Mittwoch, 29. Juli 2015

100 Kilometer radeln: Rapha Women's 100

100 Kilometer radeln. Nur mit Frauen. Als eine Freundin (die übrigens nicht radelt, aber stattdessen aufmerksam die lokale Presse verfolgt), mir davon erzählt hat, musste ich nicht lange überlegen. Das will ich auch!

Rapha, ein britischer Hersteller für Radsportbekleidung, hat zur Women's 100 geladen: Weltweit waren Frauen dazu aufgerufen, am 26. Juli - dem Tag des Tour-de-France-Finales - 100 Kilometer zu radeln. Wie praktisch, dass die Schicke Mütze eine Tour mit Start in Düsseldorf organisiert hat.
So sah das vor dem Start aus. Vielen Dank für das Foto an die Schicke Mütze! Noch mehr sehenswerte Bilder gibts hier: Rapha Women's 100 @ Schicke Mütze
Schon beim gemütlichen Anrollen wird man fotografiert: Auch dieses Fotocredit geht an die Schicke Mütze - für mein erprobtes quadratisches Format musste ich leider Bruno ein bisschen beschneiden.
Rapha kannte ich überhaupt nicht und musste feststellen: sie machen sehr tolle, aber zu teure Sachen. Die Mütze kannte ich bisher auch nicht, so sieht sie von innen aus:
Sympathische Mischung aus Café, Radladen und Schrauberei - danke fürs Bild an Naomi (@amande_pomme). 
Ich habe mir über die 100 km gar nicht so viele Gedanken gemacht. Die weiteste Strecke, die ich bisher gefahren bin, waren gut 80 km. Das war auf Mallorca - und zwar am Cap de Formentor, das mich zugleich stolz und auch ziemlich fertig gemacht hat. Wir sind hier aber nicht im Tramuntana-Gebirge auf Malle, sondern im Rheinland - und deshalb werde ich 20 km mehr ja wohl locker hinkriegen. Kein Grund, nicht andere Sorgen zu wälzen: Ich könnte zu langsam sein und ein Bremsklotz für die 40 anderen, die auf Facebook der Veranstaltung zugesagt haben. Die ersten 30 km sind hügelig (die gesamte Strecke hier auf Strava) - ich bin lange keine "Berge" mehr gefahren und erst recht nicht mit dem neuen Rad. Ich bin mit Bruno überhaupt noch nie länger als 40 km unterwegs gewesen und nach 20 verspannen sich bereits Schultern und Nacken. Außerdem hab ich mich an den Sattel noch nicht gewöhnt und finde ihn unbequem. Oh und mein Favorit: ich bin noch nie in einer so großen Gruppe gefahren, bestimmt mache ich alles falsch, was man dabei so falsch machen kann.
Die Damen aus der Schicken Mütze lassen alle Sorgen schnell verfliegen: Kerstin stellt sich vor und erklärt im Schnelldurchlauf die Regeln für das Fahren in großen Gruppen. Es gibt mehr Handzeichen als beim Beachvolleyball und ich kann mir nicht alles merken, aber denke, das wird sich schon ergeben. Wir wollen zusammen bleiben, also oben auf den Hügeln warten, bis alle da sind und die letzten auch nochmal kurz verschnaufen lassen, bevor es weiter geht - klingt gut! Ab einem Verbund von mehr als 15 Radfahrern darf man übrigens auch rote Ampeln überfahren, sofern der erste noch grün hatte. Gut zu wissen! Leider wissen die meisten Autofahrer das nicht, wie wir später merken. 
Streifen und Punkte - dass die beiden Mädels später für mich nochmal ganz besonders wichtig werden würden, ahne ich hier noch nicht. (Foto von der Schicken Mütze)
Startaufstellung.
Letztes Bild vor der Abfahrt! Ich habe Naomi, rechts neben mir, zur Verstärkung mitgebracht. 
Los gehts. Die ersten Kilometer führen durch die Stadt - eigentlich ziemlich nervig, in der großen Gruppe aber spannend - wir erregen viel Aufmerksamkeit und haben an vielen Stellen freie Fahrt, wo eine alleine normalerweise hätte warten müssen. Ein bisschen wie bei der Rollnacht oder der Run Happy Tour, wo wir einfach die Stadt überrannt haben. Jetzt überrollen wir sie, jedenfalls ein Stück, und dann sind wir auch schon raus aus Düsseldorf und unterwegs Richtung Ratingen. 
Der erste Anstieg sah im Höhenprofil am schlimmsten aus. Es geht nach Eggerscheidt rauf - mich verbindet ja seit dem Ratingen-Triathlon eine Art Hassliebe mit diesem Ortsteil. Wir fahren allerdings nicht die Landstraße, sondern über die Felder. Macht das Profil nicht besser, ich habe echt etwas Bammel vor dem ersten Hügel. Schwupps sind wir dann aber schon oben, sammeln uns und warten auf Nachzügler. Ich bin erstaunt, wie gut ich durchgekommen bin.
Hügel 1: check.
Weiter gehts durch Hösel, es folgt eine Abfahrt und dann direkt nach einer Kurve der nächste Anstieg. Ich schalte zu spät, weil ich das "Runterschalten!", was alle rufen und nach hinten durchgeben, einfach mal überhört habe. Mitten am Berg will die Schaltung überhaupt nicht so wie ich und ich komme vorne nicht aufs kleine Kettenblatt. Auf dem großen ist treten gerade aber unmöglich und deshalb bleibe ich auf der Stelle stehen. Irgendwo unbewusst scheint doch noch was zu funktionieren und so schaffe ich es immerhin, einen Schuh auszuklicken und mich nicht auf die Nase zu legen. Mit ein bisschen Hilfe friemeln wir die Kette im Stand aufs passende Blatt und weiter gehts. Anfahren am Berg: läuft. Hügel 2: check.
Hügel Nummer 3 ist der in der Gegend berüchtigte Esel, den ich das letzte Mal im November gefahren bin. Ich habe ihn ziemlich krass in Erinnerung. Nun, Bruno findet ihn nicht ganz so beeindruckend. Wir kommen gut rauf, sind nicht die letzten und oben angekommen habe ich dieses Mal nicht das Gefühl, mich auf den Boden legen zu wollen. Alles cool.
Hügel 3: check!
Weil die Strecke fast bei meinen Eltern zuhause vorbei führt, kommen sie, um das Women's 100 Peloton zu sehen. Aussage Papa: "Ihr wart so schnell wieder weg, wie ihr gekommen seid!" Für dieses Bild hat es dann aber doch noch gereicht. Danke!
Der Tacho sagt mittlerweile etwas von gut 50 km. Wir haben die Hügel hinter uns gelassen, nähern uns Duisburg und kratzen an Krefeld. Komplett flach hier. An einem Café, bei dem ich im Vorbeiradeln schon oft dachte, wie nett das aussieht, machen wir Pause. Draußen ist nichts mehr frei und ich habe kein gutes Gefühl dabei, Bruno draußen stehen zu lassen und mich drinnen rein zu setzen. Kuchen möchte ich sowieso nicht und so halte ich lieber mit Naomi die Stellung in der Sonne. Zum Wasser auffüllen und Gel reinschieben (bah!) ist die Pause aber allemal gut. 
(Foto von Naomi)
Nach der Pause gehts über den Rhein - von Uerdingen bis Düsseldorf gibts einen Radweg auf dem Deich, auf dem es ganz schön windig ist. Die Hügel liegen also hinter uns, dafür kämpfen wir mit dem Wind. Irgendwas ist ja immer!

