Donnerstag, 12. Mai 2022

Birdrace - Vögel zählen auf dem Gravelbike

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Kein Geheimnis: Ich bin leicht zu begeistern. Als ich vom Birdrace höre, dauert es nicht lange, bis ich mitmachen möchte. Draußen sein und dabei Vögel beobachten - das mache ich sowieso ständig. Dazu noch ein abgestecktes Gebiet (in meinem Fall der Kreis Mettmann) und eine festgelegte Zeit: 24 Stunden. Und wie bewegt man sich in einem ganzen Landkreis am sinnvollsten fort, wenn man in kurzer Zeit möglichst viele verschiedene Vögel finden möchte? Natürlich mit dem Rad - spätestens jetzt ist klar, wieso ich angefixt bin.

Ja, das Konzept ist absurd - wieso sollte irgendjemand Vögel um die Wette zählen? Naja - wieso denn nicht? Ich bin ja prinzipiell Fan von Dingen, die Menschen dazu motivieren, draußen Zeit zu verbringen, sich mit der Natur zu beschäftigen und sich im Idealfall noch zu bewegen. Wenn also eine Art Wettkampf den Ehrgeiz kitzelt und das dazu führt, sich mit verschiedenen Vogelarten, ihren Lebensräumen, ihrem Aussehen und ihren Rufen auseinander zu setzen, dann halte ich das für eine ziemlich gute Idee.

Das Kind braucht einen Namen

Ich bin deshalb jetzt also Teil eines Rennens, bei dem Teams wie Vollmeisen, Tigerente, Avifaunistische Aktion oder Uropa Epops Enkel (upupa epops = Wiedehopf) gegeneinander antreten. Selbstverständlich lassen die Teams bei ihrer Benennung kein Vogel-Wortspiel aus. Ich gründe ein eigenes Team, es heißt Gravelkrokos. Weil wir mit Gravelbikes fahren natürlich, und weil … wir eben keine Krokodile sind. Klar.

Streckenplanung first, Vögel beobachten second. Vorteil am Kreis Mettmann: Er ist verdammt weitläufig. Nachteil am Kreis Mettmann: Er ist verdammt weitläufig. Es wirkt sinnvoll, so viele verschiedene Habitate wie möglich auf der Route unterzubringen und diese dann auch noch innerhalb von 24 Stunden komplett radeln zu können - denn hügelig ist es hier durchaus auch. Niederbergisches Land lässt grüßen.
 
Der Wecker klingelt um 6, ziemlich eklig für einen Samstag, aber es ist schließlich Raceday. Der Tag wird lang und ich frühstücke gut. Zu gut, wie sich am ersten längeren Anstieg herausstellt, denn beinahe hätten Brötchen und Waldboden sich näher kennengelernt. Uff.

Die Regeln

Es gibt etwas mehr als 300 Vogelarten in Deutschland, davon natürlich nicht alle im Kreis Mettmann, da wir leider keinen Zugang zum Meer und auch keine Alpen vor der Haustür haben. Trotzdem bleiben ganz schön viele Arten übrig. Es geht darum, in 24 Stunden so viele verschiedene freilebende Vögel wie möglich sicher zu bestimmen - entweder optisch oder akustisch. Das Ganze basiert auf Vertrauensbasis, klar. Ich kenne mich ein bisschen aus, aber nicht wahnsinnig gut. Es gibt verdammt viele kleine braune Vögel und mit Stimmen bin ich noch ziemlich ungeübt - egal, wenn's am Ende nur eine gute Radfahrt wird, war’s trotzdem ein guter Tag.

