Dienstag, 29. Juni 2021

Orbit360 - Marsian Mountains: Powered by Franzbrötchen durch die Lüneburger Heide

Es ist 6 Uhr morgens irgendwo auf einem Wanderparkplatz südlich von Hamburg. Kärntner Hütte heißt die Lokalität hier - wollen die mich eigentlich verarschen? Die Hamburger sagen, hier gibt es so was wie Berge, die Harburger Berge. Berühmt-berüchtigt und bei vielen gefürchtet stelle ich mich vor dem Start aufs Schlimmste ein. Ich habe Christine im Ohr, die mir netterweise einen Schlafplatz angeboten hat und die Strecke schon gefahren ist: "Am Anfang geht's direkt bergauf. Verlier nicht die Nerven, danach wird's besser! Wirklich!" Na schön. Wehe, das stimmt nicht!

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Falls du meinen ersten Artikel zum Spooky Sputnik Orbit verpasst hast oder dich fragst, was es mit der Orbit360-Sache überhaupt auf sich hat, schau mal hier vorbei. 

Es stimmt, denn es wird schnell besser. Die Strecke ist fluffig und die ersten Kilometer wirklich einfach - ich beginne, den Scouter Anno unbekannterweise ins Herz zu schließen. Was man halt so macht, wenn man alleine unterwegs ist und sich noch nicht mal der Routenberechnungsfehler blicken lässt. Anno meint es gut mit uns Orbitern, er schickt uns über gut fahrbare Wege, die sich zu Beginn durch die Harburger Berge schlängeln. Ich denke darüber nach, wie bescheuert es eigentlich ist, an einem Mittwochmorgen um 6 Uhr irgendwo in der Pampa eine mehr als 150 Kilometer lange Strecke abzufahren, nur weil sie irgendeiner geplant hat. Wie absurd. Und was für ein Privileg es ist, das machen zu können. Spontan einen Tag freizunehmen und dem Körper zu vertrauen, dass er das schon nochmal schaukeln wird. Absurd ja - aber wie schön ist das eigentlich? 

Rennserie bedeutet, nach einem Orbit ist nicht Schluss, sondern der Spaß geht erst so richtig los. Als zweite Strecke habe ich mir Marsian Mountains ausgesucht - 154 Kilometer und 1200 Höhenmeter durch die Lüneburger Heide. Genauso lang wie das Spooky Sputnik vor einer guten Woche, aber fast doppelt so viele Höhenmeter. Trotzdem bin ich nicht nur grandios schlecht vorbereitet, sondern auch ziemlich unaufgeregt. Hat ja einmal geklappt, wird auch wieder klappen. Vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig, sich nach einem einzigen Orbit für eine Expertin in Sachen längere Gravelstrecken zu halten. Ich habe die Route nicht exakt studiert, habe mir keine Wasserstellen notiert und auch nicht explizit Erfahrungsberichte anderer Orbiter gelesen. Dass es sandig sein soll, habe ich gehört. Nun gut, das war's beim letzten Mal auch. Bisschen hügeliger jetzt eben. Wird schon werden!

Sich darauf vorzubereiten, wo sich Wasser nachfüllen lässt, ist tatsächlich nicht die allerschlechteste Idee. Praktischerweise nimmt mir Kathi Sigmund diese Aufgabe ab, indem sie mir am Vorabend den Tipp gibt, unbedingt schon in Hanstedt nach nur 40 Kilometern die Flaschen aufzufüllen, weil es dann bis Buchholz bei Kilometer 128 relativ mau aussieht. Ich befolge den Ratschlag und bin froh darüber - alles richtig gemacht. In Hanstedt komme ich auch direkt an einem Bäcker vorbei - Zeit für eine Pipipause und die beste Gelegenheit, die Essensvorräte aufzustocken. Ein Laugenbrötchen und ein Franzbrötchen wandern in die Lenkertasche. Geil! 

Ich war noch nie in der Lüneburger Heide, aber ich habe sie mir so vorgestellt, wie sie mich heute empfängt: relativ menschenleer, mit feinen weißen Sandwegen, sanften Hügeln, einigen Birken, ein paar Rehen und Hasen, viel Weite und ein bisschen Wald drumherum. Schön. Zum Reiten würde ich gern nochmal hier her zurück kommen - auf echten Ponys, nicht auf Carbon-Ponys. Das gleiche dachte ich in der Uckermark auch schon. Wie ironisch, dass das nächste Orbit (Spin Spark) mich in mein bestens bekanntes Ausreitgebiet direkt vor meiner Haustür führen wird. 