Die meiste Zeit sind wir in Zweierreihen unterwegs, die sich immer wieder neu mischen. Wir reden über Gott und und die Welt, nur nicht über Namen - deshalb weiß ich leider gar nicht, wie die Mädels heißen, die mir die Fahrt verkürzt haben. Am meisten in Erinnerung geblieben sind: die angehende Chemielehrerin aus Wuppertal, die über unsere Hügel nur lachen kann und ausnahmslos alle Verkehrsregeln für Rad-Gruppen kennt. Die andere mit dem Bianchi-Rad, Brunos Bruder... Dann die Radrennfahrerin aus Bochum, die mir verrät, dass man bei einigen Jedermannrennen nur einen 23er Schnitt fahren muss - danke für den Floh im Ohr! Und dann ist da noch die frisch gebackene Ironwoman aus Neuss. Falls das im Gegenwind irgendwie untergegangen ist: ich bin voll des Respekts dafür! Danke fürs Mutmachen für meine erste Kurzdistanz, danke für den Trick, wie mir die Laufstrecke nicht so lang vorkommt und danke für: "Du fährst doch gut Rad, du musst dir doch gar keine Sorgen machen!" Daran erinnere ich mich hoffentlich in der letzten Runde, wenn wir zum vierten Mal den Berg rauf klettern (ok, Hügel!).

