Donnerstag, 25. August 2016

Raceday No. 18 - RAD RACE Battle Hamburg 2016


Ob es wohl eine gute Idee ist, am Tag vor den Cyclassics ein Sprintrennen zu fahren? Antwort Freund 1: "Also ich würds ja nicht machen!" Antwort Freund 2: "Bist du bescheuert?" Antwort Freund 3: "Coole Sache, hast du denn ein Outfit dafür?" Scheiße, nein, hab ich nicht. Beim RAD RACE sind nur coole Leute mit coolen Rädern am Start und ich komm dann da mit meinem Altherren-Bianchi und rosa Helm an? Jo. Genau so siehts aus.

In Hamburg fährt das Fahrrad außerhalb der Stoßzeiten kostenlos mit - yay!
 

Das RAD RACE Battle funktioniert simpel: 190 Meter die Mönckebergstraße raufballern. Gestartet wird wie beim Zeitfahren von einer Rampe im sogenannten gehaltenen Track Stand, das heißt man sitzt fahrbereit und eingeklickt auf dem Rad und wird von hinten festgehalten. 128 Männer und 32 Frauen fahren gegeneinander, bei den Jungs in den ersten beiden Runden 4 gegen 4, wobei die ersten zwei weiter kommen, und bei uns Mädels direkt 1 gegen 1 und die schnellere ist in der nächsten Runde. Am Ende weiß man, wer die besten Sprintbeine hat oder einfach nur die coolste Socke ist.


Samstagnachmittag in Hamburg, das RAD RACE hat die Zielgerade der Cyclassics gekapert, die Rampe und eine Nebelmaschine aufgebaut, ein paar Fahnen aufgehängt und die Musik aufgedreht. Gute Musik! Rise Against. Jimmy Eat World. Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Leute, die gute Musik hören, keine schlechten Menschen sein können. Trotzdem steh ich erst mal wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend rum und traue mich nicht so recht zum freien Training. Ich möchte unbedingt üben, die Rampe runter zu fahren, weil ich immer noch nicht weiß, mit welchem Gang ich starte.


Letzte Woche habe ich genau einmal sprinten geübt: Aus dem Stand, eingeklickt in beide Pedale, mit festgehalten werden und dann 200 m treten, was die Beine hergeben. In der Theorie. In der Praxis hatte ich eine Scheißangst, dass ich nicht sicher genug festgehalten werde, sofort umkippe oder spätestens dann zur Seite plumpse, wenn man mich loslässt und ich starten soll. Ich musste feststellen, dass 200 m so kurz gar nicht mal sind und dass man die Wahl hat zwischen einem relativ leichten Antritt, dann aber später schalten muss, oder direkt einen dicken Gang nimmt, um das Schalten zu vermeiden und dafür am Anfang aber nicht von der Stelle kommt. Zwickmühle. Schließlich überschlagen sich die Experten und ich bin kurz vor dem Rennen soweit gehirngewaschen, dass mir der Gedanke: "Wer schaltet, verliert sofort!" erfolgreich implantiert ist. Mit der Rampe soll aber alles besser werden.


Nachdem ich die Lage ausführlich sondiert habe, entscheide ich mich für einen Kaltstart von der Rampe. Es stehen zwar Rollentrainer zum Aufwärmen bereit, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich da sturzfrei mit dem Rad rauf und wieder runter kommen soll, also lasse ichs bleiben und klettere lieber die Rampe rauf. Und damit das hier nicht läuft wie bei meinem Tattoo, als die Tätowiererin munter drauf los stach und nach der halben Eule erstaunt feststellte: "Oh! Das ist dein erstes Tattoo? Achso!!!" und ich kurz darauf das Bewusstsein verlor, erzähle ich dem Helfer da oben auf der Rampe direkt mal als allererstes, dass das hier meine Premiere ist und ich mich über Tipps freue. Was zur Hölle mache ich hier eigentlich?!