Ich habe euch auf Instagram gefragt, was euch zu Marsian Mountains interessiert und herausgekommen sind folgende Fragen:

Was hast du unterwegs alles dabei? 
Verpflegung: zwei große Trinkflaschen, zwei Koffein-Gels und ein Riegel (habe weder die Gels noch den Riegel gegessen, aber besser haben als brauchen), eine Tüte getrocknete Mango. Dazu kamen das Franzbrötchen und ein Schokoriegel an der Tanke, das Laugenbrötchen habe ich nach dem Finish gegessen.
Klamotten: Windjacke, Armlinge.
Fahrradstuff: Schlauch, Luftpumpe, Reifenheber, Multitool, Fahrradschloss, Ventilaufsatz zum Aufpumpen an der Tanke.
Sonstiges: Sonnencreme, Sitzcreme, Geld, Handy, Garmin, Powerbank, Kabelbinder, Maske. 
Nach dem kleinen Sturz im Sand beim ersten Orbit wollte ich eigentlich noch Sprühpflaster oder ähnliches einpacken, habe ich aber natürlich vergessen. 

Was für Reifen fährst du?
Das Votec Testbike kam mit den Continental Terra Trail in 40 mm und tubeless. Die Breite ist möglich, weil wir auf die kleineren 650B Laufräder ausgewichen sind. Ich bin von meinem Crosser nur 35 mm gewöhnt und empfinde die Terra Trail als gleichzeitig super komfortabel und gut rollend - ich hatte zuletzt keine Schwierigkeiten, eine Rennradausfahrt komplett auf Asphalt mitzufahren. 

Was für eine Übersetzung hat das Rad? 
Das Votec VRC Evo hat eine 48/35 Kurbel und 10-33 Kassette. Ich weiß, da ist noch Luft nach oben - das werde ich spätestens beim nächsten wirklich hügeligen Orbit merken. Bei Spooky Sputnik und Marsian Mountains hatte ich damit überhaupt keine Probleme. An die elektronische Schaltung SRAM Force AXS habe ich mich schnell gewöhnt - auch wenn ich zu Beginn tatsächlich erst mal in die Anleitung schauen musste um zu begreifen, wie zur Hölle ich den Umwerfer bediene (mit beiden Schalthebeln gleichzeitig, wer soll da denn drauf kommen?!). 

 

Gab's unterwegs Kaffee und Kuchen?
Nein, bis auf das während der Fahrt gemümmelte Franzbrötchen gab's keine Kuchenpausen. Jeder geht das anders an und ich habe nicht den Anspruch, super schnell zu sein - aber ich möchte wenigstens versuchen, die Pausenzeiten so gering wie möglich zu halten. In der Uckermark hat mir die Hitze einen Strich durch die Rechnung gemacht, dieses Mal habe ich nur 18 Minuten der Gesamtzeit nicht mit Fortbewegung verbracht - das find ich ganz solide.

Wie steht's um die Verfügbarkeit von Pipipausen? 
Jeder Baum ist ein Klo ... Ich versuche, ein gutes Gleichgewicht von Wasser oben rein und unten raus zu finden - eine Pipipause gabs bei der Bäckerei bei Kilometer 40, das wars. 

Gab's Schiebepassagen? 
Nein! Ich hatte Glück, dass es am Vortag oder in der Nacht geregnet hatte - so war der Sand fest und fahrbar. Auch die etwas fiesen Stücke bergauf am Wilseder Berg und Brunsberg bin ich gut hochgekommen - aber mit Unterstützung der Witterungsbedingungen.

Wie kommst du mit so langen Strecken klar und wie motivierst du dich? Ist das zweite Orbit noch spannend, obwohl es nicht mehr neu ist? 

Sehr gute Frage, vor allem die zweite habe ich mir unterwegs auch gestellt. Ich habe gemerkt, dass ich vor dem Start einerseits weniger aufgeregt war als beim ersten Mal und andererseits auch gar nicht gleich viel Bock hatte. Das fand ich schade, denn vor mir lag ein komplett freier, völlig aus der Zeit gefallener Tag in einer schönen Landschaft, die ich noch nicht kannte. Ich hab mich dran erinnert, dass ich das freiwillig mache, dass es meine Entscheidung ist und ich mir das so ausgesucht habe. Wenn beim nächsten Mal die Herausforderung wieder größer ist (Spin Spark - ebenfalls gleich lange Strecke, aber 2200 richtig ekelhafte Höhenmeter), werde ich vorher zu 100 Prozent sehr nervös sein und Schiss haben, das nicht zu schaffen. 
Unterwegs auf dem Marsian Mountains habe ich mich natürlich gefreut, dass es gut lief - die ganze erste Hälfte fiel mir wirklich leicht und war echt fluffig. Das Gefühl, mal ein bisschen flotter unterwegs zu sein und nicht nur am Boden zu kleben, hat Spaß gemacht und hat mich motiviert, weiter zu machen. Als es sich auf der zweiten Hälfte dann etwas gezogen hat, insbesondere ab Kilometer 130, war ich sozusagen Pot-committed: bereits zu viel eingesetzt, um jetzt noch auszusteigen. Zwischenziele helfen mir dann: Noch 2 Kilometer bis zum nächsten Abbiegen, nur noch X Kilometer, dann bleiben nur noch Y übrig, usw. Wenn's unterwegs doof ist, versuche ich mir oft vorzustellen, wie es mir hinterher gehen würde, wenn ich jetzt entweder aufhöre oder so richtig langsam bummele. Geht's mir körperlich wirklich schlecht und brauche ich eine Pause? Oder hab ich nur keine Lust mehr und würde mich später ärgern, nicht durchgezogen zu haben? Kann ich nachher vor mir selbst sagen: Naja, ich bin extra für ein Orbit nach Hamburg gefahren, aber nach 130 Kilometern gings nur noch geradeaus und der Weg war so rumpelig, da hab ich lieber aufgehört? Wohl kaum.