Die ersten Häkchen kommen schon zuhause auf die Liste: Kohlmeise, Blaumeise und Amsel sind durchs Fenster schnell erkannt. Gut, das sind die Klassiker, die vermutlich jedes Team abhaken wird. Den Garten will ich mir als Joker für später aufheben, erst mal aufs Rad. Um kurz nach 7 sind die Straßen frei. Herrlich. Die Gravelkrokos haben keine Strategie, sondern besprechen sie unterwegs. Anhalten, wenn einer etwas sieht oder wenn ein Gebiet vielversprechend aussieht, ansonsten weiterfahren. Ok. Aus Angst, irgendetwas zu verpassen, fahren wir superlangsam, bis mir einfällt, dass gut 70 Kilometer in Schrittgeschwindigkeit dann vielleicht doch etwas zu lange dauern werden.

Rein ins Grün

Es geht rauf und runter, mitten durch die Felder. Schon kurz hinter dem Haus sehen wir Feldlerchen - und zu überhören sind die kleinen Alarmanlagen auch nicht. Doch da ist noch etwas anderes im Grünstreifen - eine App hilft bei der Bestimmung. Eine Dorngrasmücke! Die habe ich erst vor kurzem in Holland kennengelernt. Ich wusste gar nicht, dass wir Nachbarn sind!


Die Strecke wird anstrengender, aber immerhin ist sie traumhaft schön. Felder wechseln sich inzwischen mit Wald ab, menschenleer ist es noch immer. Auf den holprigen Waldwegen fällt die Doppelbelastung aus Radfahren und Vogelsuche zum ersten Mal auf - gar nicht so einfach, sich auf beides zu konzentrieren. Beim zweiten Anstieg muss ich bereits schieben, aber nicht, weil das Multitasking mich zu sehr anstrengt, sondern weil meine Beine und die Steigung sich nicht miteinander vertragen. Vögel sehe ich bei meiner Wanderung bergauf keine. Hm.

Nach Feld und Wald kommt Wasser. Normalerweise interessiere ich mich recht wenig für Enten und Gänse, heute halte ich die Augen und Ohren offen. Ein Beat aus dem Schilf erregt Aufmerksamkeit: Ein Teichrohrsänger! Eine Pfeifente bringt noch etwas Abwechslung in die Entenrunde.

Vogel-Wunschliste

Langsam gehen die Überlegungen los: Was sehen wir heute noch mit Sicherheit? Wird irgendein für uns neuer Vogel dabei sein? Oder vielleicht sogar ein seltener? Ein Must-Have lässt ein wenig auf sich warten, aber dann: endlich ein Buchfink! Haken dran. Weil ich in letzter Zeit häufig Greifvögel beobachte, will ich auf keinen Fall nach Hause fahren, bevor wir nicht die beiden am einfachsten zu entdeckenden abhaken können: Mäusebussard und Rotmilan. Beides gelingt gleichzeitig auf einem Feldweg irgendwo bei Wülfrath. Check. 

Ich finde eine Bank und will eine Pause einlegen, bis mir der kleine gelbe Vogel im Bäumchen dahinter auffällt. Im Vorbeifahren hätten wir ihn übersehen. Hallo! Was bist du? Glücklicherweise hat dieser Vogel die Ruhe weg und lässt sich kein bisschen davon irritieren, dass wir direkt unter dem Baum stehen und über seine Merkmale diskutieren. Drei laut streitende Kinder platzen in die Szenerie; eines beginnt auf den Baum zu klettern, in dem sich der von uns immer noch nicht bestimmte kleine gelbe Vogel befindet. Na klasse, der wird jetzt die Biege machen - allerdings nur seelenruhig bis zum Nachbarbaum. Es stellt sich heraus, dass dieser coole Dude eine Goldammer ist. Die sehe ich tatsächlich zum ersten Mal, finde sie direkt mal richtig lässig und mache mit Freude einen Haken dran.


Wir kommen zu Grube 7, einem ehemaligen Kalksteinwerk, das heute Naturschutzgebiet ist. Hier leben allerlei Vögel, auch ein paar gar nicht so häufige wie der Steinschmätzer, daher verspreche ich mir von diesem Abstecher viel. Entweder verbringen wir hier zu wenig Zeit oder die Vögel sind gerade woanders - auf den Wanderwegen drum herum tummelt sich jedenfalls nichts Ungewöhnliches. Ich kann den Zilpzalp langsam nicht mehr hören. Könnte der nicht endlich mal die Klappe halten, damit auch nochmal irgendwas anderes an meine Ohren durchdringen kann? Zilp zalp zalp zilp zalp zilp zilp zalp! 

