Dienstag, 10. Oktober 2017

Raceday No. 47 - Münsterland Giro 2017

"Es ist Oktober und es riecht nach Start und Muskelöl." Was zur Hölle redet der Moderator denn da? Ich weiß nicht, wie Start riecht, aber ich turne gerade in einem Dixi und weiß, dass es hier auf jeden Fall nicht nach Muskelöl riecht. Ich stolpere wieder nach draußen, ziehe eine frische Brise Münsteraner Startluft in die Nase und schiebe Jan in Block B. Der Startblock ist schon ziemlich voll, so dass wir uns ganz hinten einreihen müssen - das bin ich selbst Schuld, weil ich aufs Aufwärmen bestanden habe und auf den extra Skoda-Startblock verzichte, wo auch immer der sein mag. Einerseits, weil ich so kurz vor dem Startschuss keine Zeit mehr mit Suchen vertrödeln möchte und andererseits, weil ich glaube, dass Jan vielleicht lieber nicht alleine hier rumstehen würde. Es ist sein erstes Rennen, er fährt erst seit diesem Frühjahr wieder Rennrad und so langsam beginnt er zu hyperventilieren. Mehr von ihm gibt's demnächst bei Coffee & Chainrings.


Ich murmele irgendwas in Richtung "Wir machen das schon!" und schwupps rollen wir zur Startlinie. Block A ist seit zweieinhalb Minuten auf der Strecke und damit über alle Berge. Wo wir gerade dabei sind: Die Strecke ist flach wie Holland. Ich freue mich darauf, weil sich damit meine übliche "Wann-werde-ich-dieses-Mal-am-Berg-abreißen-lassen-müssen?"-Frage erübrigt. Für mich Klops ist eine flache Strecke der Jackpot. Letztes Jahr bin ich trotz Höhenmetern vierte in meiner Altersklasse geworden, daher ist das Ziel für heute klar: Treppchen. Wenn alles passt.

Und wie es passt. Mit 65 Kilometern ist die Strecke verdammt kurz, deshalb ist meine Taktik nicht sonderlich ausgeklügelt: Vollgas von Anfang an. Ich will hinterher bloß nicht denken, da wäre noch was drin gewesen. Ich will alles rausholen. Dig deep. Die Beine sind gut, der Kopf ist da. Ich habe Bock. Nach fünf Kilometern ist der Schnitt verdammt nah an der 40. Hoppla. Ich weiß nicht, wie lange ich das halten kann, aber ich will es rausfinden. Ich halte mich nicht lange mit zu langsamen Gruppen auf, sondern überhole, wann immer es sich anbietet. Harakiri. Fahre im Alleingang Lücken zu, wenn es sein muss. Das ist der einzige Vorteil beim Start aus dem hinteren Teil des Blocks: Egodusche auf den ersten Kilometern. Das Feld von hinten aufräumen.

Schöne Mischung kurz vor dem Start: Vorfreude und Angst
Ich investiere viel, aber bekomme auch was zurück: eine kleine, aber feine Gruppe, deren Tempo mir genau in den Kram passt. Klein bedeutet, dass jeder mal ran muss - is nix mit hinter 50 Mann im Windschatten verstecken. Ich trage bei, was ich kann und atme durch, sobald ich wieder abgelöst werde - was freundlicherweise meist eher früher als später passiert. Das ist das Geile am Rennradfahren: Zusammen bist du schneller als allein. Es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Meine einzige Mission ist es, dran zu bleiben. Hinterrad halten. Aufmerksam bleiben. Die Position nicht streitig machen lassen. Irgendwann wird die Gruppe größer und ich werde durchgereicht. Das ist scheiße, weil offenbar alle meinen, man müsse in Einer-Reihe fahren und man an Position 18 schon mal leicht übersehen kann, wenn es an Stelle 10 abreißt. Ich versuche, so wachsam zu bleiben, wie es nur geht, aber finde mich mehr als einmal im abgekoppelten hinteren Teil des Zuges wieder und muss zusehen, dass ich den Anschluss an "meine" Gruppe wieder finde. Die drei, vier Trikots, die ich für gut befunden und mir eingeprägt habe, möchte ich bis zum Schlossplatz vor mir sehen.

Mein eigenes Trikot in Skoda-Grün versteckt sich unter meiner Windjacke. Ich bin heute also inkognito als Teil des Skoda Veloteams unterwegs, was eine hübsche Mischung aus Startplatz, Trikot und Rundum-Sorglos-Paket bedeutet: Eigene Pastaparty, Frühstück, Verpflegung nach dem Rennen. Man könnte meinen, diese Auto-Leute seien nur am Essen - festzuhalten ist auf jeden Fall, dass sie sich prima um uns Fahrer und unsere Räder kümmern. Zurück zur Windjacke. Nach 30 Kilometern mit einem Schnitt von 39,5 km/h laut Garmin schlägt die Strecke einen Haken und der Wind kommt mal von vorn, mal von der Seite. Ich bin immer noch in der gleichen Gruppe wie eben, aber anscheinend hat niemand hier dem Wind irgendetwas entgegen zu setzen.