DO EPIC SHIT. Drucken die RAD RACE Leute auf ihre T-Shirts. Wenn es episch ist, von einer beknackten Rampe zu rollen, dann mache ich das jetzt also. Ich klettere aufs Rad, klicke auf beiden Seiten ein und werde dieses Mal nicht so wackelig wie beim Üben gehalten. Alles cool. "Sag Bescheid, wenn du so weit bist." Äh. Jo. Er lässt los, ich trete an, Bruno rollt. Haha! Das ist großartig! Die Rampe ist spitze, die Strecke super. Es geht leicht bergauf, ich spüre nichts davon. Ich traue mich nicht, voll reinzutreten, will die Kräfte fürs Battle aufsparen. Aber irgendwie muss ich das mit dem richtigen Gang jetzt rauskriegen. Also gleich nochmal.


Nach ein paar Proberunden weiß ich, welchen Gang ich fahren will ("Wer schaltet, verliert!") und treffe endlich Katharina, meine Gegnerin im ersten Battle. Nachdem die Startlisten raus waren, hatte ich versucht rauszukriegen, mit welcher Rakete ich es zu tun bekomme und trotz meiner machmal NSA-verdächtigen Recherche-Skills genau gar nichts rausgefunden. Meine ungooglebare Konkurrentin ist mir so unbekannt dann allerdings doch nicht: Wir folgen uns auf Twitter und Instagram, sie liest hier schon eine Weile mit und tatsächlich bin ich ein kleines bisschen mit Schuld daran, dass sie an diesem Wochenende überhaupt in Hamburg ist. Nach meinem Bericht vom Velothon kam sie auf die Idee, mit dem soeben neu erworbenen Rennrad nicht nur bei Triathlons zu starten, sondern dass Radrennen ja auch ne ganz lustige Sache sein könnten. Unglaublich! Wenn meine Schreiberei hier so was bewirkt, macht mich das unheimlich glücklich und ein kleines bisschen stolz. Sentimentale Kackscheiße beiseite, jetzt sind wir Battle-Gegnerinnen. Tatsächlich haben wir beide nicht damit gerechnet, auch nur eine einzige Runde weiter zu kommen, aber da wir ja jetzt gegeneinander antreten, dämmert uns langsam, dass eine von uns gewinnen und ins Achtelfinale einziehen muss. Nur eine kann Germany's Next... Ach egal.

Zuerst sind die Männer dran, und zwar so lange, bis von 128 nur noch 32 übrig sind. Genug Zeit zum Zuschauen, Leute treffen, die Hände wie eine Wahnsinnige an die Bande klatschen und dann - warm machen. Ich komm ja nicht drum herum. Nachdem ich mittlerweile festgestellt habe, dass hier keiner beißt, quatsche ich einfach das erstbeste Mädel an, das gerade erfolgreich von der Rolle runtergeklettert ist. Sie erklärt mir wie es geht (eigentlich total einfach, aber ey! Man weiß ja nie!) und verrät mir, dass sie heute auch zum ersten Mal mit dem Rad auf der Rolle war. Fazit nach dem Aufwärmen: Wie geil ist das denn bitte? Ich brauch ne Rolle! Und zwar ne freie! Hey RooDol, wie wärs mit uns? ;-)

Katharinas und mein Start rückt näher. Wir warten unten vor der Rampe und ich schiele auf ihr Ritzelpaket. Was für einen Gang sie wohl fährt? Einen leichten. Einen deutlich leichteren als ich. Scheiße. Damit kommt sie bestimmt am Start besser weg. Sind 190 m zu kurz, um sie wieder einzuholen? Ich schalte einen Gang runter. Und wieder hoch. Ist doch bescheuert, ich ändere doch jetzt nix an meiner Taktik, nur weil sie so einen niedrigen Gang fährt! Vielleicht schaltet sie ja ("Bloß nicht schalten!!"). Aber der dicke Gang ist am Anfang schon doof. Ich schalte wieder runter. Und bleibe dabei. Himmel!


