Mittwoch, 29. März 2017
Raceday No. 31 - Winterlaufserie Duisburg Halbmarathon - 2017
Ich habs ja eigentlich echt nicht so mit langfristigen Plänen. Trotzdem stand für mich seit Oktober letzten Jahres fest, dass es der Halbmarathon bei der Winterlaufserie in Duisburg wird, den ich zum ersten Mal unter zwei Stunden laufen werde. Nachdem sich der Rhein City Run im Nachhinein wie ein Desaster angefühlt hat (aber dann doch auch "nur" 2:02:06 Stunden gedauert hat), soll in Duisburg die 2-Stunden-Marke fallen. Weil ich weiß, dass ich das theoretisch kann, weil die Bedingungen nur passen müssen und weil ich die Strecke mag. Vor einem Jahr bin ich hier meinen bisher schönsten Halbmarathon gelaufen - die damalige Bestzeit von 2:13:32 ist zwar mittlerweile längst überholt, aber den Lauf habe ich immernoch in schöner Erinnerung, weil einfach alles gepasst hat. Keine Wanderungen ab Kilometer 15, keine Zweifel, kein gar nichts. Wo, wenn nicht in Duisburg sollte ich also die zwei Stunden angreifen?Die Generalprobe hab ich schon mal verkackt: Der 15er vor drei Wochen lief verdammt bescheiden. Blöderweise habe ich auch gar keine Zeit, diesen Halbmarathon in irgendeiner fluffigen Pace zu laufen, denn ich hatte die fixe Idee, mich zum Cyclocross Race auf der Düsseldorfer Cyclingworld anzumelden. Aus dem einfachen Grund, dass ein paar Tage vorher nur eine einzige Frau (neben 28 Kerlen) auf der Startliste stand und ich ja nun auch etwas Cross-Luft geschnuppert habe. Blöd nur, dass die Startzeit mit 18:15 Uhr ziemlich eng an meiner angepeilten Zielzeit des Laufs liegt: 17:00 Uhr - und das auch nur, wenn ich die zwei Stunden schaffe. Wir können jetzt über Scheißhausideen und Prioritäten und Fear of missing out sprechen, aber wir können es auch lassen - ich hab mir das Cross-Rennen in den Kopf gesetzt und damit absurderweise für den Halbmarathon nicht etwa mehr Druck aufgebaut, sondern ihn im Gegenteil komplett raus genommen. Klar - für 2:30 Stunden oder ähnliche Späße habe ich keine Zeit, aber ob ich jetzt 1:59:59 oder 2:05:00 laufe, ist mir auf einmal ziemlich egal. Je schneller ich bin, desto länger ist die Pause bis zum Radfahren... und desto größer auch die Erschöpfung, also: ein schmaler Grat, aber die exakte Zeit ist plötzlich nicht mehr so wichtig.
Jan Fitschen lässt sich erklären, wie das mit dem Startschuss funktioniert |
Ein stechender Schmerz in der Leiste holt mich aus der schönen Glitzerfantasiewelt zurück in die Duisburger Realität. Nach nur neun Kilometern habe ich Schmerzen, die ich noch nicht kenne und die das Laufen im aktuellen Tempo unmöglich machen. Geil. Ich drücke mir eine Faust in die Leistengegend, weil das ja bei Seitenstichen weiter oben auch manchmal hilft und zwinge mich dazu, weiter zu traben. Bloß nicht gehen, weil ich dann nie wieder loslaufen würde, also schön in Bewegung bleiben, vorsichtig zwar, aber bitte laufend. Wenn der Körper so urplötzlich mitten im Rennen etwas völlig neues Schmerzhaftes präsentiert, weiß ich erst mal nicht so genau, wie ich damit umgehen soll. Alte Bekannte sind ja die Achillessehne, die Kniekehle oder hier und da Kleinigkeiten, von denen ich genau weiß, wie sie sich anfühlen, wenn sie akut und schlimm sind oder wenn sie nur lästig sind und sich weglaufen lassen.