Führst du unterwegs Selbstgespräche? 
Ja. Meistens nicht laut, aber ich achte auf meine Gedanken. Wenn sie in eine negative Richtung abdriften ("Du eierst hier so langsam rum, andere können das viel schneller!"), versuche ich das so schnell es geht zu bemerken und abzustellen. Wenn es schwer wird, sage ich mir im Kopf bewusst Positives, ganz egal ob das in dem Moment stimmt oder nicht ("Du kannst das, du machst das super, du wirst hier gut hoch fahren!"). Selbstgesprächs-Klassiker: "Es dauert, so lange wie es dauert und es geht, so schnell wie es geht."

Zurück in die Heide. Die erste Hälfte ist rum und ich rechne vorsichtig hoch, dass ich insgesamt in unter 8 Stunden wieder am Ausgangspunkt sein könnte. Die Heidelandschaft ist mal weitläufiger und mal etwas waldiger, einmal geht es über einen hölzernen Pfad und ansonsten ist weit und breit nur Grün zu sehen. Und heller Sand. Meinen Weg kreuzen einige Rehe, Hasen und ein Nacktwanderer. Oben auf dem Wilseder Berg rolle ich an einem Orbiter-Duo vorbei und ärgere mich später, dass ich nicht angehalten habe. Aber die Zeit läuft und meine Freude darüber, den Berg hochgefahren und nicht gewandert zu sein, sorgt dafür, dass ich lieber schnell wieder runter düsen möchte, als oben dann doch zu halten. 

Den zweiten Stopp hebe ich mir bis kurz vor Buchholz auf, weil eine Tankstelle direkt auf der Strecke liegt. Wasser auffüllen, Schokoriegel nachtanken. Weiter gehts. Ein bisschen asphaltierter Radweg, ein bisschen bergauf aus der Hölle mit der Wahl zwischen Pest und Cholera (Kopfsteinpflaster oder grober Schotter), dann wartet der nächste Wald. Mein oben angekündigter Tiefpunkt kommt bei Kilometer 130, als das Navi mir anzeigt, dass es für sechs langweilige Kilometer geradeaus geht und der Weg jetzt nicht gerade vom feinsten ist. Eher so im Gegenteil. Betonplatten reihen sich aneinander und allerhand Zeug liegt darauf. Sechs Kilometer! Nur geradeaus! Warum?! Irgendwann sind es noch fünf, aber sie werden nicht weniger, dieser Weg will mich verarschen, oder das Garmin, und Anno - bis eben fand ich dich nett! Ich stelle die Ansicht auf dem Navi um, so dass ich weder die bereits gefahrenen Kilometer sehe, noch die Distanz bis zur nächsten Abbiegung. Wer sechs Kilometer geradeaus fährt, hat auch Zeit für ein kleines Video - gehen immerhin auch ein paar Sekunden vorbei. 

Kaum zu fassen, aber irgendwann kommt auch endlich die nächste Abbiegung, und noch ein Stückchen später gehts auf Asphalt durch ein Wohngebiet bergab und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Wie fliegen. Das Vergnügen ist kurz, denn schon bald gehts im Wald wieder bergauf, aber mir ist alles egal, denn gleich ist es geschafft. Ich darf mir wieder die Strecke angucken: Noch 10 Kilometer, noch 5. Dann kommt der Startpunkt in den Kartenausschnitt. Nur noch bis da hin zurück! Das kleine Stück! Freundlicherweise geht es nicht nur hoch, sondern auch nochmal runter. Nach 8:33 Stunden: geschafft! 

Ein weiteres Orbiter-Duo trifft fast zeitgleich mit mir am Parkplatz ein - schöner Zufall mitten unter der Woche die exakt gleiche Zeit zu erwischen. Jetzt ist die Gelegenheit, kurz zu plaudern. Mit Blick auf mein Auto kommt die Frage, ob ich extra aus Düsseldorf angereist sei, das sei ja ein Einsatz. Jo Freunde.. wer nicht gerade in Hamburg wohnt, hat in diesem Jahr nicht drei bzw. vier Orbits direkt vor der Tür und muss etwas weiter fahren. Könnte sich für NRW 2022 möglicherweise ändern :)

Zweites Orbit: check!