Freitag, 28. Juli 2017

Rapha Women's 100 feat. Braver Than The Elements 2017



Wenn du irgendwem erzählst, der noch nie Rennrad gefahren ist, dass du gedenkst, 100 Kilometer auf eben diesem Gefährt zurück zu legen, wirst du schon mal schnell mit großen Augen angeguckt. Jeder Rennradfahrer hingegen zuckt höchstens müde mit den Schultern. 100 Kilometer? Die kommen schnell mal zusammen. Nichts Besonderes also?


Doch. Meine allerersten 100 Kilometer bin ich vor genau zwei Jahren geradelt. Bei der Rapha Women's 100 2015, zusammen mit einem Haufen Mädels und der Schicken Mütze. Alleine wäre ich sehr wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen. Damals tat mir hinterher alles weh und ich war mächtig stolz. Mittlerweile sind 100 Kilometer keine Distanz mehr, die mich auf dem Rennrad beeindruckt, aber ich habe nicht vergessen, dass es noch nicht allzu lange her ist, als das noch etwas anders aussah. Deshalb stand für mich fest, dass ich dieses Jahr wieder dabei sein würde. Etwas zu schaffen, was man vorher noch nie ausprobiert hat oder woran man nicht einmal gedacht hat; die Erfahrung, wie weit man aus eigener Kraft kommen kann - das ist nämlich auch von der anderen Seite schön. Nicht nur dann, wenn man sich durchkämpft und das Ganze selbst erlebt, sondern auch, wenn man dabei zusieht, die Gruppe führt oder anschiebt, wenn man motiviert und zur Not kleine Arschtritte verteilt.


Rapha hat also wieder Frauen dazu aufgerufen, 100 Kilometer zu radeln. Wieder an einem Sonntag im Juli, wieder am letzten Tag der Tour de France. Fein. Unsere Düsseldorfer Gruppe ist bunt gemischt. 25 Frauen, manche routinierte Fahrerinnen, manche noch nicht lange auf dem Rad oder unerfahren in Gruppen. Die ersten 30 hügeligen Kilometer eignen sich gut, um sich an das heranzutasten, was noch kommt: viel geradeaus und viel Wind. Sehr viel Wind. Und Regen. Und Wind. Und noch mehr Regen. Hatte ich Wind schon erwähnt?


An den Hügeln rollt es gut. Jede fährt ihr eigenes Tempo und die langsameren können oben immer wieder aufschließen, ohne dass die schnelleren ewig lange rumstehen und kalt werden. Nach den ersten beiden Hügeln wartet nur noch der Esel - genau wie vor zwei Jahren. Noch immer berühmt-berüchtigt, aber das einzig furchteinflößende an diesem Anstieg ist, dass er einen Namen hat. Wirklich. Aber mir glaubt ja keiner. Damit es sich unterwegs niemand anders überlegt, plappere ich einfach während der ganzen Kletterei dummes Zeug, das hoffentlich entweder a) ablenkt, b) gute Laune verbreitet oder c) so einen Hass auf mich schürt, dass die kämpfende Truppe erst recht vor mir oben ankommen will. Bitte wählen Sie jetzt.

Die blöden Geschichten sind mir noch lange nicht ausgegangen, aber wir haben die Kuppe erreicht. Esel: check. "Das war alles?" - "Hatte ich mir viel schlimmer vorgestellt!" Ach guck an. Ich habe noch nie jemanden sagen hören: "Das war schrecklich, das mache ich nie wieder!" Nie. Stattdessen: Erleichterung, Freude, Stolz. Am besten ist es eben, Sachen einfach mal zu machen.