Wir müssen auf die Rampe. Ich erwische nicht meinen Lieblingsfesthalter, der mich zu Beginn so nett eingewiesen hat, aber der andere macht das auch gut. Da stehen wir also oben auf der Rampe. Absurd, ausgerechnet Katharina und ich. Der Moderator nennt unsere Namen, wir sitzen bereits startklar auf den Rädern, meine Beine sind aus Pudding. Ich versuche, gleichzeitig fokussiert und möglichst böse nach vorn zu gucken. Starre das Ziel an. Der Moderator erzählt immer noch, meine Beine zittern mittlerweile, wann gehts denn endlich mal los? Countdown. "5, 4, 3, 2, 1, KICK IT!"



Ich kicke es. Start-Ziel-Sieg. Komme gut von der Rampe, kurbele was das Zeug hält, freue mich über den unfassbaren Lärm, den die Zuschauer genau dann produzieren, wenn ich an ihnen vorbei fliege und dann bin ich als erste im Ziel. Sauber! Achtelfinale! Erst mal bei Katharina entschuldigen, dass ich sie so abgezogen habe. Wieder ist ein bisschen Zeit, bei den Kerlen zuzuschauen, dann gehts wieder auf die Rolle, mittlerweile bin ich darin Profi. Ein Blick auf die schlaue Liste verrät mir die Startnummer meiner nächsten Gegnerin. Sie sitzt auf der Rolle neben mir. Ich schiele möglichst unauffällig rüber. Na prima. Sie fährt ein Fixie. Nicht irgendeins, sondern so ein fancy geschecktes von 8bar, dazu das passende Trikot und ich bin mir sicher, dass mein zweites Battle das letzte für heute sein wird.


Scheiß auf ne vernünftige Aeroposition! Ich bin ein Erdmännchen!
Nun denn. "KICK IT!" Wieder komme ich grandios schnell von der Rampe und überlege noch währenddessen, ob das wohl schon als Fehlstart durchgeht. Von meiner Nachbarin ist nichts zu sehen - vielleicht wird das ja doch noch was? Sieht gut aus. Bis ein bunt gefleckter Blitz an mir vorbei schießt. War klar. Vorher philosophiere ich noch wild, dass die Fahrer auf dem Fixed Gear höchstens am Anfang ein klein wenig im Nachteil sind, aber wenn sie das Teil einmal ans Laufen gebracht haben... ist nix mehr zu machen. Verdammt, warum genau hatte ich mich eben für den niedrigeren Gang entschieden? Ich versuche nochmal ranzukommen - keine Chance. RAD RACE Battle, das wars! Ich will meiner Gegnerin zum Sieg gratulieren, aber sie muss erst mal gefühlt einen Kilometer ausrollen. Hoffentlich gewinnt sie das Ding jetzt wenigstens! Alles Daumen drücken hilft allerdings nichts, in der nächsten Runde fliegt sie auch raus. Schade.


#raceface - wäre eigentlich auch mal ne schöne Fotoreihe
Nach dem Battle bleibt ein kleines bisschen was-wäre-wenn und hätte-ich-nicht-doch-noch übrig. 190 Meter sind arschkurz, da muss alles verdammt gut passen - von der ausgelosten Gegnerin bis zur richtigen Übersetzung und den Beinen, die nur eine einzige Chance haben. Das macht das Format knallhart - aber auch saugeil. Bis zum nächsten Mal optimiere ich die Aerodynamik und übe den einen oder anderen Sprint - Ortsschilder sollten fürs erste ja auch reichen. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, ich will nochmal! Wenn ihr mal die Gelegenheit habt, bei einem RAD RACE zuzugucken oder zu starten: Macht das! Unbedingt!


Fotocredits: Christian Siedler. Merci.
Noch mehr absolut sehenswerte Bilder vom gesamten RAD RACE Battle findet ihr hier.