, ich weiß es nicht mehr, ist er der erste Läufer, für den sich keiner interessiert. Keine Kameras, kein Betreuerteam. Stattdessen empfangen wir Helfer ihn geschlossen mit Applaus, hängen ihm eine Rettungsdecke und die Medaille um und drücken ihm einen Becher Wasser in die Hand. Das traurige Bild, wie er in seine goldene Glitzer-Decke gehüllt komplett allein in Richtung Burgplatz schlurft, werde ich so schnell nicht vergessen.


2:30, 2:45, 3:00. So langsam kommen die Läufer nicht mehr nur vereinzelt bei uns an, sondern in kleineren und größeren Gruppen. Die ersten bekommen ihren Wasserbecher noch persönlich in die Hand gedrückt, viele sind enttäuscht, dass wir nur Wasser haben, viele wollen auch einfach gar nichts. Die Gesichter sind leer. Ich wollte diesen Job im Zielbereich unbedingt machen, um all die Emotionen aufzusaugen, die ich mir hier ausgemalt habe. Was ich so mitschneide, ist ziemlich viel Leere. Erschöpfung.

Und dann gehts auf einmal Schlag auf Schlag. Wie am Fließband geben wir Wasserbecher raus, füllen neue auf, stellen sie hin, geben sie raus, füllen auf. Ich sehe nur noch Becher und Wasser, ich versuche nicht in die wachsende Pfütze auf dem Boden zu treten, weil die Füße sowieso schon nass sind, ich versuche, die Finger beim Eintauchen der Becher in die Wanne aus dem Wasser rauszuhalten, weil sie einfach schon zu kalt sind. Ständig bücken, aufstehen, hin und her laufen, hört sich an wie ein Witz, aber geht mit der Zeit dann doch ein wenig in die Beine. Becher und Wasser. Wasser und Becher. Zwischendurch mal hochschauen, was sagt die Zielzeit? Wann sollte nochmal wer ungefähr hier vorbei kommen? Und dann weitermachen, die Tische leeren sich schneller, als wir die Becher auffüllen können, also wieder Becher und Wasser. Ich will Gesichter sehen!



Und dann, endlich, erschöpft und glücklich steht auf einmal Nina bei uns am Wasserstand. So ein Gesicht wollte ich sehen! Scheiße, ja, sie ist total fertig mit der Welt, aber sie sieht spitze aus und diese Mischung aus totaler Erschöpfung und Glück ist großartig. Ihr Kommentar: "Marathon laufen ist wie Kinderkriegen. Erst denkst du: Nie wieder! Und dann machste es doch nochmal." Sie ist ganz knapp unter 4 Stunden geblieben und hat die letzten 10 km wohl sehr kämpfen müssen. Genau so muss es sein, oder?


Viel Zeit zum Reden ist nicht, wir müssen Becher füllen. Dem großartigen Sascha habe ich nicht mal ordentlich hallo gesagt und gratuliert, sondern ihn bloß aus der Ferne angestrahlt. Marathon-Debüt und dann direkt unter 3:30, hallo?! Stefan hätte ich niemals erkannt (was nicht an ihm liegt, sondern an meiner nicht vorhandenen Fähigkeit, Leute zu erkennen), da ist es hilfreich, wenn die Menschen mich von selbst ansprechen. Schön, einige Online-Bekanntschaften aus dem allebekloppt-Universum mal im echten Leben zu treffen, wenn auch nur kurz. Als nächstes steht plötzlich Leni vor mir, sieht auch noch erstaunlich frisch aus, aber berichtet von Schmerzen und Kämpfen und ist froh, es geschafft zu haben. Später bedankt sie sich tatsächlich dafür, dass sie uns zuquasseln durfte. Also bitte! Dafür sind Friseure, Senioren in Wartezimmern und Wasserstellen-Helfer doch da! Überhaupt kein Thema. Ich freue mich so sehr über jedes bekannte Gesicht und bin ein bisschen geknickt, dass so viele befreundete Staffelläufer einfach Teil 1-3 und damit nicht ins Ziel gelaufen sind. Das müsst ihr nächstes Mal anders regeln! Sehr schade ist auch, dass ich Svenja und Naomi verpasse. Ihr seid beide Heldinnen und ich hätte euch so gerne in Empfang genommen und sehr wahrscheinlich nicht mehr losgelassen.

Gesamt-Fazit? Das war großartig. Unser Wasserstellen-Team war spitze und der Tag anstrengend und toll zugleich. Die beste Belohnung? Läufer, die nach einem Marathon-Finish nichts besseres zu tun haben, als dem Mensch mit dem Wasserbecher danke zu sagen. Danke euch!! Gerne wieder!


Highlights und Fakten über das Volunteer-Dasein beim Marathon:

1. Die weiße Salzkruste im Gesicht der Läufer verhält sich umgekehrt proportional zur Zielzeit: Schnelle Zeit = viel Salz, langsamere Zeit = Gesichter sind besser zu erkennen.

2. Die Freude in den Gesichtern steigt exponentiell mit der Zielzeit an. Schnelle Zeit = sehr viel Leere, langsamere Zeit = sehr viel Erleichterung.

3. Niedlichste Frage beim Kids-Cup: "Entschuldigung, ist das stilles Wasser?"

4. Geht gar nicht: Leeren Becher 30 cm Luftlinie neben die Mülltonne werfen. Echt mal.

5. "Kann ich bitte noch ein zweites Wasser haben?" Nein. Jeder nur ein Kreuz.

6. Hätte ich für jedes "Ist das Rheinwasser? Hihihi..." einen Euro bekommen, wäre ich heute reich.

7. Die Medaillen sind schön. Sehr schön. Die Staffeln bekommen ein Puzzle, bei dem alle vier Teile zusammen Düsseldorfer Sehenswürdigkeiten ergeben, und die Marathonis bekommen eine riesige Medaille, die wirklich sehr toll ist. Und groß. Hab ich schon schön gesagt?


Wer es noch nicht gemerkt hat: Scheiße, ich bin angefixt. Erstens: Ich habe mich nie für den Marathon in Düsseldorf interessiert. Meistens habe ich dafür gesorgt, dass ich an dem Tag erst gar nicht in der Stadt bin, weil ja sowieso alles gesperrt ist. Zweitens: Ich habe nie auch nur im Ansatz in Erwägung gezogen, dass das ein läuferisches Ziel für mich sein könnte. Es hat mich einfach Null gereizt. Am Abend habe ich die müden Füße bei einem halbwegs lockeren 10er über die Brückenrunde ausgeschüttelt. Ich habe die fortschreitenden Aufräumarbeiten beobachtet, bin in der gleichen Sekunde durch Regen und Sonne gelaufen, habe auf meine Stadt geguckt, an der das Herz so hängt und ich bin sicher: Wenn jemals ein Marathon in Frage kommt, dann nirgendwo anders als hier. Zuhause.