Nachdem die Hügel jetzt hinter uns liegen, rollen wir der Kuchenpause entgegen - nur liegt die inmitten einer Schlechtwetterfront. Auf den Wirtschaftswegen zwischen den Feldern sind wir ein leichtes Opfer für den Wind. Er will uns bremsen, uns noch etwas im Nassen aufhalten. Das leichte Nieseln entwickelt sich gerade zu einem ordentlichen Platzregen. Wir schwimmen vorwärts. Gegen eine Wand aus Wind. Ist das hier Women's 100 oder Braver Than The Elements? Die Grenzen verschwimmen. Genau wie die Straße. Und die Sicht. Ich muss die Brille abnehmen, wenn ich nicht blind weiter fahren will. Der Wind peitscht die kalten Regentropfen ins Gesicht: auf Wangen, Nase, Lippen und in die Augen, auf Arme und Beine, auch von unten spritzt das Wasser hoch und wir sind alle so unendlich nass. Bis auf die Haut.

Wie wunderbar. Klar kannst du auch großartige Ausfahrten bei bestem Wetter haben. Aber die Geschichten, an die sich später alle erinnern, spielen immer unter widrigsten Bedingungen. Oder ist die Titanic unter strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel untergegangen? Eben. Bei uns heißt es dann halt: Wisst ihr noch, wie wir mit 25 pitschepatschenassen Mädels in das Café gestiefelt sind, wie komisch die anderen Gäste geguckt haben, wie wir alle Stühle und Polster komplett unter Wasser gesetzt haben und wie großartig dieser gigantische Eiskaffee war?

 








Nach unserer Stärkung hört der Regen auf. Der Wind bleibt uns noch erhalten. Er pustet von vorne, von der einen Seite, von der anderen Seite. Puh. Kurz vor Kilometer 70 entscheiden wir uns für eine Gruppentrennung, weil sich nicht alle trauen, im Windschatten zu bleiben - das bremst die ganze Gruppe aus und bei den Bedingungen wird es dadurch anstrengender als nötig. Wir spalten uns also in Peloton und Gruppetto, was allen mehr als recht ist.



Plötzlich meint es auch der Wind gut mit uns und schiebt uns zurück in Richtung Düsseldorf. Das beständige Rauschen in den Ohren wird jetzt unterbrochen von munterem Gemüse-Raten: Wir fahren an so vielen verschiedenen Feldern vorbei, dass sich schnell herausstellt, wer die besten naturkundlichen Kenntnisse hat. "Kartoffeln!" - "Steckrüben!" - "Ist das hier Kohl?" - "Um Himmels Willen, was für eine Pflanze stinkt so dermaßen?" - "Tagetes!" Jungs, das sind also die Themen, über die Frauen sprechen, wenn sie unter sich sind: Kuchen und Kohl.





Wir biegen genau an der richtigen Stelle auf den Deich ab und haben den allerbesten Blick auf Düsseldorf. Den Rheinturm, den Medienhafen, die Kniebrücke, all das viele Grün, die Schafe. Homecoming. Nach exakt 100 Kilometern. Unter Applaus rollen wir in der Schicken Mütze ein. Wenig später empfangen wir standesgemäß die zweite Gruppe. Geschafft! Ich blicke in lauter strahlende Gesichter. Zur Belohnung gibt es - natürlich - Gebäck, vielen Dank an den großzügigen Spender!









Diejenigen, deren Couch noch nicht zu laut ruft, bleiben zum Rudelgucken. Die letzte Etappe der Tour de France, die vor drei Wochen genau hier begonnen hat, bei uns in Düsseldorf. Paris. Der letzte Sprint. Mein absolutes Highlight ist der großartige Paul Voß live in der Sportschau: "Greipel! Greipel! Greipel!!! Nee. Groenewegen. Fuck!" Was für ein Kommentar, so viele Emotionen in einem so kurzen Augenblick. Den zweitbesten Kommentar des Tages habe ich unterwegs aufgeschnappt: Ein älterer Herr, ebenfalls mit dem Rennrad unterwegs, musste kurz warten, um 25 Mädels durchzulassen. Er stellte dabei verwundert fest: "Ich wusste gar nicht, dass so viele Frauen Rennrad fahren!" #thisiswhy: Danke Rapha, danke Schicke Mütze, danke an alle Mitfahrerinnen!

Danke für die Fotos an Kerstin Kortekamp, Carsten Wien, Ellen Abendroth.