Donnerstag, 2. Februar 2017

Raceday No. 29 - Winterlaufserie Duisburg 10 km - 2017

Zwischen der Duisburger Winterlaufserie 2016 und 2017 liegen genau ein Jahr und 20 Rennen. Im letzten Jahr hatte ich hier einen wirklich schönen Lauf, an den ich tatsächlich noch häufig zurückdenke: Der erste 10er nach einer Verletzungspause, voller Dankbarkeit für einen wieder laufenden Körper und mit einer neuen Bestzeit. 1:01:41. Dass ich da mittlerweile deutlich drunter bin - ganz ohne irgendein besonders geplantes Training - erstaunt mich von Zeit zu Zeit selbst, ist aber inzwischen zu einer Art Selbstverständlichkeit geworden, von der ich mich manchmal ein bisschen selbst lösen muss. Selbstverständlich ist nämlich einfach mal gar nix. Weder Gesundheit, noch Verletzungsfreiheit, Geschwindigkeit, gute Beine, mentale Stärke oder einfach nur ein guter Tag, den man erwischt - oder eben nicht. Nichts davon kann man erwarten und schon gar nicht alles auf einmal und immer. Dort, wo es schon lange nicht mehr ums pure Ankommen geht, wo die Luft dünner wird, dämmert mir langsam: Es kommen immer mehr Faktoren zusammen, die ihren ganz eigenen Einfluss haben. An denen man arbeiten kann, die man aber niemals alle gleichermaßen unter Kontrolle haben kann.


Und so habe ich in der Woche vorher drei Tage lang grundlos schwere Beine, fühle mich Freitag fiebrig und Samstag gänzlich unfit, aber nicht krank. Daher ist mein einziger Plan für den Lauf, keinen Plan zu haben. Unausgesprochen peile ich dennoch irgendwas um die 53 Minuten an, denn es ist eine verdammte Lüge zu behaupten, es gäbe gar kein Ziel. Irgendwas ist immer im Kopf, mal mehr und mal weniger festgelegt.


Ich würde so gerne an den Lauf vom letzten Jahr anknüpfen, bei dem wirklich alles lief und die Freude über das Laufen-Können noch ewig später nachhallte. Gleichzeitig weiß ich, dass sich das nur schwer wiederholen lässt und will nicht zu viel erwarten. Ich weiß ja sowieso nicht, was heute geht, von daher nehme ich mir vor, heute zur Abwechslung wirklich mal vernünftig zu sein und das Ganze eher defensiv anzugehen.


Ich renne den ersten Kilometer in einer Pace unter 5 min/km. Nicht gerade defensiv. Ein bisschen langsamer wäre vermutlich schlau. Ich lasse Christian und Naomi ziehen und drossele das Tempo. Überhole kaum. Werde überholt. In der Startaufstellung konnte man sich nach Pace sortieren: Wir sind zwischen 5:00 und 5:30 gestartet und ich weiß wirklich nicht, wieso mich alle überholen, wenn ich ungefähr 5er Pace laufe. Fühlt sich blöd an. Aber der Blick auf die Uhr bei Kilometer 2 bestätigt mich: 10 Minuten. Ups. Langsam weiter. 


Julia und Lena laufen auch, entdecken mich und rufen von der Seite rüber. Ich überlege eine Sekunde, ob ich noch ein kleines bisschen Tempo rausnehmen und mit den beiden zusammen laufen will. Es gibt doch heute kein Ziel. Ich will trotzdem nicht. Gleichzeitig weiß ich aber auch nicht, ob es schlau ist, schneller als die beiden weiter zu machen - in meiner Welt sind wir eigentlich alle ungefähr gleich langsam (ich habe jetzt gelernt, es heißt nicht langsam, sondern sexy Pace. Danke Steffi!). Egal, ich laufe weiter und pendele mich bei 5:15 min/km ein. Das ist kein Spaziergang, aber auch kein Harakiri-Tempo.


Nach 4 Kilometern kommt uns der Führende entgegen. Um mich herum ist es abgesehen von Schritten und Atmen still. 5:15 ist offenbar keine Pace für Gespräche; auch der Jubel für die Verfolgergruppe und die erste Frau halten sich in Grenzen. Schade, letztes Mal war hier mehr Stimmung. Nach 5 Kilometern kommt die kleine Schleife durch den Wald - und ich habe vergessen, wie klein. Ich rechne mit einem kleinen Anstieg, der mich beim letzten Mal etwas überrascht hat, aber nachdem ich den Wendepunkt passiere und der Wald mich wieder raus auf den Asphalt spuckt, realisiere ich, dass ich mich bereits auf dem Rückweg befinde. Was ich da im Kopf habe, ist wohl die Strecke vom 15er. Also gut, dann geht es eben zurück! 