Wir biegen vom Rhein Richtung Osterath ab. Einige nutzen die Gelegenheit, um auszusteigen und den kürzeren Weg zurück nach Düsseldorf zu nehmen. Wir nutzen die kleinere Gruppe und ziehen das Tempo an. Bis km 75 geht es mir wirklich gut. Nacken und Schultern sind nicht schlimmer geworden als sonst und ich ändere oft genug die Handposition, um Abwechslung zu haben. Und als wir dann im Gegenwind das Tempo verschärfen, meldet sich auf einmal das Mallorca-Knie. Das heißt inzwischen so, weil ich ja seit dem Radurlaub immer mal wieder Probleme damit habe - meist unter stärkerer Belastung auf dem Rad und fast immer beim Laufen nach dem Radeln. Dass am Berg Ruhe war, überrascht mich - muss das jetzt echt 25 km vor Schluss losgehen?

Ab jetzt ist es kein Spaß mehr. Ich beiße die Zähne zusammen, versuche etwas langsamer zu machen, schiele ständig auf den Tacho und zähle die Kilometer runter. Bei km 90 kapituliert Bruno. Ein platter Reifen. Mitten auf dem Bahnübergang, vorne. Hallo? Das ist grade mal die vierte Ausfahrt, wieso macht der Schlauch schon schlapp? Das letzte Mal etwas mit einem Reifenwechsel zu tun hatte ich vor genau einem Jahr, als Gabi neue Mäntel und Schläuche bekommen hat. Da hab ich mir alles ganz genau angeschaut und teilweise auch selbst gemacht - aber das ist ein Jahr her! Immerhin habe ich einen Ersatzschlauch und Werkzeug dabei, nur keine Luftpumpe (auch schlau!). Die beiden von der Schicken Mütze packen sofort an - ich will irgendwie helfen, schließlich ist das hier mein Platter, aber ich will auch, dass es schnell weitergeht und die anderen nicht so lange warten müssen. Schließlich ist der Schlauch in Rekordzeit gewechselt, aufgepumpt und das Laufrad wieder montiert. Da fällt mir ein, dass der Mantel ja verkehrt herum drauf war und daher der Schnellspanner rechts, damit die Laufrichtung vom Profil stimmt (die Experten streiten hier, ob das überhaupt Auswirkungen hat). Also Hausaufgabe: Mantel tauschen.
Diese beiden Expertinnen haben die Panne so schnell behoben, dass die anderen hinterher fragten: "Hä? Du hattest einen Platten?" - Ich bin übrigens die, die unnütz daneben steht. Danke fürs Dokumentieren, Naomi!
Die letzten Kilometer gehen dann auch irgendwie noch rum. Der Hintern tut weh, das Knie, der Nacken, die Schultern und jetzt auch noch der untere Rücken. Ist aber alles egal. Mein Tacho zeigt exakt in dem Moment 100 km, als wir auf der Oberkasseler Seite auf den Radweg am Rhein biegen und dem Fernsehturm und Medienhafen entgegen radeln. Was für ein Timing! Kurz darauf kommen wir in der Schicken Mütze an und werden mit gut gekühlter Wassermelone empfangen. Die beste Wassermelone, die ich je gegessen habe! Zur Feier des Tages hat das Café extra geöffnet, Tour de France läuft auch, es ist wirklich nett hier - aber ich will nur noch auf die Couch. Ich rolle die letzten drei Kilometer nach Hause. Lege die Füße hoch, bestelle eine Pizza und sehe André Greipel die letzte Etappe gewinnen. Perfekter Tag!
Endabrechnung: 107 km. Weil die Pulsuhr zwischendurch nicht mehr wollte und ich neu starten musste, sind es mehr als die knapp 6 Stunden mit Pausen.
Der Handyakku verabschiedete sich übrigens pünktlich zur Kaffeepause, daher kann ich nur sagen, dass wir die ersten (hügeligen) Kilometer mit einem 21er Schnitt gefahren sind. Was danach kam: ich weiß es nicht. Ist auch scheißegal, es ging ja nicht um Bestzeiten, sondern ums Ankommen. Das haben wir geschafft!

Danke für die Organisation, das Austüfteln der Strecke, die Durchführung, die Pannenhilfe, die Mitfahrerinnen und Gespräche. Vor der Tour kannte ich gerade mal eine handvoll rennradelnde Frauen - jetzt sind es mehr als 30 (Namen sind Schall und Rauch!). Und ich stelle fest: radelnde Frauen sind cool drauf! Ich komme ganz bestimmt zum nächsten Stutenbeiken vorbei. Müssen ja nicht gleich wieder 100 km werden.

Übrigens: das Laufrad hab ich zuhause am Tag danach nochmal ausgebaut, den Mantel abgefriemelt, umgedreht und wieder zusammengebastelt. Geht doch noch, dauert nur lange.