Donnerstag, 12. Januar 2017

Raceday No. 28 - Neujahrslauf Ratingen 2017

Laufen ist anstrengend, man sieht dabei beschissen aus und es macht keinen Spaß. Das ist eigentlich alles, was ich zum Ratinger Neujahrslauf sagen möchte. Aber weil man manchmal auch die nicht so schönen Sachen aufschreiben muss (und damit das hier kein reines Fotoalbum wird), denke ich mir noch ein paar Sätze dazu aus.


Mit meiner Harakiri-Partnerin-in-Crime Naomi habe ich ausgeheckt, dass wir zu Beginn des Jahres einen 5er laufen. Einen schnellen 5er. Weil man die Distanz ja sonst nie läuft und weil wir wissen wollen, wie schnell wir sein können. Weil mit dem Beginn der Winterlaufserie, die Ende März mit einem Halbmarathon endet, die langsamen und langen Läufe wieder anfangen. Wir sind jung und hungrig und wollen vorher noch einmal ballern. Kurz und hart. Auf die Fresse. Halt so.

Kann man machen. Aber muss man dann auch wollen. Wenn schon von Anfang an klar ist, dass fünf von fünf Kilometern voraussichtlich hart werden, dann sollte man die richtige Einstellung dafür mitbringen. Dann sollte man in Kauf nehmen, dass es weh tut. Vom Anfang bis zum Ende. Das Zeitziel lautet: unter 25 Minuten. Ich bin beim Martinslauf die ersten drei Kilometer jeweils in 4:50 min/km gelaufen. Wenn das drei Kilometer lang geht, dann auch fünf. Nur halt (noch) keine zehn. Genau 25 Minuten, also glatte 5er Pace ist das mindeste, was auf der kurzen Strecke drin sein sollte.


Am Vortag hält das Rheinland Eisregen und Glatteis bereit. Und zwar nicht zu knapp: Schon normales Gehen ist eine echte Herausforderung, an Laufen ist überhaupt nicht zu denken. Der Renntag selbst versteckt sich im Nebel - aber immerhin wieder mit Temperaturen im positiven Bereich. Keine Glätte. Ein Problem weniger, denn es gibt sicher Schöneres als Kopfsteinpflaster bergab bei Glatteis. So habe ich den Kopf ja jetzt frei, um mir über die Anstiege Gedanken zu machen. Denn wo es runter geht, muss man vorher auch rauf ... Ich weiß, dass es jede Runde zwar sanft, aber lange bergauf geht. Dass danach nochmal ein Schlenker kommt, der bergab, bergauf und am Ende wieder bergab bedeutet. Vielleicht nicht gerade die idealste Strecke für einen Bestzeitenversuch. Egal. Wir wollen es ja so. Selbstgewähltes Leid. 



Dieses Mal sind wir immerhin so schlau und wärmen uns vor dem Start auf. Vermutlich nicht die schlechteste Idee. Wir sortieren uns in der Startaufstellung recht weit vorne ein, aber natürlich nicht weit genug. Wenige Sekunden vor dem Start entdecke ich unmittelbar vor uns eine Horde Ladies in pinken T-Shirts. Was schon von hinten wie ein Junggesellinnenabschied wirkt, entpuppt sich beim Startschuss als kein bisschen sympathischer: Dass es nun losgeht, quittieren die Damen nicht etwa, indem sie sich in Bewegung setzen, sondern mit schrillem Kreischen und Arme-in-die-Luft-reißen. Selbstverständlich trabt der Trupp danach mit fünf Mann (äh, Frau) nebeneinander ganz gemächlich los. Ich möchte dezent ausrasten. Klar, das ist nur ein Neujahrslauf und nicht die Deutsche Meisterschaft, es ist nur ein 5er, ein Jedermannrennen. Schön für die pinken Laufmamas (sic!), dass sie laufen und offenbar Mütter sind (scheinbar ist die Kombination eine beeindruckende, die sich mir nicht vollständig erschließt). Schön, dass beim 5er auch Menschen laufen, die eher unambitioniert unterwegs sind, alles prima, Bewegung ist toll, aber stellt euch doch verdammt nochmal einfach weiter hinten hin und haltet nicht den kompletten Verkehr auf. 25 Minuten sind jetzt auch echt keine Zielzeit, mit der man sich guten Gewissens noch weiter vorne einsortieren kann - ich fühle mich jedenfalls doof, wenn ich Leuten im Weg bin.

Ich habe die Nase voll und wiesele mir den Weg frei. Bewusst schnell, deutlich zu schnell, aber Hauptsache erst mal weg. Gleich am Berg wirds sowieso noch langsamer, also erst mal raus aus dem Pulk. Naomi verliere ich bei der Wuselei aus den Augen, drehe mich noch einmal um und entdecke sie ein paar Meter hinter mir. Der Start war ja schon mal maximal nervig.


Ich laufe heute absichtlich wieder mit Uhr, damit ich die Zeiten halbwegs im Blick behalten kann. Allerdings kann die Uhr (immer noch) keine Pace anzeigen und so bin ich auf die Kilometermarkierungen angewiesen, die ich einfach nicht sehe. Oder zu spät sehe und nicht verstehe, ob sie für den 10er (mit etwas anderer Streckenführung) oder den 5er sind. Na schön. Dann halt weiterhin die Augen offen halten. 