Mit der Aussicht auf nur noch 4 zu laufende Kilometer beschließe ich, das leicht eingebrochene Tempo wieder etwas anzuziehen. Einfach nur deshalb, weil es geht und weil ich hinterher nicht "hättest du mal" denken möchte. Kilometer 7 läuft wunderbar. Ich weiß gar nicht, wieso ich im Vorfeld keine Lust auf einen 10er hatte, läuft doch. Auf Kilometer 8, zu Beginn der Regattabahn, sieht die Welt urplötzlich anders aus: adieu schöner Asphalt, hallo matschiger Weg. Zum ersten Mal spüre ich, dass so ein 10er nicht nur konditionell, sondern auch muskulär anstrengend sein kann - auch, wenn man ihn gar nicht mal so sehr am Limit rennt. Die Beine finden Laufen gerade gar nicht mehr so prima. Zum Glück sieht der Kopf das anders und so laufen wir weiter. Die Beine. Und ich.


Ein Schnürsenkel macht sich selbstständig. 2 Kilometer vor dem Ziel. Anhalten und zubinden? Auf die Gefahr hin, aus dem Tritt zu kommen, beim Kopf nach unten Schwindel zu riskieren und dann nur umso schwerer wieder weiter zu laufen? Nee. Also lieber so tun, als ginge es um irgendwas und mit einem offenen Schuh weiterlaufen. Kilometer 9 macht keinen Spaß mehr, diesen Mini-Schlenker durch den Wald finde ich affig und der offene Schnürsenkel wäre jetzt wirklich eine willkommene Ausrede, um doch eben kurz anzuhalten. Wie dumm wäre das eigentlich, sich deswegen jetzt kurz vor dem Ziel auf die Fresse zu legen? Ey, wer einen Kilometer mit offenem Schuh gelaufen ist, schafft auch zwei ohne gebrochene Knochen.


Nach dem Schild mit der 9 ist die Luft raus. Ich gucke nicht mehr auf die Uhr und schleiche das letzte bisschen in einem Tempo gefühlt nur minimal schneller als gehen. Alles, nur nicht auf den letzten Metern kurz vor dem Stadion noch anfangen, zu gehen. Die Zeit ist mir egal, aber wenigstens laufend will ich ankommen. So viel Stolz muss sein. Als ich ins Leichtathletikstadion einbiege, schiele ich dann doch auf die Uhr: 52 Minuten. Was zur Hölle! Hätte ich gewusst, dass die Bestzeit (52:44) in Reichweite ist, hätte ich auf dem letzten Kilometer alles gemacht, aber nicht so dermaßen getrödelt! Scheiß auf schwere Beine und keine Luft, auf einmal kommt die Energie zurück - und zwar nicht zu knapp. Ich versuche einen 400 Meter langen Zielsprint. Wenn zu dem Zeitpunkt noch irgendein Funken Hirnschmalz seiner Arbeit nachgegangen wäre, wäre mir vielleicht klar gewesen, dass ich 400 Meter nicht in 44 Sekunden laufen kann. Dazu ist eine 1:50er Pace nötig, oder auch ein Schnitt von 32,7 km/h. Alles klar. Aber erstens ist bis zum Ziel keine komplette Stadionrunde mehr nötig und zweitens habe ich keine Zeit zu rechnen, ich muss rennen. 


Ich renne. Strava zeigt später abenteuerliche Zeiten an. Sehr abenteuerliche. Natürlich reicht es nicht - ich habe ja auch kein verdammtes Rennrad dabei. So laufe ich nach 53:19 Minuten über die Ziellinie - so weit erst mal nichts besonderes, bis mir die Zeit vom Silvesterlauf aus Neuss einfällt: 53:19. Zweimal hintereinander auf die Sekunde genau die gleiche Zeit laufen, muss man auch erst mal schaffen. Danke Duisburg, du bist immer für eine Überraschung gut! Wir sehen uns Anfang März wieder.


Danke für die Fotos an den großartigen Christian Siedler, der nicht nur fotografieren, sondern auch gleichzeitig laufen kann. Und zwar zufällig neue Bestzeit. Glückwunsch!