Montag, 6. Juli 2015
Bundesjugendspiele? Was soll der Quatsch?
Die aktuelle Diskussion über die Bundesjugendspiele bringt mich ins Grübeln. Erst dachte ich: "Was soll der Quatsch, da regen sich mal wieder ein paar bekloppte Eltern auf, die kriegen sich auch wieder ein." Mittlerweile habe ich mich ein bisschen im Freundes- und Bekanntenkreis umgehört und bin ziemlich schnell auf Menschen gestoßen, die behaupten, noch heute schwierig Zugang zu Sport zu finden, da sie durch die Bundesjugendspiele traumatisiert seien. Erster Gedanke: "Stell dich nicht so an." Leute stellen sich aber an. Und deshalb will ich dem mal auf den Grund gehen.
Die Mutter, die diese Petition angezettelt hat, ist der Meinung, schwächere Kinder würden bei den Bundesjugendspielen gedemütigt. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass bei uns jemals jemand wegen einem Zettel, auf dem nicht "Sieger", sondern "Teilnehmer" stand, bloßgestellt worden wäre. Oder dass jemand ausgelacht worden wäre. Wie bei allen Dingen im Leben ist es klar, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Der eine kann halt unheimlich weit springen, der andere ist dafür gut im Schreiben oder Rechnen. Nicht jeder kann alles, aber jeder kann irgendetwas. Hier sehe ich Lehrer und Eltern absolut in der Pflicht, Kindern das zu vermitteln. Und welches Fach eignet sich besser als Sport, um gewinnen und verlieren zu lernen? Kein Kind hat etwas davon, wenn nach jedem Spiel alle Gewinner sind. Das ist eine schöne rosarote Fantasiewelt, aber im Leben gewinnen nicht alle. Und nicht immer. Wir müssen lernen, einzustecken. Wir müssen auch lernen, besser zu sein als andere. Beides ist nicht immer einfach. Wir müssen uns bewerben, wir durchlaufen Vorstellungsgespräche und Assessment Center und müsen dann damit klarkommen, dass jemand anderes besser war und die Stelle bekommt. Wir müssen trotzdem weiter an uns glauben. Wir dürfen nicht an uns zweifeln, wenn wir in irgendetwas versagt haben. Wir müssen üben. Diese Lektion vermittelt Sport ganz wunderbar: Wer trainiert, wird besser. Besser, als man vorher war. Vielleicht sogar besser als andere.
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Für den Laufkurs musste ich im letzten Jahr mal wieder auf den Sportplatz. Lang ists her... |
Da lernt man übrigens noch ganz andere Dinge. Inklusion zum Beispiel habe ich in der Schule nicht erlebt. Im Verein war das ganz natürlich: Der Schwimmer hat nur einen Arm? So what? Niemanden stört es, ob du groß, klein, dick, dünn, halbseitig gelähmt oder total beweglich bist. Diese Grüppchen, bei denen es die Coolen und die Loser gibt, gab es natürlich auch in meiner Schule. In meinem Verein nicht. Solche Werte lernen wir auch nicht durch eine einzige verpflichtende Sportveranstaltung im Jahr, sondern wir verinnerlichen sie, wenn sie konsequent im Unterricht, zuhause und im Sportverein gelebt werden.

Die besten Schüler haben sich bei den Bundesjugendspielen damals für die Stadtmeisterschaften qualifiziert. Sprint und Weitsprung liefen bei mir immer gut, also musste ich oft in den Nachbarstadtteil fahren und meine Schule vertreten. Natürlich bin ich dabei immer kläglich gescheitert - du kannst leicht die Beste einer Klasse sein, wenn keiner dabei ist, der Leichtathletik als Hobby hat. Du bist dann aber die letzte, wenn du gegen die Besten der ganzen Stadt antreten musst - die natürlich im Verein trainieren. So nah liegen Sieg und Niederlage beeinander, und was juckt es mich? Nichts. Ich habe übrigens für den Artikel meine Wohnung auf den Kopf gestellt, um die Urkunden zu finden. Sie waren mir scheinbar so wichtig, dass ich sie bei irgendeinem Umzug in den Papiermüll befördert habe.
Wer also meint, dass er einen Schaden davongetragen haben könnte, weil er bei den Bundesjugendspielen nur Teilnehmer war: schließ das Kapitel. Wenn du willst, mach trotzdem Sport. Wenn du nicht willst, probier es mal aus. Du wirst schnell merken, dass du heute ganz anders bewertet wirst. Du wirst nicht mehr an deinen Klassenkameraden gemessen, sondern nur an dir selbst. Du wirst schnell Verbesserungen feststellen. Und wenn du dich traust, bei einem Wettlauf mitzumachen, obwohl du vorher weißt, dass du nicht gewinnen kannst, dann verdienst du Anerkennung. Volksläufe heißen nicht umsonst so - jeder kann mitmachen. Zuschauer haben Respekt vor Teilnehmern - nicht erst, wenn sie einen Marathon finishen, sondern auch, wenn sie 10 Kilometer laufen. Beim Triathlon in Düsseldorf haben wir letztens für den Schwimmer, der nach 46 Minuten als letzter aus dem Wasser stieg, lauter geklatscht als für den ersten, der schon nach 21 Minuten an uns vorbei rannte.
Es ist heute alles anders als damals. Du trittst nur gegen dich selbst an. Schön beschrieben hat das übrigens auch Thorsten Firlus: "Ich habe nie an Bundesjugendspielen teilgenommen. Aber beim Ironman Austria."