Montag, 20. August 2018

Triathlon, Marathon, Ultra? - Gar nichts muss ich!

Mein Leben hat keine Bucket List. Marathon laufen? Einmal im Leben einen Ironman finishen? Steht und stand nie auf irgendeiner Liste. Marathon bin ich trotzdem gelaufen, inzwischen zweimal. Und wenn ich mich aktuell in meinem Umfeld online und offline so umschaue, könnte mich ziemlich leicht der Gedanke beschleichen, dass ich damit eigentlich ziemlich öde bin. Mehr ein Jogger als ein Läufer. Inzwischen scheint es nämlich dazu zu gehören, Ultra zu laufen. Mindestens 50 Kilometer dürfen es schon sein, gerne mehr. Entweder flach auf einer winzigen Runde im Kreis oder am besten mit möglichst vielen Höhenmetern. Achso, jeder Waldlauf ist übrigens auch ein Trailrun, aber bitte weit und bergig. Was, du läufst nur große Wettkämpfe auf der Straße? Total Mainstream.


Das ist die Läufer-Bubble. Meine normalen Freunde differenzieren nicht zwischen bekloppt und #allebekloppt. Vor einer Weile habe ich mit einer sehr guten Freundin, einer Gelegenheitsjoggerin, gesprochen. Sie habe das Gefühl, jeder sei auf einmal Triathlet. Als gäbe es einen gesellschaftlichen Druck, einmal an einem Triathlon teilzunehmen. Die vielen Jedermänner bei den Veranstaltungen, egal ob Marathon oder Triathlon, suggerierten den Zuschauern, das könne jeder. Und wenn es schon jeder kann, wenn also selbst diejenigen, die in ihrem ganzen Leben noch nie Sport gemacht haben, sich auf einmal vom Sprint zur Olympischen Distanz vorarbeiten und so weiter - dann bekäme man als eigentlich gar nicht so unsportlicher Zuschauer schon fast ein schlechtes Gewissen.

Ist das jetzt gut, weil jemand denkt: "Oh stark, wenn der das kann, dann kann ich das auch!" oder ist es schlecht, wenn man einen Druck verspürt, an Events teilzunehmen und den Haken auf der Bucket List zu machen? Kann man eigentlich mit einem Marathon noch irgendwen beeindrucken? Muss es nicht eher ein Ultra sein oder eben eine Triathlon-Langdistanz - oder ist die nicht inzwischen auch fast schon Standard und nur noch etwas Besonderes, wenn die Bedingungen so richtig menschenfeindlich sind?

Wem willst du's eigentlich zeigen?

Bleiben wir mal beim Thema Eindruck schinden. Mir schwirren dazu viele Gedanken durch den Kopf. Einer geht so: Jede sportliche Leistung kann für jemanden persönlich herausragend sein. Besonders, unvorstellbar, beeindruckend. Das können die ersten fünf Kilometer am Stück nach jahrelanger Sport-Abstinenz sein, das kann der erste Triathlon sein, der erste (Halb-)Marathon, 70 oder 100 Kilometer, eine Langdistanz, drei Langdistanzen hintereinander, ein vor dem Besenwagen gefinishtes Rennen, ein mehrwöchiges Radrennen quer über einen kompletten Kontinent. Ich habe Respekt vor allen diesen Leistungen und ich erlebe das gleiche aus meinem sportlichen Umfeld. Sportler kannst du also relativ leicht beeindrucken, weil sie - wenn sie nicht bei schwierigen Downhills mehrfach auf den Kopf gefallen sind - wissen, wie sich das anfühlt, was du geleistet hast. Wenn sie es nicht aus eigener Erfahrung wissen, können sie es erahnen. Sie wissen, wie unerreichbar weit weg ein Ziel erscheinen kann. Sie wissen, wie sich durchhalten anfühlt. Die Nicht-Sportler beeindruckst du noch leichter - denn wer keine 10 Kilometer laufen kann, findet 42 genauso unvorstellbar wie 50. 80 hören sich dann natürlich nochmal krasser an, sind aber genauso weit weg im #allebekloppt-Universum.

Der zweite Gedanke geht so: Warum zur Hölle wollen wir eigentlich irgendwen beeindrucken und vor allem wen? Wenn es bei den Sportlern und den Nicht-Sportlern mit der Anerkennung eigentlich so einfach ist, wer bleibt übrig?
Du. Dein eigenes Ego. Und das ist erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen zufrieden. Schau dich doch nur mal um! So viele sind schneller als du, legen weitere Distanzen zurück, nehmen an mehr Rennen teil, haben mehr Spaß dabei, erleben die cooleren Sachen, wuppen den Spagat aus Arbeit, Familie, Freunde, Haushalt und Sport so viel müheloser.


