Montag, 1. Februar 2016

Raceday No. 9 - Winterlaufserie Duisburg 10 km

Entschuldigung, aber das hier wird ein Liebesbrief. Ans Laufen.

Kurzer Rückblick: Im Oktober hielt ich es für eine gute Idee, mich zur Duisburger Winterlaufserie anzumelden. Zur großen: 10 km, 15 km, 21 km. Januar, Februar, März. Ich weiß nicht, ob ich anders entschieden hätte, wäre ich zu dem Zeitpunkt den Martinslauf schon gelaufen und hätte gewusst, wie sehr diese 21 Kilometer es in sich haben. Keine Ahnung. So war ich halt angemeldet und die Sache geritzt - bis mein Knie mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Was das Thema Knieschmerzen, Laufanalyse und Sporteinlagen betrifft, tippe ich noch an einem Extra-Artikel. Die Kurzfassung heißt: Ich bin seit Ende November nicht mehr vernünftig gelaufen, abgesehen vom Nikolauslauf Anfang Dezember nie mehr als 5-6 km und immer unter Schmerzen nach spätestens 3 km. Hätte ich Anfang Januar noch gekonnt, hätte ich den Startplatz für die Winterlaufserie sofort verkauft. Ging aber nicht. Seit zwei Wochen habe ich Einlagen in den Laufschuhen und - Zauberei - seitdem keine Knieschmerzen mehr. Deshalb hatte ich für den ersten Lauf der Winterlaufserie ausdrücklich das Ziel ausgerufen, nur schmerzfrei durchkommen zu wollen. Würde das Knie sich melden, würde ich den Rest der Strecke halt gehen. So weit so gut.

Irgendwo ganz weit da vorne, da ist der Start.
Samstag. Dauerregen. Es wechselt sich ab zwischen etwas Nieseln und ordentlichem Schütten, dazu kommt Wind, und zwar nicht zu knapp. Zum Glück ist es nicht kalt: 10°C und Regen hatte ich ja schon öfter zum Lieblingslaufwetter ausgerufen, und so ist es auch heute - nicht zu warm, nicht zu kalt. Nass halt, klar. Aber das sind wir alle. Ums Wetter mache ich mir also keine Sorgen, ums Knie auch nicht, denn der Deal mit mir selbst steht ja: versuchen, obs geht, und wenn nicht, dann eben nicht. Natürlich fehlt mir einiges an Training, da ich ja erst seit zwei Wochen überhaupt wieder halbwegs normal laufen kann - 8 Kilometer bin ich in der Zeit einmal recht problemlos gelaufen und von daher mache ich mir eigentlich auch um die Streckenlänge keine Sorgen. Wenn 8 klappen, klappen auch 10.

Überhaupt bin ich guter Dinge. Kurz bevor wir ins Auto steigen, fällt mir auf, dass ich meine Pulsuhr vergessen habe. Und zwar nicht dort, wo wir gerade losfahren, sondern bei mir zuhause. Zu weit weg. Scheiße, dass ich jetzt keinen Überblick haben werde, wie schnell (oder langsam) ich bin und scheiße, dass ich mir heute nicht die Zeit zwischen den Kilometern mit meiner üblichen Rechnerei vertreiben kann. Irgendwie schaffe ich es, das nur kurz doof zu finden und dann abzuhaken. Ist jetzt so. Nächster Super-GAU: Wir finden erst eine Viertelstunde vor dem Startschuss einen Parkplatz - eigentlich könnte man während der halbstündigen Suche schon mal latent ausrasten, sich über unfreundliche und inkompetente verkehrsregelnde Helfer aufregen, die eigene Doofheit verfluchen, nicht einfach noch früher gefahren zu sein oder oder oder. Aber auch das lasse ich nicht an mich ran, ich erwarte ja heute von diesem Tag hier sowieso nichts. Ich nehme, was kommt.

Ich bin vielleicht nicht gut vorbereitet, aber: Die Einlagen wirken Wunder und bei den Socken bin ich nicht sicher, ob sie tatsächlich eine Wirkung haben oder ich sie mir nur einbilde - ist aber auch vollkommen egal, denn so lange ich an die Zaubersocken glaube, helfen sie auch. Und so stehe ich bunt gestreift an der Startlinie:

Glücklicherweise laufe ich nicht so krumm und schief, wie ich hier stehe.
Ich will alleine laufen, denn alle, mit denen ich hier bin, werden schneller sein. Ich gebe mir Mühe, nach dem Start nicht allzu schnell loszurennen, aber einen Überblick darüber habe ich ohne Uhr natürlich nicht. Unglaublich, wie viele Leute sich hier tummeln! Ich überhole und werde überholt und verliere dann bald alle bekannten Gesichter aus den Augen. Ist ok, so war es abgesprochen. Ich hatte mir die Strecke vorher gar nicht mehr genau angesehen, also lasse ich mich auch hier überraschen. Zuerst geht es ums MSV-Stadion rum, um die Regattabahn und angrenzende Seen und dann ziemlich lange geradeaus.

Es läuft. Ich habe die übliche Sorge, zu schnell angefangen zu haben und nehme daher ein bisschen Tempo raus - aber so ganz genau weiß ich es nicht. Ich schiele mal aufs Handy, als das Schild für Kilometer 3 in Sichtweite kommt. Irgendwas mit 19 Minuten, aber ob das jetzt fast 20 oder fast noch 18 heißt, weiß ich nicht. Egal, ein kleines bisschen langsamer kann nicht schaden.