Ich gucke so viel in der Gegend rum, dass ich Menschen am Rand erkenne, die mich nicht erkennen. Gut, ich renne schon nach 500 Metern mit einem knallroten Tomatenschädel durch die Stadt und gucke dabei wohl ziemlich unbegeistert. Die Beine sind schwer, das anfängliche Rennen rächt sich schnell. Der "Berg" kommt. Es ist der Hauser Ring, ich kenne und hasse ihn vom Triathlon, denn er ist tückisch. Sanfte Steigung, kaum sichtbar, aber dafür lang. 700 Meter lang. Zieht sich wie Kaugummi. Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass es zwei Runden gibt. Zwei fucking Runden, zwei Mal hier hoch, dann am Krankenhaus vorbei wieder runter, 180° Kurve, Naomi überholt. Sie fragt, ob ich Schmerzen hätte, weil ich das Tempo so deutlich gedrosselt habe, mir fällt dazu nichts ein. Nochmal 300 Meter bergauf. Wenn es von der 2,5-km-Runde einen Kilometer lang nur hoch geht, möchte ich die Strecke hiermit mal selektiv nennen. Scheiße!


Die Beine sind immer noch schwer. Der Kopf ist woanders. Dass ein 5er kein Zuckerschlecken ist, wenn man ihn so schnell wie möglich laufen will, war mir auch vorher klar. Dass ich mich heute nicht zusammenreißen kann und schlicht keine Lust habe auf Anstrengen und Aushalten, damit hatte ich nicht gerechnet. Es gehört zu mir, die Dinge in Frage zu stellen. Mir Gedanken zu machen. Für und Wider abzuwägen. Alle Blickwinkel zu beleuchten. All das ist ungefähr das Dämlichste, was man während eines Laufs so machen kann: Die Frage nach dem Warum darf man einfach nicht stellen. Warum zur Hölle tust du dir das an? Die Krönung des Ganzen ist dann bloß, wenn man sich dessen ganz genau bewusst ist: Es ist Scheiße, was du hier machst. Du musst aufhören, nachzudenken. Schalt den Kopf endlich aus.

Die Beine wollen schon von Anfang an nicht und im letzten Drittel der ersten Runde reift in mir die Erkenntnis, dass es das Beste ist, aufzuhören. Auszusteigen. Mein erstes DNF, did not finish. Warum nicht bei einem verdammten 5er? Geht halt heute nicht. Was soll ich sagen? Beine nicht gefunden, nicht bei der Sache, hat keinen Zweck. Einmal ärgern und danach weitermachen. Ich ahne, dass ich es mir anders überlegen könnte, wenn ich erst mal die Zielgerade runter laufe und zur zweiten Runde abbiege, aber ich rechne nicht ernsthaft damit. Ich kann nicht mehr. Und ich will nicht mehr. Wirklich.


Kopfsteinpflaster. Bergab. Rechts und links Zuschauer. Ich weiß ganz genau, wo meine Eltern stehen, wo Naomis Eltern stehen, wo Christian mit der Kamera ist. Ich will keinen sehen, schaue nicht nach rechts oder links. Ich will auch nicht gesehen werden, bin gar nicht hier, steige ja gleich so oder so aus, scheiß doch drauf. "Zieh Maren, weiter so!" Ich kenne die Stimme. Erkenne die Stimme. Wusste nicht, dass er hier ist, aber natürlich ist er das, für ihn ist es das gleiche Heimspiel wie für mich. Ein Witz, dass mich irgendjemand bei dieser kläglichen Performance überhaupt so lautstark anfeuert. Nicht ein kleines bisschen, sondern laut und bestimmt, wie all die süßen Lügen des Ausdauersports ("Sieht gut aus!"). Dieses "Zieh dran!" im Befehlston ist exakt genau das, was ich in dem Moment brauche.

Auf einmal ist abbrechen keine Option mehr. Du wirst diesen bescheuerten 5er ja jetzt zu Ende bringen, nach 2,5 Kilometern aufhören wegen akuter Unlust ist ja wohl ein schlechter Scherz. Ich habe immer noch kein Kilometerschild sinnvoll zuordnen können, aber die Zeit auf der Uhr nach einer Runde sieht noch ganz gut aus. Ich vermute, dass ich das Tempo nicht halten kann, dass ich froh sein kann, wenn ich überhaupt noch einen Fuß vor den anderen setze. Und weil es keine andere Möglichkeit gibt, mache ich genau das. Scheiß auf irgendwelche Zeiten, es kann nicht immer gut laufen, aber bring es jetzt einfach zu Ende.

Ich krieche den Berg hoch, bin bergab nur mit atmen beschäftigt, hasse die enge Kurve, schleiche ein letztes Mal bergauf und freue mich auf die Zielgerade, die einfach nur lange bergab geht. Der Startbogen ist in Sicht, einige Meter dahinter auch der Zielbogen. Was für eine Schwachsinnsidee, bei so einem kurzen Lauf aufgeben zu wollen und was für ein Glück, dass ich hier jetzt endlich die Ziellinie überqueren kann. Weit entfernt von der angepeilten Zeit, aber mit einem Hauch von Stolz, durchgehalten zu haben. Durchgehalten bei einem 5er, was sich lächerlich anfühlt, aber im Endeffekt genau das ist, was wohl die meisten Volksläufer vereint. Seien es pinke Laufmamas oder ehrgeizige Bloggerinnen an einem schlechten Tag - am Ende sind wir doch alle nur froh über das, was wir geschafft haben.

Da der 5er ja nun mal eine Distanz ist, der ich mich nur selten stelle (genau genommen erst zum dritten Mal), ist es keine allzu große Überraschung, dass das Ganze trotz schlechter Beine und nölendem Kopf etwas schneller ging als beim letzten Mal. 25:47 Minuten lautet ab sofort die neue Bestzeit auf 5 Kilometern. Bedeutet: die sub25 steht noch auf der To-Do-Liste. Ziele braucht der Mensch!


Fotos: Christian Siedler. Danke dafür. Und danke Friedemann.