Das coolste Rad habe ich übrigens nicht während des Rennens gesichtet.
Ich weiß nicht, ob die Vorderen kämpfen oder nur rumeiern, aber die Reihen dahinter langweilen sich. Inzwischen sind wir viele und ich bin eingekesselt. Komme nicht raus. Suche mir meinen Weg und komme dann doch raus, aber wo soll ich hin? Wieder Flucht nach vorn, allein? Das probiere ich genau einmal, es kostet sehr viel mehr Körner als eben und bringt genau gar nichts. Aus der breiten Straße wird eine Art schmaler Wirtschaftsweg und hier knubbelt es sich wie auf einer RTF. Weil ich sowieso nirgendswo hin flüchten kann und bei dem Tempo mehr als genug Luft zum Quatschen habe, mische ich mich in das Gespräch meiner beiden Nebenmänner ein. Insgeheim bewundere ich die Oberschenkel des einen schon ein paar Kilometer lang, außerdem fahren beide hübsche Retro Renner. Passenderweise kommt der eine sogar aus Düsseldorf - für Gesprächsstoff ist also gesorgt.

Ganz so viel Zeit zum Unterhalten bleibt dann doch nicht, weil wir auf die Bundesstraße abbiegen, die uns nahezu schnurgerade bis ins Ziel führen wird. Ich hoffe darauf, dass sich hier endlich nochmal was am Tempo ändert, aber die Gruppe ist inzwischen so riesig, dass auf einmal ein ganz anderes Problem auftaucht: Stop & Go. Die Fahrweise ist furchtbar unruhig und mich beschleicht das blöde Gefühl, dass das nicht lange gut gehen wird. Geht es auch nicht: Ein paar Reihen weiter vorne knallt es. Das Geräusch, wie Alu und Carbon auf Asphalt aufschlagen, ist echt das letzte, was man im Rennen hören möchte. Ich widerstehe dem Drang, in die Eisen zu gehen und weiche über den Grünstreifen aus. Glück gehabt. Verdammtes Glück. Nur fünf Kilometer vor dem Ziel ist ein Sturz ja so unnötig wie das ay in okay. Die nächsten Kilometer verbringe ich mit Atmen, Kopfschütteln und diskutiere mit den Nebenmännern, dass das leider absehbar war. Wie schön wäre es, wenn alle mal nicht nur auf sich selbst achten würden, sondern auch auf ihr Umfeld. Wenn sie ihre Kräfte richtig einschätzen, die Aufmerksamkeit oben halten und einfach vernünftig fahren würden. Schließlich wollen wir alle gesund ankommen.

Ohne gute Menschen wäre der Quatsch ja nur halb so schön. Glückwunsch zum Finish an Jan, Annette und Christian! 
Bis zum allerletzten Kilometer dauert es, bis ich den Schreck verdaut habe. Die Ziellinie rückt näher und alle ziehen nochmal am Tempo. Endlich. Ich komme in der großen Gruppe ins Ziel - leider nicht ganz so überglücklich wie letztes Jahr, sondern in erster Linie froh, ohne Zwischenfälle durchgekommen zu sein. Die erste Rennhälfte macht mich zufrieden und stolz - die zweite war ziemlich durchwachsen. Münster selbst kann überhaupt nichts dafür: Die Strecke ist schön, die Zuschauer großartig. Klar gibt es viele Abschnitte, auf denen höchstens mal ein paar Kühe zu sehen sind, aber auch das hat seinen Charme. In den Dörfern sind auf jeden Fall alle auf den Beinen und feuern an, als würde hier später noch die Tour de France vorbei kommen. Kommt sie ja gefühlt auch - die Startliste des Profirennens liest sich einfach mal wie das Who is who des Radsports. Kann man machen!

Bleiben noch die Zahlen:
65 Kilometer, 1:46:11 Stunden, bedeutet 36,7 km/h.
Platz 7 von 40 in der Altersklasse und 18 von 212 gesamt.
Weit weg vom ursprünglichen Ziel, aber dafür mit der Lektion: Selbst wenn die Beine gut sind und der Wille da ist, gibt es im Radrennen noch drölf andere Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen. Muss man ja auch erst mal lernen. Danke Münster, danke Skoda, war schön mit euch! Hoffentlich bis zum nächsten Jahr!