Ungefähr bei Kilometer 4,5 treffen sich Hin- und Rückweg der Strecke und führen eine Weile parallel nebeneinander her. Ich bin ab sofort nur noch damit beschäftigt, die entgegenkommenden Läufer zu beobachten und die Augen offen zu halten, ob ich jemanden kenne. Da sind viele angestrengte Gesichter, aber auch viele freudige. Und immer wieder Leute um mich herum, die sich erkennen, abklatschen, sich gegenseitig zujubeln und in die eigene Richtung weiter rennen. Und dann taucht nach dem Wohngebiet auf der rechten Seite plötzlich der See auf - und mit ihm eine Weite, die vorher nicht da war. Der Regen hat schon längst nachgelassen, es weht ein Lüftchen - kein fieser Wind, sondern schon eine angenehme Brise. Ich kann fast den Frühling schmecken, als plötzlich Bouranis "Auf uns" den perfekten Soundtrack abgibt:

Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
Dass es das Beste für uns gibt
Ein Hoch auf das, was uns vereint
Auf diese Zeit
Ein Hoch auf uns
Auf dieses Leben
Auf den Moment
Der immer bleibt

Ja, das lief schon eine Milljausend Mal bei sämtlichen Sportveranstaltungen, ist total ausgelutscht, lieblos und Menschen, die Popmusik mögen, haben so oder so die Tiefgründigkeit nicht gerade für sich gepachtet. Ich verachte das. Und trotzdem gibt es in dieser Sekunde keinen besseren Song. Es ist verdammt stark, dass ich keine Schmerzen habe, einfach laufen kann, dass die Anstrengung zwar vorhanden, aber unwichtig ist, dass hier plötzlich dieser See liegt und das Wetter überraschend so angenehm ist, dass mir über 2000 Läufer entgegen kommen, die aus exakt dem gleichen Grund hier sind wie ich: laufen. Das ist das pure Leben. Und ich muss mich ein kleines bisschen zusammenreißen, damit ich nicht laut losbrülle, wie geil es bitteschön ist, dass wir das hier alle machen können.


Meine bekannten Gesichter sehe ich alle nicht, dafür werde ich entdeckt. "Maren!!!" Applaus und Jodeln. Ich schaffe es so gerade eben noch, mich umzudrehen und einen Kommilitonen zu entdecken, den wir früher immer Pipi genannt haben, der aber eigentlich Markus heißt, was mir aber zu spät einfällt. Und weil ich nicht "Pipi!!!" brüllen will und sowieso viel zu langsam schalte, klatsche ich nur und lache mir einen Ast. Was für ein Zufall, unter so vielen Läufern!

Nach 6 Kilometern passiere ich den Wendepunkt, eine kleine Schleife durch den Wald und mache mich auf den Rückweg. Wieder Richtung See, immer noch total beflügelt. Jetzt komme ich zum ersten Mal auf die Idee, dass ich mich eigentlich überhaupt nicht bremsen muss. Es läuft die ganze Zeit schon wie von selbst, also scheiß drauf, lass laufen! Als ich das zweite Mal an der Musik vorbeikomme, läuft diese fürchterliche Version von "Supergirl", die aber besser gerade nicht sein könnte:

But I'm a supergirl
And supergirls just fly

Auf Kilometer 8 überlege ich kurz, ob das jetzt eine blöde Idee war, das Tempo anzuziehen und ob ich das wohl bis zum Ende halten kann. Dann entscheide ich mich dafür, dass mir das jetzt gerade mal egal ist - ich hab einfach Bock drauf, es zu versuchen und werde ja schon sehen, obs klappt oder nicht. Auf Kilometer 9 muss ich ein kleines bisschen kämpfen, aber spätestens ab dem Schild mit der 9 drauf weiß ich, dass ich das Ding jetzt genau so nach Hause laufe. Ohne Schmerzen am Knie, dafür mit zwei riesigen Blasen, die seit der Hälfte der Strecke plötzlich wieder da sind und Aufmerksameit wollen, aber nicht bekommen, und mit einem Grinsen im Gesicht. Am Eingang zum Stadion steht Naomi, die extra nur zum Zuschauen und Fotografieren angereist ist - Respekt dafür bei dem Wetter!

Im Ziel! Der doofe Blick sucht nach Menschen auf der Tribüne, die ich kenne.
Die Uhr im Ziel sagt 1:05:22, aber der Start hat sehr lange gedauert, also beschleicht mich die leise Vorahnung, dass das hier heute über "Hauptsache gesund ankommen!" doch hinausgeht. Und Tatsache: 1:01:41 heißt die neue Bestzeit auf 10 km, aufgestellt ohne Uhr, mit kaum Training, aber einer großen Portion Gelassenheit. Die letzten vier Kilometer waren übrigens die schnellsten. Während an diesem verrückten Sport-Wochenende meine halbe Twitter-Timeline in Rodgau 50 km im Kreis gerannt ist, Deutschland im Tennis einen schönen Pokal und im Handball einen doch recht langweiligen Teller gewonnen hat, habe ich eine Lektion in Dankbarkeit gelernt. Dankbarkeit dafür, dass ich gesund und schmerzfrei laufen kann und dafür, dass es sich auszahlt, nicht auf die Uhr am Handgelenk zu hören, sondern den eigenen Körper mal machen zu lassen. Winterlaufserie Teil 2 - du kannst kommen!

Der Regen ist wieder da. Was solls. Ziel! Einen Eimer Iso bitte!