Dieser Schmerz und ich, wir sind uns völlig fremd, aber wir lernen uns auf den nächsten vier Kilometern näher kennen. Ich spüre ihn bei jedem Schritt. Er setzt mir ganz schön zu und schraubt das Tempo massiv runter, aber so lange traben noch geht, werde ich traben. Bei Kilometer elf dann für einen Moment der Lichtblick: schmerzfrei! Ach nee, doch nicht. Aber immerhin drei, vier Schritte. Also weiter traben. Mit dem neuen, pieksenden Begleiter. Die Zähne (im übertragenen Sinn) zusammenbeißen, das schmerzverzerrte Gesicht in regelmäßigen Abständen zu einem Lächeln zwingen (zum Glück muss ich diesen grotesken Anblick selbst nicht sehen) und weiter machen. Bis zu Kilometer 13, als schlagartig nichts mehr sticht, zwickt oder zwackt. Ich traue dem Braten noch nicht so ganz, das Spielchen hatten wir eben auch schon mal. Deshalb will ich nichts überstürzen und bloß nicht riskieren, dass der Spaß gleich zurück kommt und ich aufgeben muss - immerhin würde die Strecke mit ihren vielen Schleifen um die Regattabahn sich dazu anbieten. Der Schmerz kommt nicht zurück. Ich bin halbwegs erholt von vier lockeren Kilometern und traue mich endlich, die Geschwindigkeit wieder anzuziehen. Ich liege etwas hinter meinem Zeitplan, aber will auf keinen Fall jetzt zu viel Tempo machen - es sind noch acht Kilometer.
Vor der Getränkestation bei Kilometer 15 nehme ich ein zweites Gel und trinke einen Becher Wasser im Gehen. Ruhig bleiben. Danach geht es zurück auf die Strecke entlang der Regattabahn. Links vom Wasser sind langsamere Läufer, rechts schnellere, vor mir eine riesige Masse bunter Punkte. Die Sonne knallt, der Himmel ist blau, die Regattabahn ist auch blau und außerdem still, riesig und wunderschön. Wie sie einfach nur da liegt und wartet. Ich will anhalten, um ein Foto zu machen, aber sauge das Bild dann doch lieber nur im Kopf auf. Wie schön es hier ist. Winterlaufserie mit kurzer Hose, Tanktop und Sonnenbrille. Yeah!
Endlich mal Kathrin (@triathlon_trail_travel) im echten Leben getroffen :) |
Es sind 38 Sekunden, die mich ganz ehrlich nicht ärgern. Ich finde sie eher amüsant, weil ich weiß, dass ich sie hätte rausholen können - Konjunktiv. Alles, was jetzt kommt, sind Ausreden: Wären die Schmerzen nicht gewesen, wäre der Wind weniger gewesen, der Ehrgeiz größer. Aber all das war genau so, wie es eben war und so ist es in Ordnung. Zwischen Kilometer 13 und 15, als der Schmerz gerade nachgelassen hatte, habe ich intensiv darüber nachgedacht, warum ich das eigentlich mache. Nicht im Sinne von "Warum tust du dir das bloß an?", sondern aus reiner Neugierde.
Warum laufe ich eigentlich noch, wenn das Herz so sehr am Radfahren hängt? Wenn mir Zeiten gar nicht so wahnsinnig viel bedeuten? Das hier ist keine abschließende Analyse, aber zum einen bin ich einfach immer noch selbst überrascht, dass ich das kann. Ein anderer wichtiger Punkt ist: Ich kann bei keinem anderen Sport so sehr in mich hinein hören wie beim Laufen. Ich habe das Gefühl, dass ich inzwischen ganz anders mit mir selbst kommuniziere, einmal auf der mentalen Ebene (keine negativen Gedanken beim Laufen mehr), aber auch im Bezug auf das Körpergefühl. Ich bemerke Dinge, die mir vorher entgangen sind und habe insgesamt ein viel besseres Gespür dafür, was eigentlich mit diesem Körper gerade so los ist. Was er kann, was er nicht kann, was ihm gerade gut tut und was keine gute Idee ist. Die Ebene, auf der das stattfindet, ist eine komplett andere, als ich bisher kannte. Die ist auf dem Sofa definitiv nicht zu erreichen.
Direkt nach der Ziellinie abgefangen und geknipst von Julia von triathlongeflüster. Danke! |
Der zweite Teil dieses Renntages war voller Dreck, Staub und Herzblut. Und er kommt bald!