Schon wieder bergauf. Mehr und mehr wird es zur Herausforderung, nach anstrengenden Gravel-Passagen das Fernglas ruhig zu halten. Ich fühle mich biathlonig. Nichts getroffen, schnell wieder aufs Rad. Neanderlandsteig jetzt. Die Strecke hat es ganz schön in sich, schon wieder schieben. Ist ja auch ein Wanderweg. Die Pausen werden mehr. Die Vogelsichtungen doppeln sich - zählt nicht. Aus dem Neandertal geht es für einen Schlenker in die Hildener Heide, von der ich mir mehr erhofft hatte als eine ziemlich normale Wiese - also schnell noch im Hildener Stadtwald den einen oder anderen Waldvogel abhaken und dann zurück ins Neandertal. 


Halt! Was sitzen da für kleine Gestalten auf den Pfählen in der Baumschule? Spatzen? Nein, viel schmaler. Anhalten, durchs Fernglas schauen - Bluthänflinge! Herzlich Willkommen auf unserer Liste.

Die Sonne brennt, die Beine brennen auch, ich brauche eine Eispause. Der Eiskaffee fließt direkt in die Oberschenkel, Zucker regelt, zurück auf die Strecke. Im Morper Bachtal erwarte ich mehr Wander- als Fahrradmeter, weil es hier stellenweise schon mit dem MTB anspruchsvoll ist - aber egal. Die Gesamtzeit ist nicht wichtig, nur die Vogelarten zählen. Davon sollte es hier noch ein paar andere geben, Tümpel und Schilf lassen hoffen. Wünsche werden nicht erfüllt, keine Rohrammer, kein Schilfrohrsänger, aber dafür immerhin eine Schwanzmeise und ein Kuckuck, der uns noch eine Weile hinterher ruft.


Langsam wird es zäh. Der Blick auf die Uhr erklärt die Müdigkeit - wir sind schon einige Stunden unterwegs, in den Beinen stecken Kilometer und Höhenmeter, der Kopf ist permanent in Alarmbereitschaft. Es könnte ja ein Seeadler vorbeifliegen. Oder wenigstens ein Turmfalke. Beide sehen wir bis Ende des Tages nicht, was beim ersten nicht überraschend und beim zweiten ziemlich seltsam ist - wo seid ihr, Falken, wenn man euch braucht?

Endspurt

Kurz vor dem Ende wird aus Sonne und Hitze auf einmal Gewitter - natürlich genau oben auf dem Hügel, nur Felder rechts und links. Die Route sieht noch einen Umweg vor, ich sehe das anders. Direkter Weg nach Hause, bevor das Birdrace noch mit einem Blitzschlag endet. 66 Kilometer mit 850 Höhenmetern haben fast 10 Stunden gedauert. Die letzten beiden Vögel finden vom Küchenfenster aus ihren Eintrag in die Liste: Gimpel und Kernbeißer lassen sich wie zu erwarten noch im Garten blicken. Auf die Finken ist Verlass!

In der Dämmerung halte ich extra nochmal die Ohren aus dem Fenster, aber weder der Waldkauz noch die Waldohreule haben an diesem Abend etwas zu sagen. So stehen am Ende 47 Vögel auf der Gravelkroko-Liste, was 2023 definitiv noch ausbaufähig ist. Was auf jeden Fall schon ziemlich solide ist: 850 Teams, 2500 Birdracer und 322 insgesamt gesehene Arten. Und fast 50 Prozent waren mit dem Rad unterwegs. Auch das dürfen nächstes Mal gerne mehr werden! Die Gravelkrokos planen schon mal ihre Strategie und legen so lange die müden Beine hoch.