Ich habe mir an die eigene Nase gefasst und überlegt, aus welchen Motiven heraus ich welche sportliche Herausforderung eigentlich angegangen bin. Der erste 5-Kilometer-Lauf? Ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Hindernislauf. Der erste Volkstriathlon? Eine Schnapsidee aus Neugierde, ob ich das schaffen kann. Aber dann, die ersten zehn Kilometer, die erste Olympische Distanz, der erste Halbmarathon. Ich glaube nicht, dass all das nur aus mir selbst entstanden ist, dass ich das nur für mich gewollt habe. Vielmehr spielt eine Selbstverständlichkeit da rein, dass es eben so weiter geht. Wenn du fünf Kilometer laufen kannst, dann auch zehn. Wenn du einen Sprint schaffst, warum nicht auch eine Olympische Distanz? Wenn die Olympische klappt, beginnst du automatisch, über die Mitteldistanz nachzudenken. Weil es der nächste Schritt ist. Wenn du 42 Kilometer laufen kannst, wieso dann nicht auch 50? Wenn du 50 ...

Zwei Herzen

Natürlich spielt unser Umfeld eine entscheidende Rolle. Bin ich der einzige in meinem Bekanntenkreis, der Sport treibt und an Wettkämpfen teilnimmt? Oder habe ich lauter Freunde um mich herum, die gemeinsam mit mir Pläne schmieden, die sich ebenfalls steigern oder schon drei Schritte weiter sind? An dieser Stelle schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Einerseits finde ich es toll, sich anstecken zu lassen. Unbedarft an Dinge heranzugehen, die auf einmal erreichbar erscheinen, weil sie in einem bestimmten Umfeld normal wirken - für dich selbst aber vielleicht etwas ganz großes sind, was du dich allein nicht getraut hättest. Es ist toll, zusammen Schnapsideen auszuhecken, und ich liebe es, andere mit Ideen anzufixen. Deshalb schreibe ich diesen Blog. Ich freue mich wie Bolle, wenn mir wieder jemand schreibt: Danke, du hast mich motiviert, ich kaufe mir jetzt ein Rennrad. Oder ich fahre mein erstes Rennen. Starte beim Triathlon.

Begeisterung überschwappen zu lassen und andere anzustecken, ist etwas Großartiges. Es ist so schön, neue Dinge auszuprobieren, auf die man alleine nie gekommen wäre. Aber kann das auch schaden? Erzeugen die super-sportlichen Freunde unbewusst einen Druck, selbst auch immer mehr erreichen zu wollen? Steigern wir uns zu schnell in sportliche Herausforderungen hinein? Das kann mit Sicherheit passieren. Aber es liegt an uns, ob wir das Wettrennen um höher, schneller, weiter mitmachen.


Ich bin ziemlich sicher, dass ich ohne meine Freunde keine Mitteldistanz angegangen wäre. Zu viert zusammen etwas so großes zum ersten Mal machen - das ist eine ziemlich schöne einmalige Sache. Ich bin froh, dabei gewesen zu sein, auch und gerade weil ich das alleine nicht gemacht hätte. Trotzdem denke ich, dass es wichtig ist, sich nicht immer nur von der Euphorie leiten zu lassen und so andauernd in Dinge hinein zu rutschen, für die man (noch) nicht bereit ist, die aber alle machen. Von denen man glaubt, man müsste sie auch machen.

Du musst gar nichts. Nur Apfelmus.

Wenn ich eines in den letzten vier Jahren Ausdauer-Sport gelernt habe, dann ist es, auf meinen Körper zu hören. Ruhetage einzuhalten. Mich zu erholen. Nicht unendlich weiter zu machen, "weil es so viel Spaß macht" und dann ja nicht schaden kann. Oder weil es alle machen. Zum Glück bewahrt mich meine Faulheit vor Übertraining. Wenn ich mir irgendwann trotzdem zutraue, eine absurde Anzahl von Kilometern und Höhenmetern durch die Gegend zu rennen oder mit dem Rad mehrere Länder zu durchqueren, dann würde ich mir keine Sorgen darum machen, dass es zu viel sein könnte. Weil ich immer im Hinterkopf habe, wie außergewöhnlich derartige Vorhaben sind, wie wenig normal. Wir müssen nämlich gar nichts. Niemand muss Marathon laufen, oder Ultra oder auch nur einen Kilometer. Wir müssen gar nichts. Aber wir könnten.

Hier auf dem Blog gibt es keine Kommentarfunktion mehr. Schreib mir deine Gedanken zum Thema gerne unter den Beitrag auf Facebook, Instagram oder Twitter. Bist du auch zwiegespalten, was das Anstecken unter Freunden, Bekannten und der eigenen Timeline angeht? Glaubst du, es gibt einen gewissen Druck, bestimmte Dinge einmal im Leben zu erleben? 

Fotos: Christian Siedler